2023

65 (2023)

Regie: Scott Beck und Bryan Woods
Original-Titel: 65
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Science Fiction, Horror, Thriller, Abenteuerfilm
IMDB-Link: 65


Die Prämisse dieses Films hat meine Aufmerksamkeit geweckt wie kaum ein anderer Film der letzten Jahre: Ein Raumfahrer stürzt ab und landet auf der Erde vor 65 Millionen Jahren zur Zeit der Dinosaurier. Quasi „Planet der Affen“ meets „Jurassic Park“. Und dazu noch der von mir sehr geschätzte Adam Driver in der Hauptrolle: Shut up and take my money! Im Kino habe ich den Film dann aufgrund zeitlicher Beschränkungen verpasst, aber nun im Streaming nachgeholt. Und was soll ich sagen? Ich bin froh, dass ich mir das Geld für die Kinokarte gespart habe. Von einer Ausgangsbasis a la „Planet der Affen“ darf man sich gleich zu Beginn verabschieden – der Besucher des prähistorischen Tierparks ist nämlich ein Außerirdischer aus fernen Galaxien, dessen Heimat aber praktischerweise wie unsere Erde aussieht. Außerdem trägt er fancy T-Shirts, und auch die Technologie funktioniert praktisch genau gleich wie unsere. Eigentlich wollte Astronaut Mills gar nicht weg von seinem Heimatplaneten, doch da seine Tochter schwer krank ist und die zweijährige Expeditionsmission, für die er sich einschreibt, die Arztrechnungen bezahlt, macht er sich wohl oder übel auf den Weg. Unterwegs wird das Schiff von einem Asteroidenhagel zerschossen und legt auf einem unbekannten, nicht gelisteten Planeten (man ahnt es schon) eine Bruchlandung hin. Die einzig verbliebene Rettungskapsel wird 15 km entfernt auf einen Berg geschleudert. Überlebende: Astronaut Mills und ein kleines Mädchen namens Koa, das allerdings eine andere Sprache spricht, was Scott Beck und Bryan Woods, die neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnen, die Arbeit erspart, sinnvolle Dialoge schreiben zu müssen. Bald schon stoßen die beiden Überlebenden auf die ersten Einheimischen. Und da kommt nun mein innerer Nerd durch: Diese Viecher sehen aus, als hätte die Creature Designer von Auslöschung den Job bekommen, und allesamt sind sie Fleischfresser und haben nur eines im Sinn: Jagd auf dieses schmackhafte Dosenfutter from outer space zu machen. Die Dinosaurier in „65“ sind keine Tiere, sind nicht instinktgetrieben, sondern durchtriebene, fiese Monster. Und so gleitet der Film schon bald von einem Science Fiction-Abenteuer in einen klassischen Horrorfilm über. Kann man machen, muss man aber nicht. Aber wenn man es so machen will, wäre es halt eine gute Idee, wenigstens ein bisschen Originalität reinzubringen und nicht alle genretypischen Muster wie anhand einer Checkliste abzuarbeiten. Und so zieht sich der Film dröge von einem vorhersehbaren Jump-Scare zum nächsten, ohne sich auch nur einen Deut um Logik, Spannung oder Figurenentwicklung zu scheren. Man sehnt den schon am Horizont auftauchenden Chicxulub-Asteroiden herbei, der nicht nur den Dinosauriern ein Ende setzen soll, sondern auch diesem uninspirierten Film.


3,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Indiana Jones und das Rad des Schicksals (2023)

Regie: James Mangold
Original-Titel: Indiana Jones and the Dial of Destiny
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Abenteuerfilm, Action
IMDB-Link: Indiana Jones and the Dial of Destiny


