Komödie

Oh la la – Wer ahnt denn sowas? (2024)

Regie: Julien Hervé
Original-Titel: Cocorico
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Komödie
IMDB-Link: Cocorico


Wer hier regelmäßig mitliest, kennt vielleicht schon meine Meinung zu französischen Komödien, die nicht unbedingt zu Gunsten dieses Filmgenres ausfällt. (Ausnahmen wie Liebesbriefe aus Nizza oder Ziemlich beste Freunde bestätigen die Regel.) Um es diplomatisch auszudrücken: Sie sprechen nur in den seltensten Fällen meinen Sinn für Humor an. Und doch gibt es viele da draußen, die diese Filme lieben – und das sei ihnen auch unbenommen. Dennoch kann ich nicht umhin, eine allgemeine Warnung vor dem Film „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ von Julien Hervé auszusprechen, ganz unabhängig davon, ob man für den Humor in französischen Komödien empfänglich ist oder nicht. Denn dieser Film ist – wirklich, ganz ehrlich, ohne Übertreibung, mit vollem Bedacht der gewählten Worte – eine lahme Ente. Das junge Paar Alice und Francois schenkt seinen Eltern beim ersten Aufeinandertreffen das Ergebnis eines Gen-Tests, der die genetische Herkunft bestimmt (einer dieser Heritage-DNA-Tests, die gerade so in Mode sind.) Das Ergebnis passt selbstverständlich niemandem, und die Spannungen, die sich vor allem zwischen den beiden Vätern Gérard (Didier Bourdon), einem aufrechten französischen Autohändler, und Frédéric (Christian Clavier), einem versnobten Weingutsbesitzer mit Adelsstamm, von Beginn an ergeben, werden dadurch auf die Spitze getrieben. Fast kammerspielartig (der Großteil des Films spielt im Salon des fürstlichen Chateaus von Alices Eltern) prallen unterschiedliche Herkünfte, Lebenseinstellungen und Vorurteile aufeinander. Eine Situation wie in Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels, nur leider ohne Kraft, ohne Witz und ohne demaskierender Bösartigkeit. Vielmehr suhlt sich der Film in Ressentiments und rassistischen Entgleisungen. Und zeigt gleichzeitig eine der größten Sünden französischer Komödien auf, die diese für mich zum Teil eben so schwer verdaulich zu machen: Man will augenzwinkernd politisch inkorrekt sein, tut dies aber in einer verstörend verharmlosenden Weise, die eben jene politische Inkorrektheit de facto festzementiert. Unter progressivem Gehabe liegt eine tief verwurzelte konservativ-bürgerliche Einstellung, die an einer ehrlichen Debatte nicht interessiert ist, sondern das Progressive lieber für einen billigen (und oft nicht funktionierenden) Witz nutzt. Um es mit einem direkten Filmzitat zu sagen: „Fuck you very much.“ Es ist zu befürchten, dass es eine Fortsetzung geben wird.


2,0 Kürbisse

(Bildzitat: © Weltkino, Quelle: http://www.imdb.com)

Anora (2024)

Regie: Sean Baker
Original-Titel: Anora
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: Anora


