Autor: Filmkürbis

30 über Nacht (2004)

Regie: Gary Winick
Original-Titel: 13 Going on 30
Erscheinungsjahr: 2004
Genre: Komödie, Fantasy, Rom-Com
IMDB-Link: 13 Going on 30


Wohl so ziemlich jeder von uns hatte wohl als Kind oder Teenager mal den Wunsch, älter zu sein, endlich erwachsen, endlich das tun zu können, was man möchte ohne elterliche Einschränkungen, oder auch einfach, um aus Situationen rauszukommen, denen man sich nicht gewachsen fühlte. Im Fall der 13jährigen Jenna reicht eine misslungene Party und eine Überreaktion ihrerseits, um sich im Kleiderschrank sitzend zu wünschen, endlich schon 30 Jahre alt zu sein. Feenstaub macht es möglich, und schon erwacht Jenna 17 Jahre später in ihrem nun erwachsenen Körper. Diese erste Erkenntnis und zunehmende Panik erinnert stark an den wohl größten Klassiker dieses Genres, Big. Der Unterschied in der Situation von Josh und Jenna besteht darin, dass sich Tom Hanks in seiner eigenen Zeit wiederfand, aber eben in einem plötzlich erwachsenen Körper, während Jennifer Garner als Jenna einfach die Zeitspanne bis zu ihren 30jährigen Ich überspringt und sich nun in einem komplett neuen Leben, nämlich ihrem Leben als Erwachsene, zurechtfinden muss. Das birgt allerlei Situationskomik, aber auch, wenn man genauer darüber nachdenkt, sehr viel Tragik. Denn wer wird schon gern 17 Jahre seines Lebens beraubt? Aber vielleicht kann der alte Jugendfreund Matt (Mark Ruffalo) helfen? Doch der ist zunächst hochgradig irritiert, als Jenna an seiner Türschwelle auftaucht, ist die Freundschaft damals doch zu Bruch gegangen. Hoppla! Doch keine Sorge, wir befinden uns im Genre der Rom-Com, und da ist der Film erst zu Ende, wenn alles gut ist. Immerhin ist der Weg dahin dank einer gut aufgelegten Jennifer Garner recht unterhaltsam anzusehen. Es gibt sie natürlich, die Fremdschäm-Momente, doch die werden behutsam in die Geschichte eingebettet und tragen tatsächlich zur Komik bei statt zu nerven. Regisseur Gary Winick macht hier einen ordentlichen Job. Dennoch sollte bzw. darf man sich keine Wunderdinge von diesem Film erwarten, der das Genre nicht neu erfindet, sondern nur routiniert bespielt. Für einen kurzweiligen Filmabend reicht das aber jedenfalls aus.


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2004 Shutterstock, Quelle http://www.imdb.com)

Pitch Perfect (2012)

Regie: Jason Moore
Original-Titel: Pitch Perfect
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Komödie, Musikfilm
IMDB-Link: Pitch Perfect


