Komödie

Pleasantville – Zu schön, um wahr zu sein (1998)

Regie: Gary Ross
Original-Titel: Pleasantville
Erscheinungsjahr: 1998
Genre: Komödie, Fantasy, Drama
IMDB-Link: Pleasantville


Wenn jemand ein buntes Leben führt, ist das nicht unbedingt immer als Kompliment zu verstehen. Das empfindet auch der Teenager David (Tobey Maguire), der am liebsten die alte Schwarz-Weiß-Familienserie „Pleasantville“ schaut, denn dort ist das Leben geregelt und in Ordnung. Seine Schwester Jennifer (Reese Witherspoon) hat jedoch nichts für diese beschauliche Friede-Freude-Eierkuchen-Welt übrig, und als der Kampf um die Herrschaft über die Fernbedienung zwischen den beiden Teenies seinen Höhepunkt erreicht, werden sie plötzlich in die Serie hineingezogen und verkörpern fortan Bud und Mary, das Geschwisterpaar in Pleasantville. Während sich David/Gus gut in seiner Lieblingsscheinwelt zurechtfindet, hat Jennifer/Mary erst einmal Anpassungsprobleme. Doch dann beschließt sie: Wenn schon gefangen in einer TV-Welt, warum nicht einfach das Beste daraus machen und Spaß haben? Sie rüttelt die Prüderie und heile Welt gehörig auf – mit überraschenden Folgen. „Pleasantville“ ist ein oft unterschätztes, mittlerweile fast in Vergessenheit geratenes Kleinod, das damals immerhin für drei Oscars nominiert war und generell gute Kritiken bekam. Heute wirkt der Film zwar ein klein wenig angestaubt – die Serien, in die Teenager von heute hineingezogen würden, wären nicht so beschaulich wie „Pleasantville“ und man kann froh sein, dass solche magischen Fernbedienungen noch nicht erfunden wurden – aber Idee und Ausführung sind charmant und inspiriert. Vor allem das Spiel mit Schwarz-Weiß und Farbe funktioniert nach wie vor sehr gut und sorgt für einen unverwechselbaren Look. Auch die Besetzung funktioniert. Von Tobey Maguire wünscht man sich zwar (einmal mehr) etwas mehr Esprit, doch die junge Reese Witherspoon bringt die Energie rein, die Maguire fehlt. In weiteren Nebenrollen glänzen Joan Allen, William H. Macy, Jeff Daniels und J. T. Walsh, und es tut dem Film sichtlich gut, dass er sich auch die Zeit nimmt für ihre Geschichten und nicht ausschließlich bei David und Jennifer bleibt. Ein klein wenig aus der Zeit gefallen wirkt „Pleasantville“ zwar, ein bisschen altbacken vielleicht, aber er hat seine Qualitäten und darf gerne wieder öfter gesichtet werden.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Crocodile Dundee – Ein Krokodil zum Küssen (1986)

Regie: Peter Faiman
Original-Titel: Crocodile Dundee
Erscheinungsjahr: 1986
Genre: Komödie, Liebesfilm, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Crocodile Dundee


