Krimi

Drecksau (2013)

Regie: Jon S. Baird
Original-Titel: Filth
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Filth


Schottland hat vieles, auf das es stolz sein kann: Dudelsäcke, wildromantische Schlösser, Kilts & Clans, eine Sprache, die sonst niemand versteht, Sean Connery und laut Schriftsteller Irvine Welsh, dem Autoren von „Trainspotting“ und „Filth“ ein ausgeprägtes Drogenproblem. Das ist aber nur ein Teil der Probleme des korrupten und abgewrackten Polizisten Bruce Robertson (James McAvoy, noch so ein Nationalheiligtum der Schotten). Andere Probleme des exzentrischen Charmeurs mit der Persönlichkeitsstörung sind der Wunsch nach einer Beförderung, für die er gegen all seine Kollegen intrigiert, eine Sexsucht, ein halb verdrängtes Kindheitstrauma, die komplette Zerstörung seiner Familie und generell ein ungustiöses Verhalten, auf das der Titel des Films wenig subtil hindeutet. Selbst seinen einzigen Freund, den leicht naiven Freimaurer Clifford (Eddie Marsan in einer weiteren denkwürdigen Rolle seiner eindrucksvollen Karriere), reitet Bruce rein, wo es nur geht. Dass dabei der Fall, der über seine weitere Karriere entscheiden soll, nämlich der Totschlag eines japanischen Austauschstudenten, ein wenig ins Hintertreffen gerät, passt nur ins Bild. Für Bruce ist alles eine persönliche Spielwiese, und wer bzw. was nicht seinem Vorteil oder seinem Vergnügen dient, findet einfach nicht statt. Warum wir diesem Ungustl, dieser Drecksau tatsächlich über 1,5 Stunden lang folgen wollen, liegt am Charisma und der Energie von James McAvoy. Auch wenn die Handlung immer schlimmer und schlimmer wird, und der Verfall des „Helden“ immer deutlichere Züge annimmt, bleiben wir dabei, insgeheim hoffend, dass diese tragische Gestalt doch noch die Kurve bekommt. Dabei bleibt kaum Luft zu atmen. Jon S. Baird inszeniert den auf Welshs Roman beruhenden Film in einem hohen Tempo mit grellen Farben, schnellen Schnitten und einer Portion Surrealismus, die den satirischen Aspekt der Geschichte gut begleitet, aber dennoch so wohldosiert eingesetzt ist, dass er ihn nicht unterläuft. Zuweilen wirkt das Geschehen auf dem Bildschirm dennoch recht anstrengend – v.a. zu Beginn muss man sich selbst auch Geduld auferlegen beim Versuch, in die Geschichte und ihre Protagonisten einzutauchen – aber je länger der Film dauert, desto fesselnder wird er, was auch ein Zeichen von Qualität ist. „Filth“ ist eine Tour de Force, die man so schnell kein zweites Mal erleben möchte, aber dennoch trotz einiger stilistischer Wagnisse als rundum gelungen bezeichnet werden kann.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2013 – Lionsgate UK, Quelle: http://www.imdb.com)

Something Old, Something New, Something Borrowed (2024)

Regie: Hernán Rosselli
Original-Titel: Algo viejo, algo nuevo, algo prestado
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Algo viejo, algo nuevo, algo prestado