College ist schon eine sehr seltsame Einrichtung. Wenn man den zahlreichen Hollywood-Filmen, die vom College und der Collegezeit erzählen, Glauben schenken darf, ist diese Institution im Grunde primär ein Ferienlager für hormongesteuerte Teenager, in dem alles erlaubt ist, nur nicht Lernen oder gar der akademische Abschluss. Im Fall von Beca (Anna Kendrick) wird dies auf die Spitze getrieben, denn der wird vom reichen Papa ein College-Jahr finanziert, ohne dass sie dafür irgendwas tun müsste, geschweige denn Kurse besuchen. Nein, dem Papa geht’s um etwas ganz anderes: Spaß soll es haben, das Mädel, Freundinnen soll es finden. Und natürlich hat Beca erst einmal gar keinen Spaß, denn statt auf dem Collegegelände herumzulungern, möchte sie viel lieber in L.A. ihre eigene Musik produzieren. Doch es kommt natürlich immer anders, als man denkt, und schon findet sie sich al Teil einer A-capella-Truppe wieder, der Barton Bellas, angeführt von der ehrgeizigen Aubrey (Anna Camp) und ihrer Freundin Chloe (Brittany Snow). Die haben mit dem landesweiten Gesangswettbewerb und vor allem mit der männlichen Konkurrenz der „Treblemaker“ noch eine Rechnung aus dem Vorjahr offen, doch muss die Gesangstruppe komplett neu formiert werden, was angesichts der vielen starken neuen Charaktere, darunter eben Beca oder „Fat Amy“ (die Durchbruchsrolle von Rebel Wilson), kein einfaches Unterfangen ist. „Pitch Perfect“ von Jason Moore hat vor allem ein Ziel: Der Film möchte gute Laune verbreiten und unterhalten. Und das gelingt ihm hervorragend dank sympathischer Besetzung, wirklich cool choreografierten und gesungenen Liedern und allgemein einer fröhlichen Energie, die sich auf das Publikum überträgt. Wer tiefere Lebensweisheiten sucht, wird hier eher nicht fündig, und die Figuren sind teils schon arg klischeehaft gehalten, und doch braucht es nicht viel, um sich breit grinsend in den Film hineinfallen zu lassen und zumindest mit der Fußspitze, aber gerne auch mit dem ganzen Körper zu den Songs mit zu wippen. Wer sich davon nicht mitreißen lässt, ist wohl so tief im Weltschmerz gefangen, dass selbst Nick Cave wie ein Partyclown wirkt.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2012 – Universal Pictures, Quelle http://www.imdb.com)

The Lost King (2022)

Regie: Stephen Frears
Original-Titel: The Lost King
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Biopic, Drama, Komödie
IMDB-Link: The Lost King


Das Leben schreibt die besten Geschichten. Da gab es mal so einen buckligen König in England, Richard III., der in der entscheidenden Schlacht vom späteren Tudor-König Heinrich dem Vielten (ich komme immer durcheinander mit den gleich heißenden englischen Königen und ihren Nummerierungen) eins auf die Mütze bekam und dessen Leichnam danach angeblich in den Fluss geworfen wurde. Ein ebenfalls nicht unbekannter Schriftsteller mit dem Namen William Shakespeare (glücklicherweise ohne Nummerierung) brachte dann Aufstieg und Fall von König Richard III. in seinem gleichnamigen Stück auf die Bühne, woraufhin die ganze Welt inklusive dem englischen Königshaus dann der Meinung war: Das war ein böser Bursche, ein Usurpator, lange leben die Tudors! Nur eine schottische Hobby-Historikerin mag nicht so recht an die Geschichte des fiesen Herrschers glauben und auch nicht, dass sein Leichnam unauffindbar verloren ging. So steigert sich Philippa Langley (die großartige Sally Hawkins), verfolgt von einer rätselhaften und gar nicht buckligen Erscheinung des verschollenen Königs selbst, in die Mission hinein, die sterblichen Überreste von Richard III. zu finden. Wie gut, dass der Archäologe Richard Buckley (Mark Addy) gerade von seiner Universität Leicester vor die Tür gesetzt wurde und nun Geld verdienen muss. Mit den Moneten, die Philippa auftreibt, kommt man ja eine Weile über die Runden, und wenn die Dame nun Löcher ins leicester’sche Straßennetz graben will, dann sei es halt so. Doch der Rest ist … Geschichte. Stephen Frears konzentriert sich in seiner Verfilmung dieser irren Story, wie Richard III. nach über 500 Jahren dann doch noch ausgebuddelt wurde, weniger auf die Suche selbst, sondern mehr auf Philippa und ihren Kampf gegen die Männerwelt, die sie belächelt, solange sie noch keine Ergebnisse vorzuweisen hat, dann aber ganz schnell ganz vorne steht, wenn die Lorbeeren verteilt werden. Und das ist durchaus ein löblicher Aspekt, der hier beleuchtet wird. Allerdings leidet der Spannungsaufbau der Geschichte darunter, denn mindestens ebenso interessant wäre ein tieferer Einblick in Philippas Recherchen gewesen, die aber mittels ein paar angedeuteter Videocalls mit anderen Historiker:innen und dem Kauf einiger Bücher zu Richards Leben abgetan werden. Und das ist schade. Auch bin ich nicht davon überzeugt, dass Philippas Zwiesprache mit der Erscheinung des Königs einen echten Mehrwert stiften, auch wenn dieser sympathisch von Harry Lloyd dargestellt wird. So schrullig hätte Hawkins als Philippa Langley aber gar nicht sein müssen, das war dann doch ein wenig zu viel des Guten.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Viennale 2023: Mein Fazit

