Drama

Meine Stunden mit Leo (2022)

Regie: Sophie Hyde
Original-Titel: Good Luck to You, Leo Grande
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Good Luck to You, Leo Grande


Eine ältere Frau. Ein junger, knackiger Mann. Ein Hotelzimmer. Wenn das nicht „Porno!“ schreit? Aber keine Sorge, unter der Regie von Sophie Hyde entfaltet sich in „Meine Stunden mit Leo“ ein herzliches, emotional intelligentes Kammerstück über die Liebe, Begehren und vor allem Akzeptanz. Denn die pensionierte Religionslehrerin Nancy ist nur vordergründig an Sex interessiert. Sie hatte in ihrem Leben, das sie ausschließlich mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann geteilt hat, noch nie einen Orgasmus, und sie ist fest entschlossen, diesen „Makel“ zu beheben. Der attraktive Callboy Leo soll ihr dabei helfen. Doch Leo durchschaut schon sehr bald, dass sich hinter dieser offensichtlichen Begierde etwas anderes, Tieferes verbirgt: Nancy kennt sich selbst nicht, fühlt sich verloren zwischen den Rollen, die sie ihr ganzes Leben über gespielt hat. Kann ihr der charmante, aber gleichzeitig unverbindliche und als Person kaum zu fassende Leo dabei helfen, sich selbst kennenzulernen? Es braucht schon eine Meisterin des Fachs wie Emma Thompson, um eine solch komplexe und gleichzeitig verletzliche Figur glaubhaft spielen zu können. Und zusätzlich braucht es jede Menge Mut, um sich körperlich wie seelisch dermaßen zu entblößen wie Thompson in diesem Film. Doch selbst das reicht noch nicht aus, um aus der schwierigen Prämisse und dem starren Rahmen (die Handlung spielt sich fast ausschließlich innerhalb der vier Wände des Hotelzimmers ab) einen gelungenen Film zu machen. Es braucht auch noch einen ebenbürtigen Gegenpart zu Nancy. Daryl McCormack als Leo meistert diese große Hürde mit Bravour. Das gelungene Zusammenspiel von Thompson und McCormack schafft erst den Raum für die Geschichte und die Verbundenheit der Zuseher mit den Figuren. Was ein schwieriger, weil schlüpfriger Sexfilm hätte werden können, wird so zu einem Striptease der anderen Art: Nämlich jenem der Seelen. Und das finde ich deutlich aufregender und interessanter als jegliche Fleischbeschau.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Verlorene Herzen (1992)

Regie: Allison Anders
Original-Titel: Gas Food Lodging
Erscheinungsjahr: 1992
Genre: Drama
IMDB-Link: Gas Food Lodging


