Autor: Filmkürbis

Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

Regie: John Carpenter
Original-Titel: Halloween
Erscheinungsjahr: 1978
Genre: Horror
IMDB-Link: Halloween


Für die Entwicklung der Einwohnerzahl idyllischer Kleinstädte, in denen niemand seine Vordertür absperrt, ist es eher suboptimal, wenn ein psychopathischer Killer aus der Irrenanstalt entflieht und es sich in der Stadt gemütlich macht. Wir präsentieren: Michael Myers in seinem Leben vor Austin Powers. Damals, Ende der 70er, ist er noch mit einem scharfen Messer und einer weißen Maske in Haddonfield, Illinois, unterwegs und schlitzt junge Damen lieber auf als mit ihnen ins Bett zu steigen. De gustibus non est disputandum. Naturgemäß finden die Opfer, allen voran die junge Laurie (die künftige Scream Queen Jamie Lee Curtis), eher weniger Gefallen an seinem Hobby – ein klassischer Interessenskonflikt also. Der wird aber nicht groß ausdiskutiert, sondern mit Klingen beseitigt. „Halloween“ von John Carpenter, zurecht einer der großen Horrorklassiker der letzten fünf Jahrzehnte, fackelt nicht lange herum, sondern konzentriert sich auf das Wesentliche. Wer ausgefeilte Charakterentwicklungen oder vertrackte Seitenwege in der Story erwartet, ist mit diesem Film schlecht beraten. Auch folgen die Handlungen der Figuren eher der klassischen Horrorfilmlogik, verhalten sich also immer, wenn’s brenzlig wird, erst einmal so dumm wie nur irgendwie vorstellbar, aber das macht nichts, wenn das Geschehen so spannend inszeniert ist wie hier. Vor allem die Kamerafahrten seien hervorgehoben, die den Zuseher Teil des Geschehens werden lassen. Das ist schon die große Kunst der Filmschule, die John Carpenter hier präsentiert. Natürlich hat aber der Zahn der Zeit auch an diesem Film genagt, und was unsere Elterngeneration noch Nägel beißend ganz tief in die Couch gedrückt hat, entfaltet beim abgestumpften Publikum von heute nicht mehr ganz seine Wirkung. Was für den Kürbis eures Vertrauens eine gute Sache ist, denn ihr wisst ja: Das ist ein Schisser, der sich viele der Horrorfilme von heute nicht einmal hinter vorgehaltener Hand ansehen kann. Im Buch „1001 Filme, die Sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist“ erfährt „Halloween“ seine gerechte Würdigung, und ja, zumindest einmal sollte man den Film schon mal gesichtet haben, allein schon der filmhistorischen Bedeutung wegen. Und: Er ist halt auch sehr unterhaltsam.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 1978 Compass International Pictures, Quelle: http://www.imdb.com)

Titan: Die OceanGate-Katastrophe (2025)

Regie: Mark Monroe
Original-Titel: Titan: The OceanGate Disaster
Erscheinungsjahr: 2025
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Titan: The OceanGate Disaster


