Thriller

A Beautiful Day (2017)

Regie: Lynne Ramsay
Original-Titel: You Were Never Really Here
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller
IMDB-Link: You Were Never Really Here


Der müde Joe (Joaquin Phoenix) ist jener Mann, den man fürs Grobe herbeiruft. Der Mann ist ein Profi: Seine Waffen beschafft er sich einfach im Baumarkt. Und wenn er mal losgelassen wurde, hämmert er fröhlich auf alles ein, was sich ihm in den Weg stellt. Natürlich hat so einer wie Joe eine Vorgeschichte, doch die wird nur angedeutet. Häusliche Gewalt durch den Vater, traumatische Erlebnisse – immer wieder kommen in Flashbacks Bilder hoch, die aber keine eindeutige Antwort geben. Nun hat Joe einen neuen Auftrag: Er soll die Tochter des Gouverneurs finden, der sich gerade im Wahlkampf befindet und damit die Öffentlichkeit aus dem Spiel lassen möchte. Man vermutet, dass Nina einem Kindersexring in die Hände gefallen ist. Und so zieht Joe los, um den Schurken mal ein paar neue Gedanken in den Schädel zu hämmern und das Kind zu befreien. Doch dann kommt es doch etwas anders als erwartet, und plötzlich ist Joe persönlich involviert. Lynne Ramsay erzählt die Geschichte von „You Were Never Really Here“ (so der englische Originaltitel, der mit „A Beautiful Day“ einen neuen englischen Titel bekommen hat, weil wir uns im deutschsprachigen Raum so schwer tun mit Wörtern wie never und really und here) auf eine unerwartete, aber umso passendere Weise: Die Gewalt wird kaum explizit gezeigt, sondern man sieht lediglich die Auswirkungen dieser. Unterlegt vom grandiosen düsteren Soundtrack von Jonny Greenwood (was Musik betrifft, kann dieser Mann einfach alles) entsteht so eine Atmosphäre der vagen Andeutungen. Vieles bleibt unausgesprochen, aber man kann sich als Zuseher schon sein Bild zusammenreimen. Auch verzichtet Lynne Ramsay, ihren gebrochenen und ambivalenten Helden zu sehr in Stereotype verfallen zu lassen. Immer wieder überrascht die Figur durch sehr menschliche Handlungen in unerwarteten Situationen, und man weiß, dass da einer ist, der selbst zutiefst verwundet ist und eigentlich gar nicht so sein möchte, wie er ist. Joaquin Phoenix spielt Joe mit einer unglaublichen physischen Präsenz und liefert tatsächlich einen weiteren Meilenstein in seiner ohnehin schon eindrucksvollen Karriere hin. Ich wittere Oscar-Nominierungen im nächsten Jahr für Phoenix, das Drehbuch, die Musik und vielleicht sogar für Regie und Film.


8,0
von 10 Kürbissen

Revenge (2017)

Regie: Coralie Fargeat
Original-Titel: Revenge
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller, Action
IMDB-Link: Revenge


„Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.“ So ein Klingonen-Sprichwort. Das junge Model Jennifer (Matilda Lutz) hat Star Trek offenbar nie gesehen, denn ihr kann es nicht schnell genug gehen mit dem Zahltag, nachdem sie vergewaltigt, einen Abgrund hinabgestoßen und aufgespießt worden ist. Wie durch ein Wunder überlebt sie diese Tortur, und klar, sie hat jetzt nicht nur einen Pflock, sondern auch eine Mordswut im Bauch. Dass die drei Herrschaften, die ihr das angetan haben, den nur halbherzig ausgeführten Job, sie über den Jordan gehen zu lassen, nun beenden wollen, kommt ihr gerade recht. Und so entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel in der Wüste. „Die Schwierigkeit beim Katz-und-Maus-Spiel ist zu wissen, wer die Katze ist.“ Ein weiteres schönes Filmzitat aus „Jagd auf Roter Oktober“. „Revenge“ von Coralie Fargeat ist eine heiße Angelegenheit. Hier wird geschwitzt und geflucht und vor allem geblutet, was nur geht. Ein schwer verletztes Model gegen drei bewaffnete Jäger. Subtile Zwischentöne oder allzu viel Wert auf Logik darf man von diesem Film nicht erwarten. Jeder Mensch hat zwischen 5 und 7 Litern Blut im Körper. In diesem Film blutet jeder mindestens 20 Liter raus. Aber egal, der Film macht einfach Spaß. Vielleicht ist „Revenge“ nicht unbedingt der originellste Beitrag zum Exploitation-Genre, aber wohl einer der am besten gefilmten. Wenn beispielsweise eine Ameise unter aus subjektiver Ameisensicht wahrgenommenem Artilleriebeschuss durch Blutstropfen steht und ihr Heil zwischen den donnernden Einschlägen sucht, so ist das einfach verdammt gut gemacht und extrem unterhaltsam. Auch ist stets spürbar, dass der Film von einer Frau gedreht wurde. Jennifer ist einfach badass. Wird sie zu Beginn noch als leicht dümmliches Sexspielzeug des reichen Schnösels dargestellt, zeigt sie im weiteren Verlauf den zunehmend weinerlichen Männern, wo der Barthel den Most herholt. Allerdings sei gewarnt: Wer mit empfindlichem Magen in den Film geht, wird den Inhalt desselben früher wieder zu Gesicht bekommen als erhofft. Und wer beim Anblick vom Blut in Ohnmacht fällt (soll’s ja geben), wird mindestens zwei Drittel des Films darniederliegen. Fazit: Gut gemachte, blutige Unterhaltung, die es einfach nur krachen lassen will, ohne weitere Ansprüche an Logik oder Anspruch zu stellen.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival Linz)

Scary Mother (2017)

Regie: Ana Urushadze
Original-Titel: Sashishi Deda
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller, Drama
IMDB-Link: Sashishi Deda


Im Nachhinein ist man immer schlauer: Wäre ich doch mal lieber im Q&A zu „Lucica und ihre Kinder“ sitzengeblieben, anstatt in den Nebensaal zu „Scary Mother“ zu hetzen. Selbst wenn Regisseurin Bettina Braun in diesem Q&A nur ihre besten Backrezepte verraten hätte, wäre das mit Sicherheit noch spannender gewesen als der Film der georgischen Regisseurin Ana Urushadze. Dabei hätte die Synopsis geradezu danach geschrieen, mich ins Kino zu locken. Es geht um die Schriftstellerin und liebevolle dreifache Mutter Manana, die kurz vor der Vollendung ihres neuen Romans steht. Der Ladenbesitzer gegenüber, ein Hobby-Literaturkritiker, den sie das ansonsten streng geheime Werk probelesen ließ, ist von dem Werk begeistert und hält es für ein Meisterwerk. Die Familie – bei der ersten gemeinsamen Lesung – ist weniger angetan davon, denn schon nach wenigen Zeilen wird klar, dass Manana hier ihre eigene Familiengeschichte erzählt, allerdings pervertiert und mit unglaublich viel Hass und Verachtung zwischen den Zeilen. Hier strampelt sich jemand ganz klar heraus aus einer vordefinierten Rolle der Hausfrau und Mutter. Klar, dass vor allem der Ehemann und Vater, der ja sowieso immer alles besser weiß, vor allem in Bezug auf die Frage, was Manana tun oder lassen soll, recht unfreundlich reagiert. Der Ladenbesitzer, der einen kleinen Crush auf Manana zu haben scheint, hat diese Situation vorausgesehen und in seinem Laden ein Zimmer für sie eingerichtet, in dem sie den Roman fertig schreiben kann, während er sich auf die Suche nach einem Verleger macht. So weit, so gut. Der Rest des Films besteht allerdings darin, dass Manana mit irrem Blick durch die Gegend schleicht, mal hinter dem Ladenbesitzer her, mal durch die Stadt, mal durch die Wohnung ihres Vaters. Falls noch jemand einen deutschen Verleihtitel für den Film suchen sollte: „Schleichende Mutter“. Bitte, gern geschehen. Das Ende ist dann wieder ganz okay, aber der (schleichend langsame) Weg dahin eine ziemlich mühsame Angelegenheit.