Die Wettmafia in Argentinien. Befeindete Clans und Familien haben die Stadt sauber unter sich aufgeteilt, ständig begleitet die Angst vor Razzien und Verhaftungen den Alltag. Und doch ist „Algo viejo, algo nuevo, algo prestado“ von Hernán Rosselli zunächst einmal eine dokumentarisch anmutende Familiengeschichte. Mittels Home Recording Videos wird die Geschichte von Maribel Felpeto und ihrer Familie nachgezeichnet: Wie sich Mutter und Vater kennenlernten und ineinander verliebten, wie Maribel aufwuchs und schließlich der Schock, als der Vater eines Tages aus unerklärlichen Gründen Suizid beging. Maribel ist längst im Familienunternehmen angekommen, das unter der Führung ihrer Mutter floriert. Um Geld dreht sich alles in dieser Familie, darunter leiden selbst zwischenmenschliche Beziehungen, und am Ende ist sich jeder selbst der Nächste. Das Bemerkenswerte an diesem Film ist Rossellis Herangehensweise: Er verwendet unter anderem Heimvideos seiner Hauptdarstellerin und Kollaborateurin Maribel Felpeto und konstruiert um diese herum die Geschichte vom Mafiaclan. Dadurch bekommt der Film einen realistischen Anstrich, wie man ihn nur selten im fiktionalen Kino findet. Doch gleichzeitig nimmt dieser halb-dokumentarische Ansatz unglaublich viel Tempo aus der Geschichte. Denn ganz ehrlich: Wer hat schon wirklich mit Genuss die verwackelten Heimvideos von losen Bekannten oder Verwandten angesehen, wenn die ihre Werke voller Stolz präsentiert haben? Sieht man sich Videos der eigenen Familie an, gibt es immerhin noch einen emotionalen Bezug, da kann man dann gerne über viel zu lange Sequenzen und grobkörnige Bilder hinwegsehen. Dieser emotionale Bezug fehlt hier aber komplett, und so ist die Idee von Rosselli zwar interessant, führt aber nicht zu einem interessanten Film. Ultrarealismus ist halt im Kino nicht immer gefragt, da braucht es Verdichtung und Spannungsaufbau. Beides fehlt hier. Und so können sich dann auch hundert Minuten recht lang anfühlen.


4,0 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Gib’s zu, Fletch (2022)

Regie: Greg Mottola
Original-Titel: Confess, Fletch
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Krimi, Komödie
IMDB-Link: Confess, Fletch


I. M. Fletcher, genannt „Fletch“, kommt von einem Italien-Trip nach Boston und findet dort in der von ihm angemieteten Wohnung eine Leiche vor. Für gewöhnlich verursacht eine solche Situation erst einmal Schnappatmung und Anflüge von Panik, doch Fletch, der als investigativer Journalist schon so einiges gesehen hat im Leben, bleibt erst einmal tiefenentspannt, auch wenn der ermittelnde Polizist kein Hehl daraus macht, dass er ihn für den Hauptverdächtigen hält. Doch Fletch ist sich recht schnell sicher: Dass da eine Leiche vor ihm abgelegt wurde, kann kein Zufall sein sondern muss irgendwie zusammenhängen mit dem Fall, in dem er für seine italienische Freundin Angela ermittelt: Diese ist die Tochter eines reichen Kunstsammlers, der vor kurzem entführt wurde. Als Lösegeld wird die Herausgabe einiger wertvoller Gemälde genannt, doch das Dumme ist: Die sind vor kurzem gestohlen worden. Also hat Fletch alle Hände voll zu tun, diese sich überlagernden Mysterien zu lösen. Und er tut dies mit einer stoischen Ruhe und einer Portion Sarkasmus, die sich Hauptdarsteller Jon Hamm von Robert Downey Jr. in dessen Paraderollen abgeschaut hat, nur ohne Überspanntheit. Doch vielleicht ist es gerade diese leicht nervöse Überspanntheit, die RDJ in seine Rollen einbringt, die in Greg Mottolas Krimikomödie nun schmerzhaft vermisst wird. Jon Hamm gibt sein Bestes, und doch zündet der Funke nicht, schafft er es nicht, das Publikum an ihn zu binden. Und auch der Rest des Casts wirkt über weite Strecken eher gelangweilt. Selbst die sonst so großartige Marcia Gay Harden ist als italienische Gräfin bestenfalls bemüht, aber leider eine Fehlbesetzung. Das Zeigen von Manierismen reicht eben nicht aus, um eine Figur zu etablieren. Das ist jedoch weniger den Darsteller:innen anzulasten als Buch und Regie, die es zudem verabsäumen, einen Spannungsbogen aufzubauen. Und so bleibt „Gib’s zu, Fletch“ ein schaumgebremstes und streckenweise etwas zähes Vergnügen, das in den richtigen Händen wohl mehr hätte sein können..


