2017

Have a Nice Day (2017)

Regie: Liu Jan
Original-Titel: Hao Ji Le
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Animation, Thriller, Komödie
IMDB-Link: Hao Ji Le


Man kennt das: Es ist spätabends, man ist schon müde (in diesem Fall von drei Filmen davor), aber da man schon beim Kino ist und das Ticket hat, setzt man sich halt doch noch in die 23-Uhr-Spätvorstellung, um das /slash-Festival zu einem würdigen Abschluss zu bringen. „Have a Nice Day“ heißt das Werk des chinesischen Animationsfilmers Liu Jian, und beginnt wie ein Coen Brothers-Plot: Indem der arme Bauarbeiter Xiao Zhang seinen Onkel um eine Tasche voller Geld erleichtert, was weder dem Onkel noch dem, für den das Geld bestimmt war, sonderlich schmeckt. Und da die Gestalten im Hintergrund kein einwandfreies Leumundszeugnis vorlegen können, beginnt die Jagd auf Zhang, der mit dem Geld seiner Freundin eine Schönheits-Operation bezahlen möchte. Das alles hätte sehr erbaulich und unterhaltsam werden können. Leider bleibt dieser Satz allerdings im Konjunktiv. Denn „Have a Nice Day“ ist zwar ambitioniert gemacht (so zeichnete Liu Jian im Alleingang drei Jahre lang an seinem Film), dem Resultat sieht man diese Ambition aber nicht mehr an. Der Film ist statisch, langsam, träge und eindimensional, was die Ausgestaltung der Figuren betrifft. Die Machart selbst, in der die Bewegungen von Figuren und Kulisse nur auf das Minimum beschränken (und ja, ich weiß, das wird in Animes generell gerne so gehandhabt), trägt dazu bei, dass sich keine Spannung aufbauen möchte. Auch der humoristische Aspekt des Films ist … nun ja, sehr subtil. Oder ist einfach meilenweit an meiner Art von Humor vorbeigeschossen. So tröpfelt der Film belanglos vor sich hin, und am Ende wundert man sich, wie lang sich 77 Minuten anfühlen können. Die internationale Filmkritik mochte den Film. Der österreichische Filmkürbis nicht.


3,0
von 10 Kürbissen

(Foto: /slash Filmfestival)

The Friendly Beast (2017)

Regie: Gabriela Amaral Almeida
Original-Titel: O Animal Cordial
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller
IMDB-Link: O Animal Cordial


Wenn man sich nach einem ganztägigen Meeting in Berlin um 10 Uhr abends zu Hause von der Couch noch einmal aufrafft, um ins Kino zu fahren in dem Bewusstsein, dass sich dann die Anzahl an Schlafstunden in der Nacht auf vier reduziert, dann muss die Erwartungshaltung eine relativ hohe sein. So ging es mir mit dem brasilianischen Thriller „The Friendly Beast“, meine dritte /slash-Filmfestival-Sichtung. Man möchte nicht glauben, wie viele Leute um 23 Uhr noch im Kinosaal hocken, um sich dieses makabre Schauspiel zu geben, das da auf der Leinwand gezeigt wurde. Leute, habt ihr nichts zu tun? Oder seid ihr alle so wahnsinnig wie ich? Zweiteres wäre echt beunruhigend. Jedenfalls wurde ein gut gefüllter Saal Zeuge davon, wie ein Überfall auf ein kleines Restaurant sehr schnell sehr schief gehen kann. Nämlich dann, wenn der Restaurantbesitzer selbst eine Puffen in der Schublade hat und schon bald Tendenzen zum paranoiden Verschwörungstheoretiker aufweist. Wenn die schüchterne Kellnerin dann auch noch einen Crush auf den selbst ernannten Westernsheriff hat, findet sich die Verbrecherbande schon bald entweder blutend auf dem Boden oder mit überraschender Gesellschaft in der Restaurantküche festgebunden wieder. Was wie eine Reminiszenz an Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ beginnt, wird schon bald zu einem blutigen Psycho-Kammerspiel. Inklusive der vielleicht seltsamsten und makabersten Sexszene der jüngeren Filmgeschichte. Hier ist der Zuseher ständig auf High Alert. Insgesamt sieht man dem Film aber immer wieder an, dass er etwas zu plakativ auf das Schockieren des Publikums abzielt, und das geht zu Lasten der Story. Etwas subtiler wäre der Film wirkungsvoller gewesen. Dennoch bietet er gute Unterhaltung, sofern man beim Anblick von Blut nicht grün im Gesicht wird. Denn in diesem Fall verlässt man spätestens nach 45 Minuten den Saal als Laubfrosch.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: /slash Filmfestival)