Ich bin der Meinung (und damit stehe ich wohl nicht alleine da), dass das Hollywood-Blockbuster-Kino ein kreatives Problem hat. Statt neue, originäre Stoffe auf die große Leinwand zu bringen, setzt man lieber auf Prequels, Sequels und Remakes bestehender Stoffe und spielt auf der Nostalgieflöte. Auch die beliebte Figur des Indiana Jones ist davon betroffen. Teil 4 war schon der Versuch, das Gulasch neu aufzuwärmen, doch anders als ein Gulasch schmeckte dieser Teil eben nicht besser als die Vorgänger (auch wenn er ehrlicherweise unter Wert geschlagen wurde). Das finale Abenteuer des schlagkräftigen Archäologen Dr. Jones (final deshalb, weil Harrison Ford nun auch schon 80 Lenze zählt und man sich einfach niemand anderen als ihn unter dieser legendären Hutkrempe vorstellen kann) versucht nun erst gar nicht, eine neue, spannende Geschichte zu erzählen oder dem Stoff irgendwie sonst einen Hauch von Originalität einzuverleiben. Nein, das ist einfach nur Fan-Pleasing bis zum Exzess. Beliebte Nebenfiguren aus früheren Filmen laufen kurz über die Leinwand, ohne mehr beitragen zu müssen als beim Zuseher eine Erinnerung hochzuholen, und der Rest besteht aus Grabmälern, historischen Artefakten mit magischen Fähigkeiten und Zügen voller Nazis. Alles wie gehabt. Das muss aber gar nicht schlecht sein, und das ist es in diesem Fall auch nicht. Der Film hat abseits des gekonnten Spielens auf der Nostalgieklaviatur einige durchaus positive Aspekte: So ist Phoebe Waller-Bridges Figur der Helena Shaw eine der denkwürdigsten Figuren der gesamten Indiana Jones-Reihe und bringt viel frischen Wind hinein, und auch ihr von Ethann Isidore gespielter Sidekick Teddy ist eine charmante Bereicherung des Indiana Jones-Universums, auch wenn der nicht viel mehr ist als eine Reminiszenz an den legendären „Shorty“ aus Teil 2. Dennoch: Die beiden fügen sich gut ein und stehlen dem alternden Indiana Jones in vielen Szenen auch die Show. Auch das Szenenbild ist positiv zu erwähnen – der Film sieht einfach aus, wie man sich einen Indiana Jones-Film erwartet. Mit Mads Mikkelsen hat man dazu noch einen charismatischen Schurken verpflichtet, auch wenn man dessen schauspielerisches Potential weitestgehend ungenutzt lässt. Was das kontrovers diskutierte Ende betrifft, so wird es für meine Begriffe etwas zu gehetzt abgehandelt und lässt viele interessante Möglichkeiten links liegen, bringt die Reihe aber dennoch zu einem versöhnlichen Abschluss. Alles in allem lässt sich sagen, dass der Zauber der ersten drei Filme auch mit diesem letzten, fünften Film nicht erreicht wird, was wohl auch der Tatsache geschuldet ist, dass man seitens der großen Studios den Filmemachern damals noch kreativen Freiraum zustand, der heute in einer Zeit, in der Blockbuster fast schon wie mathematische Formeln durchberechnet werden, monetären Sicherheitsüberlegungen zum Opfer fallen. Doch die Rechnung geht auch da nicht immer auf, wie das Einspielergebnis des fünften Teils an den Kinokassen zeigt. Was ich aber über Teil 4 denke, gilt ebenfalls für Teil 5: Er wird doch etwas unter Wert geschlagen. Denn wäre dieser letzte Indiana Jones-Film der erste, den wir jemals zu Gesicht bekommen hätte, würde das Urteil mit Sicherheit gnädiger ausfallen. Das Problem ist schlicht, dass wir alle die ersten drei Filme kennen.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Lucasfilm Ltd./Lucasfilm Ltd. – © 2023 Lucasfilm Ltd. & TM. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Asteroid City (2023)

Regie: Wes Anderson
Original-Titel: Asteroid City
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Komödie, Science Fiction
IMDB-Link: Asteroid City