3,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival Linz)

Double Date (2017)

Regie: Benjamin Barfoot
Original-Titel: Double Date
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Horror, Komödie, Satire, Thriller
IMDB-Link: Double Date


Noch vor Beginn des Films wurden gleich mal die Weichen für die kommenden 1,5 Stunden gestellt, als der Moderator launig ins Publikum fragte, wer denn schon einmal bei einem Double Date gewesen sei, also zusammen mit einem Freund / einer Freundin und den jeweiligen Love Interests unterwegs. Ein paar zaghafte Hände gingen in die Höhe. Auf die Rückfrage des Moderators, wie denn das so gewesen sei, kam aus von einem Zuseher die Antwort: „Tatsächlich sind wir gerade auf einem Double Date.“ Der Moderator daraufhin: „Dann bin ich mal gespannt, ob ich euch morgen wiedersehe, denn wie wir gleich erfahren werden, sind Double Dates manchmal tödlich.“ Und damit ist gleich mal zusammengefasst, worum es in Benjamin Barfoots Film geht. Dieser ist reine Publikumsbespaßung. Mit großem Vergnügen zelebriert Barfoot jegliches Klischee, die man rund um die Dating-Situationen junger Erwachsener finden kann, und stellt dann den Fuß bis zum Anschlag aufs Gaspedal. Die Story: Der schüchterne Jim steht vor seinem dreißigsten Geburtstag und hatte noch nie etwas mit einer Frau. Sein großmäuliger Freund Alex verspricht ihm daher, dass er noch vor seinem Geburtstag flachgelegt werden würde. Auftritt zweier übertrieben hübscher Grazien in der Bar, die an den beiden Kumpanen trotz holpriger Anmache überraschend Gefallen finden. Was der Maulheld und sein komplexbeladener Kompagnon nicht ahnen: Die beiden Mädels haben sinistere Pläne, die Chloroform, ein Messer und mehrere Stunden Putzen danach inkludieren. Ahnungslos tappen die beiden libidinösen Helden in die Venusfalle. Dass sie zudem nicht die hellsten Sterne am Firmament sind, lässt den geneigten Zuseher umso mehr um ihr armseliges Leben bangen. „Double Date“ ist ein Film nach dem Motto „Hirn aus, Popcorn rein“. Der Spaßfaktor ist enorm, und vor allem, wenn man mit dem leicht verdrehten und schwarzen britischen Humor etwas anfangen kann, macht man hier nichts falsch. „Double Date“ hat ein einfaches Rezept, das aber gut funktioniert: Über jeden Schrecken lässt sich auch lachen.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival Linz)

A Most Violent Year (2014)

Regie: J. C. Chandor
Original-Titel: A Most Violent Year
Erscheinungsjahr: 2014
Genre: Drama, Krimi, Thriller
IMDB-Link: A Most Violent Year


1981. New York. Die Kriminalitätsrate ist hoch, und in der Wirtschaft kommen noch eher Brechstangen und Eisen als Computer vor. Die Heizölgesellschaften bekämpfen sich gegenseitig mit allen erlaubten und vielen unerlaubten Mitteln, und die Staatsanwaltschaft ermittelt sicherheitshalber gleich mal gegen die gesamte Branche. Im Mittelpunkt von „A Most Violent Year“ steht der von Oscar Isaac verkörperte Unternehmer, der versucht, halbwegs redlich über die Runden zu kommen, dabei aber mit einem Bein im Gefängnis steht, den anderen Fuß in der Tür eines großen Geschäftsabschlusses hat und von hinten von den Gangstern gefickt wird, die seine Lastwagen kapern und sein Öl klauen. Dass seine von Jessica Chastain überragend gespielte Frau ihre Erziehung durch einen Gangstervater genossen hat, ist auch nur bedingt hilfreich. Kurz: Er hat Stress. Als Folge davon entwickelt sich ein Wirtschaftsthriller mit Längen, der zunächst nur schwer in Fahrt kommt, dann aber doch noch packender wird und am Ende ein ziemlich zynisches, da zutreffendes Statement über den Zustand des Kapitalismus abgibt. Der kleine Arbeiter liegt am Boden, der Rest wäscht sich gegenseitig die Hände.


