Musikfilm / Musical

Pitch Perfect (2012)

Regie: Jason Moore
Original-Titel: Pitch Perfect
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Komödie, Musikfilm
IMDB-Link: Pitch Perfect


College ist schon eine sehr seltsame Einrichtung. Wenn man den zahlreichen Hollywood-Filmen, die vom College und der Collegezeit erzählen, Glauben schenken darf, ist diese Institution im Grunde primär ein Ferienlager für hormongesteuerte Teenager, in dem alles erlaubt ist, nur nicht Lernen oder gar der akademische Abschluss. Im Fall von Beca (Anna Kendrick) wird dies auf die Spitze getrieben, denn der wird vom reichen Papa ein College-Jahr finanziert, ohne dass sie dafür irgendwas tun müsste, geschweige denn Kurse besuchen. Nein, dem Papa geht’s um etwas ganz anderes: Spaß soll es haben, das Mädel, Freundinnen soll es finden. Und natürlich hat Beca erst einmal gar keinen Spaß, denn statt auf dem Collegegelände herumzulungern, möchte sie viel lieber in L.A. ihre eigene Musik produzieren. Doch es kommt natürlich immer anders, als man denkt, und schon findet sie sich al Teil einer A-capella-Truppe wieder, der Barton Bellas, angeführt von der ehrgeizigen Aubrey (Anna Camp) und ihrer Freundin Chloe (Brittany Snow). Die haben mit dem landesweiten Gesangswettbewerb und vor allem mit der männlichen Konkurrenz der „Treblemaker“ noch eine Rechnung aus dem Vorjahr offen, doch muss die Gesangstruppe komplett neu formiert werden, was angesichts der vielen starken neuen Charaktere, darunter eben Beca oder „Fat Amy“ (die Durchbruchsrolle von Rebel Wilson), kein einfaches Unterfangen ist. „Pitch Perfect“ von Jason Moore hat vor allem ein Ziel: Der Film möchte gute Laune verbreiten und unterhalten. Und das gelingt ihm hervorragend dank sympathischer Besetzung, wirklich cool choreografierten und gesungenen Liedern und allgemein einer fröhlichen Energie, die sich auf das Publikum überträgt. Wer tiefere Lebensweisheiten sucht, wird hier eher nicht fündig, und die Figuren sind teils schon arg klischeehaft gehalten, und doch braucht es nicht viel, um sich breit grinsend in den Film hineinfallen zu lassen und zumindest mit der Fußspitze, aber gerne auch mit dem ganzen Körper zu den Songs mit zu wippen. Wer sich davon nicht mitreißen lässt, ist wohl so tief im Weltschmerz gefangen, dass selbst Nick Cave wie ein Partyclown wirkt.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2012 – Universal Pictures, Quelle http://www.imdb.com)

Rickerl – Musik is höchstens a Hobby (2023)

Regie: Adrian Goiginger
Original-Titel: Rickerl – Musik is höchstens a Hobby
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie, Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Rickerl – Musik is höchstens a Hobby