Es gibt ja zwei Arten von Menschen: Jene, die im Sommer bei über 30 Grad bevorzugt im Freien herumturnen (vorzugsweise natürlich im Freibad), und es gibt herbstliche Gewächse wie Kürbisse beispielsweise, die sich bei solchen Temperaturen lieber in einen dunklen, klimatisierten Kinosaal verkriechen, da sich der Aggregatszustand draußen rasend schnell von fest in flüssig ändert. Das Wüstensetting von Wes Anderson neustem Film „Asteroid City“ passt immerhin zu den Außentemperaturen, auch wenn man fairerweise dazu erwähnen muss, dass just an jenem Nachmittag, an dem es den Kürbis samt Kürbisin ins Kino verschlagen hat, ein frühlingshafter Regen über die Stadt niederging. Apropos Regen: Von einem „Besetzungsregen“ kann man durchaus sprechen, wenn man auf die Liste der Beteiligten schaut. Wes Anderson hat den Punkt in seiner Karriere erreicht, an dem er a) für jeden Film mehr Anfragen von renommierten Darsteller:innen reinbekommt, die mit ihm zusammenarbeiten wollen, als er sinnvollerweise ins Drehbuch schreiben kann, und b) einen Zustand der kompletten Selbstreferenz erreicht hat, was aber wurscht ist, weil a). Wenn beispielsweise eine Margot Robbie als Neuzugang im Anderson’schen Universum gerade mal auf einem Foto und ca. eine Minute am Ende zu sehen ist, dann ist es fast schon egal, ob man etwas zu erzählen hat oder nicht. Wobei ich Wes Anderson nicht absprechen möchte, gute Geschichten erzählen zu können. Ich bin ja ein großer Fan seiner Arbeit, doch muss ich auch zugeben, dass die Casts immer größer, die Sets immer geometrischer und die Nebenstränge immer zahlreicher werden, und das geht zulasten der Story. In „Asteroid City“ treffen sich unterschiedliche Charaktere in den 50ern bei einem Meteroidenkrater, um der Verleihung eines Wissenschaftspreises an Jugendliche beizuwohnen, als sie unverhofft Zeugen eines außergewöhnlichen ersten Kontakts mit Außerirdischen werden. (Sehr schön an dieser Stelle ist die akustische Verbeugung vor Tim Burtons Trash-Meisterwerk Mars Attacks! – Wes Anderson kann also auch andere zitieren als sich selbst.) Gleichzeitig wird aber als zweiter Strang die Entstehung dieser Geschichte des Erstkontakts erzählt – in Form von Vorbereitungen auf ein Theaterstück. Ob diese Verschachtelung der Ebenen nun einfach nur dazu gedacht ist, auch alle Schauspieler:innen wirklich unterbringen zu können (Edward Norton als Dramatiker, Bryan Cranston als Erzähler, Adrien Brody als Regisseur, Hong Chau in einer Minirolle als dessen Exfrau, Jeff Goldblum in einer noch kleineren Minirolle als Alien-Darsteller), sei mal dahingestellt. Eine zweite These ist natürlich, dass Wes Anderson mit dieser Ebene selbst Einblick in seinen kreativen Schaffensprozess gewähren wollte, der so wahnwitzig und anders ist, dass kein Anderer jemals so arbeiten kann, ohne des Plagiats beschuldigt zu werden. Wie auch immer: Allein diese bunten, durchkomponierten Tableaus und die witzigen Details machen einen Wes Anderson-Film immer zum Ereignis, und in „Asteroid City“ treibt er diese auf die Spitze. Wenn man das mag: Nur rein ins Kino, auch wenn man vielleicht eher dem Typus „Freibad-Aficionado“ angehört. Wenn man mit Wes Anderson und seinem ganz eigenen Stil allerdings nichts anfangen kann, sollte man um diesen Film lieber einen großen Bogen machen, denn mehr Wes Anderson als hier geht eigentlich nicht. (Wobei mir auffällt, dass ich mir das mittlerweile bei jedem neuen Wes Anderson-Film denke, und dann setzt er dem Ganzen doch noch mal eine neue Krone auf.)


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Pop. 87 Productions//Courtesy of Pop. 87 Productions – © 2022 Pop. 87 Productions LLC, Quelle http://www.imdb.com)

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

Regie: Joaquim Dos Santos, Kemp Powers und Justin K. Thompson
Original-Titel: Spider-Man: Across the Spider-Verse
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Animation
IMDB-Link: Spider-Man: Across the Spider-Verse