Dass ich den Cannes-Gewinner „Anora“ krankheitsbedingt auf der Viennale verpasst habe, war schon Pech, bin ich doch großer Fan von Sean Bakers bisherigen Arbeiten. Ich hatte schon das Gefühl, dass mir da ein Film des Jahres durch die Lappen ging. Aber glücklicherweise mahlen die Mühlen in Österreich bekanntermaßen langsam, und so kann man sich auch zwei Monate nach Ende der Viennale und ein halbes Jahr nach dem Cannes-Sieg in einen gut gefüllten Kinosaal setzen, um den bisherigen Höhepunkt des Baker’schen Schaffens zu sichten. „Anora“ beginnt als klassische Cinderella-Geschichte: Die Erotiktänzerin Anora, die nur Ani genannt werden möchte, lernt im Club den russischen Milliardärsohn Wanja kennen. Es wird Party gemacht, getanzt, gevögelt, und es kommt, was kommen muss: Der infantile, aber humorvolle und gutherzige Wanja verfällt der lebenslustigen Ani, was in einem spontanen Hochzeitsantrag in Las Vegas mündet, und wenn man schon mal da ist, können diesem Antrag auch gleich Taten folgen. Das Problem ist allerdings: Wanjas Eltern in Russland sind nicht unbedingt glücklich darüber, dass die Ehe ihres Sohns mit einer Sexarbeiterin in Russlands Klatschmagazinen auftaucht und schicken daher ihre Schergen, um die Sache geradezubiegen. Was als erotisch aufgeladene Liebesgeschichte beginnt, wechselt bald zu einem Krimi mit Screwball-Elementen, aber Baker wäre nicht Baker, wenn er es bei der leichten Unterhaltung belassen würde. Baker ist ein Humanist mit einem großen Herzen für die Figuren am Rand der Gesellschaft, denen nicht alles in den Schoß fällt. Gleichzeitig hat er aber auch einen ehrlichen, ungeschönten Blick auf die Verhältnisse und führt daher seine Geschichten zu einem konsequenten Ende. „Anora“ vereint alle Vorzüge seines bisherigen Schaffens und fügt diesen noch einmal neue Facetten hinzu. Lustiger und tragischer war noch keiner seiner Filme. Und auch wenn Baker bislang ein fantastisches Händchen für Casting gezeigt hat, ist die Besetzung von Mikey Madison als Titelheldin ebenfalls sein bisheriges Glanzstück. Madison spielt ihre Figur mit einer Hingabe und Energie, die lange im Gedächtnis bleibt. Doch auch Juri Borissow in der denkwürdigsten vieler denkwürdigen Nebenrollen verleiht seinem Handlanger Igor eine Tiefe und menschliche Größe, die man in vielen Filmen vergeblich sucht. Das ist überragend geschrieben und kongenial gespielt. Kein Wunder, dass sowohl Madison als auch Borissow für ihre Leistungen für einen Golden Globe nominiert wurden, eben Sean Baker für Film, Regie und Drehbuch selbst. „Anora“ ist ein ganz großer Wurf, der alle Facetten der cineastischen Emotionen abdeckt, extrem gut unterhält und dabei auch noch lange nachwirkt. Er wäre wohl mein Film des Jahres 2024 geworden. So wird er halt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mein Film des Jahres 2025.


9,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Neon – © Neo, Quelle: http://www.imdb.com)

Die Addams Family (1991)

Regie: Barry Sonnenfeld
Original-Titel: The Addams Family
Erscheinungsjahr: 1991
Genre: Komödie
IMDB-Link: The Addams Family


Anjelica Huston ist eine überaus respektable und Oscar-prämierte Schauspielerin mit einer langen und erfolgreichen Karriere. Doch wird sie immer, wenn man an sie denkt, Morticia Addams bleiben. Christina Ricci ist eine vielseitige und äußerst talentierte Schauspielerin, die laut IMDB mittlerweile in 95 Produktionen als Darstellerin mitgewirkt hat. Doch wird sie immer, wenn man an sie denkt, Wednesday Addams bleiben. Raúl Juliá, 1994 viel zu früh verstorben, hat Preise wie den Primetime Emmy Award oder den Screen Actors Guild Award gewonnen. Doch wird er immer, wenn man an ihn denkt, Gomez Addams bleiben. Jimmy Workman, heute hinter der Kamera tätig und nicht mehr davor, wird immer, wenn man an ihn denkt, Pugsley Addams bleiben. Und Christopher Lloyd wird immer, wenn man an ihn denkt, Doc Brown bleiben, doch das ist eine andere Geschichte. Sein Fester Addams ist deshalb nicht weniger ikonisch und großartig. Mit der Addams Family hat Charles Addams eine wunderbar makabre und schwarzhumorige Kult-Cartoon-Reihe geschaffen, die von Barry Sonnenfeld in oben genannter Besetzung kongenial verfilmt wurde. Bis heute wird sich Tim Burton vermutlich jedes Mal, wenn er irgendwo darauf stößt, in den Hintern beißen, dass er den Stoff nicht in die Finger bekommen hat. Denn „Die Addams Family“ ist der Tim Burton-Film, der nicht von Tim Burton stammt. Hier werden genussvoll Leid und Vergänglichkeit zelebriert, der Tod wird umarmt und damit das Leben gefeiert. „Liebe, Tod und Teufel“ sang schon die EAV, und das könnte auch als Motto über den Filmplakaten zu diesem Kultfilm stehen. Wer dieses verrückte nächtliche Treiben nicht kennt und keine Angst vor Särgen, Spinnen und rasiermesserscharfen, rotlackierten Fingernägeln hat, sollte dies schnell nachholen!