Amerikanisches Independent-Kino, das sich aus weiblicher Perspektive mit dem Prekariat auseinandersetzt, hat eine lange Tradition, und etliche Meisterwerke wie beispielsweise Nomadland von Chloe Zhao oder American Honey von Andrea Arnold sind in dieser Tradition entstanden. „Verlorene Herzen“ von Allison Anders aus dem Jahr 1992, hierzulande teils auch unter dem Originaltitel „Gas Food Lodging“ vermarktet, reiht sich durchaus in diese Liste ein, auch wenn Anders‘ Film etwas milder ausfällt und nicht so kantig wie die beiden anderen genannten Beispiele. Im Zentrum stehen drei Frauen: Die Kellnerin Nora (Brooke Adams) und ihre beiden fast erwachsenen Töchter Shade (Fairuza Balk) und Trudi (Ione Skye). Gemeinsam leben sie in einem Trailerpark in einer Kleinstadt in New Mexico. Der Vater ist schon lange von der Bildfläche verschwunden, und so ist es Shades größter Wunsch, einen Mann für ihre Mutter zu finden, eine Art von Eskapismus, die sich auch in ihrer Vorliebe für den mexikanischen Filmstar Elvia Rivero äußert. Ihre Schwester Trudi hingegen lebt promiskuitiv in den Tag hinein, bis sie eines Tages auf den Geologen Dank (Robert Knepper) trifft, zu dem sie Vertrauen fasst. Ein Fehler? Hier zeigt sich auch das Kernthema des Films: Alle drei Frauen haben aufgrund ihrer Lebensumstände und früherer Verletzungen Vertrauen in andere Menschen verloren. Nora, die Mutter, zieht es vor, lieber einsam zu sein, auch wenn sie umworben wird, wie sie selbst unumwunden zugibt, Trudis Vertrauensprobleme beruhen auf einer traumatischen Erfahrung und Shade, die noch am offensten auf andere Menschen zugeht, fühlt sich dennoch in ihrer Fantasiewelt besser aufgehoben als in der Realität. Dennoch gelingt es Anders, den Film leichtfüßig wirken zu lassen. All diese Themen werden fast beiläufig verhandelt, ohne dadurch aber an Ernsthaftigkeit zu verlieren. „Verlorene Herzen“ ist alles Andere als ein Sozialporno. Der Film ist ehrlich an den drei Frauen und ihren Gefühlen interessiert, ohne sie zur Schau zu stellen. Es gibt auch viele leichte, positive Momente, denn wie es im Leben so ist: Wo Licht ist, ist auch Schatten, und das gilt umgekehrt genauso. Dass der Film einen runden Abschluss, eine Art Aha-Moment der Figuren, eine Weiterentwicklung verweigert, ist damit nur stimmig und konsequent.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Sound of Metal (2019)

Regie: Darius Marder
Original-Titel: Sound of Metal
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Sound of Metal


Ich habe ein Faible für Schlagzeuger, ich liebe Rockmusik. Ich liebe die mitreißende Energie eines guten Songs, drehe die Lautstärke dabei gerne einmal auf Anschlag. Wie grausam muss es sein, wenn man etwas, was man so liebt, plötzlich verliert? Der von Riz Ahmed genial verkörperte Musiker und Schlagzeuger Ruben erleidet eines Tages während einer Tournee mit seiner Freundin Lou (Olivia Cooke), zusammen sind sie die Hard Rock-Band Blackgammon, einen Hörsturz. Die Diagnose ist erschütternd: Nur noch etwa 20% Hörfähigkeit bleiben Ruben, und auch diese verschlechtern sich und reichen bei weitem nicht aus, die Geräusche des Alltags aufzunehmen oder sich an Gesprächen zu beteiligen. Ruben ist mehr oder weniger taub. Er wird in einer Gemeinschaft von Gehörlosen unter der Leitung von Joe (Paul Raci) aufgenommen, wo er lernen soll, mit seiner Situation umzugehen. Doch kann er sein altes Leben hinter sich lassen? „Sound of Metal“ ist ein überragendes Regiedebüt von Darius Marder und gleichzeitig eine gewaltige Schauspielleistung von Riz Ahmed und Paul Raci, beide völlig zu Recht mit Oscarnominierungen geehrt, im Falle von Raci sogar die erste, die jemals an einen gehörlosen Schauspieler ging. Die große Leistung, die alle drei vereint, ist eine völlige Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit bei Verzicht auf Sentimentalität. Niemand heischt hier um Mitleid, und gerade dadurch nimmt die Zuseher das Geschehen so mit, wird dieser Verlust einer ganzen Welt, eines ganzen Lebens so greifbar. Ohne allerdings das kongeniale Sounddesign, das verdientermaßen mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, würde dem Film eine wesentliche Komponente fehlen. Der Film schafft es allerdings mit seinem Sound, die Zuseher auf physisch mitzunehmen auf diese Reise in die Stille. Immer wieder werden die Szenen durch die Ohren von Ruben vermittelt, man fühlt seine Konfusion, sein Verlust von Verbindungen mit und bekommt dadurch ein Gespür vermittelt, wie wichtig dieser oft unterschätzte Sinn des Hörens für unser Leben ist. „Sound of Metal“ ist wahrlich kein Feelgood-Movie, aber ein in allen Belangen exzellenter, hochseriöser Film, der sich seinen Platz in der Filmgeschichte sichern wird.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Courtesy of TIFF, Quelle http://www.imdb.com)