Wieder einmal ein Ausflug in die Kindheit: Crocodile Dundee, gespielt von Paul Hogan (von dem übrigens auch das Oscar-nominierte Drehbuch stammt), war für den kleinen Filmkürbis einfach der Größte. Durch das australische Outback streifen, Leguane braten, sich mit Krokodilen anlegen und Tiere hypnotisieren: Das wollte ich auch können! Heute, gut dreißig+ Jahre später, stelle ich fest, dass allein die Hypnose ein erreichbares Lebensziel war, auch wenn die Hypnoserichtung umgekehrt verläuft: Statt meinen Kater zu hypnotisieren, hypnotisiert dieser mich, wenn er vor der leeren Futterschüssel sitzt. Aber immerhin besser als nichts. Und auch nach New York habe ich es geschafft. In dieser Hinsicht kann ich also dem wackeren Buschmann die Hand reichen. Ich behaupte auch, dass ich mich dabei souveräner geschlagen habe als „Mick“ Dundee, der von Reporterin Sue Charlton (Linda Kozlowski) von der australischen Wildnis in den Großstadtdschungel mitgenommen wird und dort zur kleinen Sensation wird. Ob er nun einem schlecht gelaunten Wasserbüffel gegenübersteht oder einem Straßenräuber: Der Mann weiß sich zu helfen. Und wenn ein Yuppie auf einer Party gerade Probleme mit der Nase hat und sich ein gesundes Pülverchen in eben diese reinziehen möchte, geht nichts über eine Dampfinhalation. „Crocodile Dundee“ ist ein Film, den man heute so wohl nicht mehr drehen würde – Männer sind Machos, Frauen sind neugierig und müssen gerettet werden, der Verlobte ist ein Schleimbatzen allerbester Güte, und Konflikte regelt man am besten mit einem gezielten Faustschlag. Aber: Das alles ist so charmant und witzig umgesetzt und Paul Hogan so charismatisch in seiner Lebensrolle, dass man dem Film all diese Schwächen gerne verzeiht. Wer nicht schon einmal die „Das ist ein Messer!“-Szene zitiert hat, werfe den ersten Bumerang.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Archive Photos/Getty Images – © 2012 Getty Images, Quelle http://www.imdb.com)

30 über Nacht (2004)

Regie: Gary Winick
Original-Titel: 13 Going on 30
Erscheinungsjahr: 2004
Genre: Komödie, Fantasy, Rom-Com
IMDB-Link: 13 Going on 30


Wohl so ziemlich jeder von uns hatte wohl als Kind oder Teenager mal den Wunsch, älter zu sein, endlich erwachsen, endlich das tun zu können, was man möchte ohne elterliche Einschränkungen, oder auch einfach, um aus Situationen rauszukommen, denen man sich nicht gewachsen fühlte. Im Fall der 13jährigen Jenna reicht eine misslungene Party und eine Überreaktion ihrerseits, um sich im Kleiderschrank sitzend zu wünschen, endlich schon 30 Jahre alt zu sein. Feenstaub macht es möglich, und schon erwacht Jenna 17 Jahre später in ihrem nun erwachsenen Körper. Diese erste Erkenntnis und zunehmende Panik erinnert stark an den wohl größten Klassiker dieses Genres, Big. Der Unterschied in der Situation von Josh und Jenna besteht darin, dass sich Tom Hanks in seiner eigenen Zeit wiederfand, aber eben in einem plötzlich erwachsenen Körper, während Jennifer Garner als Jenna einfach die Zeitspanne bis zu ihren 30jährigen Ich überspringt und sich nun in einem komplett neuen Leben, nämlich ihrem Leben als Erwachsene, zurechtfinden muss. Das birgt allerlei Situationskomik, aber auch, wenn man genauer darüber nachdenkt, sehr viel Tragik. Denn wer wird schon gern 17 Jahre seines Lebens beraubt? Aber vielleicht kann der alte Jugendfreund Matt (Mark Ruffalo) helfen? Doch der ist zunächst hochgradig irritiert, als Jenna an seiner Türschwelle auftaucht, ist die Freundschaft damals doch zu Bruch gegangen. Hoppla! Doch keine Sorge, wir befinden uns im Genre der Rom-Com, und da ist der Film erst zu Ende, wenn alles gut ist. Immerhin ist der Weg dahin dank einer gut aufgelegten Jennifer Garner recht unterhaltsam anzusehen. Es gibt sie natürlich, die Fremdschäm-Momente, doch die werden behutsam in die Geschichte eingebettet und tragen tatsächlich zur Komik bei statt zu nerven. Regisseur Gary Winick macht hier einen ordentlichen Job. Dennoch sollte bzw. darf man sich keine Wunderdinge von diesem Film erwarten, der das Genre nicht neu erfindet, sondern nur routiniert bespielt. Für einen kurzweiligen Filmabend reicht das aber jedenfalls aus.