6,5
von 10 Kürbissen

Red Sparrow (2018)

Regie: Frances Lawrence
Original-Titel: Red Sparrow
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Thriller
IMDB-Link: Red Sparrow


Tja, die Erwartungshaltungen bei Filmen und wie sie dann beim Sichten unterlaufen werden. Darüber könnte man ganze Bücher schreiben. Ein weiteres Kapitel in diesem Buch würde sich wohl mit „Red Sparrow“ von Francis Lawrence beschäftigen. Ich also ins Kino rein mit großen Erwartungen an den viel besprochenen Softporno. Dann ist dieser aber mit so langweiligem Agentenzeug durchzogen. Fassungslos schob ich mir ein Popcorn nach dem nächsten rein, aber die Darsteller kamen einfach nicht zur Sache, sie quatschten nur. Gut, einmal wird kurz blank gezogen, und die eine oder andere Szene sorgt vielleicht beim Großvati, der den Namen des Regisseurs mit Lawrence von Arabien verwechselt hat und damit irrtümlich im Kinosaal gelandet ist, für etwas erhöhten Pulsschlag, aber um mich alten Cineasten zu erregen, muss man sich besseres einfallen lassen als das übliche „Der Regisseur deutet an, dass es gleich heftig zur Sache gehen wird im Bett – Schnitt – am nächsten Morgen wachen wir hübsch geschminkt und geföhnt im adretten, alle Körperstellen züchtig bedeckenden Nachthemd auf“. Wie gesagt, für einen Softporno echt schwach. Und den hätte man sich ja wirklich erwarten können – soll es doch um junge russische Agentinnen gehen, die vom Staat zu Meisterinnen der Verführung, quasi moderne Mataharis, ausgebildet werden, um dem bösen Westen (hier verkörpert durch einen sichtlich unterforderten Joel Edgerton) die intimsten Geheimnisse zu entlocken. Auftritt Ex-Ballerina Dominika (Jennifer Lawrencewa), die im Auftrag ihres Onkels (Matthias Schoenaertski) sowie der Spitze des russischen Geheimdienstes (Jeremy Ironsow und Ciarán Hindsew) in einer Art Boot(y) Camp (man verzeihe den schlechten Wortwitz) durch die dortige Ausbildnerin (Charlotte Ramplingowa) gedrillt wird, nachdem sie durch jenen Onkel in eine Situation manövriert wurde, die im besten Fall als „a blede G’schicht“ bezeichnet werden kann. Friss, Spatz, oder stirb, heißt es da, und da sie sich trotz zwangsweiser Ballerina-Pension noch nicht lebensmüde fühlt, wählt sie den angebotenen zweiten Bildungsweg. Und spielt fortan ein eher undurchsichtiges Spiel. „Red Sparrow“ will geheimnisvoll, spannend und erotisch sein. Achtung, Spoiler: All das ist er nicht. Geheimnisvoll: Na ja, irgendwie ist wirklich jedem Zuseher, der zumindest schon mal einen James Bond-Film gesehen hat, sehr schnell klar, wer hier welches Spiel spielt, wer die Guten und wer die Bösen sind. Spannend: Der Film hat mit einer Spieldauer von fast 2,5 Stunden deutliche Überlänge, und er weiß auch jede einzelne Minute davon auszukosten. Erotisch: Ja, man kann mal kurz JLaws Tutteln sehen, und einmal läuft Joel Edgerton hemdfrei durchs Bild. Aber für einen Film, in dem es um Verführungskünste gehen soll, ist das eine glatte Themenverfehlung – denn so wenig subtil und so unerotisch wie hier wurde die Kunst der Verführung selten dargestellt. Was ebenfalls nervt (aber natürlich dem Fokus auf den heimischen Markt geschuldet ist): Dass sich ein All-Star-Cast englischsprachiger Akteure mit sehr abenteuerlichen und wild durcheinandergemischten russischen Akzenten abmühen muss. Zwischenzeitlich war ich echt froh für Joel Edgerton, der den Joker gezogen hat, indem er die einzige relevante Figur spielen durfte, die nicht so klingt wie ein Schlaganfallpatient auf dem Weg zurück. Wie schön wäre es, wenn Hollywood endlich mal erkennen könnte, dass man Filme auch in den jeweiligen Originalsprachen drehen und dann untertiteln darf – das ist nämlich nicht verboten! Anyway: Auf der Habenseite stehen eine stets gut frisierte Jennifer Lawrence, die sich zumindest nach Kräften bemüht, und die eine oder andere kurzweilige Szene. Unterm Strich ist der Film aber recht uninspirierte Hollywood-Dutzendware.