Muriels Hochzeit (1994)

Regie: P. J. Hogan
Original-Titel: Muriel’s Wedding
Erscheinungsjahr: 1994
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Muriel’s Wedding


„Muriels Hochzeit“ von Paul J. Hogan (nicht zu verwechseln mit seinem Landsmann „Crocodile Dundee“ Paul Hogan), die australische Überraschungstragikomödie aus dem Jahr 1994, ist einfach zu beschreiben: Jede Menge selbstgerechte und selbstsüchtige Arschlöcher tun ihren Mitmenschen kaltblütig Gemeinheiten an, bis die Situation eskaliert. Daran ändern nicht einmal die gut gelaunten ABBA-Songs, die den Soundtrack dominieren. Das Überraschende dabei ist, dass Hauptfigur Muriel zunächst einmal moralisch nicht über ihren Bully-Freundinnen oder dem egozentrischen Vater, ein schmieriger Stadtrat, steht. Sie stiehlt, sie lügt und vor allem: Sie lügt sich selbst etwas vor. Eine Traumhochzeit möchte sie feiern, doch hatte das schüchterne Mauerblümchen bislang noch nicht einmal einen Freund. Aber ein Lügengespinst ist schnell gesponnen, und mit Papas Kröten, die man sich einfach dank Blankoscheck einverleibt, scheint ein Neustart im fernen Sydney zusammen mit der besten Freundin möglich. Und als schließlich per Zeitungsannonce eine Braut für einen südafrikanischen Schwimmstar, der bei den nächsten olympischen Spielen für Australien antreten möchte, gesucht wird, scheint sich der Traum der Hochzeit in Weiß zu erfüllen. Wenn man allerdings hinter die scheinbar leichten, fluffigen Szenen blickt, die stets anzudeuten scheinen: „Lebe deinen Traum!“, dann tun sich die schon besagten Abgründe auf. Der Film macht es seinem Publikum nicht leicht, ihn zu mögen. Und wer eine amüsante Rom-Com erwartet, wird sich gegen Ende im falschen Film wähnen. Diese Ambivalenz muss man anerkennen, genauso wie die schauspielerische Leistung der damals noch blutjungen Toni Colette, eine der begnadetsten ihrer Zunft. Dennoch vermag nicht jede Szene oder jeder Einfall gleichermaßen mitzureißen. Viele Figuren bleiben zu klischeehaft gezeichnet und zeigen wenig bis gar keine Entwicklung. Es scheint manchmal fast, als würde der Film gelegentlich vergessen, dass sie überhaupt da sind. Dennoch ist „Muriels Hochzeit“ auch heute noch als sozialkritische Tragikomödie durchaus sehenswert und Teil der Liste der 1001 Filme, die man gesehen haben muss, ehe das Leben vorbei ist.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Oppenheimer (2023)

Regie: Christopher Nolan
Original-Titel: Oppenheimer
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Biopic, Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Oppenheimer


