Biopic

Mit einem Tiger schlafen (2024)

Regie: Anja Salomonowitz
Original-Titel: Mit einem Tiger schlafen
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Biopic
IMDB-Link: Mit einem Tiger schlafen


Mit Biopics lässt sich derzeit gutes Geld verdienen, und so kommt eines nach dem anderen auf den Markt und erzählt von sensiblen Künstlerseelen, gefallenen Helden, ihren noch heldenhafteren Comebacks und später Anerkennung. Eine sensible Künstlerseele, der erst sehr spät Anerkennung zuteil wurde, war die Kärntner Malerin Maria Lassnig auf jeden Fall. Aber dank zweier mutiger und hemmungsloser Leistungen, nämlich jener von Drehbuchautorin und Regisseurin Anja Salomonowitz und Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr, kommt „Mit einem Tiger schlafen“ nicht einmal in die Nähe des Langeweile-Verdachts, unter dem die meisten Biopics heutzutage stehen. Auf Chronologie und das Nacherzählen von Erlebnissen und Wendepunkten in der Biographie der Künstlerin wird gepfiffen. Da wechseln sich collageartig Szenen aus der Kindheit, der Jugend, dem Wirken als Erwachsene und dem hohen Alter ab – mit Ausnahme der Kindheit allesamt gespielt von Minichmayr, die das Alter ihrer Protagonistin allein durch Körperhaltung und Stimme greifbar macht. Die Maske hat da herzlich wenig zu tun. Allein dieser darstellerische Gewaltakt, der unter Beweis stellt, dass Minichmayr stets unter den besten deutschsprachigen Schauspielerinnen genannt werden muss und beispielsweise ihrer nun zu internationalem Ruhm gelangten deutschen Kollegin Sandra Hüller um nichts nachsteht, macht aus dem Werk etwas schwer Greifbares, Sperriges, aber dafür umso Interessanteres. Über die Bilder und dem Prozess des Malens wird das Innenleben der Künstlerin auf die Leinwand transportiert. Ihr Kampf um Anerkennung in einer patriarchalischen Welt, in der sie zunächst nicht richtig ernst genommen wird, drückt sich über ihr Werk aus, weniger über biographische Notizen. Begegnungen, und seien es so wichtige wie mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Arnulf Rainer, werden auf Schlaglichter reduziert. Mehr als an realen Ereignissen ist Salomonowitz am fast schon manischen Antrieb ihrer Figur Maria Lassnig interessiert. Und auch sonst bricht der Film immer wieder mit üblichen Konventionen: Die vierte Wand wird mehrmals durchbrochen, teils kommen Zeitzeugen in kurzen Interviewschnipseln zu Wort, und immer wieder werden Bilder von Maria Lassnig prominent in Szene gesetzt und scheinen ihre Seite der Geschichte zu erzählen. Mitunter mag das alles etwas wirr und rätselhaft wirken, und gerade zu Beginn hat man Probleme damit, sich in dieser durcheinandergewürfelten Dramaturgie zurechtzufinden. Auch schleicht sich die eine oder andere Länge ein. Aber allein schon der Mut der Inszenierung macht sich aus meiner Sicht bezahlt und hebt „Mit einem Tiger schlafen“ qualitativ deutlich über die meisten Biopics hervor, die in den letzten Jahren erschienen sind. Zudem findet Salomonowitz ein Ende, das Gänsehaut beschwert und noch lange nachklingt.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Sully (2016)

Regie: Clint Eastwood
Original-Titel: Sully
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: Sully


