Musikfilm

Radio Dreams (2016)

Regie: Babak Jalali
Original-Titel: Radio Dreams
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Komödie, Musikfilm
IMDB-Link: Radio Dreams


PARS Radio ist ein iranischer Radiosender in San Francisco, der die erste afghanische Alternative Rock-Band Kabul Dreams (gibt es wirklich) zu einer Session mit der US-Metal-Band Metallica (gibt es auch) eingeladen hat. Mr. Royani (Mohsen Namjoo), der Programmdirektor, war einst ein gefeierter Autor im Iran und muss sich nun mit amateurhaften Mitarbeitern, dummen Werbe-Einspielungen, einer Carlos Valderrama-Gedächtnis-Frisur in Grau und einem vagen Gefühl des Heimwehs herumplagen. Beckett hat einst „Warten auf Godot“ geschrieben. Dieser zauberhafte, sehr lakonische Film ist „Warten auf Metallica“. Der Tag vergeht. Das Programm geht zur Neige. Man muss improvisieren. Da draußen, außerhalb der sicheren Räume des Radiosenders, befindet sich eine fremde, einschüchternde Welt (was ausnahmsweise mal nicht an Metallica liegt). Und allmählich begreift man als Zuseher das Thema des Films: Das Fremde. Die Suche nach Identität, das Leben in der Diaspora, wo die Träume an den Mauern der Stadt zerschellen. „Radio Dreams“ ist witzig, hintersinnig und melancholisch. Und fühlt sich kurioserweise trotz aller Fremdheit trotzdem sehr vertraut an. Vielleicht, weil die Musik auch das Fremde miteinander verknüpft. Und das weiß schließlich auch Lars Ulrich, seines Zeichens nach Schlagzeuger von Metallica.

 


8,0
von 10 Kürbissen

Only Lovers Left Alive (2013)

Regie: Jim Jarmusch
Original-Titel: Only Lovers Left Alive
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Liebesfilm, Fantasy, Musikfilm
IMDB-Link: Only Lovers Left Alive


Wenn man unsterblich ist, kann einem die Zeit ganz schön lang werden. Das hat Jim Jarmusch erkannt, der seine beiden Vampirlover Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) zwischen Lethargie und Nihilismus sowie zwischen Tanger und Detroit pendeln lässt. Wenn man alle Zeit der Welt hat, muss man nicht jeden Tag aufeinander picken. Aber manchmal ist es doch schön, sich auf der Couch zusammenzukuscheln und gemeinsam Musik zu hören. Diesen Frieden stört eigentlich nur Eves jüngere Schwester Ava (Mia Wasikowska), die zwar auch schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel hat, aber noch naiv und energetisch wirkt im Vergleich zu den beiden Älteren, die schon alles gesehen haben. Und natürlich, so ein Wirbelwind, der nach 87 Jahren Abwesenheit unvermutet mal wieder auf der Matte steht, bringt die gewohnten Abläufe ordentlich durcheinander – vor allem, wenn dieser versehentlich Adams besten Kumpel aussaugt. Denn eigentlich gehört sich das nicht, finden Adam und Eve. Sie trinken ihr Blut lieber aus der Konserve. Nein, viel passiert nicht in „Only Lovers Left Alive“. Wer sich actiongetriebenen Vampirhorror erhofft, wird von diesem Film bitter enttäuscht. Warum der Film aber dennoch in meinem persönlichen Olymp der Lieblingsfilme aufgestiegen ist, ist leicht erklärt: Ich kenne nur wenige andere Filme, die mit jeder Einstellung, mit jeder Szene eine so unglaublich dichte Atmosphäre schaffen. Unendliche Liebe, dieses viel besungene Klischee, wird hier spürbar gemacht – im Positiven wie im Negativen. Sie verdichtet sich zu Musik, zu gelbem Laternenlicht, zu halbverfallenen Gebäuden in den menschenleeren Straßen von Detroit, zu nächtlichem Philosophieren, zu dem Bewusstsein, dass man selbst noch da sein wird, wenn alles Andere bereits vergangen ist. Welche Rollen spielen dann schon Tage oder Nächte? Und warum zwischenmenschliche Kontakte knüpfen, wenn diese nicht lange halten? Tilda Swinton und Tom Hiddleston spielen dieses Paar, das in sich und in der Zeit gefangen ist, sich aber mit dem Schicksal abgefunden hat, wirklich grandios. Es geht von beiden sowohl Wärme als auch Gefahr aus. Wärme füreinander, Gefahr für jene, die nicht zu ihnen gehören. Für mich ist „Only Lovers Left Alive“ ein ganz großer Wurf, der mich nun schon seit vielen Jahren begleitet und zu dem ich gedanklich immer wieder zurückkehre.