Christopher Nolan ist vielleicht der kompromissloseste Regisseur unserer Zeit. Er macht keine halben Sachen. Ein dreistündiges Biopic über einen theoretischen Physiker? Warum nicht? Es ist Nolans große Kunst, dass er diese drei Stunden so spannend gestaltet wie einen Thriller und so kurzweilig, als würde er maximal zwei Stunden dauern. Lediglich das Steißbein verkündet gegen Ende des Films die tatsächliche Sitzdauer. J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy), wie gesagt theoretischer Physiker in den USA, gilt heutzutage als „Vater der Atombombe“. Mitten im Nirgendwo stampfte er während des Krieges mit den Mitteln des Militärs (verkörpert durch Matt Damon als General Groves ) die Forscherstadt Los Alamos aus dem Boden, um dort in zwei Jahren die Atombombe zu entwickeln, bevor den Nazis, die ebenfalls daran forschen, der Durchbruch gelingt. Um sich versammelt er die besten Köpfe der Physik samt deren Familien, um das Unmögliche möglich zu machen. So weit, so gut bzw. so bekannt. Was Nolan allerdings aus dem an sich drögen Stoff macht, ist überwältigendes Kino. Wie so oft in seinen Filmen sind unterschiedliche Zeitstränge miteinander verwoben. Die eigentliche Rahmenhandlung bildet eine Befragung eines Ausschusses in einem Hinterzimmer nach dem Krieg zu Oppenheimers Sympathie für den Kommunismus mit dem Ziel, ihn, den Star der Wissenschaft und Berater des Kabinetts, zu diskreditieren und ihm seine Sicherheitsstufe zu entziehen. Eingewoben ist hierbei ein kurzer biographischer Exkurs, die Arbeit an der Bombe selbst und eine weitere Anhörung in der Zukunft, diesmal seinen Förderer und Mentor, den ehemaligen Leiter der Atomenergiekommission Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), betreffend. Es liegt an Nolans penibler Regie, dass diese Zeitstränge genuin so miteinander verwoben sind, dass man nach einiger Eingewöhnung gut den Überblick behält. Gleichzeitig erforscht Nolan auch das Innenleben des genialen, aber schwierigen Wissenschaftlers Oppenheimer. Unter Nolans Blick bleibt dieser bis zum Schluss eine ambivalente Figur, die sich völlig im Klaren darüber scheint, was die Erfindung der Atombombe bedeutet, dennoch aber fast schon besessen auf dieses inhumane Ziel hinarbeitet. Eine der intensivsten Szenen des Films spielt sich ab, als der Verteidigungsminister samt seinem Stab, dem auch Oppenheimer beratend angehört, fast kaltblütig mathematisch das Für und Wider des Abwurfs einer Atombombe auf Japan und die Frage nach den „besten“ Zielen erörtert. Die Hintergründe für diese letztlich geschichtsverändernde Entscheidung werden dadurch greifbar, was den Schrecken über die Konsequenzen dieser Handlung allerdings in keinster Weise mindert. „Oppenheimer“ ist ein klarer Anwärter auf den Film des Jahres. Mich würde es wundern, wenn er während der Award-Season nicht abräumen würde, was es abzuräumen gibt. Und ich rechne mit einem Regen an Nominierungen für die Oscars Anfang nächsten Jahres: Cillian Murphy, Robert Downey Jr. scheinen gesetzt zu sein, dazu vielleicht sogar noch Emily Blunt und/oder Florence Pugh, dazu erwarte ich Nominierungen für den besten Film, die beste Regie, den besten Schnitt, die besten Visual Effects, den besten Ton, die beste Kamera, die beste Maske und die beste Musik. In einigen Monaten werden wir sehen, ob die Rechnung aufgeht.


9,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Universal Pictures – © Universal Pictures. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Der Hauptmann (2017)

Regie: Robert Schwentke
Original-Titel: Der Hauptmann
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Kriegsfilm, Biopic
IMDB-Link: Der Hauptmann