Große Passagierflugzeuge sind nicht unbedingt darauf ausgerichtet, im Wasser zu landen. Was Captain Chesley Sullenberger am 15. Jänner 2009 auf dem Hudson River vor New York gelungen ist, kann wohl als eine der größten Meisterleistungen der Luftfahrtgeschichte bezeichnet werden. Notwendig wurde dieser Stunt durch eine Kollision mit einem Vogelschwarm, der dafür sorgte, dass beide Triebwerke ausfielen. Umzukehren oder einen anderen Flughafen anzusteuern, war unmöglich, so der erfahrene Kapitän, also ging’s runter in den Fluss. Oder wäre es doch möglich gewesen, auf einem Flughafen zu landen statt das teure Flugzeug den Fischen zu überlassen? Die Luftfahrtbehörde schaut genau hin und bittet Sullenberger (Tom Hanks) und seinen Co Jeff Skiles (Aaron Eckhart) zum Gespräch. Haben die beiden etwa einen schwerwiegenden, weil teuren Fehler gemacht? „Sully“ unter der routinierten Regie von Clint Eastwood ist weniger Katastrophenfilm als Gerichtsdrama. Im Mittelpunkt stehen die Ermittlungen der Luftfahrbehörde und die Selbstzweifel von Sullenberger, die diese Ermittlungen verursachen. Ja, er hat 155 Menschenleben gerettet, aber war der Weg ins Wasser tatsächlich der einzig mögliche? Hier wird der Zynismus unserer Zeit spürbar: Es reicht nicht aus, zum Helden zu werden – es müssen auch die Interessen der Aktionäre gewahrt werden. Daraus und aus der nüchternen Nacherzählung der Ereignisse, die ohne künstliche Dramatisierung auskommt, bezieht „Sully“ seine größte Stärke. Es zeichnet einen Meister wie Eastwood aus, dass er den Unfall selbst enorm spannend, aber ohne Überhöhung zeigen kann. Andererseits wirkt sich der nüchterne, fast dokumentarische Zugang in den ruhigeren Momenten aber auch etwas bremsend aus und macht den Film gelegentlich etwas schwerfällig. Doch es überwiegen die positiven Aspekte, die einmal mehr unter Beweis stellen, dass der akribisch arbeitende Clint Eastwood trotz seines fortgeschrittenen Alters immer noch einer der interessanten und relevantesten Filmemacher unserer Zeit ist (von gelegentlichen Ausnahmen wie etwa dem eher drögen The Mule und dem Hurra-patriotischen „American Sniper“ mal abgesehen).


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

The Birth, the Life, and the Death of Christ (1906)

Regie: Alice Guy
Original-Titel: La vie du Christ
Erscheinungsjahr: 1906
Genre: Biopic, Historienfilm, Kurzfilm
IMDB-Link: La vie du Christ


Will man die Geburt des Sandalenfilms miterleben, muss man bis ins Jahr 1906 zurückgehen, als Filmpionierin Alice Guy-Blaché mit großem Aufwand den Monumentalfilm „La vie du Christ“ inszenierte. 300 Statisten wurden engagiert, aufwendige Kulissen gebaut, und mit einer Laufzeit von über einer halben Stunde setzte Guy-Blaché auch diesbezüglich neue Maßstäbe. Sie war damit quasi der Lav Diaz ihrer Zeit. Die Geschichte selbst sollte hierzulande hinlänglich bekannt sein, auch wenn das Christentum ja in heutiger Zeit nicht mehr ganz so sexy ist wie im tiefen Mittelalter, als man noch was bekam für seinen Ablasshandel. Dennoch: Die Story von dem Typen mit dem übertriebenen Selbstbewusstsein, der ans Kreuz genagelt endete, kennt man in unserem Breitengrad ganz gut. Hierzu kann uns Guy-Blaché auch nichts Neues erzählen. Will sie auch gar nicht. Stattdessen werden in kurzen Episoden einige High- und Lowlights aus dem Leben des Sandalenträgers abgearbeitet, wobei die Passionsgeschichte einen höheren Stellenwert genießt als die wilden Flegeljahre. Was allerdings wirklich beeindruckt, ist die Akribie, mit der die Geschichte umgesetzt ist. Kostüme, Ausstattung, personeller Aufwand – das alles sucht seinesgleichen im Kontext seiner Zeit. Dazu kommt eine der ersten beweglichen Kameraufnahmen der Geschichte, als die Kamera Jesus folgt, wie er gerade das Kreuz auf den Berg Golgota schleppt. Man muss bei solch alten Filmen auch immer die technischen Möglichkeiten und den Erfahrungsstand seiner Zeit berücksichtigen, möchte man eine faire Bewertung durchführen. Und ja, der Stoff ist wenig aufregend, die Erzählweise aus heutiger Sicht langatmig erzählt, manche Szenen wirken unfreiwillig komisch, und doch gelingt es „La vie du Christ“, auch heute noch über die gesamte Länge einer halben Stunde zu unterhalten, und das ist aller Ehren wert.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.tobis.de)

In guten Händen (2011)

