2016

First Girl I Loved (2016)

Regie: Kerem Sanga
Original-Titel: First Girl I Loved
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: First Girl I Loved


Die Gefühlsverwirrungen der Jugend, Teil 399.191.443. Cliff steht auf seine beste Freundin Anne. Anne steht auf die beliebte Sasha. Und weil Cliff ein bisschen homophob ist und nicht damit gerechnet hätte, dass die Konkurrenz für seine große Liebe, mit der er schon so viele Nachmittage kuschelnd auf dem Sofa verbracht hat, ausgerechnet aus dem anderen Geschlecht erwächst, wird alles ein bisschen dramatisch. „First Girl I Loved“ ist prinzipiell erst einmal sensibel erzähltes Gefühlskino. Die eine oder andere Klischeefalle wird dabei nicht vermieden, v.a. die Figuren sind recht schablonenhaft gezeichnet. Interessant fand ich, dass wichtige Szenen in der Mitte einfach gekappt wurden und zuerst die Auswirkungen der Szenen gezeigt werden, ehe die Auflösung nachgereicht wird – dadurch wird die emotionale Verwirrtheit der Protagonisten noch einmal greifbarer. Insgesamt ist „First Girl I Loved“ aber bei allem Bemühen ein sehr konventionell erzähltes Coming-of-Age-Teenage-Liebesangst-Drama und fügt dem Genre nichts wirklich Neues hinzu. Ich mag solche Filme an sich ja ganz gerne, aber dieser Film ist einer jener, die ich zwar recht gerne gesehen habe, aber wohl auch schnell wieder vergessen werde. Ein interessanter Aspekt aus europäischer Sicht ist vielleicht noch der Auslöser der großen Konfrontation am Ende, denn hier wird die Scheinmoral der sittsamen USA sehr deutlich. Bei uns würde die Geschichte jedenfalls nicht so große Wellen schlagen wie in diesem US-amerikanischen Film gezeigt. Mein Fazit zu „First Girl I Loved“: Kann man sich an einem verregneten Nachmittag auf jeden Fall mal gönnen, aber nachhallen wird der Film kaum.


5,5
von 10 Kürbissen

Aquarius (2016)

Regie: Kleber Mendonça Filho
Original-Titel: Aquarius
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Aquarius


„Aquarius“ erzählt auf leichtfüßige Weise die Geschichte einer erfolgreichen Schriftstellerin und Musikkritikerin Clara (überragend gespielt von Sonia Braga), die letzte Bewohnerin des Wohnhauses „Aquarius“, das abgerissen werden und einem neuen, modernen Apartmenthaus Platz machen soll. Clara, die Eigentümerin einer der Wohnungen, wehrt sich gegen den Verkauf. Ihr Leben hat sich in diesem Haus abgespielt, ihre Erinnerungen hängen daran – die guten wie auch die schlechten. Als Story klingt das reichlich unspektakulär, aber darum geht es „Aquarius“ auch gar nicht so sehr. Viel mehr entfaltet sich nach und nach in den zwischenmenschlichen Beziehungen ein Panorama des Zustands der heutigen brasilianischen Mittelschicht. Gleichzeitig gibt der Film einen Kommentar zum Kapitalismus ab, wenn er in einer zynischen Schlussszene die Methoden aufdeckt, mit denen man versucht, die widerspenstige Clara aus dem Haus zu entfernen. Die ganz große Stärke des Films ist aber das präzise, menschlich unheimlich differenzierte Abbild der sozialen Beziehungen zwischen Familie, Freunde, lockeren Bekanntschaften. Clara ist nicht mehr jung und sie hat es auch nicht ganz einfach mit ihren erwachsenen Kindern, denn auch wenn sie vital und immer noch am Puls der Zeit ist, so zeigt sich dennoch ein kleiner Graben, der sich aus der Familiengeschichte heraus durch die Generationen zieht. Mehr Zugang findet sie zu ihrem Neffen, und hier verbinden sich die Jahrzehnte einfacher und natürlicher miteinander. Der Film idealisiert hierbei zu keinem Moment, sondern zeigt das Leben einfach so, wie es ist – mit den kleinen, schmutzigen Freuden, mit den Narben, den Enttäuschungen und ungeschickten Küssen. Mit fast 2,5 Stunden Laufzeit verlangt er auch ein wenig Sitzfleisch von seinem Publikum, und in nicht jeder Szene ist eine wirklich dringliche Relevanz zu spüren, aber dennoch gehört „Aquarius“ durch seinen ehrlichen Blick auf die Menschen und eine großartige Sonia Braga zu meinen Filmhighlights der letzten Wochen. Empfehlenswert!