Die Wiener und ihr Sinn fürs Morbide. Während der Ambros Woifi den Zentralfriedhof hochleben hat lassen, gräbt Voodoo Jürgens gleich die Toten aus. Dieser Star der jungen neuen Welle des Austropops, dessen Musik noch eine Schicht tiefer unter die Haut geht als die seiner Vorgänger, spielt in Adrian Goigingers neuestem Film den „Rickerl“ Bohacek, einen Beislmusiker und AMS-Stammgast ohne Ambitionen. Klar, er hat einen Manager, der sichtlich an ihm verzweifelt, und vor einiger Zeit stand er schon mal kurz vor der Aufnahme seiner ersten Platte, hat aber im letzten Moment zurückgezogen. Mit seiner Exfreundin Viki (Agnes Hausmann) hat er einen Sohn, Dominik, um den er sich alle zwei Wochenenden rührend kümmert. Aber der Rickerl führt halt ein patschertes Leben. Kaum Geld, immer kurz vor der Delogierung, und die Frau König vom Arbeitsamt verliert auch zunehmend die Nerven. Nur wenn der Rickerl zur Gitarre greift und seine traurig-melancholischen Lieder anstimmt, passiert etwas mit ihm: Da schleicht sich so ein versonnenes Lächeln in sein Gesicht, die Augen geschlossen geht er völlig in seiner Musik auf, und man merkt: Dieser Rickerl sieht mehr als wir anderen. Er schaut genau hin: Auf die Obdachlosen, die Gescheiterten, auf die Alkoholiker im Stammbeisl, auf die Traurigen und die Verlebten. Er klagt nicht an, er erzählt – vom Scheitern und dem Trotzdem-Weitermachen. Und genau darin spiegelt sich auch Goigingers große Stärke in dem Film: Auch Goiginger ist ein Filmemacher, der nicht mit dem Finger auf andere zeigt und urteilt, sondern seinen Figuren einfach die Hand gibt und sie für sich selbst sprechen lässt, wie er es auch in seinem ersten Film Die beste aller Welten gehalten hat. Voodoo Jürgens ist die Idealbesetzung für den Rickerl. Es bleibt offen (und ist von Voodoo Jürgens auch so gewünscht), wie viel Rickerl in Voodoo Jürgens steckt und wie viel Voodoo Jürgens im Privatmenschen David Öllerer, der im Q&A jedenfalls darauf besteht, dass man diese Figuren, diese Identitäten auch voneinander trennt. Doch der Gedanke liegt nah, dass sowohl Rickerl als auch Voodoo Jürgens Facetten zeigen, die der Darsteller in sich trägt, wenngleich auch künstlerisch verfremdet. Ob es nun so ist oder nicht: Dem Film tut es jedenfalls gut, dass die Grenzen manchmal zu verschwimmen scheinen, denn so bleibt die Figur des Rickerl ungemein authentisch und glaubwürdig.


7,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Arielle, die Meerjungfrau (2023)

Regie: Rob Marshall
Original-Titel: The Little Mermaid
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Abenteuerfilm, Fantasy, Musical
IMDB-Link: The Little Mermaid


Disneys Neuverfilmung des Trickfilmklassikers „Arielle, die Meerjungfrau“ spaltete die Gemüter, ehe überhaupt noch die ersten Trailer dafür anliefen. Wie kann es sein, dass die blasse Arielle mit den feuerroten Haaren plötzlich eine dunkle Hautfarbe hat? Aber das entspricht doch nicht der Vorlage! Nun, wer emotional nicht stabil genug ist, eine optische Veränderung im Rahmen einer Neuverfilmung eines Märchens zu ertragen, sollte sich vielleicht generell von Film und Fernsehen fernhalten. Auf der anderen Seite gab es nach Veröffentlichung des ersten Trailers entzückendes Videomaterial auf Youtube von begeisterten farbigen Kindern, die beim Anblick der neuen Arielle (Halle Bailey) in Verzückung gerieten und ausriefen: „Die sieht so aus wie ich!“ Und das ist eine schöne Sache, finde ich. Doch ist der Film selbst, der schon im Vorfeld für so viel Diskussionsstoff sorgte, ebenfalls eine schöne Sache? Nun, das muss man ein wenig differenzierter betrachten. Einerseits trachtet Rob Marshall danach, die Geschichte des Zeichentrickfilms von 1989 so originalgetreu wie möglich zu erzählen, was in teils 1:1 nachgedrehten Bildern auch im Großen und Ganzen gelingt. Andererseits dichteten Jane Goldman und David Magee, die das Drehbuch schrieben, auch etliche Szenen neu hinzu – mit mal größerem und mal überschaubarem Mehrwert. Die Hymne des nach seiner ozeanischen Retterin schmachtenden Eric (Jonah Hauer-King), die eher dazu geeignet ist, sämtliche Fledermäuse der weiteren Umgebung zu verjagen als große Emotionen zu wecken, hätte es beispielsweise nicht unbedingt gebraucht. Dafür entpuppt sich ein Ausflug zu einem Fischermarkt als gelungene, bunte Abwechslung. Fans des Originalfilms müssen sich also bezüglich der Story nicht allzu sehr fürchten. Zum Fürchten sind eher die Animationen der tierischen Freunde der abenteuerlustigen Meerjungfrau, die so gerne ein Mensch sein würde: Aus dem sympathisch-pummeligen Fabius ist eine Flunder mit der Mimik einer … nun ja … Flunder geworden, und Krebs Sebastian ist ein Schalentier aus der Hölle. Immerhin sein karibischer Akzent ist putzig. Einzig Scuttle, im Original unüberhörbar gesprochen von Awkwafina, bringt Komik in die Geschichte. Und der Cast? Nun, Halle Bailey ist sympathisch und sichtlich bemüht, außerdem kann sie tatsächlich exzellent singen, doch fehlt es ihr ein wenig an Charisma, um die Geschichte emotional komplett zu tragen. Jonah Hauer-King als Eric wirkt ebenfalls sympathisch, aber austauschbar. Javier Bardem ist als Triton unterfordert und langweilt sich die meiste Zeit über. Bleibt einzig Melissa McCarthy als böse Meereshexe Ursula, die mit Verve und Spaß an der Sache die Ehre des Casts zu retten versucht. Insgesamt ist „Arielle, die Meerjungfrau“ ein ordentlicher Abenteuerfilm, der routiniert gemacht ist, dem aber das besondere Etwas fehlt. Einmal ansehen reicht aus.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Disney/DISNEY – © 2023 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Sound of Metal (2019)