Regie: Tanya Wexler
Original-Titel: Hysteria
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Komödie, Biopic, Liebesfilm, Historienfilm
IMDB-Link: Hysteria


Man kann getrost davon ausgehen, dass die Erfindung des Vibrators nicht exakt so stattgefunden hat wie es Tanya Wexler in ihrem sympathischen Film „In guten Händen“ beschreibt. Zum Einen war der Erfinder des beliebten Spielzeugs der Damenwelt, Joseph Mortimer Granville, zum Zeitpunkt seiner Errungenschaft bereits 50 Jahre alt, und selbst wenn man annimmt, dass Hugh Dancy ähnliche Gene wie Paul Rudd oder Keanu Reeves besitzt, kauft man ihm einen 50jährigen Arzt nicht ab. Zum Anderen sind wohl sämtliche Figuren rund um Granville herum frei erfunden. Aber das ist eben das Vorrecht des Kinos: Man darf sich die historische Realität eben gerne mal zurechtbiegen, sofern es der Unterhaltung dient. Frag nach bei Quentin Tarantino. Insofern nehmen wir die Geschichte eben gerne so, wie sie kommt: Leichtfüßig, charmant, stellenweise sehr komisch und mit einem gut aufgelegten Cast, in dem jede/r seine bzw. ihre Momente hat: Neben Hugh Dancy in der Hauptrolle (der geboren wurde, um in Historienfilmen zu spielen, und wann kommt endlich mal jemand auf die Idee, und lässt ihn und Hugh Jackman Brüder spielen?) geigen Jonathan Pryce, Felicity Jones, Rupert Everett und natürlich die großartige Maggie Gyllenhaal auf, die den Film mit jeder Szene an sich reißt und deren emanzipierte Frauenrechtlerin Charlotte Dalrymple die mit Abstand die interessanteste Figur in diesem Ensemble ist. Überhaupt: So absurd die Behandlung weiblicher „Hysterie“ im 19. Jahrhundert auch anmutet, verlässt sich Wexler nicht allein auf daraus gewonnen Situationskomik, sondern zeigt eine Sympathie für Charlotte und ihr Anliegen. Das tut dem Film gut, ohne dass er aber deshalb plötzlich andere Töne anschlägt. „In guten Händen“ will einfach grundsympathische und leichtgewichtige Unterhaltung sein, vielleicht historisch nicht 100% akkurat, aber mit dem Herz am rechten Fleck.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Nyad (2023)

Regie: Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin
Original-Titel: Nyad
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Biopic, Sportfilm
IMDB-Link: Nyad


Einmal durch den Ärmelkanal von England nach Frankreich schwimmen: Für einen Kinderbeckenplanscher wie mich ein sicheres Todesurteil. Und auch geübten Schwimmer treibt es bei dem Gedanken die Schweißperlen auf die Stirn. Für Diana Nyad hingegen ist ein solches Unterfangen eine lockere Aufwärmübung, ehe sie sich an die richtige Herausforderung macht. Diese heißt: Die Florida-Straße von Havanna, Kuba, bis zu Key West in Florida schwimmen. Ohne Haikäfig und sonstige Hilfestellungen über 177 Kilometer und gut 60 Stunden durchgängig in einem haiverseuchten Gewässer mit fiesen Strömungen durchschwimmen – ein Lebenstraum, an dem sie schon früh und am Höhepunkt ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit gescheitert ist. Aber weil Diana Nyad nicht so tickt wie der normale Durchschnittsmensch und darüber hinaus eine veritable Midlife-Crisis bekommt, mit leistungsstarken Sportautos aber nicht viel anfangen kann, probiert sie dieses unmögliche Unterfangen über dreißig Jahre nach ihrem letzten Versuch noch einmal. Zum Glück hat sie eine Ex-Partnerin und nunmehr gute Freundin, die diese Spinnereien klaglos mitmacht, aber man merkt bei dieser Frau: Wurscht, wer oder was sich ihr entgegenstellt: Sie zieht ihr Ding durch ohne Rücksicht auf Verluste, schon gar nicht auf die eigenen. Ist so eine Geschichte zu viel des Guten, ist sie zu dick aufgetragen? Vielleicht. Und doch hat sie sich tatsächlich genau so ereignet. Annette Bening, diese Ausnahmedarstellerin, verkörpert diese vom Wahnsinn Getriebene mit Verve und staunenswerter Muskelkraft. Ihr zur Seite stehen mit Jodie Foster und Rhys Ifans zwei weitere Könner ihrer Zunft. „Nyad“ ist das Porträt einer Frau, die immer schon ihren eigenen Weg gegangen ist, und die mehr leisten möchte und schließlich auch vermag, als irgendjemand anderer. Man muss den Hut ziehen vor solchen Ausnahmeerscheinungen, die sich schinden können bis zum Exzess, um am Ende ihren Lebenstraum zu verwirklichen – oder glorios daran zu scheitern. Filmisch ist „Nyad“ recht konventionell und überraschungsfrei gemacht, doch sieht man Meisterinnen wie Bening und Foster eben gerne bei der Arbeit zu, und die Geschichte fasziniert. Für einen netten Filmabend jedenfalls empfehlenswert.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2023 NETFLIX, Quelle http://www.imdb.com)