7,5
von 10 Kürbissen

Die Taschendiebin (2016)

Regie: Park Chan-wook
Original-Titel: Ah-ga-ssi
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Erotik, Krimi, Liebesfilm
IMDB-Link: Ah-ga-ssi


Der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook zählt spätestens seit seiner „Vengeance-Trilogie“ mit „Oldboy“ als zentralem Kernstück zu den interessantesten Regisseuren der Gegenwart. Nach seinem letzten Film „Stoker“, ein Ausflug ins englischsprachige Kino, kehrt Park mit „Die Taschendiebin“ wieder nach Asien zurück. Er erzählt die Geschichte eines Dienstmädchens im von Japan besetzten Südkorea und von ihrer neuen Aufgabe im Haus der jungen japanischen Erbin, die wohl schon bald ihren Onkel ehelichen muss, wäre da nicht der junge, dominante Zeichenlehrer. So weit, so gewöhnlich. Aber: Schon früh wird klar, dass ganz andere Ziele verfolgt werden, der Reichtum der Erbin nämlich, um deren Gewinn ein ausgeklügeltes Komplott gesponnen wird. Was dann allerdings die schönen Pläne zu durchkreuzen droht (oder ist es etwa auch Teil des Plans?): Die Liebe. Und zwar aufkeimende Zuneigung zwischen Dienstherrin und Dienstmädchen. Aber was ist davon echt, was gespielt? Wer verführt wen? Wer verfolgt dabei noch ganz andere Absichten? „Die Taschendiebin“ ist ein erotisches, opulentes, dekadentes, kaleidoskopartiges Krimi- und Liebesspiel. Je nach Perspektive, die der Zuseher einnimmt, verändert sich die ganze Handlung des Films. Dabei ist der Film in seiner Grundtonalität stets sehr sinnlich. Die Sexszenen sind sehr explizit inszeniert – ein Kritikpunkt, der in weniger wohlwollenden Kritiken immer wieder genannt wird. Nun kann man aber (muss man aber nicht) die ganze Geschichte auch als weibliche Befreiung von einer männlich dominierten, patriarchalischen Sexualität sehen – die weiblichen Geschlechtsakte stehen in ihrer sinnlichen Wollüstigkeit dieser harten, männlichen Sexualität entgegen. Durchaus ein starkes Zeichen und klares Statement. Wer sich an ausgedehnten erotischen Spielereien stört, für den ist „Die Taschendiebin“ vielleicht nicht der ideale Film. Wer sich den Film gerade wegen dieser Spielereien ansehen möchte, sollte vielleicht auch lieber die Finger davon lassen, denn „Die Taschendiebin“ bleibt in erster Linie eine Befreiungsgeschichte mit Krimihandlung und ist definitiv kein Softporno. Wer sich aber für einen Film begeistern kann, der die Sinne und den Verstand gleichermaßen anspricht, sollte hier durchaus den einen oder anderen Blick riskieren, denn sowohl von den Bildern, der Musik und der Ausstattung her als auch, was die Handlung und wie diese erzählt wird betrifft, ist „Die Taschendiebin“ ein weiteres Meisterwerk in Park Chan-wooks Filmografie.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Koch Media)

Die Blumen von gestern (2016)

Regie: Chris Kraus
Original-Titel: Die Blumen von gestern
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Die Blumen von gestern


Deutscher Holocaust-Forscher mit Aggressionsbewältigungs- und Erektionsproblemen trifft auf französisch-jüdische Assistentin mit Dachschaden und gelegentlichem Farbtopfentfremdungsaktionismus. Sie mögen sich nicht, sie mögen sich doch, sie haben eine gemeinsame Geschichte, die alles irgendwie schlimm macht, man hat so seine Geheimnisse, manchmal fliegen Hunde aus Autofenstern.