Regie: Darius Marder
Original-Titel: Sound of Metal
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Sound of Metal


Ich habe ein Faible für Schlagzeuger, ich liebe Rockmusik. Ich liebe die mitreißende Energie eines guten Songs, drehe die Lautstärke dabei gerne einmal auf Anschlag. Wie grausam muss es sein, wenn man etwas, was man so liebt, plötzlich verliert? Der von Riz Ahmed genial verkörperte Musiker und Schlagzeuger Ruben erleidet eines Tages während einer Tournee mit seiner Freundin Lou (Olivia Cooke), zusammen sind sie die Hard Rock-Band Blackgammon, einen Hörsturz. Die Diagnose ist erschütternd: Nur noch etwa 20% Hörfähigkeit bleiben Ruben, und auch diese verschlechtern sich und reichen bei weitem nicht aus, die Geräusche des Alltags aufzunehmen oder sich an Gesprächen zu beteiligen. Ruben ist mehr oder weniger taub. Er wird in einer Gemeinschaft von Gehörlosen unter der Leitung von Joe (Paul Raci) aufgenommen, wo er lernen soll, mit seiner Situation umzugehen. Doch kann er sein altes Leben hinter sich lassen? „Sound of Metal“ ist ein überragendes Regiedebüt von Darius Marder und gleichzeitig eine gewaltige Schauspielleistung von Riz Ahmed und Paul Raci, beide völlig zu Recht mit Oscarnominierungen geehrt, im Falle von Raci sogar die erste, die jemals an einen gehörlosen Schauspieler ging. Die große Leistung, die alle drei vereint, ist eine völlige Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit bei Verzicht auf Sentimentalität. Niemand heischt hier um Mitleid, und gerade dadurch nimmt die Zuseher das Geschehen so mit, wird dieser Verlust einer ganzen Welt, eines ganzen Lebens so greifbar. Ohne allerdings das kongeniale Sounddesign, das verdientermaßen mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, würde dem Film eine wesentliche Komponente fehlen. Der Film schafft es allerdings mit seinem Sound, die Zuseher auf physisch mitzunehmen auf diese Reise in die Stille. Immer wieder werden die Szenen durch die Ohren von Ruben vermittelt, man fühlt seine Konfusion, sein Verlust von Verbindungen mit und bekommt dadurch ein Gespür vermittelt, wie wichtig dieser oft unterschätzte Sinn des Hörens für unser Leben ist. „Sound of Metal“ ist wahrlich kein Feelgood-Movie, aber ein in allen Belangen exzellenter, hochseriöser Film, der sich seinen Platz in der Filmgeschichte sichern wird.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Courtesy of TIFF, Quelle http://www.imdb.com)

Tár (2022)

Regie: Todd Field
Original-Titel: Tár
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Tár