The Lost King (2022)

Regie: Stephen Frears
Original-Titel: The Lost King
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Biopic, Drama, Komödie
IMDB-Link: The Lost King


Das Leben schreibt die besten Geschichten. Da gab es mal so einen buckligen König in England, Richard III., der in der entscheidenden Schlacht vom späteren Tudor-König Heinrich dem Vielten (ich komme immer durcheinander mit den gleich heißenden englischen Königen und ihren Nummerierungen) eins auf die Mütze bekam und dessen Leichnam danach angeblich in den Fluss geworfen wurde. Ein ebenfalls nicht unbekannter Schriftsteller mit dem Namen William Shakespeare (glücklicherweise ohne Nummerierung) brachte dann Aufstieg und Fall von König Richard III. in seinem gleichnamigen Stück auf die Bühne, woraufhin die ganze Welt inklusive dem englischen Königshaus dann der Meinung war: Das war ein böser Bursche, ein Usurpator, lange leben die Tudors! Nur eine schottische Hobby-Historikerin mag nicht so recht an die Geschichte des fiesen Herrschers glauben und auch nicht, dass sein Leichnam unauffindbar verloren ging. So steigert sich Philippa Langley (die großartige Sally Hawkins), verfolgt von einer rätselhaften und gar nicht buckligen Erscheinung des verschollenen Königs selbst, in die Mission hinein, die sterblichen Überreste von Richard III. zu finden. Wie gut, dass der Archäologe Richard Buckley (Mark Addy) gerade von seiner Universität Leicester vor die Tür gesetzt wurde und nun Geld verdienen muss. Mit den Moneten, die Philippa auftreibt, kommt man ja eine Weile über die Runden, und wenn die Dame nun Löcher ins leicester’sche Straßennetz graben will, dann sei es halt so. Doch der Rest ist … Geschichte. Stephen Frears konzentriert sich in seiner Verfilmung dieser irren Story, wie Richard III. nach über 500 Jahren dann doch noch ausgebuddelt wurde, weniger auf die Suche selbst, sondern mehr auf Philippa und ihren Kampf gegen die Männerwelt, die sie belächelt, solange sie noch keine Ergebnisse vorzuweisen hat, dann aber ganz schnell ganz vorne steht, wenn die Lorbeeren verteilt werden. Und das ist durchaus ein löblicher Aspekt, der hier beleuchtet wird. Allerdings leidet der Spannungsaufbau der Geschichte darunter, denn mindestens ebenso interessant wäre ein tieferer Einblick in Philippas Recherchen gewesen, die aber mittels ein paar angedeuteter Videocalls mit anderen Historiker:innen und dem Kauf einiger Bücher zu Richards Leben abgetan werden. Und das ist schade. Auch bin ich nicht davon überzeugt, dass Philippas Zwiesprache mit der Erscheinung des Königs einen echten Mehrwert stiften, auch wenn dieser sympathisch von Harry Lloyd dargestellt wird. So schrullig hätte Hawkins als Philippa Langley aber gar nicht sein müssen, das war dann doch ein wenig zu viel des Guten.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Oppenheimer (2023)

Regie: Christopher Nolan
Original-Titel: Oppenheimer
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Biopic, Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Oppenheimer