Die Viennale ist nun wieder zwei Tage Geschichte, und es ist Zeit für das alljährliche Fazit an dieser Stelle. Eine Frage, die ich mir in den letzten Jahren oft gestellt habe, lautet: „Wo bleibt der Spaß, wo findet man die leicht anarchischen Filme, die das Filmfestival zwischen all der schweren Kost auflockern?“ In diesem Jahr allerdings bleiben dazu keine Fragen offen. So bunt und vielfältig wie 2023 habe ich die Viennale bislang selten erlebt, fast, als hätten Eva Sangiorgi und ihr Team schon geahnt, dass es diesen Oktober in der Realität nur wenig zu lachen gibt und dem Publikum daher eine Prise Eskapismus angeboten. Ein Geschenk! Natürlich gab es auch wieder genügend Schwermütiges und Politisches zu bewundern, ein Filmfestival ist schließlich kein Streichelzoo, aber Filme wie das grandiose „The Holdovers“ von Alexander Payne oder Quentin Dupieux’s schräges und surreales Künstlerporträt „Daaaaaali!“ brachten Abwechslung ins Programm. Und auch die Retrospektive zu Raúl Ruiz kann man durchaus als gelungen und spannend bezeichnen, auch wenn ich hiermit ein offizielles Bewerbungsschreiben an Frau Sangiorgi abgeben möchte: Eine Freundin und ich hätten jede Menge Ideen für interessante und abwechslungsreiche Retrospektiven. Alles, was wir dazu benötigen, ist ein bisserl Taschengeld, um bei der einen oder anderen Tasse Kaffee oder vielleicht einem Weißen Spritzer das Programm im Café Engländer festzuzurren. Vielleicht nächstes Jahr?

Aber genug davon, hier nun meine Reihung der 20 gesichteten, sehr bunten Filme. Insgesamt war es für mich ein sehr starker Jahrgang mit wenigen Ausfällen, aber etlichen echten Highlights, die man nicht verpassen sollte.

9,0 Kürbisse
The Holdovers
von Alexander Payne

8,5 Kürbisse
Anatomie eines Falls
von Justine Triet

8,0 Kürbisse
The Old Oak von Ken Loach
Robot Dreams von Pablo Berger

7,5 Kürbisse
Club Zero von Jessica Hausner
Rickerl – Musik is höchstens a Hobby von Adrian Goiginger

7,0 Kürbisse
Amsel im Brombeerstrauch von Elene Naveriani
Monster von Hirokazu Koreeda
Comedy of Innocence von Raúl Ruiz
Here von Bas Devos
Roter Himmel von Christian Petzold

6,5 Kürbisse
Europa von Sudabeh Mortezai
Daaaaaali! von Quentin Dupieux

6,0 Kürbisse
Puan von Maria Alché und Benjamín Naishtat
Fado, Major and Minor von Raúl Ruiz

5,5 Kürbisse
She Came to Me von Rebecca Miller
Three Sad Tigers von Raúl Ruiz

4,0 Kürbisse
Lakeside Camping von Éléonore Santaignan

3,5 Kürbisse
Die Theorie von allem von Timm Kröger
Cosmosapiens von Pavel Cuzuioc

Anatomie eines Falls (2023)

Regie: Justine Triet
Original-Titel: Anatomie d’une chute
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Anatomie d’une chute