Lydia Tár ist ein Superstar der Klassikszene. Die stets eloquente wie elegante Dirigentin leitet als einzige Frau weltweit ein renommiertes Philharmoniker-Orchester, nämlich in Berlin. Dazu unterrichtet sie auf Hochschulen, gibt gefeierte Interviews auf großen Bühnen und bringt auch noch ein neues Buch heraus, in dem sie ihre Sicht auf Musik teilt. Privat ist sie mit ihrer ersten Violinistin verheiratet, mit der sie auch eine Tochter hat. Alles fein also, wären da nicht seltsame E-Mails, die ihre sichtlich verunsicherte Assistentin von einem ehemaligen Orchestermitglied empfängt. Lydia Tár hat für derartige Belanglosigkeiten jedoch keine Zeit und keinen Nerv, sie hat Wichtigeres vor, nämlich Mahlers 5. Symphonie neu einzuspielen. Und darüber hinaus eine junge, knackige Cellistin zu protegieren, die neu ins Orchester gekommen ist. Doch dann entwickeln sich die Dinge allmählich so, dass Tár die Kontrolle darüber verliert. Plötzlich wird sie von einem selbst verursachten Strudel in Richtung Abgrund gezogen. „Tár“ von Todd Field ist ein intelligentes und perfides Stück Kino und eine weitere Meisterleistung von Cate Blanchett in der Hauptrolle. Ihre Lydia Tár ist eine Frau, die sich mit Ellbogen nach oben kämpfen musste und die Bodenhaftung verloren hat. Der große Erfolg verleitet sie zur Annahme, einen unsichtbaren Schutzschild zu besitzen, an dem alles abprallt, wie man es so oft bei Menschen sieht, die über lange Jahre in Machtpositionen sitzen. Erinnerungen an Harvey Weinstein und andere tief Gefallene werden wach. Perfid ist „Tár“, weil er den Machtmissbrauch dem für gewöhnlich in solchen Situationen Machtloseren umhängt und gerade dadurch ein grelles Licht darauf wirft. Streng durchkomponiert wie ein Stück klassischer Musik seziert Todd Field in seinem Film diese Machtgefälle in der Kunst (natürlich auch auf alle anderen Bereiche übertragbar) und verfremdet seine Beobachtungen mit leicht surrealen Momenten der Bedrohung, die das Innenleben der Protagonistin sichtbar machen. Um so einen Film zu tragen, braucht es schon ein Kaliber wie Cate Blanchett, die einmal mehr zeigt, warum sie als eine der besten Schauspielerinnen ihrer Zeit gehandelt wird. In allen Belangen ist „Tár“ ganz große Kunst.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Verwünscht nochmal (2022)

Regie: Adam Shankman
Original-Titel: Disenchanted
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Fantasy, Komödie, Musical
IMDB-Link: Disenchanted


Was passiert nach dem Happy End im Märchen? Nun, im Fall von Giselle und Robert (Amy Adams und Patrick Dempsey) aus Verwünscht nimmt das Leben seinen erwartbaren Verlauf: Kinder, Pubertät, der Umzug in den Vorort mitsamt beruflichem Pendeln und der Erkenntnis, dass solch große Veränderungen nicht immer nur reibungslos verlaufen. Vor allem Morgan (Gabriella Baldacchino), die grumpy Teenager-Tochter, nimmt die neue Situation, die ihr ihre Stiefmutter eingebrockt hat, nicht sonderlich gut auf. So weiß sich die desillusionierte Giselle bald nur noch mittels Magie zu helfen, doch der Zauberstab nimmt ihren Wunsch, ein Leben wie im Märchen zu führen, etwas zu wörtlich, was zu ungeahnten Komplikationen führt. Ich muss an dieser Stelle (nochmal) eine Lanze für „Verwünscht“ brechen. Das fantasievolle Abenteuer rund um eine Disney-Prinzessin, die es in das New York der Realität verschlägt, glänzt durch unerwartete Selbstironie des Mäusekonzerns, absurden Humor und eingängigen Songs. Die Fortsetzung „Verwünscht nochmal“ hat von alldem so gut wie nichts mehr. Stattdessen wird eine breiige Geschichte aufgetischt, die nicht weiß, wohin sie möchte; alles fühlt sich aufgewärmt wie ein Gulasch an, nur dass aufgewärmtes Gulasch schmackhaft ist. Die Songs sind langweilig und stören in den schlimmsten Fällen sogar den Film (Idina Menzel, ich schaue dich an!), der dadurch noch länger wird. Amy Adams ist bemüht, aber auch ihr gelingt es nicht, den Zauber des ersten Films wieder greifbar zu machen. Patrick Dempsey spielt auch nur mit, weil er sichtlich Geld brauchte – seine Figur trägt zur Story etwa gleich viel bei wie ein Kugelfisch zum Weltfrieden. Ob er dabei ist oder nicht, ist genaugenommen wurscht. Der Fokus auf die Stieftochter Morgan ist eine dadurch unausweichliche Notwendigkeit, auch wenn Gabriella Baldacchino ihre Sache gut macht. Aber nichts hilft gegen die gähnende Langeweile und die dümmliche, allzu vorhersehbare Story. Wenn man genau die wichtigsten Zutaten des ersten Films, nämlich die augenzwinkernde Selbstironie, das flotte Erzähltempo und die tollen Songs, aus dem Rezept entfernt, bleibt halt nur eine wässrige Suppe übrig, die man runterwürgt, weil man vergessen hat, einkaufen zu gehen und der Kühlschrank nicht mehr hergibt.