Christopher Nolan ist vielleicht der kompromissloseste Regisseur unserer Zeit. Er macht keine halben Sachen. Ein dreistündiges Biopic über einen theoretischen Physiker? Warum nicht? Es ist Nolans große Kunst, dass er diese drei Stunden so spannend gestaltet wie einen Thriller und so kurzweilig, als würde er maximal zwei Stunden dauern. Lediglich das Steißbein verkündet gegen Ende des Films die tatsächliche Sitzdauer. J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy), wie gesagt theoretischer Physiker in den USA, gilt heutzutage als „Vater der Atombombe“. Mitten im Nirgendwo stampfte er während des Krieges mit den Mitteln des Militärs (verkörpert durch Matt Damon als General Groves ) die Forscherstadt Los Alamos aus dem Boden, um dort in zwei Jahren die Atombombe zu entwickeln, bevor den Nazis, die ebenfalls daran forschen, der Durchbruch gelingt. Um sich versammelt er die besten Köpfe der Physik samt deren Familien, um das Unmögliche möglich zu machen. So weit, so gut bzw. so bekannt. Was Nolan allerdings aus dem an sich drögen Stoff macht, ist überwältigendes Kino. Wie so oft in seinen Filmen sind unterschiedliche Zeitstränge miteinander verwoben. Die eigentliche Rahmenhandlung bildet eine Befragung eines Ausschusses in einem Hinterzimmer nach dem Krieg zu Oppenheimers Sympathie für den Kommunismus mit dem Ziel, ihn, den Star der Wissenschaft und Berater des Kabinetts, zu diskreditieren und ihm seine Sicherheitsstufe zu entziehen. Eingewoben ist hierbei ein kurzer biographischer Exkurs, die Arbeit an der Bombe selbst und eine weitere Anhörung in der Zukunft, diesmal seinen Förderer und Mentor, den ehemaligen Leiter der Atomenergiekommission Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), betreffend. Es liegt an Nolans penibler Regie, dass diese Zeitstränge genuin so miteinander verwoben sind, dass man nach einiger Eingewöhnung gut den Überblick behält. Gleichzeitig erforscht Nolan auch das Innenleben des genialen, aber schwierigen Wissenschaftlers Oppenheimer. Unter Nolans Blick bleibt dieser bis zum Schluss eine ambivalente Figur, die sich völlig im Klaren darüber scheint, was die Erfindung der Atombombe bedeutet, dennoch aber fast schon besessen auf dieses inhumane Ziel hinarbeitet. Eine der intensivsten Szenen des Films spielt sich ab, als der Verteidigungsminister samt seinem Stab, dem auch Oppenheimer beratend angehört, fast kaltblütig mathematisch das Für und Wider des Abwurfs einer Atombombe auf Japan und die Frage nach den „besten“ Zielen erörtert. Die Hintergründe für diese letztlich geschichtsverändernde Entscheidung werden dadurch greifbar, was den Schrecken über die Konsequenzen dieser Handlung allerdings in keinster Weise mindert. „Oppenheimer“ ist ein klarer Anwärter auf den Film des Jahres. Mich würde es wundern, wenn er während der Award-Season nicht abräumen würde, was es abzuräumen gibt. Und ich rechne mit einem Regen an Nominierungen für die Oscars Anfang nächsten Jahres: Cillian Murphy, Robert Downey Jr. scheinen gesetzt zu sein, dazu vielleicht sogar noch Emily Blunt und/oder Florence Pugh, dazu erwarte ich Nominierungen für den besten Film, die beste Regie, den besten Schnitt, die besten Visual Effects, den besten Ton, die beste Kamera, die beste Maske und die beste Musik. In einigen Monaten werden wir sehen, ob die Rechnung aufgeht.


9,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Universal Pictures – © Universal Pictures. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Der Hauptmann (2017)

Regie: Robert Schwentke
Original-Titel: Der Hauptmann
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Kriegsfilm, Biopic
IMDB-Link: Der Hauptmann