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Die Werwölfe von Düsterwald (2024)

Regie: Francois Uzan
Original-Titel: Loups-Garous
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Abenteuerfilm, Fantasy, Komödie
IMDB-Link: Loups-Garous


Das Rollenspiel „Die Werwölfe von Düsterwald“ sind ein weltweites Phänomen, und auch der Kürbis eures Vertrauens hat sich in trauter Runde schon die eine oder andere Nacht um die Ohren geschlagen, um im Freundeskreis die mordlustigen Wölfe unter den unschuldigen Dorfbewohnern ausfindig zu machen. Das Spiel ist sehr schnell erklärt für alle, die es nicht kennen: Jeder Spieler erhält zu Spielbeginn eine geheime Rolle. Darunter befinden sich Werwölfe, die in der Nacht im Pack jeweils ein unschuldiges Opfer reißen. Untertags diskutieren dann die Dorfbewohner (darunter auch die unerkannten Wölfe), wer von ihnen etwaige hündische Vibes ausstößt und aus dem Dorf verbannt werden soll. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis diese simple, aber im richtigen Kontext so spannende Geschichte auch mal verfilmt werden würde. Regisseur Francois Uzan und die Drehbuchautoren haben es sich in der französischen Verfilmung zu diesem Spiel allerdings besonders einfach gemacht. Die moderne Familie, die zu einer Partie Werwolf zusammenkommt (darunter Jean Reno – er wird alt und braucht das Geld), wird durch ein magisches Spiel, Jumanji lässt grüßen, in eben dieses hineingesaugt und findet sich im Mittelalter wieder. Das Gute ist: Sie sind mit magischen Kräften ausgestattet. Schlecht hingegen ist, dass sie lange Zeit keinen Plan haben, worum es hier geht, und vor allem keine Idee, wie sie wieder nach Hause in ihre Zeit reisen können. Und dazu schleichen in der Nacht auch noch Wölfe umher. Doch schon bald rauft sich die Sippe zusammen und begegnet dem hungrigen Rudel mit geballter Familienpower. So weit, so vorhersehbar. „Die Werwölfe von Düsterwald“ ist recht lieblose heruntergespulte Netflix-Standardware, die sich zur Gänze darauf verlässt, die Fans des Spiels abzuholen, ohne sich groß dafür anstrengen zu müssen. Nur wenige Gags sitzen, und die Story plätschert vor sich hin, bis sie zum überraschungsfreien Ende kommt. Immerhin die Darsteller:innen sind zum größten Teil bemüht (unrühmliche Ausnahme: Jean Reno, dem man in jeder Szene ansieht, dass er nur da ist, um den Gehaltsscheck einzustreifen), machen das Kraut aber auch nicht fett. Wer etwas Gehaltvolleres zum Thema Werwölfe erfahren möchte, dem sei Christian Morgenstern mit seinem Gedicht „Der Werwolf“ ans Herz gelegt:

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

»Der Werwolf«, – sprach der gute Mann,
»des Weswolfs« – Genitiv sodann,
»dem Wemwolf« – Dativ, wie man’s nennt,
»den Wenwolf« – damit hat’s ein End‘.

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar,
doch „Wer“ gäb’s nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –
er hatte ja doch Weib und Kind!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.