3,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Disney/Courtesy of Disney – © 2022 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Kafka for Kids (2022)

Regie: Roee Rosen
Original-Titel: Kafka for Kids
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Musical, Komödie, Experimentalfilm
IMDB-Link: Kafka for Kids


Franz Kafka war schon ein lustiges Kerlchen. Ihm verdanken wir erbauliche und quietschfidele Geschichten wie „Der Prozess“, „Das Schloss“ oder natürlich die vielleicht berühmteste Metamorphose der Literaturgeschichte, „Die Verwandlung“. Man hat sich eigentlich schon all die Jahrzehnte lang gefragt, warum es noch keine illustrierten Kinderbuchausgaben dieser wundervollen Werke gibt. Der israelische Filmemacher Roee Rosen hat sich nun des Problems angenommen und mit „Kafka for Kids“ endlich eine kindgerechte Adaption der „Verwandlung“ auf die Leinwand gebracht, aufgebaut als Pilotepisode für eine neue Kindershow. Ein seriöser Erzähler liest einem dreiundvierzigjährigen Kind aus der Geschichte vor, während im Hintergrund das Mobiliar fröhliche Lieder dazu singt. (Man fühlt sich zeitweise ein wenig an „Die Schöne und das Biest“ erinnert, aber auf eine eher ungute, leicht pädophile Weise.) Farbenfrohe Animationen begleiten Gregor Samsas Verwandlung zum Insekt. Warum man trotz des Titels und dieser Beschreibung allerdings auf keinen Fall Kinder in die Vorstellung mitnehmen soll, wenn man nicht gewillt ist, für die nächsten zwei Jahrzehnte teure Therapiestunden zu bezahlen, erklärt sich meiner Meinung nach aus dem Drogentrip, auf dem Rosen gewesen sein muss, als er „Kafka for Kids“ entsann. Denn das Wort, das den Film am ehesten beschreibt, ist „trippy“. Da singt ein unvermutet auftretender „Bearer of Bad News“ von wachsenden Tumoren, zwischendurch werden Werbeclips für Delikatessen eingespielt, die nahrhaftes Essen möglichst eklig darstellen, komplett unzusammenhängende Songs werden geträllert, die mit der Story nichts zu tun haben, und am Ende darf man sich noch den Vortrag einer Rechtswissenschaftlerin (das dreiundvierzigjährige Kind) anhören, das über Kinderrechte in Israel und Palästina doziert, während sie an den eigenen Achseln schnüffelt und immer wieder abgleitet in Ausdrücke sexuellen Verlangens. Das mag alles eine unheimlich intelligente Metaebene haben, die mir aber verschlossen bleibt. Ja, es geht darum, wann ein Kind ein Kind ist, wo wir da die Grenzen ziehen zwischen Kindheit und Adoleszenz, aber das ist dermaßen wirr erzählt und von ständigen Ablenkungen durchbrochen, dass man den Eindruck gewinnt, der Regisseur hätte einfach nur versucht, einen zweistündigen Egotrip auszuleben. Es gibt mit Sicherheit Publikum für diese Art von Film, aber der Kürbis gehört nicht dazu.