Unentschlossen. Das ist das Wort, das ich am schnellsten mit Chris Kraus‘ Film „Die Blumen von gestern“ in Verbindung bringe. Was will der Film sein? Eine schwarzhumorige Komödie? Ein Drama? Ein Liebesfilm? Ein Roadmovie? Ein Historienfilm? Für eine Komödie ist er nicht lustig genug, sämtliche Charaktere (inklusive der Figur der sonst so wunderbaren Adèle Haenel) bleiben unsympathisch und irgendwie rätselhaft in ihrer Motivation. Für ein Drama ist der Film aber zu leichtgängig, und es bleibt auch bis zum Ende unklar, was er eigentlich erzählen möchte, was das große Drama ist, das sich immer wieder ankündigt. So ist „Die Blumen von gestern“ ein Film voller uneingelöster Versprechen. Immer wieder ganz nett anzusehen, aber unausgegoren und am Ende auch unbefriedigend.


4,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Moonlight (2016)

Regie: Barry Jenkings
Original-Titel: Moonlight
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Moonlight


„Moonlight“ – Oscar für den besten Film. Was sagen die Leute in der Viktoria-Kantine dazu? Gut? Schlecht? (Kleiner Insider für Aficionados des österreichischen Fußballs.) Dass „Moonlight“ in einem dramatischen Finish nach einem noch nie dagewesenen Oscar-Fauxpas dem großen Favoriten „La La Land“ noch den Preis für den besten Film des Jahres buchstäblich vor der Nase weggeschnappt hat, war die wohl größte Überraschung einer ansonsten überraschungsfreien Oscarnacht. Und ich muss sagen – auch wenn „La La Land“ insgesamt noch mehr mein Film war – unverdient war das nicht. Denn Barry Jenkins erzählt eine ganz eigene, wichtige, kaum erzählte Geschichte von einer Welt, die mir zwar fremd ist, aber die existiert, und die durch diesen Film eine Stimme bekommt. Es geht um das Aufwachsen eines afroamerikanischen Jungen aus prekären Verhältnissen in Miami (die Mutter, grandios gespielt von Naomie Harris, ist cracksüchtig und arm), und als wäre das Leben damit nicht schon schwierig genug für ihn aufgrund der Umstände, die ihn umgeben, kommt als zusätzlicher Stein im Rucksack seine Homosexualität dazu, die in einer Welt, in der die Schwächsten gnadenlos gefressen werden, verborgen bleiben muss und später durch den jungen Erwachsenen durch zur Schau gestellte Härte überdeckt wird. Der Film erzählt von der Suche nach Liebe und Zuneigung in einem Umfeld, in dem genau das als Schwäche gilt. Ausgerechnet durch den Drogenhändler Juan (verdienter Oscar für Mahershala Ali) erfährt der Junge so etwas wie das Gefühl von Familie, von Zugehörigkeit, sodass sein weiterer Weg kein trostloser ist, zwar begleitet von Niederlagen, aber es ist ein Leben, das dabei herauskommt, mit Höhen und Tiefen, aber ein Leben.

„Moonlight“ ist vielschichtig, sensibel erzählt, herausragend gespielt und handwerklich toll gemacht (vom Schnitt über die Musik bis zur Kameraarbeit von James Laxton, der seinem Protagonisten immer folgt, immer nah dran ist, und ihm so eine sehr körperliche Präsenz verleiht) – und damit ein würdiger Gewinner in meinen Augen. Dass er für mich persönlich dennoch ein klein bisschen hinter anderen Filmen zurückblieb, die für den besten Film in Frage kamen (wie eben „La La Land“, „Arrival“ oder auch „Manchester by the Sea“), liegt daran, dass er mich emotional nicht so stark erreichte wie eben manch anderer Film. Ja, das Drama ist wuchtig und ungemein interessant, da man eben die Geschichte, die darin erzählt wird, noch nicht wirklich kennt, und so nimmt einen der Film über die ganze Laufzeit hinweg gefangen, aber der ist eben auch ein Stück weit weg von meiner eigenen Lebensrealität.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Thimfilm)