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2004 Shutterstock, Quelle http://www.imdb.com)

Pitch Perfect (2012)

Regie: Jason Moore
Original-Titel: Pitch Perfect
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Komödie, Musikfilm
IMDB-Link: Pitch Perfect


College ist schon eine sehr seltsame Einrichtung. Wenn man den zahlreichen Hollywood-Filmen, die vom College und der Collegezeit erzählen, Glauben schenken darf, ist diese Institution im Grunde primär ein Ferienlager für hormongesteuerte Teenager, in dem alles erlaubt ist, nur nicht Lernen oder gar der akademische Abschluss. Im Fall von Beca (Anna Kendrick) wird dies auf die Spitze getrieben, denn der wird vom reichen Papa ein College-Jahr finanziert, ohne dass sie dafür irgendwas tun müsste, geschweige denn Kurse besuchen. Nein, dem Papa geht’s um etwas ganz anderes: Spaß soll es haben, das Mädel, Freundinnen soll es finden. Und natürlich hat Beca erst einmal gar keinen Spaß, denn statt auf dem Collegegelände herumzulungern, möchte sie viel lieber in L.A. ihre eigene Musik produzieren. Doch es kommt natürlich immer anders, als man denkt, und schon findet sie sich al Teil einer A-capella-Truppe wieder, der Barton Bellas, angeführt von der ehrgeizigen Aubrey (Anna Camp) und ihrer Freundin Chloe (Brittany Snow). Die haben mit dem landesweiten Gesangswettbewerb und vor allem mit der männlichen Konkurrenz der „Treblemaker“ noch eine Rechnung aus dem Vorjahr offen, doch muss die Gesangstruppe komplett neu formiert werden, was angesichts der vielen starken neuen Charaktere, darunter eben Beca oder „Fat Amy“ (die Durchbruchsrolle von Rebel Wilson), kein einfaches Unterfangen ist. „Pitch Perfect“ von Jason Moore hat vor allem ein Ziel: Der Film möchte gute Laune verbreiten und unterhalten. Und das gelingt ihm hervorragend dank sympathischer Besetzung, wirklich cool choreografierten und gesungenen Liedern und allgemein einer fröhlichen Energie, die sich auf das Publikum überträgt. Wer tiefere Lebensweisheiten sucht, wird hier eher nicht fündig, und die Figuren sind teils schon arg klischeehaft gehalten, und doch braucht es nicht viel, um sich breit grinsend in den Film hineinfallen zu lassen und zumindest mit der Fußspitze, aber gerne auch mit dem ganzen Körper zu den Songs mit zu wippen. Wer sich davon nicht mitreißen lässt, ist wohl so tief im Weltschmerz gefangen, dass selbst Nick Cave wie ein Partyclown wirkt.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2012 – Universal Pictures, Quelle http://www.imdb.com)

The Lost King (2022)

Regie: Stephen Frears
Original-Titel: The Lost King
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Biopic, Drama, Komödie
IMDB-Link: The Lost King