Eine deutsche Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem sehbeeinträchtigen Sohn in einem Chalet bei Grenoble. Sie gibt ein Interview, bricht dieses allerdings ab, als ihr Mann im Dachboden laut Musik zu spielen beginnt, der Sohn geht mit dem Hund auf einen Spaziergang durch die Winterlandschaft, und als er zurückkehrt, findet er den Leichnam seines Vaters vor dem Haus. Was zunächst wie ein klassischer Whodunit-Krimi beginnt, schlägt schon bald in ein Justiz-/Gerichtsdrama um, doch auch diese Genreeinordnung bietet lediglich einen Rahmen für die eigentliche Geschichte, um die es Justine Triet mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnetem Film. Unter ihrer einfühlsamen und kontrollierten Regie entfaltet sich ein Beziehungsdrama, das grausam vor den Augen und Ohren der im Gerichtssaal Anwesenden seziert wird, von einem hysterischen Staatsanwalt und von der Verteidigung selbst im Versuch, die des Mordes beschuldigte Ehefrau zu rechtfertigen. Im Zentrum: Eine undurchschaubar wirkende Sandra Hüller, die ihrer Figur eine wundervolle Ambivalenz verleiht und gleichzeitig die Sympathien auf ihre Seite zeigt durch eine Wahrhaftigkeit, die immer wieder durchschimmert. Das ist nicht nur Oscar-verdächtig, das ist sogar Oscar-schuldig! Ebenfalls im Fokus von Triet: Der Sohn, der wie ein Spielball von der Justiz benutzt wird, ist er doch der einzige Zeuge in diesem Prozess. Sein Vater ist gestorben, seine Mutter steht in der Anklagebank, und der 11-jährige Junge entscheidet mit seiner Aussage über das weitere Schicksal seiner Familie. Das ist heftiger Stoff, der von Triet ohne große Gefühlsduselei und gerade deshalb so mächtig wirkend umgesetzt wird. Am Ende kann es keine Gewinner geben, sondern nur ratlos Überlebende, die nun versuchen müssen, ihren Weg weiterzugehen, nachdem ihr Leben grell ausgeleuchtet und kommentiert wurde. Ein unglaublich starker Film, dem man seine gelegentlichen Längen verzeiht, da er dann doch bis zur letzten Szene fesselt und darüber hinaus noch lange beschäftigt.


8,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Cosmosapiens (2023)

Regie: Pavel Cuzuioc
Original-Titel: Cosmosapiens
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: –


In der Dokumentation „Cosmosapiens“ von Pavel Cuzuioc kann man russischen Kosmologen beim Sternderl Schauen und Philosophieren zusehen. Klingt erst einmal gar nicht so schlecht, denn intelligente Menschen, die verstehen, was ein Schwarzes Loch ist, könnten ja durchaus interessante Gedanken teilen. Gibt es ein Leben im All außer abseits unserer Erde? Was bedeutet „Leben“ überhaupt, und wie sieht es aus? Was ist Unendlichkeit? Wie können wir uns mit unserem begrenzten Auffassungsvermögen diesen großen Fragen zuwenden? All das wird aber in „Cosmosapiens“ höchstens mal angerissen und angedeutet. Mehrheitlich sieht Cuzuioc lieber Ziegen zu; entzückende Tiere, keine Frage, wie auch einer der Kosmologen, der sie züchtet, bestätigt, aber halt auch nur bedingt geeignet, um uns die Ausdehnung des Weltalls zu erklären. Bietet der Enkelsohn eines anderen Kosmologen auf seinem Mountainbike profundere Einsichten? Auch nicht wirklich. Und die Studenten, die über die Objektivität und Subjektivität von Shakespeare-Interpretationen mit demselben Wissenschaftler streiten? Hätten sie wohl besser geschwiegen, diese aufgeblasenen Klugscheißer! Gähnende Langeweile überall. Eben dieser Wissenschaftler mit Zottelhaar und einer Vorliebe für Gedankenspiele steht im Zentrum der Dokumentation, und ja, er scheint eine durchaus interessante Persönlichkeit zu sein, doch verzetteln sich Cuzuioc und er in abstrakten Monologen, nach denen man in etwa genauso schlau wie vorher ist und die das eigentliche Thema seiner Wissenschaft, die Kosmologie, oft nur am Rande streifen. Im Übrigen ist dieser Herr ukrainischer Herkunft und musste nach Ausbruch des Kriegs und damit nach Fertigstellung des Kriegs aufgrund politischer Differenzen auswandern, und das ausgerechnet nach Israel, der arme Hund.