Operation Avalanche (2016)

Regie: Matt Johnson
Original-Titel: Operation Avalanche
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Satire, Thriller
IMDB-Link: Operation Avalanche


War Neil Armstrong 1969 der erste Mensch auf dem Mond, oder war er es nicht? Um diese Frage wird ja seit Jahrzehnten gestritten. Aluhüte werden befragt, im Chemtrail-Satz gelesen, es ist alles nicht so einfach, denn niemand von uns war ja dabei. Alles, was wir als Beweis haben, sind ein paar grobkörnige Schwarzweißaufnahmen und das Ehrenwort von Uncle Sam. Matt Johnson, ein kanadischer Filmemacher, dachte sich Folgendes: ‚Nehmen wir an, das Ganze wäre tatsächlich eine große Verschwörung gewesen – irgendwer musste ja dann die Bilder der Mondlandung faken. Und das wäre doch eine verdammt gute Geschichte, jene über die Filmemacher, die diese Mondlandung nachstellen.‘ Und so passierte nun Folgendes: Matt Johnson drehte einen Film mit Matt Johnson in der Hauptrolle, der als Matt Johnson vorgibt, einen Dokumentarfilm über die 60er Jahre der NASA zu drehen, um in den Räumlichkeiten der NASA einen Film zu drehen über ein Filmteam, das in den 60er Jahren bei der NASA angeblich einen Dokumentarfilm dreht, aber in Wahrheit die Mondlandung nachstellt. All das im besten Mockumentary-Style als abendfüllender Spielfilm. Die NASA hatte keinen Plan, stellte aber brav für fünf Drehtage die Räumlichkeiten zur Verfügung und ist jetzt leicht angepisst, nachdem der Film nun fertig und alles Andere als eine Doku über die NASA der 60er Jahre ist. Allein schon für diese Chuzpe gibt’s mal einen halben Bewertungspunkt extra. Der Film an sich ist, sofern man sich auf diesen Stil einlassen kann, phasenweise recht witzig (allerdings auf eine subtile, hintergründige Weise) und bekommt dann auch noch Thriller-Elemente, die allerdings ein bisschen fehlplatziert wirken angesichts der Komik der ersten Hälfte. Auch hat „Operation Avalanche“ unübersehbare Längen. So bleibt das Ganze ein wenig unter den Möglichkeiten zurück, bietet aber dennoch gute Unterhaltung.


6,5
von 10 Kürbissen

Silence (2016)

Regie: Martin Scorsese
Original-Titel: Silence
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Silence


Die Anzahl an Meisterwerken, die Martin Scorsese im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere geschaffen hat, ist eindrucksvoll. So wurde auch sein neuester Streich, „Silence“, mit großer Spannung erwartet. Bei den Oscarnominierungen dann die große Überraschung: Lediglich Kameramann Rodrigo Prieto wurde nominiert (und musste sich dann Linus Sandgren für „La La Land“ geschlagen geben). Nun nach dem Sichten des Films muss ich sagen: Mir leuchtet nun ein, warum es so still war rund um „Silence“. Denn Scorseses Film über die Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts und die Geschichte rund um zwei Jesuiten-Priester (Andrew Garfield und Adam Driver), die ihren alten Mentor (Liam Neeson) suchen, der sich angeblich vom Glauben abgewandt hat, ist ein sperriges und mühsames, sich über mehr als 2,5 Stunden entfaltendes Epos, für das man viel Sitzfleisch braucht. Die Geschichte wird langsam und höhepunktarm erzählt. An sich ist das ja nichts Schlechtes – ich mag Filme, die ihrer Geschichte Zeit lassen, sich zu entfalten. Aber die einzelnen Schritte hin zum Ende sind einfach unglaublich zäh und spannungsfrei erzählt. Die Wandlung von Padre Rodriguez (sehr gut gespielt von Andrew Garfield – dafür hätte er eine Oscar-Nominierung verdient und nicht für „Hacksaw Ridge“), der innere Konflikt, in den er gerät angesichts des Leids, das er durch seinen Glauben über die verfolgten Christen bringt, ist schon interessant anzusehen und auch glaubwürdig, aber man hätte das durchaus straffen können. Szenen wiederholen sich, Konflikte werden immer wieder auf ähnliche Weise dargestellt, alles tröpfelt so ein bisschen vor sich her. So bleibt „Silence“ ein merkwürdig unentschlossener Film mit dokumentarischer Anmutung. Über 2,5 Stunden fordert das halt auch Opfer. Die drei Jungs, die nach ca. 1,5 Stunden den Kinosaal verlassen habe, konnte ich zum Teil wirklich verstehen.