Am 18. Juni 2023 verschwand ein privates U-Boot auf dem Weg zum Wrack der Titanic plötzlich von der Bildfläche. Mit an Bord: OceanGate-Gründer und Besitzer Stockton Rush, Tiefseeforscher Paul-Henri Nargeolet und drei zahlende Gäste. Ich kann mich noch gut an die medialen Spekulationen erinnern: Was, wenn sie mit einem technischen Problem auf dem Meeresgrund liegen? Wie lange reicht der Sauerstoff? Wie kann man sie suchen und bergen? Doch zu diesem Zeitpunkt waren alle fünf Insassen schon tot, ums Leben gekommen durch eine Implosion, als die Kohlenstofffaserhülle dem Wasserdruck nachgegeben hatte. Gewissheit wurde das einige Tage später, als erste Wrackteile entdeckt wurden. Wie konnte es dazu kommen? Mark Monroe rekonstruiert in seiner Netflix-Dokumentation zwei Jahre später die Geschichte, die vom Aufstieg und Fall eines genialen Unternehmers handelt, die als Blaupause zum Verständnis solcher exzentrischer Gestalten dienen kann. Denn schnell wird klar: Diese Katastrophe wurde nicht nur durch Fehler in der Konstruktion verursacht, sondern primär durch das Selbstbewusstsein und die damit verbundene Fehleinschätzung eines Mannes, der glaubte, über den Dingen zu stehen. Mir fallen X (pun intended) weitere solcher „Genies“ ein, auf die Verhaltensmuster, wie Stockton Rush sie zeigte, übertragbar wären. Insofern ist „Titan: Die OceanGate-Katastrophe“ ein erhellender Film und als solcher sehenswert. Allerdings trägt er ein Problem mit sich, das vielen, wenn nicht sogar den meisten dieser Katastrophen-Rekonstruktionen zu eigen ist: Der Inhalt ist in ein allzu starres Korsett gezwängt. Chronologisch wird anhand von Interviews (aus dem Insider-Kreis natürlich) und Archiv-Material die Geschichte nacherzählt, wie man sie auch auf Wikipedia zu lesen bekommt. Aufstieg des charismatischen Unternehmers, eine unmöglich zu realisieren erscheinende Vision, erste Erfolge und Durchbrüche, dann die ersten Probleme, das Ignorieren oder Beiseitewischen dieser Probleme, bis es zur Katastrophe kommt, und danach noch die juristische Aufarbeitung. Das Drehbuch folgt einer Checkliste für derartige Dokumentationen und geht konsequent jeglichem Ansatz einer originellen Bearbeitung aus dem Weg. Das ist natürlich der sichere Weg zum Ziel, aber sonderlich spannend ist es nicht. Zu sehr verlässt sich Mark Monroe in seiner Bearbeitung des Stoffes darauf, dass die Geschichte an sich schon interessant genug ist. Das ist ja auch in Ordnung, aber mehr als 5,5 Kürbisse gibt es dafür halt nicht.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Lücken

Lücke f.: ‘leere Stelle, Loch, Unterbrechung einer Reihe, eines zusammenhängenden Ganzen’.

Mut zur Lücke. Eine Lücke hinterlassen. Eine Lücke schließen. Wohin man auch blickt, sieht man Lücken, Leerstellen, Unterbrechungen eines zusammenhängenden Ganzen. So auch hier in diesem Blog. Ein halbes Jahr ist die Lücke nun alt, diese Leerstelle zwischen dem König der Löwen und diesem Beitrag hier. „Erklären Sie die Lücke in Ihrem Lebenslauf.“ Doch was, wenn manches unerklärbar bleibt, wenn Kausalitäten nur mittels Küchenpsychologie hergeleitet werden können? Was, wenn sich manchmal Lücken auftun, die so groß wie Abgründe scheinen, und man nicht die Kraft hat, diese zu überspringen? Oder wenn es einfach an Zeit fehlt, den Sprung zu tun, weil man andernorts gebraucht wird? In den vergangenen 16 Monaten meines Lebens ist viel passiert, beginnend mit der Krebsdiagnose meiner Mutter über ihren Tod kurz vor Weihnachten, ein neuer Anfang mit der Schwangerschaft meiner Frau über die Nachricht, dass es Zwillinge werden, bis zu jenem Tag im Februar, als sich die vielleicht größte Lücke meines Lebens auftat und ich mich von einer Tochter verabschieden musste, während die andere einen Brutkasten weiter um ihr Leben kämpfte (und den Kampf mit einer unglaublichen Willensstärke und Kraft, die sich heute in jedem Alltagsmoment zeigt, gewann). Lücken in einem regelmäßig befüllten Blog tun sich allein schon durch die Geburt eines Kindes auf, wenn sich Prioritäten verschieben, wenn das abendliche Programm nicht aus dem neuesten Film auf einem Streaming-Anbieter besteht, sondern einem quengeligen Baby im Arm. Doch wenn da plötzlich abgrundtiefe Lücken sind, man jeden Tag im Krankenhaus am Bett der eigenen Tochter sitzt, man später zuhause, wenn eigentlich schon alles gut ist, dennoch auf jeden Atemzug hört, ob eh alles okay ist, dann geraten Filme zur kompletten Nebensächlichkeit. Doch auch über die größten Lücken kann man Brücken bauen, auch wenn sie vielleicht anfangs noch behelfsmäßig und wackelig wirken. Es braucht nur Zeit. Zeit, die ich mir in den letzten Monaten genommen habe. Was ich damit sagen will: Mit diesem Blog geht es weiter. Vielleicht nicht mehr so regelmäßig wie früher, vielleicht nicht mit so aktuellen Filmen wie früher (das ist eben diese behelfsmäßige Brücke, über die ich gerade gehe), aber nach Monaten des Ausnahmezustands wird es Zeit, wieder ein Stück weit zur Normalität zurückzukehren – das junge Familienleben auch einfach anzunehmen und gemeinsam mit dem Kind einen Alltag zu entwickeln, in dem es vielleicht auch wieder mal Zeit für den einen oder anderen Film gibt bzw. zur Besprechung einer der vielen Filme, die im Backlog noch auf ihren Auftritt warten.