10
von 10 Kürbissen

Junun (2015)

Regie: Paul Thomas Anderson
Original-Titel: Junun
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Dokumentation, Musikfilm
IMDB-Link: Junun


Diesen Tipp verdankte ich prinzipiell dem seligen Hans Hurch, der vor Beginn der letzten von ihm geleiteten Viennale das Publikum zu einer Informationsveranstaltung einlud. Dort machte er auf kleinere Perlen aufmerksam, die sonst vielleicht untergehen könnten. Dass ich aber „Junun“ verpassen könnte, stand von Vornhinein außer Frage, nachdem ich gelesen hatte, wer da aller seiner Finger im Spiel hatte. Beginnen wir mit dem von mir sehr geschätzten Jonny Greenwood. Der ist offenbar nicht damit ausgelastet, mit Radiohead die zeitgenössische Musik zu revolutionieren und Filmmusik zu schreiben. Also geht er nach Indien und bunkert sich dort mit einem Haufen lokaler Musiker (darunter eine Blasmusikkapelle) und dem israelischen Songwriter Shye Ben Tzur in der altehrwürdigen indischen Festung Meherangarh ein, um zu musizieren. Gut, dass er seine alten Spezis Paul Thomas Anderson und Nigel Godrich (den Produzenten von Radiohead) im Gepäck hat, denn so entsteht ein ganzes Album mit wunderbarer israelisch-indisch-westlicher Crossover-Musik, und der Entstehungsprozess wird auch noch filmisch eingefangen. Dabei hält sich Paul Thomas Anderson angenehm zurück. Er lässt Drohnen über die eindrucksvolle Festungsanlage kreisen, als würde er das Geschehen respektvoll aus der Ferne betrachten wollen. Eigentlich ist die nicht einmal eine Stunde dauernde Doku „Junun“ gar kein Film. Es ist ein langer Musikclip, der die Produktion des Albums „Junun“ dokumentiert. Und doch ist keine einzige Sekunde langweilig. Zu faszinierend ist es, diesen allesamt begnadeten und so unterschiedlichen Musikern zuzusehen, wie sie sich aufeinander einschwingen und wie aus ihren jeweiligen Zugängen zur Musik etwas völlig Neues, Einzigartiges entsteht. Die Musik ist absolut mitreißend und zeigt vor allem eines: Dass es auch unter Fremden immer etwas gibt, das sie vereint.

 


7,0
von 10 Kürbissen

Almost Famous – Fast berühmt (2000)

Regie: Cameron Crowe
Original-Titel: Almost Famous
Erscheinungsjahr: 2000
Genre: Drama, Komödie, Roadmovie, Musikfilm
IMDB-Link: Almost Famous