Deutschland, knapp hinter der Frontlinie in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Der Gefreite Willi Herold hat die Nase voll und flüchtet. Blöd für ihn, dass Deserteure mit dem Tod bestraft werden. Glück für ihn, dass er auf der Flucht zufälligerweise über die verwaiste Uniform eines Hauptmanns stolpert. Denn wie es so schön heißt: Kleider machen Leute. Und so eine blitzende Uniform mit vielen Knöpfchen dran macht Eindruck, vor allem, wenn der Träger derjenigen auch noch zackige Befehle gibt. Sofort wird der ehemalige Gefreite Herold als nunmehriger Hauptmann Herold, der in Sondermission im Auftrag des Führers persönlich unterwegs ist, vom mutmaßlichen Deserteur Freytag (Milan Peschel) akzeptiert. Die Anspielung auf den gestrandeten Robinson Crusoe und seinen ergebenen Diener kommt wohl nicht von ungefähr. Bald schon scharen sich eine Menge anderer suspekter Gestalten, alle vom Krieg gezeichnet, um den vermeintlichen Hauptmann. Als er schließlich in ein Lager geführt wird, in dem Kriegsverbrecher, hauptsächlich Deserteure und Diebe, in Baracken auf ihr Schicksal warten, wie es von einem trägen Justizministerium bestimmt werden soll, entdeckt Herold die Freude an der Macht über Leben und Tod. Die Figur des Hauptmann Herold beruht auf einer tatsächlichen historischen Person: Willi Herold sicherte sich seinen unrühmlichen Eintrag in die Geschichtsbücher als Henker von Emsland. Die Geschichte, so bizarr sie auch klingt, ereignete sich tatsächlich. Nun reicht es Robert Schwentke in seiner Verfilmung allerdings nicht aus, die grausigen historischen Tatsachen einfach nachzuerzählen. Vielmehr bastelt er mit eindrucksvollen Bildern, einem nervösen Soundtrack und teils in surreal kippenden Feierszenen eine grimmige Allegorie auf das Böse, die durch Max Hubacher perfide stoisch personifiziert wird. Aber es ist nicht die Figur des Herold allein, die einen schaudern lässt – es ist die Darstellung der Entmenschlichung bei allen Figuren, als würden alle im Angesicht der drohenden totalen Niederlage alles Menschsein abstreifen und sich nihilistischen Trieben hingeben. Sind wir Menschen so? Vielleicht. Der Film deutet dies jedenfalls auf eine vielleicht leicht überzeichnete, aber dennoch plausible Weise an. „Der Hauptmann“ ist ganz bitteres Kino, das uns in die tiefsten Abgründe wirft. Der kontrovers diskutierte Abspann kann gleichermaßen als Mahnmal gelten: Geschichte kann sich wiederholen, wenn man sie vergisst.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Le Mans 66 – Gegen jede Chance (2019)

Regie: James Mangold
Original-Titel: Ford v Ferrari
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Sportfilm, Biopic, Action, Drama
IMDB-Link: Ford v Ferrari


Im Kino damals verpasst, nun im Patschenkino nachgeholt und tatsächlich ein wenig bedauert, den damals nicht auf der großen Leinwand gesehen zu haben: „Le Mans 66 – Gegen jede Regel“ (im Original: „Ford v Ferrari“) von James Mangold darf sich wohl als einer der besten Rennsportfilme aller Zeiten bezeichnen. Nie zuvor habe ich in einem Film dermaßen nachempfinden können, was es heißt, solche schnellen Autos bis ans ihr Limit und darüber zu pushen, nicht einmal im von mir hochgeschätzten „Rush“. Der Oscar für den besten Schnitt ist hochverdient! Wenn man den Film allerdings auf diese technischen Aspekte und auf die Adrenalin getränkte Darstellung des Motorsports reduziert, tut man ihm Unrecht. Den zunächst ist „Ford v Ferrari“ eine Außenseitergeschichte. Der Titel impliziert dies bereits, doch es wäre falsch, sich hier auf den ersten Eindruck zu verlassen und darauf zurückzuziehen. Die Ford Motor Company war und ist beileibe kein Außenseiter, auch wenn ihr bis Anfang der 60er Jahre nicht eingefallen ist, in der höchsten Motorsportklasse gegen renommierte Rennsportautoerzeuger wie Ferrari oder Porsche anzutreten. Aber was tut man nicht alles, wenn die Verkaufszahlen sinken? Auftritt Carroll Shelby (Matt Damon), ehemaliger Rennfahrer und Sieger des 24-Stunden-Rennens von Le Mans, der nun Autos verkauft und seine eigenen Rennwägen bastelt. Der soll Ford ein Auto hinstellen, das den als unbesiegbar geltenden Ferraris in Le Mans davonfährt. Doch dazu braucht es nicht nur ein schnelles Auto, sondern auch einen schnellen Fahrer, und der impulsive, nonkonforme Kriegsveteran Ken Miles (Christian Bale) ist ein solcher. Gemeinsam bilden die beiden das ungewöhnliche Dreamteam, das den Giganten der Familienschaukelerzeugung zu Lorbeer führen soll. Und das ist nun die eigentliche Außenseitergeschichte, denn weder Shelby noch Miles passen zu dem strikt hierarchisch geführten Konzern. Der größte Gegner ist nicht Ferrari auf der Strecke. Wie in vielen Biopics nimmt sich das Drehbuch künstlerische Freiheiten, um die Dramatik zu erhöhen, doch verwässern diese Freiheiten im Fall von „Ford v Ferrari“ nicht die Geschichte. Der Fokus bleibt immer auf diesen beiden Motorsportfanatikern und ihrem Kampf um Erfolg – nicht um des Erfolgs willen, sondern weil sie ganz einfach nicht anders können, als ständig aufs Gaspedal zu drücken, mit allen entsprechenden (auch negativen) Folgen. So gesehen ist „Ford v Ferrari“ ein Film über unbeugsamen Willen und die Opfer, die damit einhergehen, und somit überraschend tiefgängig.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Merrick Morton – © 20th Century Fox, Quelle http://www.imdb.com)

