Liebesfilm

Jane Eyre (2011)

Regie: Cary Joji Fukunaga
Original-Titel: Jane Eyre
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Jane Eyre


Wenn eine Geschichte 1,5 Jahrhunderte nach ihrem Erscheinen immer noch Bedeutung genießt und immer wieder neu verfilmt wird, kann man auf jeden Fall von einem zeitlosen Stoff sprechen. Da ist es dann auch egal, wenn die Protagonisten seltsam gewandet auf Pferden reiten und in düsteren Herrenhäusern wohnen. Es liegt also etwas Universelles in Charlotte Brontës Roman „Jane Eyre“, 2011 von Cary Fukunaga mit Mia Wasikowska und Michael Fassbender in den Hauptrollen verfilmt. Das Universelle: Das Streben nach Selbstbestimmung, denn Jane Eyre, die mittellose Waise, die als Gouvernante im Haus des Adeligen Edward Fairfax Rochester zu arbeiten beginnt, hat trotz ihrer Jugend und der harten Zeiten, die sie erlebt hat, immer den Kopf oben und vertritt ihre eigene Meinung. Ebenfalls universell: Die Geheimnisse, die viele Leben umgeben – in diesem Fall ausgedrückt durch mysteriöse Geräusche in der Nacht und das manchmal erratische Verhalten des Hausherren. Auch wenn Fukunaga diese Geheimnisse als spannende Gruselgeschichte einbaut, so lautet dennoch die dahinterliegende Frage: Wie gut kennen wir uns und unsere Gefährten denn wirklich? Wo liegen die finsteren Ecken, in die niemand hineinschauen kann und in die man nicht einmal selbst hineinschauen möchte? Und das vielleicht Universellste überhaupt an Jane Eyre: Die Liebe zwischen zwei Menschen, die zunächst unterschiedlicher nicht sein könnten und doch zueinander finden. Es ist keine Überraschung, dass die Geschichte auch heute noch ihre Fans hat. Fukunaga setzt diese mit viel Liebe für viktorianische Opulenz um, bringt aber einen modernen Anstrich ein, der sich beispielsweise in der Inszenierung der Gruselmomente zeigt. Das bewahrt den Film davor, zu einem routinierten Kostümfest zu verkommen, in dem sich schöne Menschen in schönen Kleidern anschmachten. Allerdings hätte die Inszenierung durchaus noch einen Tick subversiver und gewagter sein dürfen – die Vorlage hätte das hergegeben.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

All of Us Strangers (2023)

Regie: Andrew Haigh
Original-Titel: All of Us Strangers
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: All of Us Strangers


Ein einsamer, homosexueller Drehbuchautor in einem kalten und verlassenen Appartement-Hochhaus in London. Das Leben zieht an ihm vorbei, die Tage sind gleichförmig und werden vorrangig auf der Couch verbracht, während über den Fernseher alte „Top of the Pops“-Folgen flimmern. Eines Tages klopft der einzige Mitbewohner dieses sterilen Hauses an der Tür: Betrunken, ebenfalls vereinsamt und nach Liebe und Geborgenheit suchend. Adam, der Schriftsteller, ist jedoch zu feige und schließt die Tür zunächst wieder. Doch die Neugier siegt, und bei der nächsten Begegnung lässt er sich auf die Avancen des jungen Harry ein. Was zunächst wie eine queere Liebesgeschichte in Anonymität der Großstadt beginnt, entfaltet sich unter Andrew Haighs sensibler Regie bald zu einer Studie von Vereinsamung, Trauer und Verlust. Denn bei einem Besuch seiner Geburtsstadt macht Adam bald eine unerwartete Begegnung: Er trifft auf seine Eltern, die sich im gleichen Alter wie er selbst befinden. Ein Traum? Eine Geistererscheinung? Eine Parallelwelt? Und kann ihm die aufkeimende Liebe zu Harry Halt geben in einer Situation, die Adam zu verschlingen droht? Langsam, aber keinesfalls langatmig tastet sich Haigh mit seinem grandios aufspielenden Cast vorwärts und entfaltet nach und nach das eigentliche Thema des Films bis hin zu seinem bitteren und aufwühlenden Ende. So großartig „All of Us Strangers“ auch inszeniert ist mit seinen weichen, zärtlichen Kamerabildern, dem klug eingesetzten Sounddesign und dem dichten Drehbuch, das der Geschichte dennoch genügend Raum zum atmen lässt, er würde nicht funktionieren ohne der überragenden Leistung des Casts, allen voran Andrew Scott in der Hauptrolle des Adam. Aber auch Paul Mescal als Harry sowie Claire Foy und Jamie Bell als Eltern tragen ihre Figuren mit größtmöglicher Sensibilität und Menschlichkeit und machen „All of Us Strangers“ zu einem gefühlsbetonten Drama, das mit zwar am Überirdischen anstreift, doch dank eben dieser ambivalenten und komplexen Figuren die Beine fest auf dem Boden behält.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Chris Harris/Chris Harris, Quelle: http://www.imdb.com)