 


4,5
von 10 Kürbissen

Alles Geld der Welt (2017)

Regie: Ridley Scott
Original-Titel: All the Money in the World
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Biopic, Krimi, Historienfilm, Thriller
IMDB-Link: All the Money in the World


Ridley Scott ist einer meiner persönlichen Säulenheiligen des Filmschaffens. Mit „Blade Runner“ hat er meinen absoluten Lieblingsfilm gedreht. Mit „Thelma & Louise“, „Gladiator“ und „Alien“ drei weitere absolute Meisterwerke, die ganze Genres begründet oder neu definiert haben. Dazu kommen Filme wie „Königreich der Himmel“, „White Squall“, „Ein gutes Jahr“ oder „Der Marsianer“ – Filme, die ich ebenfalls sehr mag und unheimlich gerne sehe, auch wenn sie vielleicht geringfügige Schwächen aufweisen. Um es kurz zu machen: Der Mann kann wirklich etwas und zählt wohl zu den einflussreichsten Regisseuren der letzten fünfzig Jahre. Sein neuestes Werk „All the Money in the World“ beschäftigt sich nun mit der Entführung von Paul Getty III (Charlie Plummer), dem Enkelsohn des damals reichsten Mannes der Welt (bzw. sogar der Geschichte, da er der erste Milliardär überhaupt war), J. P. Getty (Christopher Plummer). 1973 wird Paul Getty in Rom entführt. Die Lösegeldforderung: 17 Millionen Dollar. Peanuts für einen Getty. Dieser allerdings hockt so sehr auf seinem Geld, dass Dagobert Duck daneben wie der freigiebigste Philanthrop aller Zeiten wirkt. „Ich habe vierzehn Enkelkinder. Würde ich nur einen Penny bezahlen, hätte ich bald vierzehn entführte Enkelkinder.“ So sein Statement vor der Presse, obwohl Paul zu seinen Lieblingen zählt. Pauls Mutter Gail (Michelle Williams), geschieden von ihrem im Drogensumpf versunkenen Getty, hat selbst kein Geld. Und das Verhältnis zum Alten ist – gelinde gesagt – kühl. Dieser engagiert zumindest den ehemaligen Geheimagenten Fletcher Chase (Mark Wahlberg), einem Meister der Verhandlungen. Dieser soll Gail zur Seite stehen und den Jungen raushauen. Eine fatale Fehleinschätzung führt aber dazu, dass sich die Lage dramatisch zuspitzt. Der Stoff von „All the Money in the World“ verspricht Spannung und große Emotionen. Was der Film allerdings nicht bietet, sind Spannung und große Emotionen. Es ist fast schon erschütternd in Anbetracht von Scotts Œuvre, wie belanglos der Film vor sich hin plätschert und dabei auch noch massive Schwierigkeiten offenbart, einen eigenen Rhythmus zu entwickeln. Die kalte, aalglatte Welt der Superreichen wirkt sich negativ auf den Film aus, an dem die an sich dramatische Geschichte abperlt wie von Teflon. Christopher Plummer mit einigen wenigen guten Szenen kann auch nicht mehr viel retten. Vor allem nicht, wenn er neben einem Mark Wahlberg spielen muss, der sich mit einem einzigen Gesichtsausdruck, nämlich gelangweilt, durch die über zwei Stunden schummelt. Wahlberg war großartig in „The Departed“, aber die dortige Rolle darf wohl als einmalige Sternstunde zu den Akten gelegt werden. Michelle Williams bemüht sich nach Kräften, aber auch ihr wird nicht viel Raum gelassen für Emotionen. Und so ist „All the Money in the World“ leider als ein Tiefpunkt in Ridley Scotts Schaffen zu bezeichnen: Unrhythmisch, dramaturgisch schwach und schlicht langweilig. Ein paar gute Szenen, in denen Scott zeigt, dass er es eigentlich doch könnte (Stichwort: Ohr), retten dem Film noch magere vier Pünktchen in der Bewertung.