2,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Encanto (2021)

Regie: Jared Bush und Byron Howard
Original-Titel: Encanto
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Animation, Musical
IMDB-Link: Encanto


Disney hat, wie es aussieht, ganz gut bei Pixar hingeschaut. Pixar-Filme erfreuen sich unter anderem deshalb so großer Beliebtheit, weil sie neben herausragenden Animationen auch immer hochemotionale Geschichten erzählen, in denen Werte wie Familie, das Aufwachsen und Freundschaft wundervoll zelebriert werden, ohne dass diese durch billige Gags torpediert werden. „Encanto“ ist so etwas wie Disneys Pixar-Film. Dass man sich heutzutage durchaus ethnisch öffnen kann und Helden mit anderen Hautfarben und aus anderen Kulturkreisen in den Vordergrund rücken darf, hat Pixar mit Coco oder Soul ja schon mehrfach bewiesen. Und auch Disney selbst unternahm mit Vaiana schon erste Schritte in die richtige Richtung. In „Encanto“ wird der Zuseher nun in ein magisches Dorf in Kolumbien geführt, in dem alle Familienmitglieder der Madrigals besondere Fähigkeiten haben, nur die aufgeweckte und mit Locken und Brille wundervoll antiprinzessenhafte Mirabel ging bei der Vergabe der magischen Talente leer aus – sehr zum Missfallen der Matriarchin Abuela. Doch man kann sich darauf verlassen, dass es gerade die unscheinbare Mirabel ist, auf die es ankommt, als sich eine dunkle Bedrohung am Horizont zusammenbraut. „Encanto“ ist ein animiertes Musical und eine entzückende Familiengeschichte. Für die Songs zeichnet Lin-Manuel Miranda verantwortlich, der seit einigen Jahren einen Lauf hat. In diesem Fall sind aber gerade die Songs (und da darf man durchaus geteilter Meinung sein) der für mich größte Schwachpunkt des Films. Man versucht, modern und peppig zu sein, aber leider bleibt kaum ein Song im Ohr. Immerhin sind die Songs nicht nervig, das kann man schon mal auf der Habenseite verbuchen, aber es klingt halt alles recht belanglos. Dafür funktioniert die Kerngeschichte, die einen sehr emotionalen Höhepunkt findet. Man hätte das Ende sogar noch etwas konsequenter ausfallen lassen können, aber gut, das verbietet wohl die Disney-DNA. Dennoch: Smells like Oscars. Und auch wenn ich mich freuen würde, wenn molto simpatico Luca aus der Schwesterfabrik Pixar den Goldjungen mit nach Hause an den Meeresgrund nehmen könnte, wäre „Encanto“ definitiv eine gute Wahl.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Photo by Disney/DISNEY – © 2021 Disney, Quelle http://www.imdb.com)

tick, tick … BOOM! (2021)

Regie: Lin-Manuel Miranda
Original-Titel: tick, tick … BOOM!
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Musical, Drama, Biopic
IMDB-Link: tick, tick … BOOM!