Meine Nacht bei Maud (1969)

Regie: Éric Rohmer
Original-Titel: Ma nuit chez Maud
Erscheinungsjahr: 1969
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Ma nuit chez Maud


Ein braver Kirchgänger, 34 Jahre alt, der gerade von einigen Auslandsjahren in die französische Provinz nach Clermont-Ferrand zurückgekommen ist, trifft auf seinen Jugendfreund, der ihn mit einer Freundin bekannt macht: der geschiedenen Ärztin Maud. Da sich draußen schon bald ein Schneetreiben entwickelt und Maud darauf besteht, dass Jean-Louis, der Katholik, bei ihr bleibt, wird dieser schon bald mit einem Zwiespalt konfrontiert, der ihn ihm tobt. Als gläubiger Christ schätzt er nichts höher als das Sakrament der Ehe, und sein Plan ist es auch, sich bald zu verheiraten – am besten in die hübsche Françoise, die er in der Kirche gesehen, die er sich aber noch nicht anzusprechen getraut hat – doch Maud, verführerisch, belesen und auch ein wenig vom Leben desillusioniert, fordert ihn heraus, sich diesem Konflikt zu stellen. „Meine Nacht bei Maud“ war der größte Kinoerfolg von Éric Rohmer, und man kann auch nachvollziehen, was diesen Erfolg gebracht hat. Denn zum einen ist der Film unglaublich gut gespielt, mit Jean-Louis Trintignant und Françoise Fabian, die sich wie in einem intensiven Tennismatch die Bälle zuschießen und zwischen denen es spürbar knistert. Auch Antoine Videz und Marie-Christine Barrault in Nebenrollen spielen sehr überzeugend. Schöne Menschen sind sie zudem alle. Zum anderen verarbeitet der Film, wenn auch in kühl vorgetragenen, sehr abstrakten Diskussionen, den gut nachvollziehbaren Konflikt zwischen Rollen, die uns zugetragen wurden (in diesem Fall jene des gläubigen Kirchgängers), und dem tief liegenden Begehren. Die Moral ist das, was dazwischen liegt. Dass Jean-Louis ausgerechnet Mathematiker ist und sich so die Welt fast formelhaft zurechtlegen möchte, letztlich aber daran scheitert, ist ein hübsches Detail. Kein einfacher Film, sondern einer, bei dem man konzentriert dabeibleiben muss, doch lohnt es sich, diesem intellektuellem Pingpong zuzuhören, regt es doch weitere Gedanken an, ohne allerdings intellektuell komplett zu überfordern. Zurecht einer der 1001 Filme, die man gesehen haben sollte, ehe das Leben vorbei ist.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.tobis.de)

In guten Händen (2011)

Regie: Tanya Wexler
Original-Titel: Hysteria
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Komödie, Biopic, Liebesfilm, Historienfilm
IMDB-Link: Hysteria