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Kleine schmutzige Briefe (2023)

Regie: Thea Sharrock
Original-Titel: Wicked Little Letters
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie, Krimi
IMDB-Link: Wicked Little Letters


Es ist empörend: Die in der Gemeinschaft der Kleinstadt Littlehampton so geschätzte Edith (Olivia Colman) erhält reihenweise anonym verfasste Briefe mit den unflätigsten Beschimpfungen. Der Vater (Timothy Spall), unter dessen streng patriarchalischer Obhut die fromme Jungfer lebt, ist sich sicher: Da kann nur die niveau- und geistlose Nachbarin Rose (Jessie Buckley) dahinterstecken! Es ist doch stadtbekannt, dass die verwitwete junge Mutter abends in den Kneipen herumhurt und säuft, das Kind ist auch ganz verzogen, und einen Schwarzen hat sie auch noch als Freund! Da es so nicht weitergehen kann, schreitet nun die Polizei ein und ohne handfeste Beweise, sondern nur auf Basis einer Aussage von Edith wird Rose festgenommen. Doch die junge Polizistin Gladys Moss (Anjana Vasan) traut dem Ganzen nicht. Was, wenn Rose unschuldig ist? Und so beginnt sie, auf eigene Faust zu ermitteln – sehr zum Unbill des Polizeichefs. Was Thea Sharrock mit „Kleine schmutzige Briefe“ auf die Leinwand zaubert, ist höchst amüsantes Wohlfühlkino, das es sich allerdings nicht zu sehr in seiner Komfortzone einrichtet, sondern mit den bissigen Mitteln der Satire ein moralisches Bild zeichnet, das nur vordergründig den Zeitgeist der 20er Jahre einzufangen scheint. Wenn man hinter dieses Bild blickt, nimmt man durchaus aktuelle Bezüge war. Vorverurteilungen aufgrund von Hörensagen kennt man schließlich nur zu gut aus der Welt der (a)sozialen Netzwerke. Und was in Sharrocks Film die kleinen schmutzigen Briefe sind, lässt sich übertragen auf anonyme Hasspostings. So finster diese Parallele auch ist, die man unweigerlich ziehen muss, lässt sich der Film dennoch nicht auf den Boden des großen Dramas hinunterziehen. Er bleibt leichtfüßig und amüsant. Es ist zum Schreien komisch, wenn ein pikierter Anwalt in einem Kleinstadtgerichtssaal der 20er Jahre mit sichtlichem Unbehagen aus den Briefen zitieren muss, die keine Ungehobeltheit und Perversität auslassen, verfickt noch mal. Einzig ein wenig mehr Tiefe hätte man den Nebenfiguren gewünscht. So verbleiben viele entweder auf dem Status der Karikatur (die Männer) oder der Typen (die Frauen). Dieses Manko wird aber immerhin durch Olivia Colmans Darstellung einer vielschichtigen und emotional beinahe unergründlichen Frau, die aufgrund patriarchalischer Fesseln auf kenne nennenswerte Zukunft blicken kann, aber plötzlich dank der Briefe im Mittelpunkt des Interesses steht, ausgemerzt.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Killers of the Flower Moon (2023)

Regie: Martin Scorsese
Original-Titel: Killers of the Flower Moon
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Krimi, Western, Historienfilm
IMDB-Link: Killers of the Flower Moon


