Viennale

Kafka for Kids (2022)

Regie: Roee Rosen
Original-Titel: Kafka for Kids
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Musical, Komödie, Experimentalfilm
IMDB-Link: Kafka for Kids


Franz Kafka war schon ein lustiges Kerlchen. Ihm verdanken wir erbauliche und quietschfidele Geschichten wie „Der Prozess“, „Das Schloss“ oder natürlich die vielleicht berühmteste Metamorphose der Literaturgeschichte, „Die Verwandlung“. Man hat sich eigentlich schon all die Jahrzehnte lang gefragt, warum es noch keine illustrierten Kinderbuchausgaben dieser wundervollen Werke gibt. Der israelische Filmemacher Roee Rosen hat sich nun des Problems angenommen und mit „Kafka for Kids“ endlich eine kindgerechte Adaption der „Verwandlung“ auf die Leinwand gebracht, aufgebaut als Pilotepisode für eine neue Kindershow. Ein seriöser Erzähler liest einem dreiundvierzigjährigen Kind aus der Geschichte vor, während im Hintergrund das Mobiliar fröhliche Lieder dazu singt. (Man fühlt sich zeitweise ein wenig an „Die Schöne und das Biest“ erinnert, aber auf eine eher ungute, leicht pädophile Weise.) Farbenfrohe Animationen begleiten Gregor Samsas Verwandlung zum Insekt. Warum man trotz des Titels und dieser Beschreibung allerdings auf keinen Fall Kinder in die Vorstellung mitnehmen soll, wenn man nicht gewillt ist, für die nächsten zwei Jahrzehnte teure Therapiestunden zu bezahlen, erklärt sich meiner Meinung nach aus dem Drogentrip, auf dem Rosen gewesen sein muss, als er „Kafka for Kids“ entsann. Denn das Wort, das den Film am ehesten beschreibt, ist „trippy“. Da singt ein unvermutet auftretender „Bearer of Bad News“ von wachsenden Tumoren, zwischendurch werden Werbeclips für Delikatessen eingespielt, die nahrhaftes Essen möglichst eklig darstellen, komplett unzusammenhängende Songs werden geträllert, die mit der Story nichts zu tun haben, und am Ende darf man sich noch den Vortrag einer Rechtswissenschaftlerin (das dreiundvierzigjährige Kind) anhören, das über Kinderrechte in Israel und Palästina doziert, während sie an den eigenen Achseln schnüffelt und immer wieder abgleitet in Ausdrücke sexuellen Verlangens. Das mag alles eine unheimlich intelligente Metaebene haben, die mir aber verschlossen bleibt. Ja, es geht darum, wann ein Kind ein Kind ist, wo wir da die Grenzen ziehen zwischen Kindheit und Adoleszenz, aber das ist dermaßen wirr erzählt und von ständigen Ablenkungen durchbrochen, dass man den Eindruck gewinnt, der Regisseur hätte einfach nur versucht, einen zweistündigen Egotrip auszuleben. Es gibt mit Sicherheit Publikum für diese Art von Film, aber der Kürbis gehört nicht dazu.


2,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

The Banshees of Inisherin (2022)

Regie: Martin McDonagh
Original-Titel: The Banshees of Inisherin
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: The Banshees of Inisherin