Deutschland, knapp hinter der Frontlinie in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Der Gefreite Willi Herold hat die Nase voll und flüchtet. Blöd für ihn, dass Deserteure mit dem Tod bestraft werden. Glück für ihn, dass er auf der Flucht zufälligerweise über die verwaiste Uniform eines Hauptmanns stolpert. Denn wie es so schön heißt: Kleider machen Leute. Und so eine blitzende Uniform mit vielen Knöpfchen dran macht Eindruck, vor allem, wenn der Träger derjenigen auch noch zackige Befehle gibt. Sofort wird der ehemalige Gefreite Herold als nunmehriger Hauptmann Herold, der in Sondermission im Auftrag des Führers persönlich unterwegs ist, vom mutmaßlichen Deserteur Freytag (Milan Peschel) akzeptiert. Die Anspielung auf den gestrandeten Robinson Crusoe und seinen ergebenen Diener kommt wohl nicht von ungefähr. Bald schon scharen sich eine Menge anderer suspekter Gestalten, alle vom Krieg gezeichnet, um den vermeintlichen Hauptmann. Als er schließlich in ein Lager geführt wird, in dem Kriegsverbrecher, hauptsächlich Deserteure und Diebe, in Baracken auf ihr Schicksal warten, wie es von einem trägen Justizministerium bestimmt werden soll, entdeckt Herold die Freude an der Macht über Leben und Tod. Die Figur des Hauptmann Herold beruht auf einer tatsächlichen historischen Person: Willi Herold sicherte sich seinen unrühmlichen Eintrag in die Geschichtsbücher als Henker von Emsland. Die Geschichte, so bizarr sie auch klingt, ereignete sich tatsächlich. Nun reicht es Robert Schwentke in seiner Verfilmung allerdings nicht aus, die grausigen historischen Tatsachen einfach nachzuerzählen. Vielmehr bastelt er mit eindrucksvollen Bildern, einem nervösen Soundtrack und teils in surreal kippenden Feierszenen eine grimmige Allegorie auf das Böse, die durch Max Hubacher perfide stoisch personifiziert wird. Aber es ist nicht die Figur des Herold allein, die einen schaudern lässt – es ist die Darstellung der Entmenschlichung bei allen Figuren, als würden alle im Angesicht der drohenden totalen Niederlage alles Menschsein abstreifen und sich nihilistischen Trieben hingeben. Sind wir Menschen so? Vielleicht. Der Film deutet dies jedenfalls auf eine vielleicht leicht überzeichnete, aber dennoch plausible Weise an. „Der Hauptmann“ ist ganz bitteres Kino, das uns in die tiefsten Abgründe wirft. Der kontrovers diskutierte Abspann kann gleichermaßen als Mahnmal gelten: Geschichte kann sich wiederholen, wenn man sie vergisst.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Alamo – Der Traum, das Schicksal, die Legende (2004)

Regie: John Lee Hancock
Original-Titel: The Alamo
Erscheinungsjahr: 2004
Genre: Western, Kriegsfilm, Drama
IMDB-Link: The Alamo


The Alamo – Der Traum, das Schicksal, die Legende. Und natürlich: Der Offizier, der Westernheld, die Kanone, die Mexikaner, das Messer, die Geige, die Befestigung, die Belagerung, der Ansturm, das Gefecht, der Tod und die Schlacht danach. Habe ich irgendwas vergessen an Substantiven, die unbedingt noch in den deutschen Titelzusatz eingebaut werden müssten? Ich glaube nicht. „The Alamo“, wie der Film im Original schlicht heißt, ist jedenfalls ein hierzulande eher unbekanntes Remake eines John Wayne-Westernklassikers. Schändlicherweise kenne ich das Original nicht, und so war John Lee Hancocks Neuverfilmung mein erster Zugang zu dem historischen Stoff. Die Story spielt zu Zeiten des texanischen Unabhängigkeitskrieges zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Befestigung The Alamo in der Nähe von San Antonio genießt besondere strategische Bedeutung sowohl für die Mexikaner als auch die Texaner, die auf diesem Boden ihren eigenen Staat nach Manier der damaligen Zeit gründen möchten: Wir kommen einfach in ein besiedeltes Land und sagen nun, dass das ab sofort uns gehört. Man kann schon verstehen, dass die Mexikaner das nicht so leiwand finden, auch wenn sie streng genommen auch wieder nicht die ersten waren, die einen Fuß auf dieses Land gesetzt haben. Aber die indigene Bevölkerung kommt in diesem Konflikt nicht vor – die haben sich wohl schon aus dem Staub gemacht und lassen Mexikaner und Texaner sich vernünftigerweise einfach gegenseitig die Köpfe einschlagen. Der junge, unerfahrene Offizier William Travis (Patrick Wilson) hat jedenfalls die undankbare Aufgabe, mit etwa zweihundert Mann The Alamo gegen heranstürmende Mexikaner, mehr als Tausend an der Zahl, zu verteidigen. Diese werden von Santa Anna (Emilio Echevarría) angeführt, der sichtlich nicht alle Murmeln beisammen hat. Und das dürfte historisch sogar korrekt sein. Das Kommando der belagerten Texaner teilt sich Travis mit James Bowie (Jason Patric), dem Anführer der Miliz, und auch Western- und Volksheld Davy Crockett (Billy Bob Thornton) hat sich zur Verteidigung der Festung eingefunden. Doch eines ist klar: Wenn der texanische Präsidentschaftsaspirant Sam Houston (Dennis Quaid) nicht bald ordentliche Verstärkung schickt, kommt keiner lebend aus dem Fort. Doch der sitzt lieber untätig herum und faselt was von offizieller Anerkennung des Staates Texas, bevor er den Arsch hochbekommt. Die Geschichte nimmt also ihren erwartbaren Lauf. „The Alamo“ ist ein historisch durchaus akkurates Stück Kino, mehr Kriegsfilm als Western, mehr Verzweiflung als Pathos. Was ich an dem Film durchaus schätze, ist, dass er sich um leise Töne bemüht und auch das Kampfgeschehen nicht in einer Gewaltorgie verheizt, sondern lieber punktuell die Tragik zeigt, wenn Männer, die eigentlich allesamt lieber woanders sein wollen, mit Gewehren und Bajonetten aufeinander losgehen. Die wohl schönste Szene des ganzen Films und damit auch ein inhärentes Statement ist, als die Mexikaner wie vor jedem Beschuss des Forts einen Kriegsmarsch spielen, um den belagerten Texanern Angst einzujagen, und Davy Crockett schließlich zu seiner Geige greift, um den Marsch zu begleiten. Für einen kurzen Moment sind Belagerer und Belagerte in Harmonie vereint, und ausnahmsweise verzichten die Mexikaner anschließend auf den obligatorischen Kanonendonner. Allerdings sind gelungene Momente wie diese etwas zu selten, und viele Szenen zu träge inszeniert, um echte Spannung aufkommen zu lassen. Auch die meisten Charaktere bleiben seltsam blass trotz schauspielerischer Grandezza, die diese ausfüllen. Historische Genauigkeit stand hierbei über allem anderen und führte in der Umsetzung zu einem zwiegespaltenen Ergebnis.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2003 Buena Vista Pictures Distribution. All Rights Reserved., Quelle http://www.imdb.com)