Zur Erinnerung: 10 Punkte bekommen nur die absoluten Lieblingsfilme von mir, die sich im Laufe der Jahre auch bei Mehrfachsichtungen bewährt (und dabei vielleicht sogar gewonnen) haben. Cameron Crowes autobiographisch geprägter Film „Almost Famous“ gehört zu diesem kleinen Kreis. Und es ist wirklich egal, in welcher Stimmung ich gerade bin – diesen Film kann ich jederzeit erneut sehen. Vielleicht, weil im Grunde jeder so sein möchte wie der 15jährige William Miller (Patrick Fugit), der mit seiner Lieblingsband auf Tour sein darf, um darüber für ein international renommiertes Magazin zu schreiben. Vielleicht, weil Billy Cudrup als Gitarrist so eine coole Socke ist. Vielleicht, weil ich bei jeder Sichtung ein bisschen in Kate Hudsons Penny Lane verschossen bin. Vielleicht, weil ich beim Elton John-Song „Tiny Dancer“ im Bus immer mitsingen möchte. Vielleicht, weil ich beim Intro des eigens für den Film geschriebenen Songs „Fever Dog“ immer Gänsehaut bekomme. Vielleicht, weil ich, wenn ich „I have to go home“ sage, als Antwort im Grunde auch immer „You are home!“ hören möchte. Vielleicht, weil der Film für mich so perfekt wie kein anderer ein bestimmtes Lebensgefühl vermittelt und eine Sehnsucht nach Freiheit, Abenteuer und Zugehörigkeit. (In dieser Hinsicht ist dem Film das ebenfalls grandiose „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ von Rob Reiner zumindest ähnlich.) „Almost Famous“ ist eine große Filmliebe von mir. Ein Film für alle, die das Gefühl haben, im falschen Jahrzehnt geboren zu sein – und für all jene, die im richtigen Jahrzehnt geboren wurden und sich das Gefühl ihrer Jugend wieder zurückholen möchten.


10
von 10 Kürbissen

Bohemian Rhapsody (2018)

Regie: Bryan Singer
Original-Titel: Bohemian Rhapsody
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Musikfilm
IMDB-Link: Bohemian Rhapsody


Eine ganz einfache Frage zu Beginn an den Leser: Wie viel kannst du mit der Musik von Queen anfangen? Wenn die Antwort darauf ist: „Viel!“, dann kannst du an dieser Stelle zu lesen aufhören. Stattdessen marschiere einfach schnurstracks in das nächste Kino und setze dich in „Bohemian Rhapsody“. As simple as that. Denn Bryan Singers Biopic ist Queen pur und Heldenverehrung in ihrer lautesten Form. Spätestens wenn beim ersten Auftritt der jungen Band (damals noch unter dem Bühnennamen Smile) Brian May auf seiner Red Special zum Riff von „Keep Yourself Alive“ ansetzt, möchte man aus dem Kinosessel springen und kräftig mithüpfen. (Kommt aber leider nicht so gut, wenn man das macht.) Rami Malek ist ein fantastischer Freddie Mercury, Ben Hardy ein überzeugender (und sexy) Roger Taylor, Joseph Mazzello ein authentischer, staubtrockener John Deacon – und Brian May wird von Brian May gespielt. Ehrlich – die haben doch eine Zeitmaschine erfunden, sind ins Jahr 1973 gedüst, haben dort Brian May aufgegabelt und ihn ins Jahr 2018 verfrachtet, wo er nun an der Seite von Schauspielern die eigene Bandgeschichte nachspielt. Muss ein seltsames Gefühl für ihn gewesen sein. Aber dass sich hinter der Figur der Schauspieler Gwilym Lee verbergen soll, nein, das kaufe ich euch nicht ab! Jedenfalls ist das Casting allein schon meisterhaft. Und dann die Energie, die während der Konzertaufnahmen eingefangen wird, vor allem im großen Finale und Herzstück, dem legendären Live Aid-Auftritt von 1985, sucht auch ihresgleichen. In dieser Hinsicht ist der Film ganz groß. Und wenn man die Musik von Queen mag, reicht das völlig aus, um diesen Film zu feiern und vielleicht sogar abgöttisch zu lieben. Wenn man das alles ein bisschen differenzierter betrachten möchte, so stehen als Wermutstropfen eine nicht ganz schlüssige und dramaturgisch arg verdichtete Chronologie (der Pferdefuß der meisten Biopics), auch – als Queen-Kenner wird einem das auffallen – was die Reihenfolge der Songs betrifft („Fat Bottomed Girls“ zB kommt viel zu früh, „Another One Bites the Dust“ hingegen zu spät), das Ausblenden der Jahre nach 1985 (und auch da ist noch verdammt viel Relevantes passiert in der Geschichte der Band sowie in Freddie Mercurys Leben) sowie die Tatsache, dass das Biopic an sich recht klassisch und routiniert erzählt wird. Sprich: Brav. Die großen Exzesse und Dramen werden nur angedeutet, und man hat nicht wirklich das Gefühl, die Menschen hinter den öffentlichen Legenden näher kennenzulernen. Aber, wie gesagt, man wird dafür entschädigt mit wirklich grandioser Musik und dem Gefühl, etwas ganz Großem beizuwohnen. Was ich täte, wenn ich eine Zeitmaschine hätte? Klar – ins Jahr 1985 reisen, zum Wembleystadion pilgern, und Augen- und Ohrenzeuge eines der großartigsten Konzertauftritte der Musikgeschichte werden.