Das Trio Martin McDonagh, Colin Farrell und Brendan Gleeson hat mit der schwarzen Komödie Brügge sehen … und sterben? für Furore gesorgt. Die drei passen auch wunderbar zusammen: Gleeson spiegelt die McDonagh’sche Lakonie, und Colin Farrell trägt mit seiner Verhuschtheit die Geschichte. Doch funktioniert das auch ein zweites Mal? Die Antwort als Spoiler vorab: Und wie! „The Banshees of Inisherin“ spielt auf der titelgebenden abgeschiedenen Insel vor der irischen Küste zu Beginn der 20er Jahre. Auf dem Festland tobt ein Bürgerkrieg, den niemand hier verstehen kann, und die einzigen Freizeitbeschäftigungen bieten das lokale Pub sowie das Verbreiten von Klatsch im Dorf. Klar bricht da erst einmal eine Welt zusammen, wenn der langjährige beste Freund einen plötzlich meidet, und, noch schlimmer, dann unumwunden zugibt, dass er nichts mehr mit dieser Freundschaft zu tun haben möchte, er langweile sich und habe Besseres vor in seinem Leben, Musikstücke komponieren zum Beispiel. Pádraic, der Abgewiesene, versteht die Welt nicht mehr und versucht, seinen alten Freund Colm von diesem Nonsens abzubringen. Der droht mit drastischen Maßnahmen, würde seine Privatsphäre weiterhin verletzt werden. Und so schaukelt sich die Geschichte allmählich hoch, aber mit einer solchen Lakonie und einem dermaßen trockenen Witz, dass man die Handschrift McDonaghs schon von weitem erkennt. „The Banshees of Inisherin“ ist so vieles gleichzeitig: Lakonische Komödie wie Shakespeare’sches Drama, und dazu auch noch (man muss genau hinblicken, aber dann erkennt man es) eine Allegorie auf den irischen Bürgerkrieg von 1922 bis 1923, als aus Freunden plötzlich verbitterte Feinde wurden. Man könnte in stundenlangen Diskussionen Schicht für Schicht des Films abtragen und würde immer noch neue Facetten entdecken. Verletzter Stolz? Soziale Zwänge? Die Sprachlosigkeit der Männer, die sich stur lieber ihrem Schicksal ergeben, als aufeinander zuzugehen? Die Machtlosigkeit, mit der man manchen Veränderungen gegenübersteht? Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt? Alles da in Martin McDonaghs Meisterwerk. Dennoch hätte das alles auch fürchterlich schief gehen können, hätte er nicht mit Farrell (mit seiner vielleicht besten Schauspielleistung überhaupt) und Gleeson zwei Giganten an seinem Set gehabt, die diesen Facettenreichtum stemmen können. So aber ist der Film ein großer Wurf und eines der Highlights des Jahres.


8,5 Kürbisse

(Foto: Photo by Jonathan Hession. Courtesy of Searchlight Pictures (c) 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved. Quelle: http://www.viennale.at)

Close (2022)

Regie: Lukas Dhont
Original-Titel: Close
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama
IMDB-Link: Close


Den Belgier Lukas Dhont muss man im Auge behalten. Schon Girl war ein sehr gelungener Beitrag zu Fragen der Geschlechteridentität. In „Close“, seinem neuesten Film, geht er weiteren Fragen nach Identität und sozialer Rolle nach, biegt dann aber überraschend in ein komplett anderes Terrain ab, nämlich dem Umgang mit Verlust, Schuldgefühlen und Trauer. Da schlägt das misanthropische österreichische Herz höher. Feel-Bad-Movies – auch die Belgier haben’s drauf. Allerdings ist „Close“ nicht einfach nur Tristesse pur, sondern ein hochsensibel erzähltes Drama rund um die Freundschaft zweier unzertrennlicher Jungs, die eines Tages in der Schule mit der Frage konfrontiert werden, ob sie denn ein Paar wären. Während der sensible, träumerische Rémi (Gustav de Waele) auf diese Frage einfach schweigt, grenzt sich Léo (Eden Dambrine) sofort von dieser Frage ab und in weiterer Folge von Rémi. Intimität und Nähe nehmen zunehmend ab, es entsteht eine Kluft, die unüberbrückbar scheint. Und so muss man als Zuseher mitansehen, wie alles immer schlimmer und schlimmer wird, bis es zu Ereignissen kommt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Yay, dafür geht man doch gerne ins Kino. Ein bisschen die Depressionen auffrischen, bevor uns der Winter so richtig in die Glieder fährt. In diesem Sinne ist diese Anmerkung durchaus als Triggerwarnung zu verstehen – wer ein sensibles Gemüt hat, dem wird der Film ordentlich in die Magengrube treten. Es ist dieser pure Realismus, der den Film so schwer verdaulich macht. Hier wird nichts der Story wegen überhöht, die auf der Leinwand gezeigte Geschichte wirkt echt, die Gefühle sind nachvollziehbar, das Leben läuft einfach immer weiter und weiter, man muss funktionieren, man muss leben. Diese Zerrissenheit, die sich aus der Diskrepanz zwischen sozialen Anforderungen und der inneren Gefühlswelt ergibt, zeigt Jungdarsteller Eden Dambrine mit einer Meisterschaft, die sämtlichen erwachsenen Darsteller:innen (und das sind u.a. mit Émilie Dequenne und Léa Drucker in den Mutterrollen keine unbekannten) in den Schatten stellt. „Close“ ist herausragendes realistisches Kino, aber eben mit Vorsicht zu genießen.