Der König der Löwen (1994)

Regie: Roger Allers und Rob Minkoff
Original-Titel: The Lion King
Erscheinungsjahr: 1994
Genre: Animation
IMDB-Link: The Lion King


Was gibt es Ikonischeres als die ersten gesungenen Zeilen des Disney-Klassikers „König der Löwen“? Schon kurz nach Erscheinen des Films konnte ich inbrünstig mitsingen: „Ah, Jalapeño! Bla bla bla bla bla kumba ya und so weiter.“ Und so muss ich auch nicht weiter den Inhalt des Films zusammenfassen, denn den kennt auch jeder. Das kleine Löwenbaby Limbo stürzt in einen reißenden Fluss, nachdem sein Vater von Hyänen gefressen wurde, und wird von dem Eichhörnchen Timber und dem Rhinozeros Puma gerettet, die am liebsten „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ singen. Oder bringe ich da doch etwas durcheinander? Also Zeit für einen Re-Watch, die letzte Sichtung ist vielleicht doch schon etwas länger her. Und da kommen die Erinnerungen allmählich zurück: Der kleine Simba und der böse Onkel Scar, der dem Vater und Löwenkönig eine Falle stellt, sodass er von einer Stampede zertrampelt wird, woraufhin Simba, von Schuldgefühlen geplagt, wegläuft und vom Erdmännchen Timon und seinem Warzenschweinfreund Pumbaa „Hakuna Matata“-singend aufgenommen wird, ehe er sich seiner Vergangenheit und seinem Schicksal stellt – ach ja, so war’s! Doch auch wenn man sich nicht mehr an jedes Detail erinnern konnte, so sind Stimmung und Atmosphäre des Films auch nach Jahrzehnten noch präsent und weisen darauf hin, dass der Film den Test der Zeit bestanden hat. Die Musik (getragen von Superstar Elton John, der sichtlich Freude daran hatte, sich am exotischen Setting akustisch auszutoben), die prächtigen Farben, die dramatische Geschichte – all das macht den König der Löwen zu einem zeitlosen Klassiker. Disney war schon mal lustiger, schon mal verrückter und abgedrehter, schon mal fantasievoller, aber die große Stärke dieses Films ist seine emotionale Tiefe. Zudem ist „Der König der Löwen“ pädagogisch wertvoll. Die Botschaft an die Kleinen ist ganz klar: „Horcht’s auf eure Eltern, es Gfraster!“


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved., Quelle: http://www.imdb.com)

Oh la la – Wer ahnt denn sowas? (2024)

Regie: Julien Hervé
Original-Titel: Cocorico
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Komödie
IMDB-Link: Cocorico


Wer hier regelmäßig mitliest, kennt vielleicht schon meine Meinung zu französischen Komödien, die nicht unbedingt zu Gunsten dieses Filmgenres ausfällt. (Ausnahmen wie Liebesbriefe aus Nizza oder Ziemlich beste Freunde bestätigen die Regel.) Um es diplomatisch auszudrücken: Sie sprechen nur in den seltensten Fällen meinen Sinn für Humor an. Und doch gibt es viele da draußen, die diese Filme lieben – und das sei ihnen auch unbenommen. Dennoch kann ich nicht umhin, eine allgemeine Warnung vor dem Film „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ von Julien Hervé auszusprechen, ganz unabhängig davon, ob man für den Humor in französischen Komödien empfänglich ist oder nicht. Denn dieser Film ist – wirklich, ganz ehrlich, ohne Übertreibung, mit vollem Bedacht der gewählten Worte – eine lahme Ente. Das junge Paar Alice und Francois schenkt seinen Eltern beim ersten Aufeinandertreffen das Ergebnis eines Gen-Tests, der die genetische Herkunft bestimmt (einer dieser Heritage-DNA-Tests, die gerade so in Mode sind.) Das Ergebnis passt selbstverständlich niemandem, und die Spannungen, die sich vor allem zwischen den beiden Vätern Gérard (Didier Bourdon), einem aufrechten französischen Autohändler, und Frédéric (Christian Clavier), einem versnobten Weingutsbesitzer mit Adelsstamm, von Beginn an ergeben, werden dadurch auf die Spitze getrieben. Fast kammerspielartig (der Großteil des Films spielt im Salon des fürstlichen Chateaus von Alices Eltern) prallen unterschiedliche Herkünfte, Lebenseinstellungen und Vorurteile aufeinander. Eine Situation wie in Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels, nur leider ohne Kraft, ohne Witz und ohne demaskierender Bösartigkeit. Vielmehr suhlt sich der Film in Ressentiments und rassistischen Entgleisungen. Und zeigt gleichzeitig eine der größten Sünden französischer Komödien auf, die diese für mich zum Teil eben so schwer verdaulich zu machen: Man will augenzwinkernd politisch inkorrekt sein, tut dies aber in einer verstörend verharmlosenden Weise, die eben jene politische Inkorrektheit de facto festzementiert. Unter progressivem Gehabe liegt eine tief verwurzelte konservativ-bürgerliche Einstellung, die an einer ehrlichen Debatte nicht interessiert ist, sondern das Progressive lieber für einen billigen (und oft nicht funktionierenden) Witz nutzt. Um es mit einem direkten Filmzitat zu sagen: „Fuck you very much.“ Es ist zu befürchten, dass es eine Fortsetzung geben wird.