8,0
von 10 Kürbissen

Climax (2018)

Regie: Gaspar Noé
Original-Titel: Climax
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Horror, Thriller, Musikfilm
IMDB-Link: Climax


Will man Gaspar Noés neuesten Film „Climax“ so knapp wie möglich zusammenfassen, kann man das auf diese Weise tun: Party hard! Nach einer Probe feiern die jungen Tänzerinnen und Tänzer, die für einige Tage in einem alten Schulgebäude untergebracht wurden, um sich auf eine Tournee durch Frankreich und die USA vorzubereiten. Es gibt Sangria, spektakuläre Tanzeinlagen (meist von oben gefilmt, Gaspar Noé lässt gerne mal die Kamera irgendwo herunterhängen – ist ja auch praktisch, wenn man sie an der Decke aufhängt, da ist sie nicht im Weg und man weiß immer, wo sie ist), Drogen, Alkohol, geschmeidige Bewegungen, Eifersucht, Machogehabe – was man halt so erwartet, wenn Noé eine Party inszeniert. Doch irgendwann fällt auf, dass in die Sangria offenbar noch ein paar Geheimzutaten gemischt sind. Was folgt, ist ein Horrortrip auf Drogen. Sämtliche Hemmungen fallen, die Nerven werden blank nach außen gekehrt, Ängste auf die Tanzfläche gekotzt. Die fiebrige Kamera ist stets nah dran, und wenn sich nach einem Stromausfall die völlig durchgeknallten Tänzer teils in Ekstase, teils in purer Panik auf dem durch die Notbeleuchtung rot schimmernden Boden wälzen und sich die Kamera auf den Kopf stellt, haben die Bilder etwas furchteinflößend Dämonisches an sich – als würden die durchgeknallten Berauschten von der Decke hängen. Das ist schon eine verdammt starke Einstellung und sorgt für Bilder, die man nicht oft sieht und vor allem auch nicht so schnell vergisst. Aber das ist generell eine Stärke von Noé – die sich aber auch in eine Schwäche wandeln kann, wenn diese Effekte nämlich zu repetitiv und uninspiriert eingesetzt werden. Und das ist hier zuweilen der Fall. Noé hat schon so oft versucht, das Publikum zu schocken, dass es genau das von ihm erwartet – und ihm fällt dazu nichts Neues mehr ein. So ist „Climax“ ein bildgewaltiger Albtraum, aber er ist unterm Strich auch zu berechnend, um die verstörende Meisterschaft von „Irreversibel“, Noés bislang bestem Werk, zu erreichen.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Vox Lux (2018)

Regie: Brady Corbet
Original-Titel: Vox Lux
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Vox Lux