Die Royal Tenenbaums (2001)

Regie: Wes Anderson
Original-Titel: The Royal Tenenbaums
Erscheinungsjahr: 2001
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: The Royal Tenenbaums


Mit „Bottle Rocket“ und „Rushmore“ hatte Wes Anderson schon zwei vielbeachtete Langfilme in die Kinos gebracht, doch „The Royal Tenenbaums“ aus 2001 war sein endgültiger Durchbruch, der Andersons ganz eigenen, persönlichen Stil in Hollywood einzementierte. Dabei lässt sich sagen, dass „The Royal Tenenbaums“ viel zugänglicher ist als seine jüngeren Werke, in denen er seine visuelle Vision bis zum Exzess durchspielt. In „The Royal Tenenbaums“ liegt der Fokus noch mehr auf der Geschichte selbst. Und diese verpackt schwerste Melancholie in leichte Töne. Eine dysfunktionale Familie mit drei hochbegabten Kindern: ein angenehmes Finanzgenie, ein Tennis-Ass und eine vielversprechende Dramatikerin. Ein schlitzohriger Lebemann als Vater (Gene Hackman). Eine schmerzhafte Scheidung. Und 22 Jahre später steht plötzlich der lange verschollene Vater wieder vor der Haustüre und begehrt Einlass, da er nur noch sechs Wochen zu leben habe. Was zwischenzeitlich in den 22 Jahren passiert ist: Das ehemalige Finanzgenie (Ben Stiller) hat selbst zwei Söhne und ist nach dem Unfalltod seiner Frau zu einem paranoiden Sicherheitsfanatiker geworden. Der Tennis-Champion (Luke Wilson) hatte bei einem der wichtigsten Matches seiner Karriere einen Zusammenbruch und gondelt seither in der Weltgeschichte umher. Und die Dramatikerin (Gwyneth Paltrow) verbringt ihr Leben in der Badewanne und verbirgt vor ihrem besorgten Ehemann (Bill Murray), dass sie Kettenraucherin ist – und ihm mit dem besten Freund der Familie (Owen Wilson) Hörner aufsetzt. Kurz gesagt: Es ist nicht viel geblieben außer schwere Verwundungen und tiefe Gräben. Die Ankunft des Vaters fördert diese allesamt zu Tage. Und nun kommt der unwahrscheinlich schöne, der so lebensnahe und gelungene Aspekt des Films zum Tragen: Wes Anderson und Owen Wilson, die gemeinsam das oscarnominierte Drehbuch geschrieben haben, negieren diese Wunden nicht und tun nicht so, als ob ein paar schöne, gemeinsame Tage alles verheilen lassen könnten. Aber sie geben dem Zuseher dennoch eine Hoffnung mit: Dass selbst kleine Schritte ein großer Erfolg sein können, dass es mehr darauf ankommt, wie sehr man sich wirklich und aufrichtig bemüht, als auf das Ergebnis dieser Bemühungen selbst. „The Royal Tenenbaums“ ist einer der traurigsten Filme, die ich kenne, und gleichzeitig einer der hoffnungsvollsten. Es sind die leisen Zwischentöne, auf die es ankommt. Ein Film, der die gesamte Aufmerksamkeit beansprucht, diese aber reich entlohnt.