3,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Between the Temples (2024)

Regie: Nathan Silver
Original-Titel: Between the Temples
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: Between the Temples


Seit Woody Allen weiß man als Filmliebhaber: Die Hauptstadt des Judentums ist New York, und dort konkret Brooklyn. Da können Tel Aviv und Jerusalem einpacken. Und so lernen wir in Nathan Silvers „Between the Temples“ den von Jason Schwartzman gespielten Ben Gottlieb, Kantor seiner Synagoge und in einer veritablen Lebenskrise. Seine Frau ist verstorben, er hat die Fähigkeit, vor Publikum zu singen verloren, und als Ü-40er lebt er nun wieder bei seiner Mutter und deren Lebensgefährtin. Durch Zufall begegnet er eines Abends nach einer betrunkenen Schlägerei in einer Bar seiner alten Musiklehrerin Carla Kessler (Carol Kane). Die hat ein recht ungewöhnliches Ansinnen: Nachdem sie herausfindet, dass Ben Jugendliche auf ihre Bar-Mizwa vorbereitet, kommt sie zu ihm, um ihre eigene Bar-Mizwa, die sie nie hatte, nachzuholen. Dieses Ansinnen stößt nicht überall auf Gegenliebe, aber wo ein Wille, da ein Weg. „Between the Temples“ erinnert zeitweise sehr an den wunderbaren Film Harold und Maude von Hal Ashby, findet aber eigene Wege und Themen, um nicht in den Verdacht einer Kopie zu geraten. Im Mittelpunkt steht zwar auch die Beziehung zweier Menschen, die entgegen gängiger Konventionen zueinander finden, doch unterscheiden sich die Figuren und ihre Ambitionen sowie Erzähltempo und Humor recht deutlich. Im Gegensatz zu „Harold und Maude“ ist „Between the Temples“ der zärtlichere, feinfühligere Film, da Nathan Silver noch mehr am Innenleben seiner Figuren interessiert ist als Hal Ashby in „Harold und Maude“. Jason Schwartzman und Carol Kane in den Hauptrollen verleihen ihren Figuren eine sanfte Melancholie, die sich in jeder Geste ausdrückt und die Charaktere besser beschreibt, als es Worte könnten. Der bessere Film ist „Between the Temples“ deshalb aber nicht, er ist nur etwas anders. Allerdings erinnert auch dieser Film uns daran, dass das Leben eben manchmal unerwartete Wendungen nimmt, und wenn etwas Gutes passiert, dann sollte man dies auch einfach annehmen, ohne es lange zu hinterfragen.


7,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Matt und Mara (2024)

Regie: Kazik Radwanski
Original-Titel: Matt and Mara
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Komödie, Drama
IMDB-Link: Matt and Mara


Man kann die Truppe rund um Kazik Radwanski ein künstlerisches Konglomerat nennen oder etwas despektierlicher eine Festival-Gang. Jedenfalls waren sowohl sein Hauptdarsteller Matt Johnson (zB mit Operation Avalanche) als auch seine Hauptdarstellerin Deragh Campbell (mit MS Slavic 7) mit eigenen Filmen auf der Viennale vertreten. All diese Filme sind sehr unterschiedlich in ihrer Tonalität und mit ihren Themen, und doch verbindet diese drei kanadischen Künstler:innen ein gemeinsames Verständnis für zurückgenommenes Storytelling und ein respektvoller Blick auf die Arbeitsweisen der jeweils anderen. In „Matt und Mara“ treffen sich nun zwei Freunde nach langer Zeit wieder. Es ist nicht klar, seit wann und aus welchen Gründen die beiden befreundet sind, aber sie haben eine enge Bindung und sehr viel Chemie miteinander. Beim gemeinsamen Spazieren durch Toronto wird über das Leben und das Schreiben gesprochen (Matt ist mittlerweile ein angesehener Autor, Mara Dozentin für kreatives Schreiben), oder es wird einfach nur herumgeblödet. So ganz greifbar wird die Beziehung der beiden nicht, und es sieht so aus, als wüssten sie selbst gar nicht genau, was sie sind außer eben „Matt und Mara“. Vielsagend ist, dass beispielsweise Maras Ehemann von Matts Existenz gar nichts weiß. Überhaupt lebt der Film sehr stark von Lücken und Auslassungen. Alles bleibt vage, und damit ist am Ende auch alles möglich. Thematisch erinnert Kazik Radwanskis Film stark an Celine Songs Oscar-nominierten Past Lives aus dem vergangenen Jahr, allerdings hat Song den formal strengeren und konzentrierteren Film geliefert. Das spricht nicht unbedingt gegen „Matt und Mara“, denn dessen Stärke liegt in seiner Unbeschwertheit, die vor allem von Matt Johnson erzeugt wird, wohingegen sich die Perspektive des Films auf Deragh Campbells Mara und deren Gefühlschaos richtet. Daraus ergibt sich ein interessanter Kontrast, der dem Film gut tut. „Matt und Mara“ ist vielleicht kein großer Wurf, aber sehenswert und in seinem Thema durchaus nachvollziehbar, denn selten sind Gefühlswelten und Beziehungen so eindeutig definiert, wie uns Hollywood das oft vorzeigen möchte.