Das Leben schreibt die besten Geschichten. Da gab es mal so einen buckligen König in England, Richard III., der in der entscheidenden Schlacht vom späteren Tudor-König Heinrich dem Vielten (ich komme immer durcheinander mit den gleich heißenden englischen Königen und ihren Nummerierungen) eins auf die Mütze bekam und dessen Leichnam danach angeblich in den Fluss geworfen wurde. Ein ebenfalls nicht unbekannter Schriftsteller mit dem Namen William Shakespeare (glücklicherweise ohne Nummerierung) brachte dann Aufstieg und Fall von König Richard III. in seinem gleichnamigen Stück auf die Bühne, woraufhin die ganze Welt inklusive dem englischen Königshaus dann der Meinung war: Das war ein böser Bursche, ein Usurpator, lange leben die Tudors! Nur eine schottische Hobby-Historikerin mag nicht so recht an die Geschichte des fiesen Herrschers glauben und auch nicht, dass sein Leichnam unauffindbar verloren ging. So steigert sich Philippa Langley (die großartige Sally Hawkins), verfolgt von einer rätselhaften und gar nicht buckligen Erscheinung des verschollenen Königs selbst, in die Mission hinein, die sterblichen Überreste von Richard III. zu finden. Wie gut, dass der Archäologe Richard Buckley (Mark Addy) gerade von seiner Universität Leicester vor die Tür gesetzt wurde und nun Geld verdienen muss. Mit den Moneten, die Philippa auftreibt, kommt man ja eine Weile über die Runden, und wenn die Dame nun Löcher ins leicester’sche Straßennetz graben will, dann sei es halt so. Doch der Rest ist … Geschichte. Stephen Frears konzentriert sich in seiner Verfilmung dieser irren Story, wie Richard III. nach über 500 Jahren dann doch noch ausgebuddelt wurde, weniger auf die Suche selbst, sondern mehr auf Philippa und ihren Kampf gegen die Männerwelt, die sie belächelt, solange sie noch keine Ergebnisse vorzuweisen hat, dann aber ganz schnell ganz vorne steht, wenn die Lorbeeren verteilt werden. Und das ist durchaus ein löblicher Aspekt, der hier beleuchtet wird. Allerdings leidet der Spannungsaufbau der Geschichte darunter, denn mindestens ebenso interessant wäre ein tieferer Einblick in Philippas Recherchen gewesen, die aber mittels ein paar angedeuteter Videocalls mit anderen Historiker:innen und dem Kauf einiger Bücher zu Richards Leben abgetan werden. Und das ist schade. Auch bin ich nicht davon überzeugt, dass Philippas Zwiesprache mit der Erscheinung des Königs einen echten Mehrwert stiften, auch wenn dieser sympathisch von Harry Lloyd dargestellt wird. So schrullig hätte Hawkins als Philippa Langley aber gar nicht sein müssen, das war dann doch ein wenig zu viel des Guten.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Rickerl – Musik is höchstens a Hobby (2023)

Regie: Adrian Goiginger
Original-Titel: Rickerl – Musik is höchstens a Hobby
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie, Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Rickerl – Musik is höchstens a Hobby


Die Wiener und ihr Sinn fürs Morbide. Während der Ambros Woifi den Zentralfriedhof hochleben hat lassen, gräbt Voodoo Jürgens gleich die Toten aus. Dieser Star der jungen neuen Welle des Austropops, dessen Musik noch eine Schicht tiefer unter die Haut geht als die seiner Vorgänger, spielt in Adrian Goigingers neuestem Film den „Rickerl“ Bohacek, einen Beislmusiker und AMS-Stammgast ohne Ambitionen. Klar, er hat einen Manager, der sichtlich an ihm verzweifelt, und vor einiger Zeit stand er schon mal kurz vor der Aufnahme seiner ersten Platte, hat aber im letzten Moment zurückgezogen. Mit seiner Exfreundin Viki (Agnes Hausmann) hat er einen Sohn, Dominik, um den er sich alle zwei Wochenenden rührend kümmert. Aber der Rickerl führt halt ein patschertes Leben. Kaum Geld, immer kurz vor der Delogierung, und die Frau König vom Arbeitsamt verliert auch zunehmend die Nerven. Nur wenn der Rickerl zur Gitarre greift und seine traurig-melancholischen Lieder anstimmt, passiert etwas mit ihm: Da schleicht sich so ein versonnenes Lächeln in sein Gesicht, die Augen geschlossen geht er völlig in seiner Musik auf, und man merkt: Dieser Rickerl sieht mehr als wir anderen. Er schaut genau hin: Auf die Obdachlosen, die Gescheiterten, auf die Alkoholiker im Stammbeisl, auf die Traurigen und die Verlebten. Er klagt nicht an, er erzählt – vom Scheitern und dem Trotzdem-Weitermachen. Und genau darin spiegelt sich auch Goigingers große Stärke in dem Film: Auch Goiginger ist ein Filmemacher, der nicht mit dem Finger auf andere zeigt und urteilt, sondern seinen Figuren einfach die Hand gibt und sie für sich selbst sprechen lässt, wie er es auch in seinem ersten Film Die beste aller Welten gehalten hat. Voodoo Jürgens ist die Idealbesetzung für den Rickerl. Es bleibt offen (und ist von Voodoo Jürgens auch so gewünscht), wie viel Rickerl in Voodoo Jürgens steckt und wie viel Voodoo Jürgens im Privatmenschen David Öllerer, der im Q&A jedenfalls darauf besteht, dass man diese Figuren, diese Identitäten auch voneinander trennt. Doch der Gedanke liegt nah, dass sowohl Rickerl als auch Voodoo Jürgens Facetten zeigen, die der Darsteller in sich trägt, wenngleich auch künstlerisch verfremdet. Ob es nun so ist oder nicht: Dem Film tut es jedenfalls gut, dass die Grenzen manchmal zu verschwimmen scheinen, denn so bleibt die Figur des Rickerl ungemein authentisch und glaubwürdig.