Die 96. Oscarverleihung ist nun schon wieder Geschichte, und der wohl größte Verlierer des Abends war Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“. Zehnmal nominiert ging er am Ende des Tages ohne einzigem Goldglatzkopf nach Hause. Der Film scheint die Meinungen zu spalten. Sehen die einen ein bildgewaltiges Meisterwerk, können sich die anderen kaum die 3,5 Stunden lang wach halten. Als waschechter Österreicher berufe ich mich mal wieder auf die Neutralität und versuche ganz opportunistisch eine Position in der Mitte zu finden. Auf der Plusseite dieses ambitionierten Werks stehen eine durchaus interessante Geschichte rund um die vielfachen Morde an Stammesmitgliedern der Osage, die durch Ölfunde auf ihrem Land zu Reichtum gelangten (wie so oft gelingt es Scorsese, die dunklen, eher verschwiegenen Kapiteln der amerikanischen Geschichte zu Tage zu bringen und aus ihnen eine Art Zustandsbeschreibung der heutigen Welt abzuleiten) sowie eine sehr eigene und einzigartige, fiebrige Atmosphäre, die durch formvollendete Bilder, aber auch einem genial reduzierten Soundtrack von Robbie Robertson getragen wird. Auch der Cast weiß zu überzeugen, wenngleich Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle des gierigen und etwas naiven Handlangers Ernest Burkhart die Mundwinkel etwas zu weit nach unten hängen und er so fast schon eine Karikatur seines Charakters schafft, und ich Lily Gladstones konzentrierte Darstellung zwar mag, aber nicht als so überragend empfinde wie manch andere Kritiker. Dafür zeigt Robert DeNiro, dass er es immer noch kann, wenn er will, und ausnahmslos alle Nebenrollen sind perfekt gecastet. Aber man muss schon auch über das Thema Ambition reden. Diese ist in jeder Einstellung des Films merkbar – Scorsese wollte hier einmal mehr das große amerikanische Epos schaffen. Und so packt er so gut wie alles in den Film hinein, ohne sich darum zu scheren, ob ihm da Publikum dabei folgen kann oder will. So schleppt sich die erste Stunde des Films recht ereignislos dahin, nur getragen von der interessanten Atmosphäre, und man muss schon Geduld beweisen, bis es mal ein wenig zur Sache geht und der Film Fahrt aufnimmt. Wenn dieser Punkt erreicht ist, zieht das Tempo aber an und Scorsese spielt all seine Stärken aus. Ein Meisterwerk ist der Film daher aufgrund dieses uneinheitlichen Tempos nicht, aber dennoch gehört er mit Sicherheit zu den stärkeren Beiträgen des vergangenen Kinojahrs, der aber vielleicht im Heimkino sogar noch ein Stück besser aufgehoben ist, da bei 3,5 Stunden die Blase dann doch mal ein wenig zu drücken beginnt.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

A Haunting in Venice (2023)

Regie: Kenneth Branagh
Original-Titel: A Haunting in Venice
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Krimi, Horror
IMDB-Link: A Haunting in Venice


Auch Meisterdetektive sind nicht vor dem Pensionsschock gefeit. Und so fadisiert sich Hercule Poirot (zum dritten Mal verkörpert von Kenneth Branagh, der auch wieder die Regie übernommen hat) im Nachkriegs-Venedig, ehe er von einer alten Freundin, der Krimi-Autorin Ariadne Oliver (Tina Fey) aus seiner Lethargie gerissen wird. Diese versucht bislang erfolglos, ein Medium (Michelle Yeoh) zu enttarnen, das angeblich mit den Toten sprechen kann. Eine Halloween-Party in einem alten Palazzo, in dem es seit langem spuken soll, bietet den richtigen Anlass, um der Dame auf den Zahn zu fühlen. Zu Beginn ist Poirot wie gewohnt selbstsicher, doch je länger der Abend dauert, je tiefer die Nacht mit ihren Schatten in den Palazzo kriecht, desto mehr wird Poirot mit Mysterien konfrontiert, die sich jeder Logik zu entziehen scheinen. Und es dauert auch nicht lange bis zum ersten Todesfall. Nach dem grundsoliden Mord im Orient-Express von 2017 und dem enttäuschenden Tod auf dem Nil aus dem letzten Jahr ist die dritte Verfilmung eines Agatha Christie-Krimis unter der Regie von Kenneth Branagh die bislang gelungenste. Denn statt eines klassischen Whodunit-Krimis serviert uns Branagh diesmal mit einem Mystery-Gruselfilm ein in diesem Kontext der Poirot-Verfilmungen völlig neues Genre. Der Film ist düster, spannend, von einer schaurigen Atmosphäre getragen und hervorragend ausgestattet wie gefilmt. Auch der Verzicht auf die vorderste Reihe der A-Lister, die noch im ersten Film zu sehen war, tut dem Film gut, denn die Darsteller:innen (darunter Kelly Reilly, Jamie Dornan, Camille Cottin und Kyle Allen) machen ihre Sache ausgezeichnet, die darin besteht, Poirot als zentrale Figur Raum zu geben und ihm zuzuarbeiten. Allerdings fehlt es an einer zentralen Zutat, um aus „A Haunting in Venice“ einen wirklich großartigen Film zu machen, und das ist die Möglichkeit, mitzurätseln. Das Drehbuch macht es sich in dieser Hinsicht zu einfach und begnügt sich damit, dem Zuseher die Geschichte im Nachhinein zu enträtseln, anstatt ihn selbst daran partizipieren zu lassen. So ist „A Haunting in Venice“ zwar ein äußerst stimmungsvoller Gruselfilm, der auf dieser Ebene hervorragend funktioniert, aber ein nicht gänzlich überzeugender Krimi.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von 20th Century Studios/20th Century Studios – © 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved, Quelle http://www.tobis.de)