6,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Suspended Time (2024)

Regie: Olivier Assayas
Original-Titel: Hors du temps
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: Hors du temps


Der Ausbruch der COVID-Pandemie war eine Zäsur der jüngeren Menschheitsgeschichte. Doch gefühlt war niemand davon so sehr betroffen wie der Filmemacher Paul Berger (Vincent Macaigne), der mit seiner Freundin sowie seinem Bruder und dessen Freundin (Nine d’Urso, Micha Lescot und Nora Hamzawi) während des Lockdowns im Elternhaus am Land festsitzt und einige interessante neue Neurosen entwickelt – Woody Allen lässt grüßen. Wenn er beispielsweise vom Einkaufen nach Hause kommt (was er ohnehin durch exzessive online-Bestellungen zu vermeiden versucht), zieht er sich bis auf die Unterhose aus und lädt die kontaminierte Wäsche sofort in die Waschmaschine, bevor er sich manisch die Hände wäscht, wie es einem Youtube-Video vorexerziert wird. Sein Bruder Etienne, ein Musikjournalist, nimmt die Corona-Regelungen etwas locker, was zu leicht entzündlichen brüderlichen Konflikten führt. Die meiste Zeit aber verbringt man beim gemeinsamen Abendessen mit einer guten Flasche Wein, auf dem Tennisplatz des nachbarschaftlichen Anwesens, auf dem man früher als Kind schon gespielt hat, und vor allem mit Name-Dropping obskurer Persönlichkeiten aus der Welt von Kunst und Philosophie, die selbst unter gelehrtem Viennale-Publikum für Stirnrunzeln sorgt. Beim einzig verständlichen diesbezüglichen Gag klopft man sich innerlich auf die Schulter, dass man immerhin den Namen Modigliani kennt – sonst wäre dieser Gag nämlich ebenfalls im Schlamm der Unkenntnis der Ungebildeten versunken. „Hors du temps“ von Olivier Assayas, den ich für gewöhnlich sehr schätze, hat zwei grundlegende Probleme, über die man nicht hinwegsehen kann: Erstens: Auch wenn es im Film karikiert werden soll, ist das seelische Leid des sensiblen Paul durch den Lockdown, den er in bester Gesellschaft in einem riesigen parkähnlichen Garten verbringt, einfach nur lächerlich. Zweitens: Selbstreferenzielle Diskurse über das Filmemachen, die Philosophie und die Philosophie des Filmemachens sind halt leider, wenn sie derart penetrant ausgebreitet werden, nur eine ziemliche Hirnwichserei. Zugute halten muss man Assayas, dass er das immerhin mit viel Verve inszeniert, französisch eben. Aber wenn in der Nachbetrachtung der weltumspannenden Pandemie, die unsere Gesellschaft einmal auf den Kopf und wieder zurück gedreht hat, ein solches nichtssagendes Etwas von einem Film herauskommt, so ist das enttäuschend.