2,0 Kürbisse

(Bildzitat: © Weltkino, Quelle: http://www.imdb.com)

Konklave (2024)

Regie: Edward Berger
Original-Titel: Conclave
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Conclave


Die katholische Kirche macht im Grundsatz schon viel richtig zur Unterhaltung des Pöbels: Mit viel Brimborium werden seltsame, unverständliche Rituale exerziert, Männer stecken in lustigen und farbenprächtigen Gewändern, mit denen sie sich am Kölner Karneval unters Volk mischen könnten, und die Wahl des Chefs erfolgt in einem streng geheimen Verfahren, von dem man nichts mitbekommt außer: „Weißer Rauch: Habemus Papam!“ und „Schwarzer Rauch: Die Kardinäle sind sich nicht einig und holen sich jetzt erst einmal eine Leberkässemmel.“ Nichts geht über gut dosierten Mystizismus, um die Massen zu begeistern. Dieses Geheimnis der Konklave, also der Papst-Wahl, setzt Edward Berger, mit einem Oscar geadelt für Im Westen nichts Neues, mit hochkarätiger Besetzung filmisch um. Herzstück des Films ist Dekan Lawrence (Ralph Fiennes einmal mehr mit einer preiswürdigen Leistung), ein tugendhafter Zweifler, dem nach dem Ableben des von ihm sehr geschätzten Papstes mit der Aufgabe der Durchführung der Konklave beauftragt ist. Ihm zur Seite steht der bescheidene und progressive Kardinal Bellini (Stanley Tucci, ebenfalls grandios), der auf gar keinen Fall Papst werden will und genau deshalb aber seine Anhänger hat. Ihm diametral gegenüber steht der erzkonservative Kardinal Tedesco (Sergio Castellitto), der die katholische Kirche wieder ins Mittelalter zurückschießen möchte. Und auch sonst mischen ehrgeizige Kandidaten in der Wahl mit, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen. Bald geht es weniger darum, einen geeigneten Kandidaten zu ermitteln, sondern zu verhindern, dass eines der vielen schwarzen Schafe, die da im Ornament herumturnen, den Thron von Rom erklimmt. Die Konklave wird zum Jahrmarkt der Eitelkeiten, und ja, das Muster lässt sich übertragen: Alte, gut situierte Männer sind vor allem an der Macht interessiert, und der Weg dahin darf durchaus durchs moralische Dickicht führen, durch das sich sonst keiner traut, wenn das Ziel damit erreicht werden kann. Dass der Film so gut funktioniert, verdankt er neben geschliffenen Dialogen und einem wunderbaren Cast (auch zu erwähnen: Isabella Rossellini mit einer kleinen, aber prägnanten Rolle, Lucian Msamati, John Lithgow und Carlos Diehz, die allesamt ihre Momente haben) vor allem aber seiner Verweigerung eines moralisch erhobenen Zeigefingers, der angesichts so mancher Fehltritte der katholischen Kirche durchaus angebracht erschiene. Edward Berger beobachtet und erzählt, er urteilt nicht. Vielmehr vertraut er darauf, dass die Kraft der Bilder und der Erzählung für sich sprechen und einen möglichen Weg aufzeigen. Gerade in dieser Hinsicht ist „Konklave“ durchaus ein moralischer Film, nur eben ohne Maßregelungen und Überheblichkeit. Das gepaart mit einer eindrucksvollen Kamerarbeit, die virtuos mit dem Raum und dessen Begrenzungen arbeitet, sowie einem eingängigen Soundtrack, der die Spannung des Geschehens untermalt, macht „Konklave“ zu einem exzellenten Film und würdigen Anwärter auf den Oscar für den besten Film des Jahres.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Focus Features. © 2/Courtesy of Focus Features. © 2 – ©  2024 Focus Features, LLC. All Rights Reserved., Quelle: http://www.imdb.com)