The Rider (2017)

Regie: Chloé Zhao
Original-Titel: The Rider
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Western
IMDB-Link: The Rider


Wenn man nur den ersten Satz des Wikipedia-Eintrages zu „The Rider“ liest, in dem der Plot kurz zusammengefasst wird, könnte man meinen, dass es sich hierbei um eine Art „Der Pferdeflüsterer“ für Erwachsene handelt. Einen Rodeo-Reiter schmeißt es dermaßen deppert aus dem Sattel, dass er das Reiten aufgeben muss – woran er logischerweise erst mal zu knabbern hat. Allerdings wären alle Assoziationen mit equinen Selbstfindungstrips a la „Der Pferdeflüsterer“ viel zu kurz gegriffen. Denn „The Rider“ ist vor allem erst einmal ein sehr stilles, fast meditatives Drama, das eine Subkultur einer Subkultur zeigt – Rodeoreiter in einem Indianerreservat, wobei die alten Klischees zwischen Cowboy und Indianer auf eine wundersame Weise verschmelzen oder viel mehr: sich auflösen. Der nächste interessante Aspekt des Films ist, dass Chloé Zhao, die Regisseurin, keinerlei Wert auf die Exploitation des fatalen Sturzes legt. Der Film setzt ein, als die Wunden des Rodeo-Reiters Brady schon langsam zu verheilen beginnen. Der Sturz wird später nur in einem kurzen Youtube-Video gezeigt. Denn darum geht es Zhao in dem Film nicht – sondern vielmehr um die Frage, wie es danach weiter geht und was übrig bleibt von dem, was Brady einst ausgemacht hat. Einen großen Teil der Faszination bezieht der Film auch aus der Tatsache, dass die Laiendarsteller tatsächlich ihr eigenes Leben nachspielen. Denn Brady Blackburn heißt in Wirklichkeit Brady Jandreau, und der Sturz, der in diesem Video gezeigt wird, war echt – das war sein eigener Unfall, der ihm fast das Leben gekostet hätte. Auch seine Familie spielt sich selbst. Am dramatischsten wird diese Authentizität greifbar am Schicksal seines Freundes Lane Scott, der (im Film) nach einem Abwurf dermaßen schwer verletzt wurde, dass er nicht mehr sprechen und sich kaum mehr bewegen kann. Die Szenen, wenn Brady seinen alten Kumpel im Pflegeheim besucht, sind innig, warm und echt. Gleichzeitig – und das ist die große Kunst, die hier gezeigt wird – ist „The Rider“ meilenweit davon entfernt, zu einem sentimentalen Rührstück zu verkommen. Mit außergewöhnlicher Sensibilität wird die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der lernen muss, loszulassen, um sich neu zu finden. Man muss wohl etwas Geduld aufbringen für diese stille Weise des Erzählens, doch wenn man sich darauf einlassen kann, ist „The Rider“ ein großer Wurf.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 38 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Luna Filmverleih)

Körper und Seele (2017)

Regie: Ildikó Enyedi
Original-Titel: Testről és lélekről
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Liebesfilm, Drama
IMDB-Link: Testről és lélekről