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)

https://www.youtube.com/watch?v=-eWYF-a3pUI

La La Land (2016)

Regie: Damien Chazelle
Original-Titel: La La Land
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Musikfilm / Musical
IMDB-Link: La La Land


Diese Rezension wurde verfasst im Rahmen der Viennale 2016.

Das Beste kommt zum Schluss. Ein sehr guter Viennale-Jahrgang wird beendet mit einer quietschvergnügten und knallbunten Explosion. „La La Land“ von Damien Chazelle, der mich schon mit seinem Erstling „Whiplash“ begeistert hat, ist so ganz anders als das sinistere Psychospiel, weist aber die gleichen Tugenden auf (das hohe Tempo, die großartigen Bilder, das gewitzte Spiel mit Licht und Schatten) und macht so ziemlich alles richtig. Ryan Gosling macht eine wunderbare Wandlung vom bemitleidenswerten Fiesling zum absoluten Sympathieträger durch, und Emma Stone ist überragend. Smells like Oscars, jedenfalls für Emma Stone. Die Story ist zwar recht konventionell und weitestgehend überraschungsfrei (mein einziger größerer Kritikpunkt), aber das bunte und laute Abenteuer macht einfach Spaß. Nach den vielen stillen und subtilen Filmen der letzten Tage kam dieser Knall zum Abschluss gerade recht. „La La Land“ ist ganz klar kein Film, der sich an seine Zuseher heranschleicht, sondern er kommt mit Pauken und Trompeten, nein, einer ganzen Blasmusikkapelle. Kitsch? Ja, klar – und wie! Mich hat es mitgerissen, ich bin hingerissen.

Nachtrag:

„La La Land“ hat auch beim zweiten Ansehen großartig funktioniert – jedenfalls für mich. Ich verstehe, warum dieser Film polarisiert, warum ihn viele als belanglos halten. Er behandelt kein wichtiges politisches oder soziales Thema, sondern ist einfach nur eine Liebesgeschichte mit Musik und Tanz. Aber hey – sind es nicht die banalen Dinge wie Musik und Tanz und ist es nicht das große, allumfassende Gefühl der Liebe, was uns Menschen schließlich ausmacht? „La La Land“ wird bei den Oscars durchmarschieren, und das passt schon so.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)

Manchester by the Sea (2016)

Regie: Kenneth Lonergan
Original-Titel: Manchester by the Sea
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Manchester by the Sea


Das fürs sechs Oscars (allesamt in Hauptkategorien) nominierte Drama „Manchester by the Sea“ erzählt eine Geschichte von Verlusten, von Depressionen, von den ganz großen Niederlagen im Leben und dem Versuch, trotzdem irgendwie weiterzumachen. Das ist harter Stoff, der es dem Publikum nicht einfach macht. Gut möglich, dass man getriggert wird von Kenneth Lonergans Film, wenn man selbst schon Erfahrungen mit solchen oder ähnlichen Situationen gemacht hat, wie sie im Film gezeigt werden. Aber wenn man sich darauf einlässt, erhält man die vielleicht ehrlichste und schonungsloseste Erzählung über die oben genannten Themen seit langem – sowie eine grandiose Darstellerriege, angeführt vom alles überragenden Casey Affleck. Eigentlich sollte er sich den Oscar nur noch abholen müssen, wären da nicht unschöne Missbrauchsvorwürfe, die in der jüngeren Vergangenheit wieder hochgeploppt sind. Rein von der darstellerischen Leistung her aber ist Caseys Affleck Darstellung des vom Leben gebrochenen Einzelgängers Lee Chandler, der aufgrund des frühen Todes seines Bruders nun plötzlich das Sorgerecht für dessen Sohn Patrick (Lucas Hedges) übertragen bekommt, eine Offenbarung. Eine extrem kontrollierte und nuancierte Darstellung, die durch die kleinen Bewegungen und Gesten spricht und damit den ganzen Schmerz, den Lee Chandler in sich trägt, immer wieder sichtbar macht, ohne aber durch den Holzhammer auf das Publikum einwirken zu müssen. Zudem ist „Manchester by the Sea“ großartig geschrieben mit klugen, lebensnahen Dialogen. Ich rieche zumindest einen Oscar für Kenneth Lonergan für das beste Drehbuch, wenn er schon in den Kategorien für den besten Film und die beste Regie leer ausgehen wird.