3,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Here (2023)

Regie: Bas Devos
Original-Titel: Here
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama
IMDB-Link: Here


Es braucht eine Weile, bis man in Bas Devos‘ Film „Here“ hineinfindet. Man blickt auf die Baustellen von Hochhäusern, sieht Bauarbeiter in einer Gruppe stehen und ihr Mittagessen verzehren, sieht sie auf dem Heimweg, es passiert nicht viel, und dann ist man in der Wohnung des rumänischen Bauarbeiters Stefan (Stefan Gota), der seinen Kühlschrank ausräumt und aus den Gemüseresten Suppe kocht, da er demnächst über den Sommer in die Heimat fahren möchte. Allerdings streikt sein Auto, sodass er dieses übers Wochenende bei einem befreundeten Mechaniker abstellen muss. Gemeinsam essen sie Suppe, Stefan streift durch Brüssel, durch den Wald, der sich am Rand der Stadt erstreckt, und dort trifft er auf die Botanikerin Shuxiu (Liyo Gong), die Moos studiert. Im Grunde ist damit auch schon der größte Teil des Films erzählt, und ja, das klingt zunächst einmal ziemlich langweilig. Doch geht Bas Devos sehr behutsam mit seinem Film und seinen Figuren um. Vieles schwingt im Subtext mit, vieles bleibt unausgesprochen und wird nicht thematisiert: Das zuweilen harsche Leben von Migranten, das Gefühl der Zerrissenheit zwischen Heimat und neuem Lebenssitz – das alles klammert Devos explizit aus, lässt es aber implizit mitschwingen, in den Blicken der Darsteller:innen, in ihrem oft gezeigten Alleinsein und auch in Stefans Kontaktaufnahme mit seinen Mitmenschen, indem er ihnen Suppe bringt. Es passt sehr gut zum Film und zu Devos‘ Ansatz, dass die Annäherung zwischen Stefan und Shuxiu nicht den üblichen filmischen Mustern folgt und es auch offen bleibt, wohin diese erste Annäherung führen kann und wird. Devos ist nicht daran interessiert, sein Thema auszuerzählen, sondern er fängt Momente ein, und diese Momente stehen auch nicht immer in kausaler Verbindung, und doch geht man als Zuseher diesen Weg mit, da das Leben eben nicht immer kausal ist, wie Regisseur und Hauptdarstellerin im Q&A nach der Vorführung richtigerweise feststellen. „Here“ fühlt sich somit sehr authentisch und echt an und lädt ein, noch lange über die Figuren nachzudenken. Eine besonders wichtige Rolle spielt hierbei auch das Sounddesign, denn Devos gelingt es, mit einer Fokussierung des Sounds auf die Geräusche der Natur das menschliche Dasein in eben diese einzubetten. So werden Stefan und Shuxiu auf ihren Kern, wenn man so will: die Seele, heruntergebrochen, und das ist ein richtig schöner Ansatz für einen Film.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Die Theorie von allem (2023)

Regie: Timm Kröger
Original-Titel: Die Theorie von allem
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Science Fiction, Krimi
IMDB-Link: Die Theorie von allem