8,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Other People’s Children (2022)

Regie: Rebecca Zlotowski
Original-Titel: Les enfants des autres
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Les enfants des autres


Rachel (Virginie Efira) ist Lehrerin, 40, unverheiratet und eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Leben. Ihre Liaison mit dem Gitarrenlehrer und Automobiltechniker Ali (Roschdy Zem) läuft gut an – es deutet sich ein Wendepunkt an in ihrem Leben. Nun ist es so, dass Ali aus seiner früheren Beziehung eine entzückende, vier Jahre (nein, viereinhalb, das halbe Jahr ist wichtig, wie Rachel beim ersten Kennenlernen festhält) alte Tochter namens Leila hat. Patchwork-Familien sind ja heute kein großes Ding mehr, und mit der Zeit festigt sich das Beziehungsdreieck Rachel-Ali-Leila. Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht – das wussten schon die Fantastischen Vier, und das weiß auch Regisseurin und Drehbuchautorin Rebecca Zlotowski. Denn Rachel fühlt, dass ihre Uhr tickt; das bestätigt auch der Gynäkologe (mit viel augenzwinkerndem Humor gespielt von Frederick Wiseman). Möchte Rachel noch eigene Kinder haben, sollte sie mal ein bisschen Gas geben. Der Mann wäre ja jetzt schon da, aber hat ein weiteres Kind in dieser Familie noch Platz? Wie fragil dieses Familiengebilde ist, erfährt Rachel immer wieder selbst am eigenen Leib, wenn beispielsweise Leila ihren Vater lautstark fragt, warum denn Rachel so oft bei ihnen wäre, sie solle doch mal wieder gehen. Es sind diese kleine Verletzungen, aus denen große Verunsicherungen entstehen, und Virginie Efira, eine Batzenschauspielerin, gelingt es, diese Verunsicherungen mit präzisem, einfühlsamem Spiel sichtbar werden zu lassen. Ihre Rachel ist eine erfolgreiche, gut aussehende, selbstbewusste Frau, die aber begreift, dass dies alles womöglich nicht ausreicht, um Herzenswünsche wahr werden zu lassen. In Efiras Gesicht spiegelt sich das Drama, das in ihrer Figur tobt – der Wunsch, den eigenen Bedürfnissen nachzukommen und die zunehmende Unsicherheit, ob dies gelingen kann, wird in Zaum gehalten von dem Versuch, sich die Würde zu bewahren und das Leben weiter positiv zu sehen. Das ist schon große Schauspielkunst. Da wir aber immer noch in einem französischen Film sitzen, geht alles mit Leichtigkeit vonstatten und wird von fröhlicher Musik untermalt. So sind sie halt, die Franzosen. Hätte man einen Ulrich Seidl auf die Thematik losgelassen, frage nicht – die Telefonseelsorge hätte nach der Sichtung Überstunden schieben müssen. Aber so kann man sich entspannt zurücklehnen in dem Wissen, dass es am Ende so etwas wie eine Katharsis gibt, wenn auch nur im Kleinen.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Father’s Day (2022)

Regie: Kivu Ruhorahoza
Original-Titel: Father’s Day
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama
IMDB-Link: Father’s Day