Drecksau (2013)

Regie: Jon S. Baird
Original-Titel: Filth
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Filth


Schottland hat vieles, auf das es stolz sein kann: Dudelsäcke, wildromantische Schlösser, Kilts & Clans, eine Sprache, die sonst niemand versteht, Sean Connery und laut Schriftsteller Irvine Welsh, dem Autoren von „Trainspotting“ und „Filth“ ein ausgeprägtes Drogenproblem. Das ist aber nur ein Teil der Probleme des korrupten und abgewrackten Polizisten Bruce Robertson (James McAvoy, noch so ein Nationalheiligtum der Schotten). Andere Probleme des exzentrischen Charmeurs mit der Persönlichkeitsstörung sind der Wunsch nach einer Beförderung, für die er gegen all seine Kollegen intrigiert, eine Sexsucht, ein halb verdrängtes Kindheitstrauma, die komplette Zerstörung seiner Familie und generell ein ungustiöses Verhalten, auf das der Titel des Films wenig subtil hindeutet. Selbst seinen einzigen Freund, den leicht naiven Freimaurer Clifford (Eddie Marsan in einer weiteren denkwürdigen Rolle seiner eindrucksvollen Karriere), reitet Bruce rein, wo es nur geht. Dass dabei der Fall, der über seine weitere Karriere entscheiden soll, nämlich der Totschlag eines japanischen Austauschstudenten, ein wenig ins Hintertreffen gerät, passt nur ins Bild. Für Bruce ist alles eine persönliche Spielwiese, und wer bzw. was nicht seinem Vorteil oder seinem Vergnügen dient, findet einfach nicht statt. Warum wir diesem Ungustl, dieser Drecksau tatsächlich über 1,5 Stunden lang folgen wollen, liegt am Charisma und der Energie von James McAvoy. Auch wenn die Handlung immer schlimmer und schlimmer wird, und der Verfall des „Helden“ immer deutlichere Züge annimmt, bleiben wir dabei, insgeheim hoffend, dass diese tragische Gestalt doch noch die Kurve bekommt. Dabei bleibt kaum Luft zu atmen. Jon S. Baird inszeniert den auf Welshs Roman beruhenden Film in einem hohen Tempo mit grellen Farben, schnellen Schnitten und einer Portion Surrealismus, die den satirischen Aspekt der Geschichte gut begleitet, aber dennoch so wohldosiert eingesetzt ist, dass er ihn nicht unterläuft. Zuweilen wirkt das Geschehen auf dem Bildschirm dennoch recht anstrengend – v.a. zu Beginn muss man sich selbst auch Geduld auferlegen beim Versuch, in die Geschichte und ihre Protagonisten einzutauchen – aber je länger der Film dauert, desto fesselnder wird er, was auch ein Zeichen von Qualität ist. „Filth“ ist eine Tour de Force, die man so schnell kein zweites Mal erleben möchte, aber dennoch trotz einiger stilistischer Wagnisse als rundum gelungen bezeichnet werden kann.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2013 – Lionsgate UK, Quelle: http://www.imdb.com)

Anora (2024)

Regie: Sean Baker
Original-Titel: Anora
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: Anora