7,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Puan (2023)

Regie: Maria Alché und Benjamín Naishtat
Original-Titel: Puan
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Puan


Marcelo unterrichtet Philosophie an der Puan genannten Fakultät in Argentinien. Sein Mentor und Studienprogrammleiter Eduardo ist gerade gestorben, beim Laufen einfach tot umgefallen. Es ist unklar, wie es weitergeht mit dem Studienprogramm, mit Marcelos Vorlesungen, mit allem. Der introvertierte Professor ist einer, dem die Dinge passieren. Und wenn’s blöd läuft, passiert es ihm, dass er sich auf der Parkbank auf eine vollgekackte Windel setzt und quasi im gleichen Atemzug zu einer Memorial-Feier zu Ehren des Verstorbenen eingeladen wird. Bei der auch sein alter Studienkollege Rafael auftaucht, ein Aufschneider, der soeben aus Deutschland zurückgekehrt ist, weil er, so munkelt man, mit einer argentinischen Schauspielschönheit liiert ist. Eigentlich ist Rafael ja nur auf Besuch da, wie er selbst sagt, doch als der Posten der Nachfolge für den verstorbenen Eduardo ausgeschrieben wird, scheint es sich Rafael doch gemütlich einrichten zu wollen, und eine alte Rivalität bricht von Neuem auf. Marcelo ist gezwungen, selbst aktiv zu werden und sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. „Puan“ von Maria Alché und Benjamín Naishtat erzählt von einem Menschen, der nicht weiß, wofür er steht und was seine Ambition ist. Das Regieduo lässt ihn dabei in allerlei obskure und komische Situationen fallen. Marcello Subiotto verleiht dem antriebslosen Verlierertypen eine Präsenz, die Mitgefühl für diese so oft gescheiterte Person weckt. Doch Alché und Naishtat begnügen sich nicht damit, eine Charakterstudie zu entwickeln und diesen Charakter im Laufe der Geschichte wachsen zu lassen, sondern sie bringen auch noch eine politische Ebene unter. Das ist gleichzeitig eine Stärke des Films wie auch seine größte Schwäche. Denn einerseits bringt diese politische Ebene, eine Abrechnung mit einem System, das Bildung austrocknen lässt, eine für europäische Seher spannende zusätzliche Dimension ein, andererseits wird der Fokus dadurch unscharf. So recht scheint der Film nicht zu wissen, in welche Richtung er sich bewegen möchte. Das Ende immerhin bringt die beiden Ebenen dann doch noch zusammen, und der Film findet einen runden Abschluss.