Der introvertierte Finanzdirektor eines Schlachthofs träumt jede Nacht davon, ein Hirsch zu sein und mit seiner Gefährtin durch den Wald zu streifen. Das allein würde schon ausreichen, dass sich Sigi Freud die Hände reibt. Richtig interessant wird es allerdings, als zufällig herauskommt, dass die neu angestellte Qualitätskontrolleurin, die ebenfalls sehr introvertierte (und wie sich später zeigen wird: autistische) Mária jede Nacht den gleichen Traum träumt – aus der Hirschkuhperspektive. Und so bröckeln allmählich Schutzmauern, man nähert sich vorsichtig – wie eben zwei Hirsche im Wald – einander an. „Körper und Seele“ von Ildikó Enyedi, der 2017 mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet wurde, ist ein stiller und ungewöhnlicher Liebesfilm. Das Thema ist der Einklang zwischen Körper und Seele bzw. das Fehlen dessen. Beide Protagonisten leben in ihrer eigenen Welt, die keine wirkliche Nähe zulässt. Endre, der versehrte Finanzdirektor, hat schon lange Beziehungen und der Liebe abgeschworen und nähert sich Frauen nur noch auf einer rein körperlichen Ebene an. Mária ist schlicht überfordert mit zwischenmenschlichen Interaktionen und dem Interpretieren von Zeichen und Gesten. Berührungen machen ihr Angst. Es erscheint logisch, dass sich die beiden nur auf der Ebene des Traums annähern können – und der Film reizt dieses Gedankenspiel auf eine sehr poetische Weise aus. Immer wieder blitzt auch eine sehr dunkle Komik durch. Außerdem ist wirklich alles fragil in diesem Film. Jede Bewegung, jedes Wort kann falsch sein und alles zum Einstürzen bringen. So gesehen sind nicht nur die Protagonisten introvertiert, sondern der ganze Film ist es. Wie gesagt, ein poetisches Werk, das getragen wird von wunderschönen Bildern dank der herausragenden Kamera von Máté Herbai und den beiden Hauptdarstellern, denen in punkto Verletzlichkeit alles abverlangt wird. Umso eindrucksvoller, dass Endre vom Laiendarsteller Géza Morcsányi verkörpert wird, der seiner versierten Berufskollegin Alexandra Borbély um nichts nachsteht. Ein sehr schöner, sehr berührender Film.

 

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 25 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


8,0
von 10 Kürbissen

Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr (2017)

Regie: Alexandra Dean
Original-Titel: Bombshell: The Hedy Lamarr Story
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Bombshell: The Hedy Lamarr Story