Dass ich den Cannes-Gewinner „Anora“ krankheitsbedingt auf der Viennale verpasst habe, war schon Pech, bin ich doch großer Fan von Sean Bakers bisherigen Arbeiten. Ich hatte schon das Gefühl, dass mir da ein Film des Jahres durch die Lappen ging. Aber glücklicherweise mahlen die Mühlen in Österreich bekanntermaßen langsam, und so kann man sich auch zwei Monate nach Ende der Viennale und ein halbes Jahr nach dem Cannes-Sieg in einen gut gefüllten Kinosaal setzen, um den bisherigen Höhepunkt des Baker’schen Schaffens zu sichten. „Anora“ beginnt als klassische Cinderella-Geschichte: Die Erotiktänzerin Anora, die nur Ani genannt werden möchte, lernt im Club den russischen Milliardärsohn Wanja kennen. Es wird Party gemacht, getanzt, gevögelt, und es kommt, was kommen muss: Der infantile, aber humorvolle und gutherzige Wanja verfällt der lebenslustigen Ani, was in einem spontanen Hochzeitsantrag in Las Vegas mündet, und wenn man schon mal da ist, können diesem Antrag auch gleich Taten folgen. Das Problem ist allerdings: Wanjas Eltern in Russland sind nicht unbedingt glücklich darüber, dass die Ehe ihres Sohns mit einer Sexarbeiterin in Russlands Klatschmagazinen auftaucht und schicken daher ihre Schergen, um die Sache geradezubiegen. Was als erotisch aufgeladene Liebesgeschichte beginnt, wechselt bald zu einem Krimi mit Screwball-Elementen, aber Baker wäre nicht Baker, wenn er es bei der leichten Unterhaltung belassen würde. Baker ist ein Humanist mit einem großen Herzen für die Figuren am Rand der Gesellschaft, denen nicht alles in den Schoß fällt. Gleichzeitig hat er aber auch einen ehrlichen, ungeschönten Blick auf die Verhältnisse und führt daher seine Geschichten zu einem konsequenten Ende. „Anora“ vereint alle Vorzüge seines bisherigen Schaffens und fügt diesen noch einmal neue Facetten hinzu. Lustiger und tragischer war noch keiner seiner Filme. Und auch wenn Baker bislang ein fantastisches Händchen für Casting gezeigt hat, ist die Besetzung von Mikey Madison als Titelheldin ebenfalls sein bisheriges Glanzstück. Madison spielt ihre Figur mit einer Hingabe und Energie, die lange im Gedächtnis bleibt. Doch auch Juri Borissow in der denkwürdigsten vieler denkwürdigen Nebenrollen verleiht seinem Handlanger Igor eine Tiefe und menschliche Größe, die man in vielen Filmen vergeblich sucht. Das ist überragend geschrieben und kongenial gespielt. Kein Wunder, dass sowohl Madison als auch Borissow für ihre Leistungen für einen Golden Globe nominiert wurden, eben Sean Baker für Film, Regie und Drehbuch selbst. „Anora“ ist ein ganz großer Wurf, der alle Facetten der cineastischen Emotionen abdeckt, extrem gut unterhält und dabei auch noch lange nachwirkt. Er wäre wohl mein Film des Jahres 2024 geworden. So wird er halt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mein Film des Jahres 2025.


9,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Neon – © Neo, Quelle: http://www.imdb.com)

Jagd auf Roter Oktober (1990)

Regie: John McTiernan
Original-Titel: The Hunt for Red October
Erscheinungsjahr: 1990
Genre: Thriller, Politfilm, Kriegsfilm
IMDB-Link: The Hunt for Red October


Der Kalte Krieg nähert sich allmählich seinem Ende, doch die Spannungen zwischen Ost und West sind nach wie vor hoch. Als ein technologisch neuartiges und den Amerikanern überlegenes russisches U-Boot unter dem erfahrenen und hoch dekorierten Kapitän Ramius (Sean Connery) Kurs auf die Ostküste der Vereinigten Staaten nimmt, schrillen alle Alarmglocken. Noch pikanter wird die Sache, als die Amerikaner durch ihren CIA-Analysten Jack Ryan (Alec Baldwin) herausfinden, dass das mit atomaren Raketen ausgestattete U-Boot, dass dieses über einen kompletten neuen Antrieb verfügt, der es dem U-Boot erlaubt, völlig geräuschlos und unbemerkt durch feindliche Linien fahren zu können. Da wird einem schon ein wenig schummrig bei dem Gedanken, was ein solches Boot alles anrichten könnte. Allein Jack Ryan glaubt noch an eine zweite Theorie: Ramius könnte zu den Amerikanern überlaufen. Um Beweise für diese Theorie zu sammeln, begibt sich der trockene Theoretiker näher an die Praxis, als ihm eigentlich lieb ist – inmitten eines Katz- und Maus-Spiels, wo (es folgt ein Zitat aus diesem großartigen Film) die Schwierigkeit darin besteht, herauszufinden, wer die Katze und wer die Maus ist. „Jagd auf Roter Oktober“ lebt von einer spannenden Grundprämisse, die bis zuletzt offen lässt, in welche Richtung das Pendel schwingt, einer fesselnden Inszenierung, motivierten Darstellerleistungen und geschliffenen Dialogen, die sich ins filmhistorische kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. John McTiernan, der schon einen der spannendsten Filme des 20. Jahrhunderts inszeniert hat, in dem er Bruce Willis in einen Aufzugsschacht gesteckt hat, weiß, wie man Suspense kreiert und mit Action garniert. So ist „Jagd auf Roter Oktober“ 35 Jahre nach seinem Erscheinen ein zeitloser Klassiker, der immer noch bestens unterhält. Und er bietet eines der treffendsten Zitate der Filmgeschichte, das ich angesichts der aktuellen politischen Entwicklung der letzten Tage in Österreich anstatt eines Trailers einbauen möchte. Dieser Klassiker sollte eigentlich zur besseren Erklärung der Geschehnisse unter alle innenpolitischen Berichterstattungen dieser Tage angehängt werden.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Paramount Pictures/Getty Images – © 2012 Getty Images, Quelle: http://www.imdb.com)