4,0
von 10 Kürbissen

Black 47 (2018)

Regie: Lance Daly
Original-Titel: Black 47
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Thriller, Western
IMDB-Link: Black 47


Irland 1847. Die Kartoffelfäule und die Kolonialmacht Großbritannien saugen das Land fürchterlich aus. Über eine Million Menschen sind bereits an Hunger gestorben – wer kann, wandert aus. Einer wandert ein: Martin Feeney (James Frecheville), der in Afghanistan gekämpft hat, kehrt als Deserteur nach Hause zurück. Dort muss er feststellen, dass seine Familie nicht mehr am Leben ist. Der unbarmherzige Landbesitzer Lord Kilmichael (Jim Broadbent) hat diese delougiert, um Steuern zu sparen, was bei klirrender Kälte und grassierender Hungersnot ein sicheres Todesurteil ist. Der als Soldat bestens ausgebildete Feeney startet einen Rachefeldzug, den ausgerechnet sein mittlerweile in Ungnade gefallener Kriegskamerad Hannah (Hugo Weaving) stoppen soll. Für diesen ist die Ergreifung Feeneys der einzige Ausweg aus einer misslichen Lage – hat er doch als Inspektor einen Verdächtigen, der nicht reden wollte, zu Tode gewürgt. Die Aussichten sind klar: Feeney oder er – am Ende baumelt einer. Und so zieht Hannah widerwillig los in Begleitung eines dienstbeflissenen Leutnants, eines Grünschnabels und des Einheimischen Conneely (Stephen Rea). Schon bald kommt es zu einer ersten Konfrontation. „Black 47“ spielt während eines der finstersten Kapitel der europäischen Geschichte – der irischen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts. Filme wie „Gangs of New York“ von Martin Scorsese berichten von den Auswirkungen dieser Not, doch kaum ein Film hat bislang auf so drastische und intensive Weise von der Episode selbst erzählt. Das Land ist karg und unwirtlich, und wer kein Dach über dem Kopf hat, stirbt. Doch als wäre eine Geißel nicht genug, zieht auch noch England das letzte bisschen an Ernte aus dem Land heraus. Und in diesem politischen, sozialen Kälteklima ist der Film von Lance Daly angesiedelt. Westernmotive werden ausgiebig bedient, und selten haben diese außerhalb des Wilden Westens selbst so gut gepasst wie hier. „Black 47“ erzählt von Outlaws, deren einziger Überlebenswille sich aus dem Hass auf jene zieht, die ihnen alles genommen haben. Die Wut wird in der zerklüfteten Landschaft genauso spür- und erfahrbar wie der Hunger. So gesehen ist „Black 47“ ein zutiefst pessimistischer Film, der sich auch einer versöhnlichen Schlussbotschaft verschließt, aber gleichzeitig menschelt es hier gewaltig. Vielleicht hat er ein paar Längen und ist an manchen Stellen etwas unrhythmisch erzählt, und auch nicht immer sind alle Handlungen nachvollziehbar, aber dennoch ein Film, den man sich durchaus mal ansehen kann, auch wenn man danach nicht unbedingt gut gelaunt aus dem Kino kommt.


7,0
von 10 Kürbissen

The Killing of a Sacred Deer (2017)

Regie: Giorgos Lanthimos
Original-Titel: The Killing of a Sacred Deer
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller
IMDB-Link: The Killing of a Sacred Deer