6,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

The Holdovers (2023)

Regie: Alexander Payne
Original-Titel: The Holdovers
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie, Drama, Weihnachtsfilm
IMDB-Link: The Holdovers


Eine Elite-High School für die Kinder von Reich & Schön im Jahr 1970. Ein grantiger, zynischer Geschichtsprofessor, der zum Aufsichtsdienst während der Weihnachtsferien verdonnert wird. Vier arme zurückgelassene Seelen plus die Köchin der Schule, die ihren Sohn vor kurzem in Vietnam verloren hat. Das ist die Mixtur für Alexander Paynes vielleicht bestem Film überhaupt. In „The Holdovers“ erzählt er von Menschen, die sich alleingelassen fühlen, deren Vergangenheit als großer Schatten über ihnen hängt, und die aber nach und nach erkennen, dass sie sich davon nicht definieren müssen. Vor allem, als ein Teil der Jugendlichen dann doch zum Skifahren abgeholt wird, und Lehrer Paul Hunham mit der Köchin Mary Lamb und dem Schüler Angus Tully zurückgelassen wird, entwickelt der Film, der sich im Grunde in drei Teile unterteilen lässt und damit trotz seiner Laufzeit von über 2 Stunden ungemein kurzweilig wirkt, eine herzerwärmende Dynamik, und die eigentliche Reise zur Erkenntnis beginnt. Die Besetzung spielt diese verlorenen Figuren überragend: Paul Giamatti wurde geboren, um diesen zynischen Grantler zu spielen, Da’Vine Joy Randolph verleiht ihrer fast gebrochenen Figur Grazie und Würde, und Newcomer Dominic Sessa lässt hinter der aufsässigen Fassade immer wieder die tiefen Verwundungen seiner Figur durchblitzen. Ich prognostiziere, dass man zumindest Giamatti und Randolph in der kommenden Award-Season wieder öfter zu Gesicht bekommen wird. Oscarverdächtig spielen beide jedenfalls. Und dank Giamattis Figur habe ich nun eine ganze Reihe kreativer Beleidigungen im Repertoire, die darauf warten, in der Praxis zur Anwendung zu kommen. „The Holdovers“ ist ein fast perfekter Film: Er ist technisch hervorragend gemacht mit Bild und Ton, die direkt den 70ern entstammen könnten, er ist saukomisch, sodass ich vor Lachen geweint habe, dabei aber auch unglaublich tragisch, wenn sich die Hintergrundgeschichten dieser Misfits nach und nach entfalten, er ist unterhaltsam, bietet am Ende eine versöhnliche Botschaft und eine tiefere Erkenntnis, und als Weihnachtsfilm geht er auch noch durch. Danke, Mr. Payne, für diesen Film!


9,0 Kürbisse

(Foto: Seacia Pavao (c) 2023 Focus Features LLC. All Rights Reserved)

Daaaaaali! (2023)

Regie: Quentin Dupieux
Original-Titel: Daaaaaali!
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie
IMDB-Link: Daaaaaali!