Man könnte ja meinen, es gibt keine anderen Erkrankungen mehr als COVID. Doch ich kann bestätigen: Auch eine hundsordinäre Verkühlung kann einem die Viennale verhageln. Jedenfalls den Nationalfeiertag. Einen Tag später ist der Kürbis eures Vertrauens zumindest wieder fit genug, um sich Kivu Ruhorahozas (kein Finne!) Film „Father’s Day“ anzusehen. Um dann doch wieder ins Grübeln zu kommen, ob nicht alles irgendwie gerade COVID ist. Der Film spielt während der Pandemie, und eines muss man ja sagen: Was die Maskendisziplin betrifft, so kann sich der „besorgte Bürger“ hierzulange einiges abschauen von den Menschen in Ruanda, die den Fetzen sogar pflichtbewusst draußen in der Pampa tragen. Aber darum geht’s ja eigentlich nicht. Sondern um zwei Frauen, die beide großen Kummer mit sich tragen. Da wäre die Mutter Zaninka (Mediatrice Kayitesi), die ihren Sohn bei einem Unfall verloren hat und sich in ihrer Trauer von ihrem Mann distanziert. Da wäre auch die junge, reiche Mukobwa (Aline Amike), die ihrem lungenkranken Vater das Leben retten könnte, indem sie einen Teil ihrer Lunge spendet. Doch kann sie sich nicht zu diesem Entschluss durchringen. Ein dritter Erzählstrang schließlich folgt dem Kleinganoven Karara (Yves Kijyana), der ein Aggressionsproblem mit sich herumträgt und seinen kleinen Sohn wie einen Soldaten formen möchte. All diese Geschichten eint, dass – vielleicht auch verstärkt durch die Pandemie und die Umwälzungen, die diese auslöst – das althergebrachte Bild des Patriachats zu bröckeln beginnt. Die Frauen sowie die nächste Generation begehren leise auf gegen die gottgegebene Ordnung, dass nur der (starke) Mann das Sagen hat. Besonders schön ist dies zu erkennen, wenn sich der kleine Kadogo (Cedric Ishimwe mit einer intensiven Darstellung) seinem Vater widersetzt, indem er den gestohlenen Hundewelpen, nachdem er mit ihm gespielt hat, heimlich zu seinen Besitzern zurückbringt. Auf diese kleinen Momente muss man aufpassen, denn darin verbirgt sich die Geschichte, die Ruhorahoza erzählen möchte. Insgesamt ist das alles vielleicht einen Tick zu indirekt um die Ecke gedacht, und die Handlungsstränge brauchen wohl auch zu lang, um zusammenzulaufen und ein Ganzes zu ergeben. Dennoch ist „Father’s Day“ ein interessanter Blick auf die Gesellschaft von Ruanda und die subtilen Veränderungen, die sie durchläuft. (Oder ist dies ein Wunschdenken des Regisseurs?) Fazit: Durchaus sehenswert.


6,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Aftersun (2022)

Regie: Charlotte Wells
Original-Titel: Aftersun
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama
IMDB-Link: Aftersun


Jetzt geht der Wahnsinn wieder los. Treue Leser:innen dieses Blogs kennen meinen Hang zum Exzess, wenn es um das wichtigste Wiener Filmfestival, die Viennale, geht. Mit Schaudern erinnert man sich vielleicht an den Versuch vor einigen Jahren, mein Hirn mit über dreißig Filmen in zwei Wochen zu Matsch zu verarbeiten. Ich verspreche aber: Ich gehe es heuer ruhiger an. So wie Charlotte Wells in meinem Auftaktfilm „Aftersun“, die sehr unaufgeregt von einem Vater-Tochter-Urlaub in einem türkischen Urlaubsresort erzählt. Die Kamera ist nah an Sophie (Frankie Corio mit einer vielversprechenden Talentprobe) und Calum (Paul Mescal) dran, es passiert nicht viel. Die Geschichte findet in den Lücken statt. Immer wieder blitzt in stroboskopischem Gewitter das Gesicht der erwachsenen Sophie auf, die den Blick zurück wirft. Der Urlaub ist längst Vergangenheit und Erinnerung. So ist die Geschichte dieses Urlaubs in einem intimen Blickwinkel erzählt, passend dazu einige verwackelte Aufnahmen von einem Camcorder, wenn Sophie versucht, sich auf diese Weise ihrem Vater zu nähern. Es sind die Annäherungen und das zwischenzeitliche Scheitern daran, woran Wells interessiert ist. Familie ist kompliziert, vor allem, wenn der Vater offensichtlich im regulären Familienleben keinen festen Platz mehr hat und unbeholfen versucht, sich wieder in die Rolle einzuarbeiten. Man kann den Film unspektakulär und langweilig nennen, aber dennoch berührt er auf einer tieferen Ebene. Man merkt die Bedeutung dieser Erinnerung und spürt das Fehlen des Vaters im Leben der heutigen Charlotte. Ein poetischer, durchaus gelungener Auftakt.


6,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Die glorreichen Sieben (1960)

Regie: John Sturges
Original-Titel: The Magnificent Seven
Erscheinungsjahr: 1960
Genre: Wester
IMDB-Link: The Magnificent Seven