Jene, die zum ersten Mal in einem Lanthimos-Film sitzen, erkennt man am unentwegten Aufstöhnen, gefolgt von ungläubigem Gelächter. Wenn dann die Lichter des Kinosaals wieder angehen, blickt man in ratlose Gesichter, in denen zu Grimassen verzogene Münder versuchen, das Gesehene in ganzen deutschen Sätzen zu kommentieren – woran sie aber gnadenlos scheitern, da sie über ein „Also, ich weiß ja nicht, das ist irgendwie …“ nicht hinauskommen. „Das war … interessant“, lautet meistens die abschließende Bewertung. Und dann, nach einigen Tagen Pause, in der das Geschehen auf der Leinwand einigermaßen eingeordnet und verarbeitet werden konnte, ist man entweder großer Lanthimos-Fan oder geht nie wieder in einen Film dieses Regisseurs. Ich gehöre zur ersten Gruppe. „The Killing of a Sacred Deer“, mein insgesamt dritter Lanthimos nach den überragenden „Dogtooth“ und „The Lobster“, kann auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz mit der Genialität der beiden erwähnten Meisterwerke mithalten, entfaltet aber auch eine große Wucht, die bei Lanthimos-Filmen immer überraschend in den Magen schlägt, da die Filme im Grunde sehr lakonisch erzählt werden. „The Killing of a Sacred Deer“ ist eine Geschichte rund um Abrechnungen/Gerechtigkeit/Balance und basiert lose auf dem Iphigenie-Mythos. Agamemnon, der antike Schlingel, tötete einen heiligen Hirsch und musste daraufhin Artemis, der Göttin der Jagd, seine eigene Tochter Iphigenie opfern, um diese zu besänftigen. Steven (Colin Farrell), dem Herzchirurgen, geht es nicht viel besser. Er macht die Bekanntschaft mit Martin (Barry Keoghan), dem Sohn eines ehemaligen Patienten, der auf Stevens OP-Tisch verstarb. Was zunächst nach einer Reue-Geschichte aussieht, entwickelt sich bald dank eines bösen Twists zu einem waschechten Thriller. Der Thrill wird dabei durch die Lakonie der Charaktere und dadurch, dass er sich fast ausschließlich im Haus der Familie abspielt und in nur geringen Dosierungen in den Alltag eingreift, virtuos unterlaufen. Lanthimos ist ein Zyniker, doch gerade durch die kalte Distanz, die er wahrt, gelingt es ihm, wirklich große menschliche Fragen zu Moral und Ethik an das Publikum zurückzuwerfen. Die zwischenmenschliche Zwickmühle, in die Steven im Laufe des Films gerät, hätte man vielleicht noch etwas mehr auskosten können – da hebelt der lakonisch-distanzierte Blick von Lanthimos doch die eine oder andere Situation aus, aus der man mehr hätte machen können – aber auch „The Killing of a Sacred Deer“ ist ein Film, der lange im Gedächtnis bleibt. Lanthimos-Filme vergisst man nicht so schnell, ob im Guten oder Schlechten.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Thimfilm)

Colossal (2016)

Regie: Nacho Vigalondo
Original-Titel: Colossal
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Fantasy, Science Fiction, Thriller
IMDB-Link: Colossal


Meine Kinokomplizin, die den Film vorgeschlagen hat, hat mir im Vorfeld eingeschärft: „Versuch, nichts über den Film zu lesen, keine Kritiken, schau keinen Trailer dazu an.“ (Jo, was haben wir hier unten? Genau – einen Trailer. Allerdings möchte ich niemanden bevormunden – die Willensstarken unter euch werden es schaffen, das Youtube-Video nicht anzuklicken, und für das schwache Gewürm unter euch, har har, – oder einfach jene, denen Spoiler egal sind – möchte ich nicht auf den gewohnten Service verzichten.) Jedenfalls wertet es „Colossal“ auf, wenn man nicht genau weiß, worum es geht. So viel sei vorab verraten: Die arbeitslose Alkoholikerin Gloria (eine wie immer entzückende Anne Hathaway) fliegt aus der Wohnung ihres Verlobten und stattet daraufhin ihrem Heimatdorf einen Besuch ab. Währenddessen legt ein Monster Seoul, die Hauptstadt Südkoreas, in Schutt und Asche. Was eine Mischung aus Selbstfindung und Godzilla-Variation beginnt, formt sich allmählich zu einem Kampf gegen die inneren Dämonen.  Jede weitere Information zur Handlung des Films wäre schon eine Information zu viel. Jetzt kommt mein „Aber“: Aber leider ist die Umsetzung dieser an sich interessanten Grundidee bestenfalls mittelprächtig. Der Regisseur, Nacho Vigalondo, ist bei mir bereits einmal durchgefallen mit einer ähnlichen Ausgangsbasis: Gute Idee, schlecht umgesetzt. „Open Windows“ hieß das Werkl, das ich nicht unbedingt hymnisch besprochen habe. „Colossal“ ist jedenfalls ein Schritt nach vorne. Denn unterhaltsam ist der Film und durch die Fokussierung auf das Kleinstadt-Setting und deren Bewohner auch prinzipiell interessant. Allerdings geht „Colossal“ einigen sehr spannenden moralischen und ethischen Fragen aus dem Weg (wie auch „Open Windows“) und konzentriert sich stattdessen lieber auf den Thriller-Aspekt und auf Schauwerte (die allerdings nicht immer befriedigend ausfallen – da ist man heutzutage einfach an Besseres in Sachen CGI gewöhnt). In Summe ist es leider nur ein besseres B-Movie, das von einer tollen Anne Hathaway und einer interessanten Ausgangsbasis lebt, aber dann auf dem Weg viel Potential liegen lässt.


5,5
von 10 Kürbissen