Anatomie eines Falls (2023)

Regie: Justine Triet
Original-Titel: Anatomie d’une chute
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Anatomie d’une chute


Eine deutsche Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem sehbeeinträchtigen Sohn in einem Chalet bei Grenoble. Sie gibt ein Interview, bricht dieses allerdings ab, als ihr Mann im Dachboden laut Musik zu spielen beginnt, der Sohn geht mit dem Hund auf einen Spaziergang durch die Winterlandschaft, und als er zurückkehrt, findet er den Leichnam seines Vaters vor dem Haus. Was zunächst wie ein klassischer Whodunit-Krimi beginnt, schlägt schon bald in ein Justiz-/Gerichtsdrama um, doch auch diese Genreeinordnung bietet lediglich einen Rahmen für die eigentliche Geschichte, um die es Justine Triet mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnetem Film. Unter ihrer einfühlsamen und kontrollierten Regie entfaltet sich ein Beziehungsdrama, das grausam vor den Augen und Ohren der im Gerichtssaal Anwesenden seziert wird, von einem hysterischen Staatsanwalt und von der Verteidigung selbst im Versuch, die des Mordes beschuldigte Ehefrau zu rechtfertigen. Im Zentrum: Eine undurchschaubar wirkende Sandra Hüller, die ihrer Figur eine wundervolle Ambivalenz verleiht und gleichzeitig die Sympathien auf ihre Seite zeigt durch eine Wahrhaftigkeit, die immer wieder durchschimmert. Das ist nicht nur Oscar-verdächtig, das ist sogar Oscar-schuldig! Ebenfalls im Fokus von Triet: Der Sohn, der wie ein Spielball von der Justiz benutzt wird, ist er doch der einzige Zeuge in diesem Prozess. Sein Vater ist gestorben, seine Mutter steht in der Anklagebank, und der 11-jährige Junge entscheidet mit seiner Aussage über das weitere Schicksal seiner Familie. Das ist heftiger Stoff, der von Triet ohne große Gefühlsduselei und gerade deshalb so mächtig wirkend umgesetzt wird. Am Ende kann es keine Gewinner geben, sondern nur ratlos Überlebende, die nun versuchen müssen, ihren Weg weiterzugehen, nachdem ihr Leben grell ausgeleuchtet und kommentiert wurde. Ein unglaublich starker Film, dem man seine gelegentlichen Längen verzeiht, da er dann doch bis zur letzten Szene fesselt und darüber hinaus noch lange beschäftigt.


8,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Die Theorie von allem (2023)

Regie: Timm Kröger
Original-Titel: Die Theorie von allem
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Science Fiction, Krimi
IMDB-Link: Die Theorie von allem