2 Stunden und 20 Minuten. Wer die Fortsetzung des originellen Überraschungserfolg von Spider-Man: Into the Spider-Verse aktuell im Kino sehen möchte, muss eine Menge Sitzfleisch mitbringen. „Spider-Man: Across the Spider-Verse“, wieder aus der Feder und unter der Produktion des kongenialen Duos Christopher Miller und Phil Lord, die diesmal den Neulingen Joaquim Dos Santos, Kemp Powers und Justin K. Thompson die Regie anvertraut haben, ist, so liest man, der längste Animationsfilm, der jemals in Hollywood produziert wurde. Und nicht einmal diese knapp 2,5 Stunden reichen aus, um das Abenteuer von Miles Morales und Gwen Stacy zu erzählen: Teil 2 ist für 2024 angekündigt. Es ist also ein ziemliches Commitment, das man mit dem Kauf eines Kinotickets eingeht. Und da ist stellt sich natürlich die Frage: Lohnt es sich? Um eine einfache und klare Antwort zu geben: Wenn man den chaotischen Stil des ersten Films mochte, der in unbändiger Kreativität die verschiedensten Stile zusammenmixte und daraus eine temporeiche und knallbunte Collage des visuellen Erzählens baute, wird auch den zweiten Teil mögen, ja, vielleicht sogar lieben. Denn erneut sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, ein visuell absurder Einfall jagt den nächsten, und doch hat man nie das Gefühl, dass dies Selbstzweck sei, sondern alles dient der Geschichte und ordnet sich dieser unter. Es braucht durchaus eine Phase der Eingewöhnung – die ersten zehn Minuten wusste ich noch nicht recht, wohin mit all diesen Sinneseindrücken, die da auf mich einprasselten – doch hat man sich einmal auf diesen ganz speziellen Stilmix und das atemberaubende Tempo eingelassen, fließt der Film in Folge wie aus einem Guss dahin. Dem Film gelingt das Kunststück, einerseits einen noch wilderen Ritt als Teil 1 zu bieten und noch mal eins draufzusetzen, andererseits aber auch der in sich stimmigere Film zu sein. Das ist schon großes Kino. Noch nie sind Comic und Film dermaßen symbiotisch zu einer eigenen Kunstform zusammengeflossen. Die Geschichte selbst ist dabei noch nicht mal groß der Rede wert, auch wenn sie einen guten Grund für Miles‘ großes Abenteuer findet, die vor allem Spider-Man-Fans jubilieren lässt. Doch auch wenn die Story nicht mit größter Komplexität aufwartet, so ist sie spannend und in sich stimmig genug, um den Film zu tragen. Man kann als Fazit ziehen: Diese Spider-Man-Reihe macht bislang alles richtig, und, bei aller Liebe zu Tom Holland und seiner sympathischen Darstellung der freundlichen Spinne von nebenan, bietet die Spider-Verse-Reihe bislang die aufregendste Bearbeitung des Stoffs.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Sony Pictures Animation – © 2022 CTMG, Inc. All Rights Reserved , Quelle http://www.imdb.com)

Victim/Suspect (2023)

Regie: Nancy Schwartzman
Original-Titel: Victim/Suspect
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Victim/Suspect