4,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

On Becoming a Guinea Fowl (2024)

Regie: Rungano Nyoni
Original-Titel: On Becoming a Guinea Fowl
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: On Becoming A Guinea Fowl


Perlhühner, auf Englisch Guinea Fowls, sind äußerst nützliche Tiere in der Steppe. Wenn sie Raubtiere anmarschieren sehen, geben sie mit lautem Gekreische dem Rest der Tierwelt Bescheid, dass diese doch lieber das Weite suchen soll. Genau eine solche Warnung hätte auch Shula (Susan Chardy) gut gebrauchen können, als sie seltsam gewandet von einer Party nach Hause fahrend in den frühen Morgenstunden ihren Onkel tot auf der Straße liegen sieht. Denn nun gebietet es die Tradition, dass die gesamte Verwandtschaft in Truppenstärke in ihr Haus einfällt, um den Toten angemessen zu betrauern. Die alten Herren halten ein Schwätzchen im Garten und bestellen bei Shula Essen, als wären sie in einem Restaurant, doch das Sagen haben eh die Matriarchen, die sich ausgiebig darüber entsetzen können, dass Shula beispielsweise ein Bad genommen hat – so etwas gehört sich schließlich nicht, wenn man trauert. Und überhaupt: Wo sind die dicken Tränen, wo das herzzerreißende Geschrei? Shula hält nicht viel von diesem Unsinn, war sie Onkel Fred ohnehin nie so richtig zugetan. Warum das so ist, entfaltet sich erst langsam in Rungano Nyonis Tragikomödie, die einerseits das falsche Getue auf Beerdigungen aufs Korn nimmt (und auch wenn manche Riten ungewöhnlich erscheinen, so kommt einem Vieles dennoch von eigenen Familienzusammenkünften ähnlicher Art recht vertraut vor), und andererseits aber eine Geschichte von Verdrängung und tief liegenden Verwundungen erzählt. Man muss sich aber ein wenig hineinarbeiten in dieses Setting und die zurückhaltende und indirekte Erzählweise. Der Film macht es einem trotz gelegentlich absurd-komischer Situationen nicht einfach, entfaltet dafür gegen Ende hin eine Wucht und Sogkraft, der man sich kaum entziehen kann. Wenn am Ende die Familien über die Besitztümer des Verstorbenen streiten, wobei eine Seite die andere aufgrund von höherer sozialer Stellung und Reichtum die andere runterputzen und erniedrigen kann, fallen Fassaden zusammen und das Niedrigste im Menschen tritt hervor. Wenn dann der Schrei des Perlhuhns ertönt, hat das eine fast kathartische Wirkung.


7,0 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Gib’s zu, Fletch (2022)

Regie: Greg Mottola
Original-Titel: Confess, Fletch
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Krimi, Komödie
IMDB-Link: Confess, Fletch


I. M. Fletcher, genannt „Fletch“, kommt von einem Italien-Trip nach Boston und findet dort in der von ihm angemieteten Wohnung eine Leiche vor. Für gewöhnlich verursacht eine solche Situation erst einmal Schnappatmung und Anflüge von Panik, doch Fletch, der als investigativer Journalist schon so einiges gesehen hat im Leben, bleibt erst einmal tiefenentspannt, auch wenn der ermittelnde Polizist kein Hehl daraus macht, dass er ihn für den Hauptverdächtigen hält. Doch Fletch ist sich recht schnell sicher: Dass da eine Leiche vor ihm abgelegt wurde, kann kein Zufall sein sondern muss irgendwie zusammenhängen mit dem Fall, in dem er für seine italienische Freundin Angela ermittelt: Diese ist die Tochter eines reichen Kunstsammlers, der vor kurzem entführt wurde. Als Lösegeld wird die Herausgabe einiger wertvoller Gemälde genannt, doch das Dumme ist: Die sind vor kurzem gestohlen worden. Also hat Fletch alle Hände voll zu tun, diese sich überlagernden Mysterien zu lösen. Und er tut dies mit einer stoischen Ruhe und einer Portion Sarkasmus, die sich Hauptdarsteller Jon Hamm von Robert Downey Jr. in dessen Paraderollen abgeschaut hat, nur ohne Überspanntheit. Doch vielleicht ist es gerade diese leicht nervöse Überspanntheit, die RDJ in seine Rollen einbringt, die in Greg Mottolas Krimikomödie nun schmerzhaft vermisst wird. Jon Hamm gibt sein Bestes, und doch zündet der Funke nicht, schafft er es nicht, das Publikum an ihn zu binden. Und auch der Rest des Casts wirkt über weite Strecken eher gelangweilt. Selbst die sonst so großartige Marcia Gay Harden ist als italienische Gräfin bestenfalls bemüht, aber leider eine Fehlbesetzung. Das Zeigen von Manierismen reicht eben nicht aus, um eine Figur zu etablieren. Das ist jedoch weniger den Darsteller:innen anzulasten als Buch und Regie, die es zudem verabsäumen, einen Spannungsbogen aufzubauen. Und so bleibt „Gib’s zu, Fletch“ ein schaumgebremstes und streckenweise etwas zähes Vergnügen, das in den richtigen Händen wohl mehr hätte sein können..