Jahresrückblick – Die Top24-Filme von 2024

2024 war ein Jahr der Veränderungen. Es war ein Jahr, das gezeichnet war von einem langen Leidensweg meiner Mutter, die am 12.12. nach schwerer Krankheit von uns gegangen ist. Die Diagnose haben wir im April erfahren – ab diesem Zeitpunkt war alles ein bisschen anders als vorher. Es war aber auch ein Jahr der Glücksmomente, als ich erfahren habe, dass ich zum ersten Mal Vater werde – und das gleich doppelt. Es ist vermutlich nachvollziehbar, dass Kinobesuche und Filme in der zweiten Jahreshälfte 2024 etwas in den Hintergrund traten. Die heute ausgewertete Statistik warf insgesamt 111 Filmsichtungen aus – ziemlich gleichmäßig verteilt auf neue Sichtungen und Wiederholungen (54 zu 57). Der Anteil an Filmen, die von Frauen gedreht wurden, reduzierte sich auf erschreckende 9% – unter den neuen Sichtungen lag der Anteil mit 14% nur geringfügig höher. Daraus ergibt sich also schon einmal ein Vorsatz für 2025. Von den 54 neuen Sichtungen qualifizierten sich schließlich 38 Filme für meine Top-Liste des Jahres. Meine Kriterien dafür sind wie immer: In die Wertung kommen Filme aus 2024 sowie Filme aus dem Vorjahr, sofern ich sie regulär in einem Kino sichtete. Für eine Top30-Liste wie üblich ist die Ausbeute somit zu gering – man stößt dann schon in Niederungen vor, die ich beim besten Gewissen nicht empfehlen kann. Also gehe ich heuer einen anderen Weg. Ich stelle hiermit meine Top24-Liste des Jahres 2024 vor. Damit brauchte es zumindest 6 Kürbisse, um es auf die Liste zu schaffen.

Und hier nun die Top24 von ’24:

Platz 1: Dune: Part Two von Denis Villeneuve – 9,5 Kürbisse
Auch dieses Jahr hat es Denis Villeneuve, wie schon mit seinem ersten Teil, geschafft, meinen persönlichen Top-Film des Jahres abzuliefern. „Dune: Part Two“ schließt qualitativ nahtlos an den ersten Film an, Stimmung und Atmosphäre suchen ihresgleichen und mit Austin Butler bietet der Film einen denkwürdigen Schurken.

Platz 2: Who by Fire von Philippe Lesage – 8,5 Kürbisse
Meine positive Überraschung der diesjährigen Viennale. Ohne große Erwartungen in diesen frankokanadischen Film reingesetzt und von der Atmosphäre 2,5 Stunden lang mitgerissen worden. Ein Film, der einen Nerv bei mir getroffen hat – ähnlich wie „Riddle of Fire“ letztes Jahr.

Platz 3: Civil War von Alex Garland – 8,0 Kürbisse
Ein Film, der weh tut und den man so schnell nicht noch einmal sehen möchte. Gleichzeitig aber auch die unbedingte Empfehlung, sich das mal anzutun, denn Alex Garland taucht tief in die Abgründe der Menschheit ein, und es ist durchaus lehrreich, diesem blanken Horror ins Auge zu blicken.

Platz 4: All of Us Strangers von Andrew Haigh – 8,0 Kürbisse
Knapp am Stockerl vorbeigeschrammt ist „All of Us Strangers“ – ein Beinahe-Kammerspiel mit zwei grandiosen Darstellern, die in ihrem Spiel eine große emotionale Wucht entfalten. Auch kein Film, den man sich an einem Sonntagnachmittag mal gemütlich nebenbei reinzieht, aber großes, weil vor allem sensibles Kino.