8,0
von 10 Kürbissen

Lion (2016)

Regie: Garth Davis
Original-Titel: Lion
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Lion


Ich muss zugeben, vor „Lion“, dem diesjährigen Weinstein’schen Oscar-Vehikel, hatte ich ein wenig Bammel. Große Gefühle, eine Geschichte basierend auf wahren Begebenheiten, ein sentimentales Drama – das waren so die ersten Schlagworte, die ich in Zusammenhang mit dem Spielfilm-Regiedebüt von Garth Davis gelesen habe. Das kann – für mich jedenfalls – auch ordentlich in die Hose gehen. So bin ich dann auch mit einer nicht allzu hohen Erwartungshaltung in den Film gegangen. Ich wurde aber sehr rasch eines Besseren belehrt. Die Geschichte des indischen Kinds Saroo, das mit seiner Mutter, seinem älteren Bruder und seiner kleinen Schwester in ärmsten Verhältnissen aufwächst und durch ein Unglück von seiner Familie getrennt wird, worauf es ihn ins 1.600 Kilometer entfernte Kalkutta und in weiterer Folge zu einer Adoptivfamilie nach Tasmanien verschlägt, ist zwar gefühlvoll inszeniert, behält aber immer einen realistischen, ungeschönten, und genau deswegen herzzerreißenden Blick auf die Lebensrealität in Indien bei. Etwa die erste Hälfte des Films spielt in Indien und erzählt die Geschichte von Saroo, wie er verloren geht und wie er schließlich nach Australien kommt. Viele Szenen sind dabei kaum zu ertragen, ohne dass man das Gefühl hat, dass die Dramaturgie vielleicht etwas verschärft wurde, um die großen Gefühle herauszulocken. Btw., wenn es einen Oscar für die beste Leistung einer Kinderdarstellerin/eines Kinderdarstellers gäbe, dann müsste dieser in diesem Jahr an Sunny Pawar gehen.

Der erwachsene Saroo auf der Suche nach seiner eigenen Identität, die irgendwo zwischen dem Indien, das er vergessen hat, und dem Australien, das ihn aufgenommen hat, liegt, wird herausragend gespielt von Dev Patel, der durch „Slumdog Millionär“ bekannt wurde und nun mit „Lion“ die beste Leistung seiner Karriere hinlegt. Man muss in diesem Zusammenhang aber durchaus Weinsteins gängige Praxis bekritteln, solche großen Rollen wie jene von Dev Patel dann als Nebendarsteller zu deklarieren, um die Chancen auf einen Oscar-Gewinn zu erhöhen. Denn Dev Patel ist definitiv die Hauptfigur des Films, und er hätte auch als bester Hauptdarsteller nominiert werden müssen. Tatsächliche Nebenrollen, und zwar verdammt gut gespielte, sind jene von Nicole Kidman und Rooney Mara. Da kann man wiederum ein bisschen darüber streiten, warum Kidman nominiert wurde und Mara nicht, denn beide sind toll in ihren Rollen. Aber gut, Nicole Kidman hat ihren Oscar ja schon, und Rooney Mara wird sicher noch einen gewinnen – die Frau ist einfach gut.

Insgesamt ist „Lion“ ein großartig erzählter, zu Tränen rührender, aber nicht sentimentalisierender, herausragend gespielter Film über Identität, über Heimat, über die Bedeutung der Familie, der Mutter. Hat mich sehr positiv überrascht.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)