Man kann getrost davon ausgehen, dass die Erfindung des Vibrators nicht exakt so stattgefunden hat wie es Tanya Wexler in ihrem sympathischen Film „In guten Händen“ beschreibt. Zum Einen war der Erfinder des beliebten Spielzeugs der Damenwelt, Joseph Mortimer Granville, zum Zeitpunkt seiner Errungenschaft bereits 50 Jahre alt, und selbst wenn man annimmt, dass Hugh Dancy ähnliche Gene wie Paul Rudd oder Keanu Reeves besitzt, kauft man ihm einen 50jährigen Arzt nicht ab. Zum Anderen sind wohl sämtliche Figuren rund um Granville herum frei erfunden. Aber das ist eben das Vorrecht des Kinos: Man darf sich die historische Realität eben gerne mal zurechtbiegen, sofern es der Unterhaltung dient. Frag nach bei Quentin Tarantino. Insofern nehmen wir die Geschichte eben gerne so, wie sie kommt: Leichtfüßig, charmant, stellenweise sehr komisch und mit einem gut aufgelegten Cast, in dem jede/r seine bzw. ihre Momente hat: Neben Hugh Dancy in der Hauptrolle (der geboren wurde, um in Historienfilmen zu spielen, und wann kommt endlich mal jemand auf die Idee, und lässt ihn und Hugh Jackman Brüder spielen?) geigen Jonathan Pryce, Felicity Jones, Rupert Everett und natürlich die großartige Maggie Gyllenhaal auf, die den Film mit jeder Szene an sich reißt und deren emanzipierte Frauenrechtlerin Charlotte Dalrymple die mit Abstand die interessanteste Figur in diesem Ensemble ist. Überhaupt: So absurd die Behandlung weiblicher „Hysterie“ im 19. Jahrhundert auch anmutet, verlässt sich Wexler nicht allein auf daraus gewonnen Situationskomik, sondern zeigt eine Sympathie für Charlotte und ihr Anliegen. Das tut dem Film gut, ohne dass er aber deshalb plötzlich andere Töne anschlägt. „In guten Händen“ will einfach grundsympathische und leichtgewichtige Unterhaltung sein, vielleicht historisch nicht 100% akkurat, aber mit dem Herz am rechten Fleck.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Crocodile Dundee – Ein Krokodil zum Küssen (1986)

Regie: Peter Faiman
Original-Titel: Crocodile Dundee
Erscheinungsjahr: 1986
Genre: Komödie, Liebesfilm, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Crocodile Dundee


Wieder einmal ein Ausflug in die Kindheit: Crocodile Dundee, gespielt von Paul Hogan (von dem übrigens auch das Oscar-nominierte Drehbuch stammt), war für den kleinen Filmkürbis einfach der Größte. Durch das australische Outback streifen, Leguane braten, sich mit Krokodilen anlegen und Tiere hypnotisieren: Das wollte ich auch können! Heute, gut dreißig+ Jahre später, stelle ich fest, dass allein die Hypnose ein erreichbares Lebensziel war, auch wenn die Hypnoserichtung umgekehrt verläuft: Statt meinen Kater zu hypnotisieren, hypnotisiert dieser mich, wenn er vor der leeren Futterschüssel sitzt. Aber immerhin besser als nichts. Und auch nach New York habe ich es geschafft. In dieser Hinsicht kann ich also dem wackeren Buschmann die Hand reichen. Ich behaupte auch, dass ich mich dabei souveräner geschlagen habe als „Mick“ Dundee, der von Reporterin Sue Charlton (Linda Kozlowski) von der australischen Wildnis in den Großstadtdschungel mitgenommen wird und dort zur kleinen Sensation wird. Ob er nun einem schlecht gelaunten Wasserbüffel gegenübersteht oder einem Straßenräuber: Der Mann weiß sich zu helfen. Und wenn ein Yuppie auf einer Party gerade Probleme mit der Nase hat und sich ein gesundes Pülverchen in eben diese reinziehen möchte, geht nichts über eine Dampfinhalation. „Crocodile Dundee“ ist ein Film, den man heute so wohl nicht mehr drehen würde – Männer sind Machos, Frauen sind neugierig und müssen gerettet werden, der Verlobte ist ein Schleimbatzen allerbester Güte, und Konflikte regelt man am besten mit einem gezielten Faustschlag. Aber: Das alles ist so charmant und witzig umgesetzt und Paul Hogan so charismatisch in seiner Lebensrolle, dass man dem Film all diese Schwächen gerne verzeiht. Wer nicht schon einmal die „Das ist ein Messer!“-Szene zitiert hat, werfe den ersten Bumerang.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Archive Photos/Getty Images – © 2012 Getty Images, Quelle http://www.imdb.com)