Regisseur Timm Kröger wünschte sich vor der Vorführung seines Films „Die Theorie von allem“ ein intelligentes Publikum. Nun, manche Wünsche gehen in Erfüllung, manche aber eben nicht, und ein Kürbis hat nun mal nur den Intellekt eines Gemüses. Aber vielleicht besteht ja auch die Möglichkeit, dass der Kaiser, in diesem Fall Timm Krögers Film, gar keine Kleider anhat. Denn dieser scheint, so jedenfalls aus den laienhaften Augen eines Kürbisses betrachtet, dem Motto „style over substance“ zu folgen. Ein Physikerkongress in den 60er Jahren in den Schweizer Alpen, zu dem ein junger Doktorand mit seinem mürrischen Doktorvater anreist, eine mysteriöse Musikerin, zwei Kinder, die nach einem Absturz im Krankenhaus landen und seltsame Dinge gesehen haben wollen – die Ausgangsbasis wäre eigentlich vielversprechend. Doch hat „Die Theorie von allem“ ein gravierendes Problem: Vor lauter Bemühen, einen Film Noir zu drehen, vergisst Timm Kröger auf die Geschichte. Im Grunde ist „Die Theorie von allem“ eine Aneinanderreihung von Filmzitaten, handwerklich gut gemacht, keine Frage, doch inhaltsleer und uninspiriert. Timm Kröger ist eben kein Alfred Hitchcock, doch gewinnt man den Eindruck, dass er es gerne wäre. Den Darsteller:innen kann man kaum einen Vorwurf machen. Jan Bülow in der Hauptrolle bemüht sich redlich, und Olivia Ross darf eine sehr klassische geheimnisvolle Schöne geben. Vielleicht ist sie einen Tick zu spröde in der Rolle, aber auch sie agiert solide. Hanns Zischler und Gottfried Breitfuss in den Rollen rivalisierender Physiker schrammen zwar nahe an Klischees und Overacting vorbei, fallen aber zumindest nicht negativ auf. Dass der Film – Pardon! – ein ziemlicher Schmarrn ist, liegt am Drehbuch und der drögen Inszenierung, die es fast schon auf bewundernswerte Weise schafft, jegliche Andeutung von Spannung gekonnt zu umschiffen. Wer sich für komplexe, aber stringent umgesetzte Parallelweltengeschichten interessiert, greift lieber zur Serie „Dark“, die gezeigt hat, wie sich ein solches Thema umsetzen lässt: Intelligent, aber den Zuseher dabei nicht aus den Augen verlierend.


3,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Amsel im Brombeerstrauch (2023)

Regie: Elene Naveriani
Original-Titel: Shashvi shashvi maq’vali
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama
IMDB-Link: Shashvi shashvi maq’vali


Laut Aussage der sehr sympathischen und reflektierten Regisseurin Elene Naveriani ist ihr Film „Amsel im Brombeerstrauch“ quasi das „Avatar“ Georgiens: Über 10.000 Besucher zählte das einfühlsame und stille Drama im Heimatland bereits, und diese gewaltige Resonanz zeigt, dass Naveriani mit der Verfilmung des Bestsellers „Amsel, Amsel, Brombeerstrauch“ von Tamta Melashvili einen Nerv getroffen hat, so wie auch die Schriftstellerin selbst, die für die Vorlage gesorgt hat. Es tut sich etwas in der georgischen Gesellschaft. Denn in „Amsel im Brombeerstrauch“ werden althergebrachte und scheinbar fest einzementierte Rollenbilder in Frage gestellt. Etero, eine 48jährige Frau, lebt allein ihr ruhiges Leben in einem kleinen Dorf. Sie betreibt einen kleinen Laden, und Genuss zieht sie aus Brombeerpflücken und Kuchen. Sie wirkt stoisch und unnahbar, hat aber gleichzeitig eine sehr sinnliche Seite, und so landet sie eines Tages recht unvermutet im Bett mit dem verheirateten Lieferanten Murman. Nachdem der gegangen ist, kommentiert sie dieses überraschende Ereignis mit einem trockenen „Da geht sie dahin, die 48jährige Jungfräulichkeit“. Diese Szene bereitet diese spannende, vielseitige Figur perfekt auf: Etero ist eine Frau, die in keine Schublade passt, die ihren eigenen Weg geht, auch wenn dieser weit abseits ausgetretener Pfade verläuft, und natürlich stößt sie damit auf Widerstand. Die Frauen in ihrem Dorf können ihr Handeln und ihre Einstellung nicht nachvollziehen. Es gibt Gerede. Doch auch dieses prallt an Etero ab, die stark wie ein Felsen wirkt. Und doch kommt es zu einem Moment, in dem auch Etero verletzlich wirkt und sich zeigt, dass alles im Wandel ist, auch das Leben von Etero selbst. Mit Etero haben Melashvili, Naveriani und vor allem auch die überragende Darstellerin Eka Chavleishvili eine Figur geschaffen, die eine starke Resonanz erzeugt und dem weiblichen Empowerment eine ganz eigene Stimme verleiht.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Rickerl – Musik is höchstens a Hobby (2023)