Sexuelle Belästigung bzw. Vergewaltigung ist ein traumatisierendes Erlebnis, das tiefe Wunden in die Seelen schlägt. Zusätzliches Salz wird in diese Wunden gestreut, wenn man dem Opfer keinen Glauben schenkt. Doch wie verstörend und ungerecht muss es sich anfühlen, wenn man im Zuge der Ermittlungen, weil man mutig genug war, einen solchen Vorfall zur Anzeige gebracht zu haben, selbst vom Opfer zum Täter gemacht wird, wenn einem die ermittelnden Polizisten (und ja, ich bleibe hier bewusst bei der männlichen Form) unterstellen, man hätte die ganze Geschichte nur erfunden. Und plötzlich klicken die Handschellen, und man findet sich wegen angeblicher Falschaussage vor Gericht wieder. So ist es Hunderten von Opfern in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten ergangen. Anhand einiger exemplarischer Beispiele rollt hier die Journalistin Rachel De Leon diese Vorfälle auf und zeigt Missstände der polizeilichen Ermittlungen auf. Die Logik, die hier angedeutet wird, beläuft sich darauf: Wenn eine Verhaftung vorgenommen wird, ist der Ermittlungsakt erst einmal geschlossen, und man muss sich nicht länger damit beschäftigen. Und wenn ein Täter schon nicht greifbar ist, versucht man eben, das Opfer in Widersprüche zu verstricken, um dann eben eine Verhaftung aufgrund von Falschaussagen vornehmen zu können. Natürlich: Man möchte nicht unterstellen, dass diese Methodik im ganzen Land System hat, aber Rachel De Leon legt dar, dass es solche Fälle eben gibt. Leider ist die filmische Verarbeitung des Themas durch Nancy Schwartzman nur mäßig gelungen. True Crime ist ja derzeit ein sehr beliebtes Genre, doch wird der Dokumentarfilm nur allzu routiniert und spannungsarm heruntergearbeitet, was dem brisanten Thema leider auch die Schärfe nimmt. Man hätte hier durchaus mehr in die Tiefe gehen, die einzelnen Fälle konzentrierter bearbeiten können – es hätte für dieses Thema vielleicht eine eigene Mini-Serie gebraucht, die sich die Zeit nimmt, um einerseits den Opfern gerecht zu werden, und andererseits auch die Seite der polizeilichen Ermittlungen und der weiteren Verfolgung der Fälle vor Gericht näher zu beleuchten. Dies fehlt aber fast komplett. Insofern bearbeitet „Victim/Suspect“ als Dokumentarfilm zwar ein wichtiges Thema, man hat aber zu selten das Gefühl, dass der Film sein Thema so ernst nimmt, wie es eigentlich sein sollte.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat:© 2023 Netflix, Inc , Quelle http://www.imdb.com)

Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben (2023)

Regie: Robert Schwentke
Original-Titel: Seneca: On the Creation of Earthquakes
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Satire, Historienfilm, Biopic, Experimentalfilm
IMDB-Link: Seneca: On the Creation of Earthquakes


Wie passend, dass im Radio nach der Heimfahrt vom Kinobesuch „Bad Moon Rising“ von Creedence Clearwater Revival gespielt wurde. Der Text des Songs bietet eine wunderbare Zusammenfassung von Robert Schwentkes gewagtem Historien-Experimentalfilm, vor allem die Stelle „Hope you got your things together. Hope you are quite prepared to die“. Denn dieses Schicksal erwartet Seneca, Senator Roms, Lehrer Neros und allseits beliebter Gastgeber von Reich und Schön, die sich seine Lebensweisheiten reinziehen, bevor sie zu omnipräsenten Kalendersprüchen wurden. Denn Seneca ist in Ungnade gefallen, und der Bote Roms, der an seiner Haustür anklopft, stellt ihn vor die Wahl: Am nächsten Morgen kommt er wieder, um Senecas Leiche einzusammeln, oder aber er setzt Neros Wunsch persönlich um, was dann allerdings, wie er andeutet, einen grauslichen und langwierigen Leidensweg bedeuten würde. „Hope you got your things together. Hope you are quite prepared to die.“ Auch einen wortwörtlichen bad moon gibt es zuvor, denn Seneca hat für sein extravagantes Partyvolk vorab noch ein Theaterstück zum Besten gegeben, um ihnen ihre Dekadenz vor Augen zu führen, wobei er nicht vor drastischen Mitteln zurückschreckt, und genau am Höhepunkt dieser Inszenierung schiebt sich der Mond wie ein böses Omen vor die Sonne und verdunkelt die Welt. Doch ist Seneca ein Erleuchteter oder nicht vielmehr ein Heuchler, ein Hypokrit, wie im Buche steht? Selbst unermesslich reich geworden predigt er über Tugend, Anstand und Gnade, und sich nicht zum Sklaven des Reichtums zu machen, sondern Herr darüber zu sein. John Malkovich in der Titelrolle spielt diese zweideutige Gestalt, die vor dem reichen Publikum auf dicke Hose macht, doch im Grunde nur ein aufgeblasener, eitler Gockel ist, mit einer Präsenz, die es unmöglich macht, den Blick von der Leinwand zu wenden. Allerdings eine Warnung: Wer einen klassischen Historienfilm erwartet, ist hier falsch. Denn „Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben“ ist vielmehr eine auf Film gebannte Theaterinszenierung, in die immer wieder, wie als fernes Echo, die moderne Welt hineinhuscht – sei es durch Sonnenbrillen, Graffiti von Panzern oder der eindrücklichen Schlussszene, als Senecas Körper von einem Bagger verscharrt wird. Jede dieser Szenen bietet unterschiedliche Lesarten an, und es liegt am Zuseher selbst, was er daraus macht. Als gebürtiger Salzburger komme ich nicht umhin, Parallelen zu Hugo von Hofmannsthals Stück „Jedermann“ zu ziehen, in dem es ebenfalls über das Sterben des reichen Mannes geht. Am Ende sind wir allein und auf unsere intimsten Ängste und Instinkte zurückgeworfen, ganz gleich, wer man im Leben war. Um noch einen Songtext zu zitieren – hier nun die Erste Allgemeine Verunsicherung: „Der Tod ist ein gerechter Mann, ob’st oarm bist oder reich. ‚G’sturbn is g’sturbn‘, sagt der Wurm. Als Leich‘ is jeder gleich.“