Regisseur Timm Kröger wünschte sich vor der Vorführung seines Films „Die Theorie von allem“ ein intelligentes Publikum. Nun, manche Wünsche gehen in Erfüllung, manche aber eben nicht, und ein Kürbis hat nun mal nur den Intellekt eines Gemüses. Aber vielleicht besteht ja auch die Möglichkeit, dass der Kaiser, in diesem Fall Timm Krögers Film, gar keine Kleider anhat. Denn dieser scheint, so jedenfalls aus den laienhaften Augen eines Kürbisses betrachtet, dem Motto „style over substance“ zu folgen. Ein Physikerkongress in den 60er Jahren in den Schweizer Alpen, zu dem ein junger Doktorand mit seinem mürrischen Doktorvater anreist, eine mysteriöse Musikerin, zwei Kinder, die nach einem Absturz im Krankenhaus landen und seltsame Dinge gesehen haben wollen – die Ausgangsbasis wäre eigentlich vielversprechend. Doch hat „Die Theorie von allem“ ein gravierendes Problem: Vor lauter Bemühen, einen Film Noir zu drehen, vergisst Timm Kröger auf die Geschichte. Im Grunde ist „Die Theorie von allem“ eine Aneinanderreihung von Filmzitaten, handwerklich gut gemacht, keine Frage, doch inhaltsleer und uninspiriert. Timm Kröger ist eben kein Alfred Hitchcock, doch gewinnt man den Eindruck, dass er es gerne wäre. Den Darsteller:innen kann man kaum einen Vorwurf machen. Jan Bülow in der Hauptrolle bemüht sich redlich, und Olivia Ross darf eine sehr klassische geheimnisvolle Schöne geben. Vielleicht ist sie einen Tick zu spröde in der Rolle, aber auch sie agiert solide. Hanns Zischler und Gottfried Breitfuss in den Rollen rivalisierender Physiker schrammen zwar nahe an Klischees und Overacting vorbei, fallen aber zumindest nicht negativ auf. Dass der Film – Pardon! – ein ziemlicher Schmarrn ist, liegt am Drehbuch und der drögen Inszenierung, die es fast schon auf bewundernswerte Weise schafft, jegliche Andeutung von Spannung gekonnt zu umschiffen. Wer sich für komplexe, aber stringent umgesetzte Parallelweltengeschichten interessiert, greift lieber zur Serie „Dark“, die gezeigt hat, wie sich ein solches Thema umsetzen lässt: Intelligent, aber den Zuseher dabei nicht aus den Augen verlierend.


3,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Mein fabelhaftes Verbrechen (2023)

Regie: François Ozon
Original-Titel: Mon Crime
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Krimi, Satire, Komödie
IMDB-Link: Mon Crime


Es heißt immer: „Verbrechen lohnt sich nicht!“ Nun, das können die beiden mittellosen Freundinnen Madeleine (Nadia Tereszkiewicz) und Pauline (Rebecca Marder) so erst einmal nicht bestätigen. Madeleine ist eine angehende Anwältin, Pauline eine angehende Schauspielerin, doch Aufträge haben die beiden nicht wirklich, und so kuschelt man sich in einer kleinen Mietwohnung zusammen und schuldet dem Vermieter nicht weniger als fünf Monatsmieten. Was die prekäre Lage zunächst erschwert: Nach einem schiefgelaufenen Vorsprechen für eine Theaterrolle, das Pauline emotional aufgewühlt verlässt, findet sich wird schon bald jener Theaterproduzent tot aufgegriffen. Für die unfähigen Herren von Polizei und Staatsanwaltschaft steht sofort fest: Die junge Schauspielerin hat den Produzenten auf dem Gewissen, und Madeleine hat plötzlich eine unerwartete Klientin. Doch, wenn es nun kein kaltblütiger Mord, sondern Notwehr gewesen wäre? Pauline und Madeleine entwickeln rasch eine Verteidigungsstrategie: Mit großen, runden Augen gesteht Pauline vor der Jury die Tötung, doch hätte sie lediglich ihre Unschuld gegen den angreifenden Wüstling verteidigen wollen. Und plötzlich erhält die Jungdarstellerin einen ungeahnten Popularitätsschub, ihr Fall spaltet die Nation und sie wird zur Fahnenträgerin unterdrückter und ausgebeuteter Frauen. Das Leben von Pauline und Madeleine scheint eine unverhoffte Wendung zu nehmen, wäre da nicht der alternde Schauspielstar aus Stummfilmzeiten Odette Chaumette (eine fast unkenntlich aufgebrezelten Isabelle Huppert, die sämtliche Manierismen ihrer 50 Jahre währenden Schauspielkarriere in diese eine Rolle legt). Und alles verkompliziert sich wieder enorm. Lohnt sich also das Verbrechen am Ende dann doch nicht? François Ozon, ein stilistischer Pendler zwischen Extremen, scheint im Vorfeld zu „Mein fabelhaftes Verbrechen“ jede Menge Woody Allen-Filme gesehen und sich gedacht zu haben: Das kann ich auch! Die mit Tempo vorgetragenen Dialoge, das bürgerlich-intellektuelle Setting, selbst die Ausstattung erinnern auch an Woody Allen, doch fehlt „Mein fabelhaftes Verbrechen“, wenn man es harsch formulieren möchte, ein wenig die geistige Flughöhe für eine knackige Satire. Die Dialoge werden zwar mit Verve vorgetragen, doch ohne bemerkenswerten Sprachwitz, ja, an manchen Stellen wirken sie sogar sehr platt und lächerlich. Als hätte Ozon in diesen Momenten eigentlich eine Parodie auf Seifenopern drehen wollen. Es ist gut möglich, dass ich den Film falsch verstehe und genau das eigentlich seine Intention war, doch werde ich mit dieser lauwarmen Ausführung nicht warm. Es gibt einiges, was man positiv hervorheben kann bei diesem Film: Die Ausstattung, die Kostüme, das hohe Erzähltempo (auch wenn dieses nicht komplett durchgehalten wird), und vor allem Nadia Tereszkiewicz macht ihre Sache gut. So ist „Mein fabelhaftes Verbrechen“ durchaus unterhaltsam und einen Blick wert, doch weckt er in mir die Lust, ihn noch einmal sehen zu wollen? Leider nein.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Die Rotkäppchen-Verschwörung (2005)