Grenzerfahrungen im Rahmen der Viennale: Um Viertel nach 4 in der Früh aufstehen, damit man sich „Vox Lux“ von Brady Corbet als Frühstücksfilm vor der Arbeit hineinziehen kann. Das Team des Gartenbaukinos wappnete sich gut für den Ansturm der Kinozombies und stellte neben Süßgebäck, Müsli und Kakao gleich drei Ausgabestellen für einen richtig starken Espresso zur Verfügung. Doch spätestens nach der heftigen Eröffnungsszene waren ohnehin alle munter im Kinosaal. Diese heftige Szene führt in weiterer Folge zum Aufstieg der 14jährigen Celeste in den Pop-Himmel. Begleitet wird sie dabei von ihrer älteren Schwester und dem von Jude Law gespielten Manager. Man muss nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und die Chance ergreifen, auch wenn die richtige Zeit und der richtige Ort die Gedenkfeier für die Toten eines Massakers ist. Und selbst wenn die Gefühle echt sind, so geht man doch gewissermaßen über Leichen. Wenn man bereits in so jungen Jahren hofiert wird und eigentlich gar keine Zeit hat zur Trauerbewältigung, weil man plötzlich der neue Superstar am Firmament ist, ist es kaum verwunderlich, wenn man in späteren Jahren ein wenig exzentrisch und entrückt von der Welt wirkt. So geht es Celeste 17 Jahre später, herausragend und Oscar-verdächtig gespielt von Natalie Portman. Sie hat nun selbst eine Tochter im Teenager-Alter (und man wundert sich nicht wirklich darüber, dass es dazu gekommen ist), und ist vollends gefangen in der PR-Maschinerie, die einen fast unweigerlich schnetzelt, wenn man jung und beeinflussbar zu großem Ruhm kommt. Dass darunter die Beziehung zur Tochter, zur Schwester, zu allen Menschen, die ihr eigentlich nahestehen sollten, leidet, überrascht ebenso wenig. Ein großes Comeback-Konzert soll der Karriere des einstigen Teenager-Stars zu neuem Schub verleihen. Doch dieses wird im Vorfeld überschattet von einer neuerlichen Gewalttat, die Celeste in ihre eigene Vergangenheit zurückschleudert und mit alten Ängsten konfrontiert. In dieser Beziehung ist „Vox Lux“ klug konzipiert. Der Film kreist um mehrere Spielarten von Massenhysterie – sei es um die Angst vor Anschlägen in unserer heutigen Zeit oder aber auch die Hysterie, die man Popstars entgegenbringt. Das vermischt sich zu einem gefährlichen Cocktail. Im Mittelpunkt steht dabei immer Celeste – und was diese Ängste und Erwartungen mit ihr machen.  Das alles wird ironisch distanziert von Willem Dafoe als Erzähler aus dem Off. Allerdings hat der Film auch trotz aller Stärken unübersehbare Schwächen, darunter vor allem das Ende, das aus einer überlangen Konzertszene besteht, die zwar Celeste noch einmal in ihrem Element zeigt, aber die Geschichte nicht zu einem runden Abschluss bringen kann. Auch werden die Beziehungen der Figuren untereinander im Grunde nur am Rande und sehr oberflächlich betrachtet – trotz vieler Dialogzeilen. Vielleicht ist das auch ein von Brady Corbet gewünschter Effekt – die Protagonisten bleiben isoliert voneinander. Aber es fördert nicht unbedingt das Interesse an den Figuren, jedenfalls nicht bei mir. Und so ist „Vox Lux“ ein zwar durchaus aktueller und zeitgemäßer Film mit einer überragend aufspielenden Natalie Portman, lässt den Zuseher dann aber doch auch etwas ratlos zurück.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 50 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=dolxUIZzb3w

Carmine Street Guitars (2018)

Regie: Ron Mann
Original-Titel: Carmine Street Guitars
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation, Musikfilm
IMDB-Link: Carmine Street Guitars