Dass ich kein großer Fan von Musicals und Musicalfilmen bin, ist, glaube ich, kein großes Geheimnis. Was für eine große Sache „Rent“ war, habe ich tatsächlich erst der im November auf Netflix angelaufenen Musical-Biografie „tick, tick … BOOM!“ von Lin-Manuel Miranda entnommen. Diese zeichnet den steinigen Weg eines jungen, talentierten Künstlers in New York nach. Denn nur selten fällt der Erfolg vom Himmel. Meistens liegen viele Jahre der Frustration und der Niederlagen vor dem Durchbruch. Im Fall von Jonathan Larson, der später mit „Rent“ Broadway-Geschichte schreiben soll, sind es über acht Jahre, die er sich mit seinem ersten Musical abquält. Andrew Garfield wirft sich mit einer couragierten und auch gesanglich überzeugenden Darstellung mitten hinein in die Award Season und hat gute Chancen, auch den einen oder anderen Preis mitzunehmen. Er spielt den begabten Pleitegeier, der sich nur so halb mit einem Kellnerjob über Wasser hält, während er nachts an seinen Songs tüftelt, mit Leib und Seele. Generell hat der Film unglaublich viel Energie und kann dadurch selbst Musical-Muffel wie mich mit etlichen seiner Up-Tempo-Songs mitreißen. Die Balladen hingegen … darf ich was Ketzerisches sagen? Musical-Balladen klingen alle gleich. Und anstatt sich auf den Song zu konzentrieren, grübele ich dabei immer ständig darüber nach, wo ich den Song schon mal gehört habe. Aber egal, die Balladen dominieren in „tick, tick … BOOM!“ ohnehin nicht. Vielmehr ist der Film ein Plädoyer dafür, an seine Träume zu glauben und nicht aufzugeben, auch wenn’s schwierig erscheint. Und dieses Plädoyer wird mit viel Schwung und Enthusiasmus vorgetragen. Dabei ist der Film beileibe kein simpel gestricktes Feelgood-Movie – auch ernste Themen wie Aids, das Anfang der 90er wie eine Seuche unter den jungen Menschen wütete, oder auch die Schwierigkeit, sich der Beziehung mit der gleichen Hingabe wie der Kunst zuzuwenden, werden thematisiert. „tick, tick … BOOM!“ ist ein Musical, das auch dem breiten Publikum genug bietet, um zwei Stunden lang interessant zu sein. Den einen oder anderen Leerlauf oder Song, mit dem man gar nichts anfangen kann, nimmt man dafür dann auch gerne in Kauf.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Photo by MACALL POLAY/NETFLIX © 2021/MACALL POLAY/NETFLIX © 2021 – © 2021 Netflix, Inc., Quelle http://www.imdb.com)

Nightmare Before Christmas (1993)

Regie: Henry Selick
Original-Titel: The Nightmare Before Christmas
Erscheinungsjahr: 1993
Genre: Animation, Weihnachtsfilm, Musical
IMDB-Link: The Nightmare Before Christmas


„The Nightmare Before Christmas“ ist der Tim Burton-Film, der nicht von Tim Burton ist. Gut, ganz korrekt ist das nicht, denn immerhin hat Tim Burton die Geschichte dazu geschrieben und die Produktion übernommen, aber auf dem Regiestuhl nahm Henry Selick Platz, was aber nichts daran ändert, dass das makaber-lustige Stop-Motion-Weihnachtsmusical so burtonesque wirkt, dass sich das bei den meisten so in die Hirnrinde gebrannt hat. Und ja, mehr Tim Burton bringt selbst Tim Burton nicht zustande. „The Nightmare Before Christmas“ ist liebevoll verrückt gestaltet, mit einer großen Liebe zum Schaurigen und für die Außenseiter, die im Schatten leben, und passt damit ganz ausgezeichnet in die Filmografie des Meisterregisseurs, dessen Stil man wohl entweder mag oder komplett ablehnt. Die Story ist dabei fast schon fröhlich und kindlich: Der König von Halloween Town, das Skelett Jack, stößt durch Zufall auf Weihnachten und beschließt, sich das zu Eigen zu machen und an Santa Claus‘ statt die Kinder zu beschenken. Dass das vielleicht nicht die glanzvollste Idee in der Geschichte der Ideen ist, liegt auf der Hand. Doch wird Weihnachten tatsächlich ins Chaos gestürzt, oder gibt es ein Happy End? Es sei an der Stelle nicht zu viel verraten, wenn ich sage, dass „The Nightmare Before Christmas“ trotz seines originellen, makabren Ansatzes im Grunde seines Herzens ein recht traditioneller Weihnachtsfilm ist und somit keine Grenzen überschreiten mag, sondern sich damit zufriedengibt, an diesen Grenzen schaurig-lustige Tänzchen aufzuführen. Aber das ist auch gut so, das Subversive bietet nicht immer Mehrwert. Vor allem, wenn wir alle im Grunde kleine Kinder geblieben sind, die sich jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit über glanzvoll geschmückte Christbäume und leuchtende Lichterketten freuen und das bisschen Magie in unserem Leben einfach brauchen wie einen Bissen Brot. (Bis wir das 50. Mal „Last Christmas“ im Radio gehört haben und uns vom Glühwein schlecht ist.)


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Getty Images/Getty Images – © 1993 Disney Enterprises, Inc., Quelle http://www.imdb.com)