Regie: Cory Edwards, Todd Edwards und Tony Leech
Original-Titel: Hoodwinked!
Erscheinungsjahr: 2005
Genre: Animation, Krimi, Komödie
IMDB-Link: Hoodwinked!


Das Rotkäppchen-Märchen der Brüder Grimm ist ja leidlich bekannt. Kleines Mädel im Wald, das die Großmutter besucht, die plötzlich so große Augen und Ohren hat und so weiter. Weil ständige Wiederholungen fad sind, beschlossen Cory Edwards, Todd Edwards und Tony Leech, den Stoff zu variieren und daraus einen abgedrehten Whodunit-Krimi zu machen. Man wollte wohl auch im Windschatten der erfolgreichen Shrek-Filme segeln, die ja vorexerzierten, wie man mit Hilfe der neuesten Technik des Animationsfilms Märchenstoffe parodiert und dem omnipräsenten Mäusekonzern in den Hintern tritt. Allerdings lässt sich auch sagen, dass der vier Jahre vorher erschienene erste Shrek-Film die Möglichkeiten der Computeranimation weitaus besser ausgelotet hat als die „Rotkäppchen-Verschwörung“, die wie ein Independent-Film mit kleinem Budget wirkt, obwohl die Weinstein Company dahintersteht. Immerhin muss man dem Film zugute halten, dass er sich nicht um Konventionen schert und so ziemlich jeden absurden Umweg nimmt, die ihm die Geschichte bietet. Hauptsache, es fetzt. Mitunter wird das etwas anstrengend, und die schon erwähnten staksigen Animationen helfen nicht unbedingt dabei, in die Geschichte einzutauchen. Auch merkt man, dass er trotz teils anarchischem Humor immer noch auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten ist – als Erwachsener tut man sich da wohl etwas schwer mit singenden Ziegen und Großmüttern im Adrenalin-Rausch. So kommt „Die Rotkäppchen-Verschwörung“ nicht über einzelne sehenswerte, unterhaltsame Teilpassagen nicht hinaus, bleibt aber nicht lange im Gedächtnis und muss auch nicht regelmäßig angesehen werden, außer, um sich vielleicht gelegentlich vor Augen zu halten, woher der computeranimierte Film kam und wie rasend schnell sich die Technik in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt hat.


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: © The Weinstein Company, 2006., Quelle http://www.imdb.com)