Regie: Adrian Goiginger
Original-Titel: Rickerl – Musik is höchstens a Hobby
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie, Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Rickerl – Musik is höchstens a Hobby


Die Wiener und ihr Sinn fürs Morbide. Während der Ambros Woifi den Zentralfriedhof hochleben hat lassen, gräbt Voodoo Jürgens gleich die Toten aus. Dieser Star der jungen neuen Welle des Austropops, dessen Musik noch eine Schicht tiefer unter die Haut geht als die seiner Vorgänger, spielt in Adrian Goigingers neuestem Film den „Rickerl“ Bohacek, einen Beislmusiker und AMS-Stammgast ohne Ambitionen. Klar, er hat einen Manager, der sichtlich an ihm verzweifelt, und vor einiger Zeit stand er schon mal kurz vor der Aufnahme seiner ersten Platte, hat aber im letzten Moment zurückgezogen. Mit seiner Exfreundin Viki (Agnes Hausmann) hat er einen Sohn, Dominik, um den er sich alle zwei Wochenenden rührend kümmert. Aber der Rickerl führt halt ein patschertes Leben. Kaum Geld, immer kurz vor der Delogierung, und die Frau König vom Arbeitsamt verliert auch zunehmend die Nerven. Nur wenn der Rickerl zur Gitarre greift und seine traurig-melancholischen Lieder anstimmt, passiert etwas mit ihm: Da schleicht sich so ein versonnenes Lächeln in sein Gesicht, die Augen geschlossen geht er völlig in seiner Musik auf, und man merkt: Dieser Rickerl sieht mehr als wir anderen. Er schaut genau hin: Auf die Obdachlosen, die Gescheiterten, auf die Alkoholiker im Stammbeisl, auf die Traurigen und die Verlebten. Er klagt nicht an, er erzählt – vom Scheitern und dem Trotzdem-Weitermachen. Und genau darin spiegelt sich auch Goigingers große Stärke in dem Film: Auch Goiginger ist ein Filmemacher, der nicht mit dem Finger auf andere zeigt und urteilt, sondern seinen Figuren einfach die Hand gibt und sie für sich selbst sprechen lässt, wie er es auch in seinem ersten Film Die beste aller Welten gehalten hat. Voodoo Jürgens ist die Idealbesetzung für den Rickerl. Es bleibt offen (und ist von Voodoo Jürgens auch so gewünscht), wie viel Rickerl in Voodoo Jürgens steckt und wie viel Voodoo Jürgens im Privatmenschen David Öllerer, der im Q&A jedenfalls darauf besteht, dass man diese Figuren, diese Identitäten auch voneinander trennt. Doch der Gedanke liegt nah, dass sowohl Rickerl als auch Voodoo Jürgens Facetten zeigen, die der Darsteller in sich trägt, wenngleich auch künstlerisch verfremdet. Ob es nun so ist oder nicht: Dem Film tut es jedenfalls gut, dass die Grenzen manchmal zu verschwimmen scheinen, denn so bleibt die Figur des Rickerl ungemein authentisch und glaubwürdig.


7,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)