She Came to Me (2023)

Regie: Rebecca Miller
Original-Titel: She Came to Me
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Rom-Com, Liebesfilm
IMDB-Link: She Came to Me


Die eigene Psychotherapeutin zu heiraten, klingt erst einmal nach einer soliden Idee. Doch nutzt das auch nur wenig, wenn man erstens, wie es dem Opernkomponisten Steven (Peter Dinklage) ergeht, eine veritable Schaffenskrise hat, die sich in Panikattacken manifestiert, und zweitens die Angetraute (Anne Hathaway) selbst ordentlich einen an der Waffel hat, wie sich in einem ausgewachsenen Putzfimmel zeigt. So richtig kompliziert wird alles, wenn man dann einen zufälligen One-Night-Stand hat mit einer Stalkerin, die an Romantiksucht leidet, der Stiefsohn die minderjährige Tochter der Putzfrau datet und der Vater eben jener Tochter meint, das Recht auch zu Lasten seiner eigenen Familie durchsetzen zu müssen, nur weil er nicht verputzt, dass der Lover seiner Tochter dunkelhäutig ist. Und schon haben wir ein schönes Durcheinander, in dem Peter Dinklage so traurig schauen kann, wie er will – er wird dennoch hemmungslos vom Schicksal durchgebeutelt. Immerhin führt das zu einigen sehr komischen und absurden Situationen, in denen Rebecca Miller das Genre der Rom-Com genüsslich zelebriert und gleichzeitig zeigt, dass sie ihre eigene Geschichte nicht bierernst nimmt. Das tut dem Film gut, der auf diese Weise recht unterhaltsam ist. Allerdings leidet die Glaubwürdigkeit darunter. Marisa Tomei als Schlepperkahn-Kapitänin und liebesbesessener Love Interest ist ein gutes Beispiel dafür, dass Glaubwürdigkeit eben nicht das Hauptanliegen von Miller war. Zwar spielt sie ihre Figur einmal mehr mit Verve, aber man kauft ihr diese dennoch nicht ab. Auch Dinklage funktioniert als Star der Komponistenszene nur bedingt. Die Panikattacken und das traurige G’schau passen gut zu ihm, aber die Exzentrik des musikalischen Genies wirkt aufgesetzt. Da hat Cate Blanchett in Tár ganz andere Maßstäbe gesetzt. Und Hathaway, die auch als Produzentin agiert, hat mit ihrer Figur zwar sichtlich Freude, aber deren Charakterbogen ist schon sehr weit hergeholt. Auch scheint Miller nicht ganz im Klaren darüber zu sein, welche Geschichte sie nun eigentlich erzählen möchte: Jene des Komponisten in der Krise, jene des Künstlers und seiner Muse, die Geschichte des jungen Pärchens und der Widrigkeiten, die sie erfahren (und die viel zu beiläufig abgetan werden, wenn man bedenkt, was für sie auf dem Spiel steht), jene der Psychiaterin mit Zwangsneurosen? Alles verschwimmt ein wenig ineinander, und ich wiederhole mich: Es ist gut, dass sich der Film nicht selbst zu ernst nimmt, denn dann würde er unweigerlich komplett den Faden verlieren. So bleiben aber zumindest 1,5 unterhaltsame Stunden, über deren Inhalt man vielleicht nicht allzu groß nachdenken sollte oder auch kann, dessen einzelne Szenen aber für sich recht gut funktionieren. Hier ist eben nur das Ganze nicht größer als seine Teile.