Was für ein Staraufgebot! Allein schon die titelgebenden Sieben: Steve McQueen, Charles Bronson, James Coburn, Horst Buchholz, Brad Dexter, Robert Vaughn und natürlich Yul Brynner (oder, wie es ein Moviepilot-User ausgedrückt hat: die schnellste Billardkugel der Welt), dessen Charisma und Glatze alles Andere überstrahlen. Dazu kommen mit Eli Wallach ein wunderbarer Schurke, Mexikaner mit einem guten Schmäh auf den Lippen, anhängliche junge Heldenverehrer, diese eine schöne Frau, für die man sich auch ein Dutzend Kugeln einfängt, wenn es denn sein muss (aber lieber nicht, sonst hat man ja nichts mehr von der Frau), Sprüche, so trocken wie der mexikanische Wüstensand, und die Erkenntnis, dass am Ende diejenigen, die im Staub liegen, unter Umständen sogar besser dran sind als die Anderen, die das Gemetzel überlebt haben und die Einsamkeit des Westens weiter in sich tragen müssen. Oder man wird Farmer, denn trotz aller Entbehrungen ist ein reines Gewissen vielleicht das höchste Gut, das man in einer Welt, in der Auge um Auge, Zahn um Zahn gilt, besitzen kann. Ist der Western-Klassiker von John Sturges besser als das ebenfalls legendäre Original, Akira Kurosawas „Die sieben Samurai“? Das vielleicht nicht, aber die beiden Filme stehen wie zwei Säulen eines Tors gleichberechtigt nebeneinander.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 1960 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc., Quelle http://www.imdb.com)

Viennale 2021 – ein Fazit

Die Viennale ist nun schon wieder einige Tage Geschichte, der ganze Corona-Blödsinn leider noch nicht, aber das ist ein anderes Thema. Wenigstens konnte das Filmfestival weitgehend friktionsfrei über die Bühne gehen. Bei den aktuell explodierenden Neuinfektionszahlen in ganz Österreich stellt sich eh die Frage, was wäre gewesen, hätte das Festival einen Monat später stattgefunden (oder eben dann nicht). Jedenfalls: Gut is‘ gangen, nix is‘ g’schehn. Unterm Strich habe ich urlaubsbedingt dieses Jahr etwas weniger in die Vollen gehen können als viele Jahre davor, aber 14 Filme sind sich ausgegangen, und ein Totalausfall war darunter nicht zu finden. Passt schon, wie man bei uns in Österreich sagt.

Das Festival scheint in den letzten Jahren unter der Leitung von Eva Sangiorgi sein Profil nachgeschärft zu haben – ob man das persönlich nun gut findet oder nicht. Fakt ist, dass im Gegensatz zu den früheren Programmen unter Hans Hurch ein bisserl das anarchische Überraschungselement fehlt. Dass so eine Perle wie „Red Rocket“ von Sean Baker eingeladen wurde, ist eher die Ausnahme von der Regel. Zumeist herrscht gediegenes Festivalkino, viel Drama, viele Probleme – dazu passt, dass mit „Das Ereignis“ von Audrey Diwan ein französisches Abtreibungsdrama, das in den 60ern spielt, als Eröffnungsfilm ausgewählt wurde. Das ist schon in Ordnung, aber manchmal wünscht man sich halt doch ein wenig mehr von den schrägen Sachen, die ein Hans Hurch ausgegraben hat. Gerade, wenn man sich mehr in Richtung Jugend öffnen möchte, täte es gut, etwas mehr Abwechslung reinzubringen. Abe das ist Jammern auf hohem Niveau. Die Viennale hat ein klares Profil, und die trotz Corona ausverkauften Vorstellungen scheinen zu bestätigen, dass das Filmfestival zu Wien gehört wie Mannerschnitten oder grantige Ober.

Aber nun genug geschwafelt – hier meine Reihung der 14 gesehenen Filme und daraus abgeleitet meine Empfehlungen:

8,5 Kürbisse
Ali & Ava von Clio Barnard

8,0 Kürbisse
Red Rocket
von Sean Baker

7,5 Kürbisse
A Chiara
von Jonas Carpignano
The Witches of the Orient von Julien Faraut
The Power of the Dog von Jane Campion

7,0 Kürbisse
Alraune von Henrik Galeen
Das Ereignis von Audrey Diwan

6,5 Kürbisse
They Carry Death von Samuel M. Delgado und Helena Girón

6,0 Kürbisse
Women Do Cry von Mina Mileva und Vesela Kazakova
Ein Polizei-Film von Alonso Ruizpalacios

5,5 Kürbisse
Benedetta von Paul Verhoeven
Hold Me Tight von Mathieu Amalric

4,5 Kürbisse
In gewisser Hinsicht von Sara Gómez

4,0 Kürbisse
Jack’s Ride von Susana Nobre

Benedetta (2021)

Regie: Paul Verhoeven
Original-Titel: Benedetta
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Drama, Biopic, Historienfilm
IMDB-Link: Benedetta