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Lilli Kuschel, Quelle http://www.imdb.com)

Air: Der große Wurf (2023)

Regie: Ben Affleck
Original-Titel: Air
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Sportfilm, Biopic, Drama
IMDB-Link: Air


Zugegeben, ich habe einen kleinen Bogen um Ben Afflecks neuen Film gemacht. Wie spannend kann die Geschichte rund um die Entwicklung eines Sportschuhs sein? Und wird daraus nicht einfach nur ein Werbefilm für Nike? Tatsächlich ist der Stoff aber bei Affleck in guten Händen. Zusammen mit seinem alten Spezi Matt Damon in der Hauptrolle des Basketball-Gurus Sonny Vaccaro gelingt es ihm, daraus eine Geschichte von einem unkonventionellen Underdog zu machen, der den angestaubten Platzhirschen (in diesem Fall Converse und Adidas) mit Chuzpe die Stirn bietet. 1984 ist Nike nur die Nummer 3 unter den Basketballschuh-Herstellern. Die Aussicht auf Stars als lukrative Testimonials für das eigene Schuhwerk ist gering. Man begnügt sich mit den Krümeln, die Converse und Adidas übrig lassen. Genannter Sonny Vaccaro will genau das ändern. Er sieht in dem Rookie Michael Jordan das vielleicht größte Talent aller Zeiten und darin die große Chance für Nike. Alleiniges Problem: Michael Jordan will nicht mit Nike reden und trägt lieber Adidas. Der größte Clou von „Air: Der große Wurf“ ist es, das eigentliche Zentrum des Films, den kommenden Superstar Michael Jordan, komplett außen vor zu lassen. Er ist höchstens mal eine Silhouette im Hintergrund, verdeckt durch seine eigene Mutter (Viola Davis), die alleinige Ansprechpartnerin für Vaccaro und sein Team (darunter Ben Affleck als CEO Phil Knight, Jason Bateman als Marketingchef Rob Strasser sowie Chris Tucker als Howard White). „Air: Der große Wurf“ bietet in jeglicher Hinsicht deutlich weniger Heldenverehrung, als man erwarten würde – eine sehr emotionale, aber dramaturgisch großartig begleitete Rede von Vaccaro ausgenommen. Vielmehr erzählt der Film davon, wie man mit Mut, Witz und einer klaren Vision das scheinbar Unmögliche möglich machen kann, wenn man an sich selbst glaubt. Dazu gelingt es Affleck, die Zeit, in der der Film spielt, für den Zuseher wieder greifbar und erlebbar zu machen – ein Talent, das er schon in Argo unter Beweis stellen konnte. Er begnügt sich nicht damit, ein paar Gimmicks aus den 80er Jahren und einen entsprechenden Soundtrack aufzuwarten, sondern jede Kameraeinstellung, jedes Produktionsdesignelement atmet den Geist dieser Epoche. Allein diese Hingabe zum Detail macht „Air: Der große Wurf“ schon sehenswert. Alles in allem eine positive Überraschung und weitaus mehr als das erwartbare Marken-Pleasing. Ich bin nun schon gespannt auf die filmische Umsetzung der dramatischen Geschichte, wie aus Raider Twix wurde.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von ANACARBALLOSA/Ana Carballosa/Amazon Studios – © ANA CARBALLOSA, Quelle http://www.imdb.com)

Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben (2023)