Bottle Shock (2008)

Regie: Randall Miller
Original-Titel: Bottle Shock
Erscheinungsjahr: 2008
Genre: Komödie, Drama, Biopic
IMDB-Link: Bottle Shock


Für Weinfreaks ist die Weinjury von Paris 1976 so etwas wie die erste Herztransplantation durch Dr. Barnard, die Präsidentschaftswahl von Donald Trump oder der Brexit: Etwas nie für möglich Gehaltenes passiert und stellt die Welt auf den Kopf. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Überlegenheit französischer Weine in der Weinwelt als so fest wie das Amen im Gebet. Der in Paris lebende englische Weinkritiker und Händler Steven Spurrier (Alan Rickman), ebenfalls großer Fan französischer Erzeugnisse, findet aber eine kreative Möglichkeit, seinen schlecht laufenden Shop zu promoten, indem er die „Weinjury von Paris“ einberuft: Die renommiertesten Weinkritiker Frankreichs sollen eine Auswahl hochwertiger französischer Weine blind neben kalifornischen Weinen aus Napa Valley verkosten, darunter den Chardonnay von Chateau Montelena, betrieben durch den ehrgeizigen Quereinsteiger Jim Barrett (Bill Pullman) und dessen Hippie-Sohn Bo (Chris Pine). Die Kalifornier, die zwar mit Herzblut bei der Sache sind, aber auf keine lange Weintradition wie Frankreich verweisen können, sind skeptisch: Will man sie vor der Weltöffentlichkeit vorführen? Dass Spurrier durch und durch Brite ist mit allen dazugehörigen Manierismen und Eigenheiten, macht die interkulturelle Annäherung nicht einfacher. Aber man beschließt, der ganzen Sache eine Chance zu geben. Das Ergebnis wird die Fachwelt in ihren Grundfesten erschüttern. „Bottle Shock“ basiert auf wahren Begebenheiten, sowohl Steven Spurrier als auch die Barretts waren bzw. sind real lebende Persönlichkeiten, und die Weinjury von Paris 1976 gab es in dieser Form ebenfalls – mit weitreichenden Folgen für die Weinwelt. Da ich selbst einen guten Tropfen zu schätzen weiß, waren die Voraussetzungen für eine wohlwollende Bewertung des Films schon mal sehr gut. Dazu der legendäre Alan Rickman, der von mir ebenfalls sehr geschätzte Bill Pullman, ein sympathischer Freddy Rodriguez in der Rolle des Weinbaugehilfen Gustavo und Rachael Taylor als Praktikantin, die alle Blicke auf sich zieht. Alle Zutaten für einen guten Film sind da, aber es ist halt auch wie bei der Weinerzeugung selbst: Wenn man es zu formelhaft angeht, springt der magische Funke halt nicht über und das Erzeugnis ist zwar von sauberer Qualität, aber eben austauschbar und nicht mitreißend. So geht es auch „Bottle Shock“ – unterm Strich ein solider Film, aber zu routiniert inszeniert, um zum Publikum eine echte Bindung aufbauen zu können.


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2008 Twentieth Century Fox, Quelle http://www.imdb.com)