5,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Roter Himmel (2023)

Regie: Christian Petzold
Original-Titel: Roter Himmel
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Roter Himmel


Das zweite Werk nach einem erfolgreichen Debüt ist immer der künstlerische Endgegner. Das weiß auch der Schriftsteller Leon (Thomas Schubert), der mit seinem Kumpel Felix (Langston Uibel) in das abgelegene Ferienhaus von Felix‘ Mutter an die Ostsee fährt, um dort den stockenden Roman „Club Sandwich“ fertigzuschreiben. Während Felix das Meer und das Dolcefarniente genießt, zieht sich Leon in eine griesgrämige Altherren-Attitüde zurück. Spaß wird vermehrt mit den Worten „Die Arbeit lässt es nicht zu!“ Zugegeben, dass Thomas Schubert Wiener ist, hat ihm sicherlich bei der Charakterentwicklung von Leon geholfen – wir Wiener sind halt die Meister im Granteln. Und so grantelt sich Leon eben durch den Sommer, der gestört wird von Felix‘ Lebenslust, dem ungebetenen Gast Nadja (Paula Beer) und ihrem „Stecher“ Devid (Enno Trebs). Am Horizont aber braut sich ein Feuer zusammen. Waldbrände bringen die Sommeridylle ins Wanken, und rote Schicksalswolken hängen über Leons Haupt. Christian Petzold ist ein Lyriker unter den Filmemachern. „Roter Himmel“ ist inhaltlich schwer zu beschreiben. Es ist vielmehr ein sinnlicher Film, der seine poetische Kraft aus den Zwischenräumen, den Auslassungen schöpft. Die Charaktere umtanzen sich, sie werden selten explizit, und wenn das Ungesagte plötzlich einmal laut ausgesprochen wird, klingt es hart und fast deplatziert – ein Einbruch der Realität in eine Traumwelt. Thomas Schubert und Paula Beer, die schon in Das finstere Tal eine enge Beziehung zueinander hatten, spielen, so ehrlich muss man sein, ihre Kollegen an die Wand. Thomas Schubert entwickelt sich zu einer präsenten Leinwandgewalt a la Josef Bierbichler, der Typus von Schauspieler, der nicht viel sagen muss, sondern alles mit dem Heben seiner Augenbrauen auszudrücken vermag und so herrlich stoisch bleibt wie ein Felsen, an dem alle anderen Figuren zerschellen müssen. Allerdings hat er die undankbarere der beiden Hauptfiguren abbekommen, denn sein Leon ist zum Einen kein Sympathieträger und zum Anderen in seiner Griesgrämigkeit und Entrückung auch recht eindimensional im Vergleich zu Paula Beers geheimnisvoller Nadja, die gleichzeitig die Geschichte erden muss. Nicht alles an „Roter Himmel“ ist geglückt, doch sollte man diesen Film wohl nicht allzu analytisch zerpflücken, sondern am besten einfach auf sich wirken lassen.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Good Will Hunting – Der gute Will Hunting (1997)

Regie: Gus Van Sant
Original-Titel: Good Will Hunting
Erscheinungsjahr: 1997
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Good Will Hunting