Regie: John Francis Daley und Jonathan Goldstein
Original-Titel: Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Abenteuerfilm, Fantasy
IMDB-Link: Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves


Gefühlt gibt es bei den Hollywood-Großstudios aktuell zur zwei Stoßrichtungen: Entweder bekannte Geschichten durch Prequels, Sequels oder Remakes auszulutschen, oder alternativ irgendwas mit Drachen machen. „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ fällt definitiv in die zweite Kategorie. Unter der Regie von John Francis Daley und Jonathan Goldstein, denen wir schon das durchaus amüsante Game Night verdanken (sie haben offensichtlich ein Faible für Spiele) versucht Chris Pine zusammen mit Michelle Rodriguez, Justice Smith und Sophia Lillis, wieder eine Bindung zu seiner Tochter aufzubauen, nachdem er die letzten Jahre aus beruflichen Gründen – der Mann ist Dieb und saß nach einem missglückten Coup ein – verhindert war und sich der Spross zusehends entfremdet hat. Onkel Hugh Grant (mit dem nur ihm möglichen breiten Grinsen) hat Papa den Rang abgelaufen, und weil das so nicht geht, muss Papa einen neuen Coup planen, um der Tochter klarzumachen, dass er zwar Scheiße gebaut hat, aber auch in die Pfanne gehaut wurde. Dazu braucht er eben seinen Trupp – eine kriegerische Barbarin mit goldenem Herz, einen talentbefreiten Zauberer und eine mürrische Gestaltwandlerin mit spitzen Ohren. Das klingt trashig, und das ist es auch. Aber Daley und Goldstein wissen das, und sie machen das Beste daraus: Einfach klotzen, Spaß haben und viel Ironie reinbringen. „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ ist nicht der intellektuellste Film des Jahres, aber er fährt ein hohes Tempo, bietet humorvolle Unterhaltung (ohne zu spoilern, aber auf die Idee mit dem Drachen muss man erst einmal kommen!) und ist irgendwie charmant-verpeilt. Allein die Geschichte rund um die Oberbösewichte, die roten Zauberer, hätte es so gar nicht gebraucht. Im Grunde tragen diese stereotypischen Finsterlinge rein gar nichts zur Story bei und sind oft sogar ein ärgerliches Hindernis auf einem sonst erfrischend lockeren Weg. Das versaut dann doch ein wenig eine (durchaus mögliche) höhere Bewertung. Aber für einen netten Popcorn-Abend ist der Film schon in Ordnung.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Paramount Pictures and eOne/Paramount Pictures and eOne – © 2022 Par. Pics. TM Hasbro., Quelle http://www.imdb.com)

Die drei Musketiere – D’Artagnan (2023)

Regie: Martin Bourboulon
Original-Titel: Les Trois Mousquetaires: D’Artagnan
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Abenteuerfilm, Historienfilm
IMDB-Link: Les Trois Mousquetaires: D’Artagnan