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Liebesbriefe aus Nizza (2024)

Regie: Ivan Calbérac
Original-Titel: N’avoue jamais
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: N’avoue jamais


Französische Komödien sind manchmal schwer erträglich. Die Figuren bewegen sich oft am Rande der Hysterie und sind in ihrer Motivation kaum nachzuvollziehen, alles ist Drama, Drama, Drama. Die Menschen sehen unfassbar gut aus und räkeln ihre Luxuskörper an malerischen Stränden oder trinken Wein in pittoresken Bistros, während sie Probleme verhandeln, die nicht einmal mit viel gutem Willen als solche erkennbar sind. Wenn nun eine französische Liebeskomödie unter dem deutschen Verleihtitel „Liebesbriefe aus Nizza“ angekündigt ist, schrillen bei mir also die Alarmglocken. In diesem Fall aber unberechtigterweise, denn von Anfang an, wenn die Ehefrau zu ihrem Geburtstag von ihrem Mann, einem pensionierten General, ein Geburtstagsständchen zur Melodie der Marseillaise, geträllert bekommt, schleicht sich das erste Grinsen ins Gesicht. Seit 50 Jahren sind François (André Dussollier) und Anne (Sabine Azéma) verheiratet, doch da entdeckt François auf dem Dachboden zufällig eine alte Schachtel mit Liebesbriefen, die aus der Zeit stammen, in der die beiden noch in Nizza gelebt haben, und die an Anne gerichtet sind. Damit konfrontiert gibt diese den damaligen Seitensprung zu. Was soll’s auch – das ist fast vierzig Jahre her, ein unbedeutendes Abenteuer zu einer Zeit, als ihr Mann viel unterwegs war, und sie liebt ihn ja. Doch für François bricht eine Welt zusammen, und generalstabsmäßig plant er seine Rache am Rivalen von damals. Widerwillig macht sich Anne mit ihm zusammen auf den Weg nach Nizza, um ihn von den schlimmsten Dummheiten abzuhalten. Doch die Konfrontation mit dem Widersacher, dem immer noch gut in Form befindlichen Boris (Thierry Lhermitte), verläuft anders als geplant. Im Grunde ist „Liebesbriefe aus Nizza“ ein äußerst romantischer Film, denn er zeigt, dass Liebe nicht selbstverständlich ist, sondern man jeden Tag an ihr arbeiten muss. Gleichzeitig ist er aufgrund des wohldosierten Humors keinesfalls schmalzig, sondern erzählt seine Geschichte mit gutem Tempo und perfekt sitzenden Gags. Wenn sich beispielsweise François vor der Konfrontation mit dem Nebenbuhler in Form zu bringen versucht, aber ihm beim Joggen am Strand so sehr die Puste ausgeht, dass ein noch älterer Herr auf einem Rollator ihm diesen als Hilfe anbietet, sagt das zum einen in einem einfachen Bild viel über die Besessenheit des gehörnten Ehemanns und dessen Charakter aus, sorgt zum anderen aber auch für einen herzhaften Lacher. Das macht Ivan Calbérac in seinem Film richtig gut: Er bedient sich der Mittel der Komödie, um seinen Film aufzulockern, und überspitzt vielleicht manche Situation ein wenig, um ihre Komik herauszuarbeiten, überdreht aber nie. So bleiben die Figuren und ihre Motivation immer greifbar, so kann auch eine Entwicklung bei ihnen stattfinden. Unter vielen mittelmäßigen Komödien aus Frankreich sticht dieser Film jedenfalls sehr positiv hervor.


7,0 Kürbisse

Foto: Filmladen Luna Filmverleih)