Dem Dokumentarfilm „Geniale Göttin – Die Geschichte der Hedy Lamarr“ wird ein bekanntes Zitat eben jener Leinwandgöttin der 40er- und 50er-Jahre vorangestellt: „Any girl can be glamorous. All you have to do is stand still and look stupid.“ Mit diesem ironischen Spruch brachte sie damals ihr eigenes Dilemma auf den Punkt. Denn die in Wien geborene Hedwig Kiesler, die als Hedy Lamarr eine Weltkarriere hinlegte, wurde vergöttert, galt als schönste Schauspielerin ihrer Zeit, als Sexsymbol und Glamour-Girl. Oft genug war sie der Aufputz ihrer reichen Ehemänner, von denen sie nicht weniger als sechs an der Zahl hatte im Laufe ihres Lebens, darunter ein Wirtschaftsmagnat, ein Drehbuchautor, ein Waffenproduzent. Doch schon als Kind konnte sie sich für Technik und Wissenschaft begeistern. Und was viele heute nicht wissen: Eben jene Frau, die nur auf ihr Aussehen reduziert wurde, sorgte während des Zweiten Weltkriegs für eine geniale, damals nicht gewürdigte Erfindung, auf der heute sämtliche moderne Kommunikationssysteme wie Wi-Fi, Bluetooth oder GSM-Netze beruhen. Ihr „frequency-hopping“ war dazu gedacht, die Funkverbindung zu funkgesteuerten Torpedos für den Feind, die Nazis, unentschlüsselbar zu machen, die sonst mit einfacher Störung der Funkfrequenz dafür sorgen konnte, dass diese Torpedos ins Leere liefen. Alexandra Deans Porträt zeigt Hedy Lamarr in allen Facetten, ihren Werdegang (erzählt von Zeitgenossen, Freunden und ihren Kindern) und lässt sie auch selbst zu Wort kommen – denn 1997 gab sie einem Reporter des Forbes Magazine ein ausführliches telefonisches Interview. Das zeigt sie als charmante, eloquente und starke Frau mit einem trockenen Sinn für Humor und einem scharfen Verstand. Alexandra Deans Film lässt dieser so lange unterschätzten Frau, die für eine der bahnbrechendsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts verantwortlich zeichnet und dafür bis kurz vor ihrem Tod nicht gewürdigt wurde, Gerechtigkeit widerfahren. Am Ende des Films zitiert sie ein Gedicht von Kent M. Keith, und man weiß, dass das keine leeren Worte sind, sondern dass sie danach gelebt hat: „People are illogical, unreasonable, and self-centered. Love them anyway. If you do good, people will accuse you of selfish ulterior motives. Do good anyway. If you are successful, you will win false friends and true enemies. Succeed anyway. The good you do today will be forgotten tomorrow. Do good anyway. Honesty and frankness make you vulnerable. Be honest and frank anyway. The biggest men and women with the biggest ideas can be shot down by the smallest men and women with the smallest minds. Think big anyway. People favor underdogs but follow only top dogs. Fight for a few underdogs anyway. What you spend years building may be destroyed overnight. Build anyway. People really need help but may attack you if you do help them. Help people anyway. Give the world the best you have and you’ll get kicked in the teeth. Give the world the best you have anyway.

 


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Nico, 1988 (2017)

Regie: Susanna Nicchiarelli
Original-Titel: Nico, 1988
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Biopic, Musikfilm, Drama
IMDB-Link: Nico, 1988


Nico war ein Phänomen. Das erste deutsche Supermodel, Pop-Art-Ikone, Musikerin mit The Velvet Underground – ihr viel zu kurzes Leben hätte wohl mehr Biographien gefüllt als manche mehrere Hundert Jahre zurückgehende Familienchronik. 1988 kam sie bei einem Fahrradunfall auf Ibiza zu Tode. „Nico, 1988“ von Susanna Nicchiarelli steigt genau dort ein: Man sieht die Sängerin (überragend verkörpert von Trine Dyrholm, aber dazu gleich mehr) auf der Finca, sie nimmt das Fahrrad und verabschiedet sich von ihrem Sohn. Cut. Zwei Jahre davor ist Nico mit ihrer internationalen Band auf Europatournee. Diese hat ihr Manager Richard eingefädelt, der ebenfalls mit von der Partie ist und versucht, die exzentrische und schwer drogenabhängige Nico samt ihrer Begleitband bei Laune zu halten, sodass die Auftritte einigermaßen professionell über die Bühne gehen können. Zwar muss man kleinere Brötchen backen als früher (so sind alle in einem VW-Bus zusammengepfercht und mit der Qualität ihrer Tourneemusiker ist Nico nicht so ganz einverstanden), aber der Hauch von Mysterium und Nostalgie umweht die verschlossene Ausnahmekünstlerin Nico. Immer noch fasziniert sie die Menschen, die in ihren Bann geraten. Doch sie hat ein schweres Kreuz zu tragen – ihr Versagen als Mutter bei ihrem Sohn Ari. Und so ist diese Reise durch Europa mehr eine Reise zu sich selbst und der Versuch, inneren Frieden zu finden. „Nico, 1988“ ist ein klassisches Biopic, das aber dank seiner gewaltigen Hauptdarstellerin Trine Dyrholm deutlich über den Durchschnitt hinausragt. Trine Dyrholm spielt Nico nicht, sie wird zu Nico. Das geht so weit, dass sie die Songs selbst singt und man kaum einen Unterschied bemerkt. Auch der Rest des Casts weiß zu überzeugen, kommt aber mit Ausnahme von John Gordon Sinclair, der mit viel Herzenswärme den Manager Richard spielt, nicht wirklich über die Rolle als Stichwortgeber hinaus. Zu sehr ist alles auf Trine Dyrholm und ihre verletzliche und doch so stolze Nico konzentriert. In diesem Fall ist das aber in Ordnung, denn sie macht in ihrer fragilen Darstellung Nico zu einem Menschen, dem wir auf diese Weise tatsächlich näher kommen. Dazu gibt es jede Menge gute Musik und sehr starke Bilder. Vielleicht hätte man den Film noch ein bisschen straffen können, aber sei’s drum. „Nico, 1988“ ist einfach ein richtig guter Film.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Cocote (2017)