Rick Kelly und seine Mitarbeiterin Cindy bauen Gitarren. Das tun sie in einem kleinen, vollgestopften Lokal mitten im Village in New York. Und weil sie gut sind in dem, was sie tun, und originellerweise diese Gitarren aus dem Holz von abgerissenen, alten New Yorker Häusern fertigen (eine Idee, die auf Jim Jarmusch zurückgeht, der im Film auch einen kleinen Auftritt hat), geben sich bei Carmine Street Guitars die Musikvirtuosen die Klinke in die Hand. Wenn sie im Laden sind, quatschen sie ein bisschen mit Rick über alte Zeiten und über die Gitarren, sie schauen Cindy dabei zu, wie sie unglaublich detailreiche und lebensnahe Motive in das Holz brennt, lauschen der alten Mutter von Rick, die immer noch jeden Tag in den Shop kommt, um am Telefon auszuhelfen („It’s good to be here. At my age it’s good to be anywhere“, kommentiert sie staubtrocken), und probieren vor allen Dingen Ricks neueste Gitarren aus. Sie zupfen, sie jammen, sie interpretieren – das Publikum besteht dabei nur aus Rick Kelly selbst und der Kamera von Ron Mann. Und dadurch aus dem ganzen Kinosaal, der einfach nur fröhlich mit den Füßen wippt und sich diese tiefenentspannte Doku ansieht über einen wortkargen Handwerksmeister, der lieber seine Werke als Worte sprechen lässt. Sowohl der Shop Carmine Street Guitars als auch der Film, der darüber entstanden ist, sind fast schon als Anachronismus in unserer schnelllebigen Zeit zu betrachten. Es geht hier um nichts Anderes als den Klang von Gitarren. Und das Bewahren von einem Stück New York, wie es früher war, und wie es in Rick Kellys Gitarren weiterlebt. Ist der Film bedeutend, gibt er eine Message mit, über die man lange nachdenken kann? Nein, das nicht. Aber er würdigt auf eine unspektakuläre (und vielleicht manchmal etwas repetitive Weise) etwas Wahres und Echtes. Und das reicht jedenfalls aus, um ihn in guter Erinnerung zu behalten.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

A Star is Born (2018)

Regie: Bradley Cooper
Original-Titel: A Star is Born
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Liebesfilm, Musikfilm
IMDB-Link: A Star is Born


Mit keinem anderen Film habe ich mich in der jüngeren Vergangenheit so schwer getan wie mit Bradley Coopers Regiedebüt „A Star is Born“, in dem er selbst einen alkoholkranken Musiker spielt, der mit Lady Gaga das nächste große Talent und die große Liebe entdeckt. Denn: Der Film macht so vieles richtig bis grandios. Bradley Cooper ist in seiner Rolle überzeugend wie selten zuvor. Sein physisches Spiel macht seinen von Dämonen getriebenen Charakter auf eine unheimlich nachvollziehbare Weise sichtbar, ohne aber die Gründe dafür jemals allzu sehr in den Vordergrund zu rücken. Lady Gaga als Schauspielerin (ohne Tonnen von Schminke) ist eine Offenbarung. Sie ist verletzlich und anmutig und schüchtern und stark und begehrenswert. Eine ganz starke Vorstellung, die Lust auf mehr macht. Ich bin kein großer Fan von ihrer Musik, auch wenn ich ihr musikalisches Talent durchaus schätze. Aber hier könnte sich eine leidenschaftliche Gefolgschaft in Sachen Schauspiel entwickeln. Zudem kann „A Star is Born“ immer wieder mit sehr starken Szenen aufwarten, die authentisch und echt wirken. Die Konzertszenen beispielsweise sind großartig inszeniert, der Bass wummert, die Energie aus dem Publikum greift auf das Kinopublikum über – hier macht Bradley Cooper fast alles richtig. Allerdings gibt es gleichzeitig eine Story zu beklagen, die unverdrossen und unbelehrbar von Klischee zu Klischee springt. Hier gibt es auf über zwei Stunden wahrlich nichts Neues zu entdecken. Und das nervt auf die Dauer. Denn auch wenn die Klischees wirklich auf eine großartige Weise mit viel Feingefühl für Dramaturgie und Authentizität in Szene gesetzt sind – es bleiben eben doch Klischees, die mit der Zeit nerven, weil man sie schon hunderte Mal erzählt bekommen hat. Und so bleibt am Ende Respekt vor Bradley Cooper, der diese Doppelfunktion als Regisseur und Hauptrolle bravourös stemmt, ein kleiner Crush auf Lady Gaga und das Bedauern, dass die vielen guten Einzelteile, die der Film zu bieten hat, von diesen Klischees überlagert werden – denn dieser Film hätte das Potential zum Meisterwerk gehabt.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 49 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,5
von 10 Kürbissen