Subtilität ist nicht Paul Verhoevens Stärke. Aber immerhin fällt ihm immer wieder was Neues und Spektakuläres ein. Da werden Eispickel zu Mordwaffen, gewaltige Insekten mit brachialer Militärgewalt bekämpft und eine Marienstatue auch mal als Dildo zweckentfremdet. Willkommen bei „Benedetta“, der lose auf der wahren Geschichte einer lesbischen Nonne mit Jesus-Erscheinungen beruht. Die handelt sich nicht nur mit ihren Visionen handfeste Schwierigkeiten ein, sondern vor allem mit ihrer Liebschaft zur Novizin Bartolomea (Daphne Patakia). Das missfällt nicht nur der Oberin (Charlotte Rampling, wie immer mit einer souveränen Vorstellung). Und vor allem handelt sie sich Schwierigkeiten mit dem Filmpublikum ein, das ihre Handlungen und Visionen nicht wirklich einordnen kann: Sind es tatsächlich Momente der Erleuchtung oder haben wir es hier mit einer schelmischen Hochstaplerin zu tun, wie sie sich ein Umberto Eco nicht besser hätte ausdenken können? Virginie Efira als Schwester Benedetta lässt uns darüber im Unklaren, und Paul Verhoeven erfreut sich in der Zwischenzeit an den wohlgeführten Brüsten seiner Hauptdarstellerinnen und tut das, was von ihm erwartet wird: Er provoziert. Siehe Mariendildo. Ja, das ist sehr spaßig und kurzweilig, viele Szenen und Ideen sind rundum gelungen, aber irgendwie ist mir die Intention dahinter, eben die Provokation, zu durchsichtig – allmählich wird das zu einer Masche bei Verhoeven wie der unvorhersehbare Story-Twist bei M. Night Shyamalan. Als verkanntes Meisterwerk a la „Starship Troopers“ wird „Benedetta“ wohl nie gefeiert werden, aber Verhoeven hat auch schon schlechtere Filme abgeliefert. Dennoch bleibt am Ende bei mir das ungute Gefühl, einem Gaukler aufgesessen zu sein.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

The Power of the Dog (2021)

Regie: Jane Campion
Original-Titel: The Power of the Dog
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Western, Drama
IMDB-Link: The Power of the Dog


Benedict Cumberbatch mal gegen den Strich gebürstet: In „The Power of the Dog“ darf der charmante Brite mal ungewaschen sein, schlechte Manieren zeigen und generell ein Arschloch erster Güte spielen. Hier ist er nämlich einer von zwei Brüdern, die ihren Lebensunterhalt als Rancher in den Weiten von Montana verdienen. Er ist dabei der klassische Antiheld des Westerns, ein richtiges Raubein, während sein Bruder (Jesse Plemons) auf der sensiblen Seite ist, ein gelegentliches Bad zu schätzen weiß und auch weiß, wann und wie man einer traurigen Witwe (Kirsten Dunst) Trost spenden muss. Das führt dazu, dass die Witwe samt Sohn (Kodi Smit-McPhee) bald in die Ranch einzieht, sehr zum Missfallen des Raubeins Phils. Und überhaupt der Sohn: Der ist ein bisschen creepy, ein Bücherwurm, der mal Arzt werden will, der dabei aussieht wie der erste Prototyp eines Goths, und viel zu zartbesaitet für das Leben im Wilden Westen scheint. Natürlich passiert erst mal das, was passieren muss: Für das Raubein ist das Sensibelchen samt Mutter ein gewaltiger Dorn im Auge. Und so baut sich eine unheilvolle Spannung auf. In Jane Campions Western „The Power of the Dog“ liegen die Dinge aber oft anders, als man sie erwartet, und selten habe ich einen Film gesehen, der so geschickt falsche Fährten legt und Zusehererwartungen so gnadenlos unterläuft, ohne das zum Stilmittel verkommen zu lassen. Die Geschichte ist absolut stimmig, und doch überrascht sie jeden Moment aufs Neue. Das ist schlicht großartig gemacht, da kann man nur seinen Cowboyhut ziehen. Und es fällt somit auch kaum ins Gewicht, dass der Film (zu) viele Westernklischees bedient, denn wenn diese Klischees unterm Strich dann doch unterwandert werden, kann man sich damit auch gut abfinden. Ach ja, der ebenfalls grandiose Score stammt von Johann Strauss und Jonny Greenwood. Eine wilde Mischung.


7,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)