Zwei Anfang 20jährige Schauspielschüler setzen sich gemeinsam hin und schreiben das Drehbuch für ihren ersten Film, der Jahre später von Gus Van Sant kongenial umgesetzt wird. Diese Ausgangslage muss man sich vor Augen halten, wenn man den Monolog von Robin Williams als Psychiater Sean Maguire anhört – vielleicht eine der besten Szenen der Filmgeschichte überhaupt (und hier anstelle des sonst üblichen Trailers verlinkt). Man kann es nicht anders sagen: Ben Affleck und Matt Damon haben mit „Good Will Hunting“ Geniales (und auch Oscar-prämiertes) geleistet. Ihre Geschichte über einen vorbestraften Dockarbeiter ohne akademischer Ausbildung, der als mathematisches Wunderkind sogar Fields-Medaillen-Träger (Stellan Skarsgård) in die Tasche steckt, aber an normalen Beziehungen scheitert, entfaltet nicht zuletzt dank des außergewöhnlichen Schauspiels (Oscar für Robin Williams, Oscarnominierungen für Matt Damon und Minnie Driver) eine unglaubliche Wucht, der man sich nicht entziehen kann. „Good Will Hunting“ ist eine emotionale Achterbahnfahrt, eine Außenseitergeschichte, die, wie manche Kritiken attestieren, gelegentlich zu dick aufzutragen scheint, aber für mich dennoch immer den richtigen Ton trifft. Es ist ein Film mit Tiefgang, der aber dennoch fast leichtfüßig wirkt, was er der Authentizität seiner Figuren verdankt. Die Gang rund um Will, der empathische Psychiater, der seine eigenen Dämonen mit sich schleppt, der ehrgeizige Mathematikprofessor, der erkennt, dass eine andere Sonne heller leuchtet als er selbst und sich nun ihrem Glanz baden möchte, der Love Interest mit Charakter, der nicht nur hübsch sein darf, sondern auch humorvoll – es ist schon erstaunlich, dass es Damon und Affleck in so jungen Jahren gelungen ist, ein derart breit aufgestelltes, vielschichtiges Personal für ihre Geschichte aufzubauen. „Good Will Hunting“ ist ein Klassiker und gehört in meinen Augen auf die Liste der besten Filme in einem an grandiosen Filmen wahrlich nicht armen Jahrzehnt.


9,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 1997 Miramax Pictures- all rights reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Past Lives (2023)

Regie: Celine Song
Original-Titel: Past Lives
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Liebesfilm
IMDB-Link: Past Lives


Das koreanische Konzept des In-Yun besagt sinngemäß, sofern ich es richtig verstanden habe, eine Verbindung zwischen zwei Menschen aus deren früheren Leben. In unserem Kulturkreis würde man eine solche Verbindung vielleicht als „Seelenverwandtschaft“ bezeichnen. Young Na und Hae Sung haben eine starke Verbindung. Als Zwölfjährige sind sie füreinander so etwas wie der erste Crush, die erste große Liebe, doch dann wandert Young Na mit ihrer Familie nach Kanada aus, wird dort zu Nora (Greta Lee), und der Kontakt verliert sich. Zwölf Jahre später kontaktiert sie der in Korea gebliebene Hae Sung (Teo Yoo) via Facebook, und zumindest virtuell nähern sich die beiden wieder einander an. Doch das Timing passt nicht. Weitere zwölf Jahre vergehen, und dann taucht Hae Sung in New York, wo Nora mittlerweile mit ihrem Ehemann lebt, auf. Ist ihr In-Yun so stark, dass sie nach all dieser Zeit endlich zueinander finden? „Past Lives“ von Celine Song ist stark autobiographisch inspiriert. Auch Song kommt aus einer koreanischen Auswandererfamilie. Die Perspektive des Films ist demnach stark auf Nora fokussiert. Wer nun allerdings einen klassischen, vielleicht leicht kitschigen-schwülstigen Liebesfilm erwartet, wird von „Past Lives“ möglicherweise überrascht werden. Zwar ist die Geschichte leichtfüßig und mit gelegentlichen Einschüben von Humor erzählt, und sie folgt zunächst auch gängigen Mustern, doch offenbart sich mit der Zeit eine Ernsthaftigkeit und Seriosität, die aus dem realistischen Blickwinkel auf Beziehungen, den Song einnimmt, resultieren. Das Leben ist nicht Schwarz und Weiß, sondern besteht hauptsächlich aus Grautönen – wie auch Beziehungen. Und so fühlt sich „Past Lives“ in jedem Moment „echt“ an: authentisch, reflektiert und ehrlich. Hervorheben muss man auch das kontrollierte, nuancierte Spiel von Greta Lee, stoisch an der Oberfläche, doch mit emotionalem Tiefgang darunter. Auch Teo Yoo und John Magaro in der Rolle des Ehemanns spielen glaubwürdig und legen ihre Charaktere vielschichtig und nachvollziehbar an. „Past Lives“ ist ein rundum gelungener Film über die Liebe, über Beziehungen, über das Leben an sich und die Wellen, die uns manchmal an verschiedene Orte führen, uns aber dennoch auch miteinander verbinden.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Her (2013)