Platz 5: The End von Joshua Oppenheimer – 8,0 Kürbisse
Ein Endzeit-Musical in einem Bunker, das die emotionalen und familiären Probleme der letzten überlebenden Familie der Welt in den Fokus rückt. Das, was Joshua Oppenheimer und sein großartiger Cast hier abliefern, muss man sich erst einmal trauen. Ein Film, der wohl entweder perfekt funktioniert oder überhaupt nicht – je nach Rezipient.

Platz 6: Between the Temples von Nathan Silver – 7,5 Kürbisse
Wieder ein Viennale-Film, doch diesmal nach all der Tristesse der vorigen Filme nun mein Feelgood-Film des Jahres, der in seinem Thema an den großartigen Liebesfilm „Harold und Maude“ erinnert, ohne qualitativ aber ganz an ihn heranzukommen. Dennoch ein schöner, sehenswerter Film.

Platz 7: Liebesbriefe aus Nizza von Ivan Calbérac – 7,0 Kürbisse
In einem anderen Jahr wäre diese leichtfüßige französische Komödie wohl im soliden Mittelfeld meiner Top30-Liste gelandet, heuer reicht es sogar für die Top10. Auch eine positive Überraschung, denn mit französischen Komödien habe ich es eigentlich nicht so. „Liebesbriefe aus Nizza“ ist aber überraschend komisch, ohne die Absurditäten zu sehr auf die Spitze zu treiben.

Platz 8: Speak No Evil von James Watkins – 7,0 Kürbisse
Die James McAvoy-Show. In „Speak No Evil“ zieht er alle Register seines Könnens. Der Film selbst ist solide Thriller-Kost mit einer wohltuenden Erdung in der Realität. Verletzungen tun hier auch mal richtig weh, und wenn wer den Schädel eingeschlagen bekommt, steht er nicht fünf Minuten später wieder auf und stürzt sich brüllend auf die unversehrten Helden.

Platz 9: On Becoming a Guinea Fowl von Rungano Nyongi – 7,0 Kürbisse
Endlich die erste Dame auf der Liste. Rungano Nyongi inszeniert die familiären Verwerfungen nach einem Todesfall mit grimmigem Humor und gleichzeitig einer ordentlichen Portion Mitgefühl. Wahrscheinlich wird es schwierig, den Film hierzulande zu finden und zu sehen, aber wenn er euch irgendwo mal unterkommt, ist hiermit eine warme Empfehlung ausgesprochen.

Platz 10: Kleine schmutzige Briefe von Thea Sharrock – 7,0 Kürbisse
Die Sichtung dieser wundervollen britischen Komödie rund um skandalöse Briefe, die eine ehrbare Bürgerin anonym erhält, fällt durchaus einfacher, ist der Film doch schon auf gängigen Streaming-Anbietern erhältlich. Olivia Colman und Jessie Buckley liefern sich einen höchst amüsanten verbalen Schlagabtausch, der mit Tempo inszeniert wurde.

Platz 11: Alien: Romulus von Fede Alvárez – 7,0 Kürbisse

Platz 12: Alles steht Kopf 2 von Kelsey Mann – 7,0 Kürbisse

Platz 13: Furiosa: A Mad Max Saga von George Miller – 7,0 Kürbisse

Platz 14: To the Moon von Greg Berlanti – 7,0 Kürbisse

Platz 15: A Quiet Place: Tag Eins von Michael Sarnoski – 6,5 Kürbisse

Platz 16: May December von Todd Haynes – 6,5 Kürbisse

Platz 17: Andrea lässt sich scheiden von Josef Hader – 6,5 Kürbisse

Platz 18: Queer von Luca Guadagnino – 6,5 Kürbisse

Platz 19: Matt und Mara von Kazik Radwanski – 6,5 Kürbisse

Platz 20: Dreaming Dogs von Elsa Kremser und Levin Peter – 6,5 Kürbisse

Platz 21: Deadpool & Wolverine von Shawn Levy – 6,5 Kürbisse

Platz 22: The Fall Guy von David Leitch – 6,5 Kürbisse

Platz 23: Challengers – Rivalen von Luca Guadagnino – 6,0 Kürbisse

Platz 24: Planet der Affen: New Kingdom von Wes Ball – 6,0 Kürbisse

Viele Blockbuster und Highlights, die wohl in einigen Bestenlisten des Jahres auftauchen, muss ich erst noch nachholen. Filme wie „Konklave“ zum Beispiel wären sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf meiner Top-Liste aufgetaucht. Aber 2025 ist auch noch ein Jahr.

Und was sind eure Filme des Jahres?