Die letzten Jahre habe ich bei aller Liebe zur Viennale auch immer wieder kritisiert, dass der Spaß unter der kompetenten Leitung von Eva Sangiorgi zu kurz kommt, dass die anarchischen kleinen Filme, die die schwere Kost auflockern, fehlen. Doch blickt man auf das diesjährige Programm, gibt es absolut nichts zu meckern. Man muss sich nur solche Kleinode wie „Daaaaaali!“ von Quentin Dupieux heraussuchen, und schon sitzt man 80 Minuten lang kichernd im Kinosaal. Salvador Dalí muss man, denke ich, nicht groß vorstellen. Jedes Jahr wird man mindestens im Frühjahr und im Herbst, wenn man die Uhr umstellt, seiner erinnert. Und so erspart sich Dupieux auch die Mühe, ein ausgereiftes Biopic zu drehen, das dieser exzentrischen Künstler- und Kunstfigur ohnehin kaum gerecht werden kann, sondern folgt lieber den Spuren des Surrealisten, indem er Künstler und Werk ineinander verschmelzen lässt. „Daaaaaali!“ ist selbst ein surreales, liebevoll chaotisches Werk, indem eine zunehmend verzweifelter werdende Journalistin (Anaïs Demoustier) versucht, ein Interview mit dem gefeierten Künstler zu bekommen. Doch dieser entzieht sich immer wieder auf höchst amüsante und überaus exzentrische Weise diesem Vorhaben. Das ist dann eigentlich auch schon der ganze Plot des Films, doch das reicht aus, denn Dupieux ist, wie schon gesagt, gar nicht an der Person von Dali und auch nicht an jener der Journalistin interessiert, sondern nutzt das Setting vielmehr für einen lang angelegten Sketch, der immer absurder und grotesker wird bis zum dann in diesem ganzen Wahnsinn wieder konsequenten Ende. Oder war es doch nicht das Ende? „Daaaaaali!“ ist sicherlich kein großer Film, er vermittelt keine tiefgreifende Botschaft, über die man dann spätabends leicht illuminiert im Freundeskreis diskutieren kann, aber er ist ein höchst unterhaltsamer Schabernack, den sich sich Dupieux macht. Allein schon die Entscheidung, die Rolle des Dali mit insgesamt fünf verschiedenen Schauspielern zu besetzen (Gilles Lellouche, Édouard Baer, Jonathan Cohen, Pio Marmaï und Didier Flamand), steckt das Feld gleich zu Beginn gut ab und zeigt, wohin die Reise geht: in einen komischen Irrsinn, an dem Dalí selbst wohl seine Freude gehabt hätte.


6,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Riddle of Fire (2023)

Regie: Weston Razooli
Original-Titel: Riddle of Fire
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Abenteuerfilm, Komödie
IMDB-Link: Riddle of Fire


Warum ich so gerne auf Filmfestivals gehe? Weil man dort die Gelegenheit hat, Perlen zu sichten, die einem sonst mit Sicherheit entgangen wären. „Riddle of Fire“, das Langfilmdebüt von Weston Razooli, ist eine solche Perle. Gedreht auf grobkörnigem 16mm-Film taucht Razooli in die Mythologie der Kindheit ein. Drei Kinder, das Brüderpaar Hazel und Jodie und deren beste Freundin Alice, kommen in einem unglaublich komischen Heist, der gleich zu Beginn die Tonalität des Films festlegt, an die neueste und heißbegehrte Spielkonsole. Doch die Freude währt nur kurz, hat doch Hazels und Jodies Mutter, die krank im Bett liegt, den Fernseher mit einem Passwort versehen. Sie rückt dieser nur gegen Bezahlung heraus: Die drei Kinder sollen ihr einen Blaubeerkuchen aus der Dorfbäckerei holen. Was nach einem 10-minütigen Kurzfilm klingt, entwickelt sich jedoch zu einer witzigen und abenteuerlichen Odyssee, denn der Blaubeerkuchen ist aus, die erkrankte Bäckerin gibt das Rezept für ihren legendären Kuchen nur widerwillig heraus, und am Ende scheint alles an einem gepunkteten Ei zu scheitern. Für dieses Ei gehen die drei Freunde weit über ihre Grenzen hinaus und tauchen tief ein in den Wald und die Welt der Märchen. Was Razoolis Debüt so unfassbar gut macht, ist die Tatsache, dass er diese märchenhafte Welt mit beiden Händen umarmt und die Geschichte trotzdem in der Realität verankert. Aber genauso war die Welt ja, als wir selbst noch Kinder waren. Der Wald steckte voller Abenteuer, Begegnungen mit Hexen nicht ausgeschlossen, doch am Ende kamen wir alle siegreich wieder nach Hause, wo ein dampfender Kuchen auf dem Tisch stand und die Mutter unsere Schrammen versorgte. „Riddle of Fire“ fühlt sich an wie eine Plüschdecke und eine heiße Tasse Tee nach einem anstrengenden Tag. Wenn mal jemand nach einem Referenzwerk für die Kategorie „Feelgood-Movie“ sucht: Hier ist es! Bislang der Überraschungshit des Jahres für mich.


9,0 Kürbisse

(Bildzitat: © ANAXIA, Quelle http://www.imdb.com)