Nico, 1988 (2017)

Regie: Susanna Nicchiarelli
Original-Titel: Nico, 1988
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Biopic, Musikfilm, Drama
IMDB-Link: Nico, 1988


Nico war ein Phänomen. Das erste deutsche Supermodel, Pop-Art-Ikone, Musikerin mit The Velvet Underground – ihr viel zu kurzes Leben hätte wohl mehr Biographien gefüllt als manche mehrere Hundert Jahre zurückgehende Familienchronik. 1988 kam sie bei einem Fahrradunfall auf Ibiza zu Tode. „Nico, 1988“ von Susanna Nicchiarelli steigt genau dort ein: Man sieht die Sängerin (überragend verkörpert von Trine Dyrholm, aber dazu gleich mehr) auf der Finca, sie nimmt das Fahrrad und verabschiedet sich von ihrem Sohn. Cut. Zwei Jahre davor ist Nico mit ihrer internationalen Band auf Europatournee. Diese hat ihr Manager Richard eingefädelt, der ebenfalls mit von der Partie ist und versucht, die exzentrische und schwer drogenabhängige Nico samt ihrer Begleitband bei Laune zu halten, sodass die Auftritte einigermaßen professionell über die Bühne gehen können. Zwar muss man kleinere Brötchen backen als früher (so sind alle in einem VW-Bus zusammengepfercht und mit der Qualität ihrer Tourneemusiker ist Nico nicht so ganz einverstanden), aber der Hauch von Mysterium und Nostalgie umweht die verschlossene Ausnahmekünstlerin Nico. Immer noch fasziniert sie die Menschen, die in ihren Bann geraten. Doch sie hat ein schweres Kreuz zu tragen – ihr Versagen als Mutter bei ihrem Sohn Ari. Und so ist diese Reise durch Europa mehr eine Reise zu sich selbst und der Versuch, inneren Frieden zu finden. „Nico, 1988“ ist ein klassisches Biopic, das aber dank seiner gewaltigen Hauptdarstellerin Trine Dyrholm deutlich über den Durchschnitt hinausragt. Trine Dyrholm spielt Nico nicht, sie wird zu Nico. Das geht so weit, dass sie die Songs selbst singt und man kaum einen Unterschied bemerkt. Auch der Rest des Casts weiß zu überzeugen, kommt aber mit Ausnahme von John Gordon Sinclair, der mit viel Herzenswärme den Manager Richard spielt, nicht wirklich über die Rolle als Stichwortgeber hinaus. Zu sehr ist alles auf Trine Dyrholm und ihre verletzliche und doch so stolze Nico konzentriert. In diesem Fall ist das aber in Ordnung, denn sie macht in ihrer fragilen Darstellung Nico zu einem Menschen, dem wir auf diese Weise tatsächlich näher kommen. Dazu gibt es jede Menge gute Musik und sehr starke Bilder. Vielleicht hätte man den Film noch ein bisschen straffen können, aber sei’s drum. „Nico, 1988“ ist einfach ein richtig guter Film.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)