Regie: Spike Jonze
Original-Titel: Her
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Liebesfilm, Science Fiction
IMDB-Link: Her


2013: Spike Jonze bringt einen visionären Science Fiction-Liebesfilm auf die Leinwand, in dem sich ein einsamer Schreiber von persönlich gestalteten Grußkarten und Briefen in ein Betriebssystem verliebt. Gut, es hat die Stimme von Scarlett Johansson, aber trotzdem kann ich mich an meine Verblüffung erinnern, als ich den Film zum ersten Mal im Kino sah. 2023: Statte ChatGPT mit Johanssons Stimme aus, und der Film ist Realität. Spooky. Was wohl Jonze selbst heutzutage über seinen Film denkt? Ich möchte ihm nicht einmal unterstellen, dass es seine Grundintention war, einen möglichst prophetischen Blick in die Zukunft zu werfen, denn ihm geht es in „Her“ sichtlich um andere Dinge: um das Gefühl der Verlorenheit, das uns alle manchmal überfällt, und um den Wunsch, mit jemanden eine emotionale Verbindung einzugehen, und sei es auch nur eine künstliche Intelligenz. Gleichzeitig aber verhandelt der Film auf weiteren Ebenen genau die Problematik, vor der wir heute stehen: Was, wenn sich diese von uns geschaffene Intelligenz weiterentwickelt? Welche Folgen hat das für uns? Hier ist Spike Jonze weniger pessimistisch, als ich es im Moment bin (man spürt vielleicht ein klein wenig, dass diesmal Charlie Kaufman, mit dem Jonze eine lange und denkwürdige kreative Zusammenarbeit verbindet, nicht involviert war), aber dennoch lässt er diese Frage nicht außer Acht. Dass „Her“ auch abseits seiner klugen Erzählung ein kleines Wunderwerk ist, liegt primär am sensationellen Cast. Joaquin Phoenix gehört zu den Meistern seiner Generation – er kann schlicht alles spielen, ob ein vom Leben gebrochener Psychopath wie in Joker, ein von Inzest- und Machtfantasien gebrochener Psychopath wie in Gladiator, oder eben jenen Theodore Twomley, von seiner früheren Beziehung gebrochen, aber alles andere als ein Psychopath, vielmehr eine unglaublich gutherzige, wenn auch verletzte Seele. Der Mann ist ein schauspielerisches Chamäleon. Daneben Scarlett Johansson, die nur deshalb um eine Golden Globe-Nominierung gebracht wurde, weil sie keine einzige Sekunde im Film zu sehen ist. Aber was sie mit ihrer Stimme anstellt, ist aller Ehren wert. Die hervorragende Amy Adams in einer kleinen, aber wichtigen Nebenrolle bringt schließlich so etwas wie eine Erdung in die Geschichte ein. „Her“ ist ein herausragender Film, der in allen Teilen meisterhaft und gleichzeitig auch mehr als die Summe seiner Teile ist.


9,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Warner Bros. Picture – © 2013 – Untitled Rick Howard Company LLC, Quelle http://www.imdb.com)