9,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Der Wein und der Wind (2017)

Regie: Cédric Klapisch
Original-Titel: Ce qui nous lie
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama
IMDB-Link: Ce quie nous lie


Wer diesem Blog schon länger folgt, weiß, dass ich mit französischen Komödien oft so meine Probleme habe. Anders sieht es aus mit französischen Alltagsdramen, denn diese Genre bespielen französische Filmemacher:innen durchaus auf gekonnte Weise. Die Mischung aus Leichtigkeit und Tragik macht’s – man sieht komplexe Menschen aus diversen Gesellschaftsschichten, wie sie versuchen, Sinn in ihr Tun und ihren Alltag zu bekommen, und das tun sie vorzugsweise über einem guten Gläschen Rotwein und mit tiefsinnigen, aber doch als ehrlich empfundenen Dialogen. Siehe 35 Rum von Claire Denis oder zuletzt Das Ereignis von Audrey Diwan oder Other People’s Children von Rebecca Zlotowski. Diese Filme vereint, dass die Geschichten alltäglich und nachvollziehbar erscheinen und dennoch eine mitreißende emotionale Tiefe erreichen. „Der Wein und der Wind“ von Cédric Klapisch reiht sich hier gut ein. Es geht um den Winzersohn Jean (Pio Marmaï), der nach vielen Jahren zurück auf das heimatliche Weingut im Burgund kommt. Sein Vater liegt im Sterben, und auch wenn seine beiden Geschwister Juliette und Jérémie (Ana Girardot und François Civil) ihn zunächst willkommen heißen, so zeigen sich bald alte Vernarbungen und Bruchlinien. Als der Vater stirbt, sind die drei Geschwister auf sich allein gestellt. Ihr Problem: Ihr Vater hat ihnen das Gut als Erbengemeinschaft hinterlassen, sprich: Niemand kann etwas veräußern ohne der Zustimmung der anderen. Und sie haben allesamt kein Geld, um die 500.000 Euro Erbschaftssteuer aufzubringen. Ja, sie haben einige gute Lagen in den Weinbergen, doch spielen sich nicht in der obersten Liga der Burgundweine mit, die mehrere Hundert bis Tausend Euro pro Flasche bringen. Dazu kommen private Probleme, die sie mit sich schleppen: Juliette zweifelt an ihrer Eignung als Winzerin und Chefin, der junge Vater Jérémie wird von seinem Schwiegervater, ein wohlhabender Winzer aus der Nachbarschaft, unterbuttert, und Jean, die zentrale Figur der Geschichte, hat eine nicht klar definierte Beziehung samt Sohn in Australien. Um vorwärts zu kommen, müssen sich die Geschwister wieder einander annähern, während gleichzeitig die Herausforderungen in Weinberg und Keller warten. Das alles klingt nicht sonderlich spektakulär und ist es auch nicht. Aber, wie gesagt, französische Filmemacher:innen haben oft ein Händchen für derartige Stoffe. Sensibel und klug erzählt werden die Konflikte, die per se allesamt gut nachvollziehbar sind, nach und nach aufgearbeitet. Der Weg ist hier das Ziel, und anders als viele Hollywood-Filme begnügt sich Klapisch in seinem Film damit, alle Figuren am Ende ein Stück weit auf den Weg gebracht zu haben, auch wenn man weiß, dass dieser noch lang sein wird. Für Wein-Aficionados fallen dazu interessante Einblicke in den Alltag und die Arbeitswelt eines Winzers an. Man spürt den Respekt, den Klapisch vor diesen Menschen und deren Erzeugnissen mitbringt. Und so ist der Film trotz einiger Längen vor allem im Mittelteil am Ende eine runde Sache, sanft und tiefgründig wie ein guter Wein, auch wenn ihm der besondere Biss, der zu einer noch höheren Bewertung geführt hätte, fehlt. Um in der Welt des Weins zu bleiben: Vielleicht kein Grand Cru der Spitzenklasse, aber ein gut gemachter, wohlschmeckender Village, der Freude bereitet.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.arthaus.de)