Regie: Nelson Carlo de los Santos Arias
Original-Titel: Cocote
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama
IMDB-Link: Cocote


Obacht! Heute bin ich auf Krawall gebürstet. Der Grund dafür liegt in der Sichtung von „Cocote“, dem Spielfilmdebüt des aus der Dominikanischen Republik kommenden Regisseurs Nelson Carlo de los Santos Arias, der zumindest einen lässigen Namen hat. „Cocote“ erzählt die Geschichte von Alberto, der aus der Hauptstadt in die Heimat in der Provinz reist, um dem Begräbnis seines verstorbenen Vaters beizuwohnen. Problem 1: Der gute Herr ist schon unter der Erde, und die Familie hat Alberto unter dem Vorwand des Begräbnisses hergelockt, um mit ihm gemeinsam die neuntägige Trauerveranstaltung durchzuführen mit den dazugehörigen Riten, die er als evangelischer Christ natürlich nicht so leiwand findet. Problem 2: Der alte Herr ist ermordet worden, und nun soll Alberto die Sache in die Hand nehmen und den Mörder meucheln, was auch wiederum nicht so ganz mit seinen christlichen Werten vereinbar ist. So weit, so interessant. Was „Cocote“ aber tatsächlich zeigt, sind 1,5 Stunden lang Gesänge und Gebete. Manchmal dreht sich die Kamera um die Achse, gelegentlich sind Füße zu sehen und einmal wird ein Huhn geschlachtet. Frauen schreien sich hysterisch und grundlos an, und als Action-Part kann man es durchaus schon bezeichnen, wenn mal drei Leute um ein Lagerfeuer sitzen. Dazu kann sich der Regisseur (eben jener mit dem schönen Namen) nicht entscheiden, ob er den Film im Format 4:3 oder doch 16:9 haben möchte, ob er Schwarz-Weiß sein soll oder in Farbe, ob er grobkörnig oder scharf sein soll – also macht er einfach alles. Der Eintopf, der auf diese Weise zusammengemixt wird, bedarf schon eines cineastischen Saumagens, damit er verdaut werden kann. Für ein eineinhalbstündiges Nickerchen eignet sich der Film dennoch.


2,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmgarten)

Foxtrot (2017)

Regie: Samuel Maoz
Original-Titel: Foxtrot
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Anti-Kriegsfilm
IMDB-Link: Foxtrot