Die Tatsache, dass Alexandre Dumas der Ältere nicht zählen konnte, verhinderte nicht, dass die Geschichte der drei Musketiere Athos, Porthos, Aramis und D’Artagnan zu wohl einer der ikonischsten der Menschheitsgeschichte wurde, gleichbedeutend mit der Odyssee, Krieg und Frieden und The Room. Es verwundert nicht, dass der Stoff zu den meistverfilmten überhaupt gehört, beginnend bereits 1921. Die Qualität dieser Verfilmungen kann man als uneinheitlich betrachten. Während nichts über die Comicserie „D’Artagnan und die 3 MuskeTiere“ aus den 80ern geht, Tim Curry in der Verfilmung von 1993 immer noch den besten Kardinal Richelieu ever mimte und ich eine unerklärliche Schwäche für „Der Mann in der eisernen Maske“ mit Leonardo DiCaprio habe, gibt es auch Beiträge, über die man lieber den (Leder-)Mantel des Schweigens breitet. Das ambitionierte zweiteilige französische Projekt unter der Regie von Martin Bourboulon reiht sich jedoch ein in die Reihe der gelungenen Verfilmungen, was zwei klugen Entscheidungen zu verdanken ist: Zum Einen versucht Bourboulon ein akkurates Bild des 17. Jahrhunderts zu zeigen, und da war nun mal nicht alles auf Hochglanz poliert, sondern die Straßen dreckig und matschig, vor allem, wenn es davor geschüttet hat wie aus Eimern. Zum Anderen ist der Cast perfekt besetzt. Ob Schönling François Civil als arroganter Jüngling D’Artagnan, Vincent Cassel als mit inneren Dämonen kämpfender Athos, Romain Duris mit einer Glanzleistung als moralisch flexibler Aramis, Louis Garrel als König Ludwig XIII. oder Eva Green in ihrer Evergreen-Rolle als Femme Fatale Milady de Winter – fast durchgängig kann der Cast überzeugen und facettenreiche, interessante Charaktere erschaffen. Allein Pio Marmaï als Porthos fällt etwas zurück, was aber auch der im Vergleich doch eher eindimensionalen Rolle geschuldet ist, und Vicky Krieps, die schon wieder eine Königin spielen darf, erhält auch nicht viel Gelegenheit, um zu zeigen, was in ihr steckt. Die Geschichte selbst ist soweit sattsam bekannt, die muss nicht erneut durchgekaut werden. Interessant sind immerhin die Abweichungen von der literarischen Vorlage, wenn in dieser neuen Variante nun Athos‘ Kopf auf dem Spiel steht und die verbliebenen Musketiere ihren inneren Sherlock Holmes channeln müssen, um den Lebensmüden davor zu retten, seinen Wunsch erfüllt zu bekommen. Die große Frage bei Neuverfilmungen ist ja immer: Schaffen diese Mehrwert? Und auch wenn wir erst bei der Halbzeit sind (Teil 2 kommt im Dezember 2023 in die Kinos), kann man als Zwischenfazit ziehen: Diese hier durchaus.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Sterne unter der Stadt (2023)

Regie: Chris Raiber
Original-Titel: Sterne unter der Stadt
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Sterne unter der Stadt


Seien wir ehrlich: Viel Wienerischer als „Sterne unter der Stadt“ kann ein Film nicht sein. Es geht um schräge Typen, um glühende Perry Rhodan-Fans, die nach den Sternen greifen wollen, aber unter der Erde im Fundbüro arbeiten, es geht um U-Bahnen (okay, es ist „nur“ die U2, für das ungeschönte Wien-Feeling empfehle ich eine Fahrt mit der U6 zwischen Floridsdorf und Westbahnhof) und es geht natürlich um die Liebe und um den Tod. Fehlt eigentlich nur noch der Zentralfriedhof als Schauplatz, aber gut, man kann nicht alles haben. Aber eben fast alles. Und wenn dann noch Verena Altenberger, eine der Größten ihrer Zunft, die wir aktuell haben, den Film mit ihrem unprätentiösen Spiel veredelt, ist das grantelnde Wiener Herz schon so gut wie gewonnen. Beziehungsweise erst einmal das von Alexander (Thomas Prenn), der eigentlich geschworen hat, sich niemals zu verlieben, um nicht dem tragischen elterlichen Schicksal zu folgen. Aber erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt. Und so entwickelt sich eine zarte, ja, fast schon kitschige Romanze zwischen Gleis 1 und Gleis 2. Und kaum hat man es sich so richtig bequem gemacht im plüschigen Kinosessel und wohlwollend die „Amelie“-Vibes aufgenommen, kommt der Wienerische Hang zum Morbiden durch, und man plagt sich mit schweren Schicksalsschlägen herum. Was ist der Film nun? Mehr Liebesfilm oder mehr Drama? Nun, der Film hält gut die Waage. Wie es im Leben halt so ist: Es gibt gute Tage, und es gibt schlechte Tage. Und manchmal muss man springen, auch wenn man Angst hat. „Sterne unter der Stadt“ ist ein schöner, ein melancholischer, ein durch und durch kitschiger Film, der das Publikum wohl gespalten zurücklässt, aber manchmal muss ein bisschen Zuckerguss sein, manchmal müssen bunte Schmetterlinge durchs Zimmer flattern und Blicke eine tiefere Bedeutung entfalten, als sie das in der Realität tun. Manchmal braucht es den Blick der Träumer.


7,0 Kürbisse

(Foto: http://www.filmladen.at)