Engel der Gejagten (1952)

Regie: Fritz Lang
Original-Titel: Rancho Notorious
Erscheinungsjahr: 1952
Genre: Western, Drama
IMDB-Link: Rancho Notorious


Fritz Lang ist eine Regie-Legende und vor allem für seine frühen Klassiker wie Die Nibelungen, „Metropolis“ und „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ bekannt. Dass er in seiner späteren Hollywood-Karriere auch Western drehte, war mir neu. In „Engel der Gejagten“ (im Original: „Rancho Notorious“) spielte Marlene Dietrich die weibliche Hauptrolle – eine Zusammenarbeit, die nicht ganz friktionsfrei verlaufen sein soll. Dem Ergebnis sieht man dies aber nicht an. „Engel der Gejagten“ ist ein knackiger, staubtrockener Western mit einer grimmigen Story: Während der Cowboy Vern Haskell (Arthur Kennedy) auf der Ranch arbeitet, wird seine Verlobte, die einen Laden betreibt, von zwei Outlaws ausgeraubt, vergewaltigt und ermordet. Einen findet Vern später mit einer Kugel im Rücken, doch bevor er herausfinden kann, wer der Partner des Gangsters ist, haucht dieser sein Leben aus. Die einzige Spur, die Vern hat, führt quer durch den Südwesten der Staaten zu einer mysteriösen Damen mit dem Namen Atlas Keane (in der deutschen Synchronisation: Cora Keane), gespielt von der schon erwähnten Marlene Dietrich. Diese war als Bardame tätig und betreibt nun eine Zuflucht für Gesetzlose, die eine Zeit lang untertauchen müssen. Vern gibt sich als solcher aus, um in den Reihen der Männer, die von Atlas Keane beherbergt werden, nach dem Mörder seiner Verlobten zu suchen. Hierzulande ist „Engel der Gejagten“ ein eher unbekannter Westernklassiker, aber er hat schon seine Qualitäten. Das Tempo der Inszenierung ist hoch, da geht Fritz Lang keine Umwege, sondern führt den Zuseher auf direktem Weg durch die Story, und Arthur Kennedy legt seinen Vern zwar nicht sonderlich komplex an, dennoch erspielt er sich genügend Sympathiepunkte, um die Geschichte tragen zu können. Für mich die charismatischste Figur im ganzen Ensemble ist Atlas‘ Liebhaber Frenchy Fairmont (Mel Ferrer), dem man noch lieber folgt als der eigentlichen Hauptfigur. Und das ist vielleicht auch die größte Schwäche des Films: Da er sich eben nicht allzu viel Zeit nimmt, um die Figuren sauber herauszuarbeiten, fehlt trotz der tragischen Story eine tiefere emotionale Bindung zum Geschehen. Eine Sichtung ist er dennoch wert, beweist er doch: Fritz Lang konnte alles, selbst Western.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)