Einer Familie wird die traurige Nachricht überbracht, dass deren einziger Sohn, der gerade seinen Militärdienst absolviert, beim Einsatz getötet wurde. Völliger Zusammenbruch von Mutter und Vater. Der Onkel trifft bald ein, um die Familie in ihrer Trauer zu unterstützen. Der Militär-Rabbi kümmert sich um die Formalitäten der Beerdigung. Der Vater, zunächst stoisch in seiner Fassungslosigkeit, kann den Schmerz nur ausdrücken, indem er sich die Hand verbrüht. Doch dann klopfen die Militärs erneut mit gesenkten Häuptern. Es war alles eine riesengroße Verwechslung, ein Irrtum. Ein Anderer ist im Kampf gefallen, dem Sohn geht es wunderbar – er sitzt am Checkpoint im Nirgendwo und ist wohlauf. Jetzt kriegt der Vater einen Auszucker. Das Militär hat dafür zu sorgen, dass nach diesem Schock der Sohn so schnell wie möglich nach Hause kommt. Dieser sitzt in der Zwischenzeit, wie man im zweiten Teil des Films sieht, mit drei Kameraden wirklich am Arsch der Welt in einem im Sumpf versinkenden Container, wo er gelegentliche passierende Autos überprüfen muss und den Schranken für Kamele, die ungerührt auf der Straße spazieren, hebt. Doch eines Abends geht etwas fürchterlich schief bei einer Routineüberprüfung. Und sie bricht herein, die Gewalt, die schon – wie man im dritten Teil erfährt – dem Vater zu schaffen gemacht hat. „Foxtrot“ ist eine sehr intelligente, emotional starke Abhandlung über die Sinnlosigkeit des militärischen Apparates, über die Spirale der Gewalt, über Angst und unterdrückte Schuldgefühle. Exzellent gespielt, im zweiten Teil mit absurd-lakonischem Humor gewürzt, und formal spannend. Vieles wird angedeutet, aber nicht explizit erzählt, und der Film macht den Tanz, von dem er seinen Titel entleiht, zum Thema: Ein Schritt vor, ein Schritt zur Seite, ein Schritt zurück, wieder ein Schritt zur Seite – am Ende landet man beim Foxtrot immer bei der Ausgangssituation. Dieser Film ist wirklich ein Ereignis – das lediglich am Ende mit einem etwas anderen Twist noch eindringlicher hätte sein können.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Zama (2017)

Regie: Lucrecia Martel
Original-Titel: Zama
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Zama


Es ist nicht einfach, über „Zama“ zu schreiben, jenen Film, an dem Lucrecia Martel zehn Jahre lang gearbeitet hat und der schließlich von so ziemlich allen Spanisch sprachigen Filmschaffenden, die es derzeit gibt, mitproduziert wurde – sei es Pedro Almodóvar oder Diego Luna oder Gael García Bernal. Denn „Zama“ steht tatsächlich ein wenig außerhalb der üblichen cineastischen Erfahrungen. Die Titel gebende Hauptfigur Don Diego de Zama ist ein argentinischer Beamter der Spanischen Krone, der rund um das Jahr 1800 in einem Dorf an der Küste Südamerikas versumpft. Zuhause sind Frau und Kinder, die er jahrelang nicht mehr gesehen hat, und so wartet er sehnsüchtig auf seine Versetzung, zumal ihn mit Ausnahme des Anblicks von Doña Luciana, der Ehefrau des Schatzmeisters, nichts mehr hier hält. Doch die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam, vor allem in der tiefsten Provinz Südamerikas. „Zama“ ist ein sehr langsamer, fast zäher Film. Das Leiden von Diego de Zama wird auf den Zuseher übertragen. Die Zeit rinnt langsam wie zähflüssiger Honig vom Kalender. Jahreszeiten gibt es nicht – es ist immer heiß, es ist immer schwül, die Langeweile greift um sich. In gewisser Weise hat mich die Geschichte in der ersten Stunde an J.M. Coetzees Roman „Waiting for the Barbarians“ erinnert – man wartet und wartet und wartet, und nichts passiert. Die zweite Stunde bietet dann etwas mehr Handlung – und rätselhafte Bilder, die einen packen und noch länger beschäftigen. Die Grenzen zwischen Realität und dem Mystischen verschwimmen, das Leben wird zum Traum – einem jener, in dem man vor dem Übel weglaufen möchte, aber feststellt, dass man sich nicht von der Stelle bewegen kann, um im nächsten Moment festzustellen, dass man noch immer träumt. So kann man die Wirkung von „Zama“ wohl am besten beschreiben. Ein besonderer Ohrenschmaus ist zudem das Sounddesign. Selten habe ich einen Film gesehen, bei dem der Sound so maßgeblich die Atmosphäre bestimmt hat. Viele Details der Handlungen sieht man gar nicht, sondern nimmt sie als Hintergrundgeräusche wahr, was dazu beiträgt, dass der Film rätselhaft bleibt. Ich kann ihn dennoch nicht uneingeschränkt empfehlen, denn „Zama“ ist zwar ein unglaublich sinnliches Filmerlebnis, aber eines, für das man Zeit und Geduld braucht – und eines, auf das man sich mit allen Sinnen, aber weniger mit dem Verstand einlassen muss.

 


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmgarten)

Der Brotverdiener (2017)

Regie: Nora Twomey
Original-Titel: The Breadwinner
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Animation, Drama
IMDB-Link: The Breadwinner


Kabul, Afghanistan, zu Beginn des neuen Jahrtausends und kurz vor Nine-Eleven. Das Land ist in den Händen der Taliban, die mit Gesetzeswillkür und religiösem Fanatismus das Leben der Menschen zu einem Minenfeld machen. Eine falsche Aussage, einmal jemanden am falschen Fuß erwischt, und schon sitzt man unschuldig im Gefängnis. So ergeht es dem Vater der jungen Parvana, einem alten Kriegsveteranen, der im Krieg gegen die Sowjetunion ein Bein verloren hat. Übrig bleiben Parvana, ihre ältere Schwester, ihre Mutter und ihr jüngster Bruder, ein Kleinkind. Die Repressalien der Taliban haben dazu geführt, dass Frauen sich nicht allein auf der Straße blicken lassen dürfen und vom Alltag so gut wie ausgeschlossen sind. Was also tun? Der Versuch der Mutter, gemeinsam mit Parvana zum Gefängnis zu gehen um ihren Mann zu sehen, geht fürchterlich schief. Parvana sieht keine andere Möglichkeit, ihre Familie vor dem Verhungern zu retten, und schneidet sich die Haare ab. Als Junge kann sie zumindest zum Markt einkaufen gehen. Dort trifft sie bald auf ihre ehemalige Mitschülerin Shauzia, die ebenfalls als Junge verkleidet ums Überleben kämpft. Gemeinsam schlagen sich die beiden durch, um genug Geld zusammenzubekommen, dass Parvana versuchen kann, die Obrigen im Gefängnis zu bestechen und ihren Vater zu befreien. In diese ohnehin schon sehr eindringliche und aufwühlende Geschichte eingearbeitet ist eine zweite Geschichte, jene vom jungen Helden Sulayman, der das Saatgut zurückbringen möchte, das ein bösartiger Elefantengott aus seinem Dorf gestohlen hat. Mit dieser Geschichte versucht Parvana, ihren verängstigten kleinen Bruder zu trösten – doch es geht hier um viel mehr. Diese fantastische Geschichte ist auch so etwas wie ihr eigenes Mantra – und am Ende, wo sich in dramatischer Weise die Ereignisse überschlagen, finden Realität und Fiktion auf bedrückende Weise zueinander. Der für einen Oscar nominierte Animationsfilm „The Breadwinner“ geht unter die Haut. Allerdings ist der Film trotz allem nicht deprimierend, sondern weiß eine Botschaft der Hoffnung zu vermitteln, auch wenn man als Zuseher die Realität und die Ereignisse nach 2001 kennt. Dennoch zeigt der Film vor allem eines: Das Wichtigste im Leben ist es, sich die Menschlichkeit zu bewahren – und diese findet man überall, auch an den finstersten Orten.


8,0
von 10 Kürbissen