Filmreisechallenge 2018

Meine Tochter (2018)

Regie: Laura Bispuri
Original-Titel: Figlia Mia
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Figlia Mia


Die zehnjährige rothaarige Vittoria sieht ihrer dunkelhaarigen Mutter Tina (Valeria Golino, die man wohl noch aus „Hot Shots“ in guter Erinnerung hat, die aber so viel mehr kann) so gar nicht ähnlich. Dennoch sind die beiden ein unzertrennliches, liebevolles Gespann. Die fürsorgliche Tina ist auch so anders als die leichtsinnige, alkoholkranke Angelica (Alba Rohrwacher), die kurz vor der Delogierung steht, da sie hochverschuldet ist. Nur ist Angelica Vittorias leibliche Mutter, was diese selbst nicht weiß. Und bevor sie geht, möchte sie einmal Vittoria kennenlernen. Tina lässt sich darauf ein, doch sie unterschätzt einerseits die Beharrlichkeit, mit der Angelica diese Bekanntschaft zu vertiefen versucht, und andererseits die Sturheit ihrer Tochter, die wiederum von der energiegeladenen Angelica fasziniert ist. Und während sich die leibliche Mutter und ihre Tochter allmählich näherkommen, fürchtet Tina um ihr Familienglück. Laura Bispuri verhandelt in „Figlia Mia“ die Themenkomplexe Familie, Zugehörigkeit und Verantwortung. Gedreht mit einer sehr wackeligen und körnigen Handkamera transportiert der Film die Unmittelbarkeit der Figuren – die Kamera ist immer nah dran, umkreist die Figuren, die wiederum um sich selbst kreisen und neu ausverhandeln, was eine Familie ausmacht. Das macht „Figlia Mia“ zu einer recht schwer verdaulichen Kost, vor allem, wenn Angelica wieder einen ihrer Abstürze hat und dem Zuseher klar wird, dass diese Frau nie dazu geeignet sein wird, eine Mutterrolle anzunehmen, da sie ihre Tochter immer enttäuschen wird. Gleichzeitig ist so viel Wärme und Herzlichkeit in vielen Situationen zu spüren, dass man fast wieder versöhnt wird mit dieser im Leben gescheiterten Frau. Und dann ist da Tina, die Frau, die alles zurückstellt für ihr Familienglück, die sich selbst vor einen Bus werfen würde, wenn sie damit Vittoria retten könnte. Aber reicht diese Liebe aus, um weiterhin von Vittoria als Mutter angenommen zu werden? Der Film verweigert sich klarer Aussagen und einer Moral. Alle Figuren sind in ihren Handlungen nachvollziehbar, keine ist mehr im Recht als eine andere, und daraus bezieht „Figlia Mia“ schließlich seine Stärke. Was man dem Film allerdings ein wenig ankreiden kann, ist, dass er recht lange braucht, um in die Gänge zu kommen, und dass er gelegentlich ruhigere Bilder hätte finden können, um seine Geschichte zu erzählen. Es muss nicht immer die wackelige Handkamera sein, wenn man das Gefühl von Realismus vermitteln möchte.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 9 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) Vivo film / Colorado Film / Match Factory Productions / Bord Cadre Films)

Girls Always Happy (2018)

Regie: Yang Mingming
Original-Titel: Rou Qing Shi
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Rou Qing Shi


Chinesischer Alltag in der Stadt ist kein Zuckerschlecken, vor allem, wenn man intellektuell, unverheiratet und in einer Zweckgemeinschaft mit der eigenen Mutter lebt. So geht es der Hauptprotagonistin Wu (Yang Mingming, auch Autorin und Regisseurin des Films). Und so isst man zusammen, streitet sich, versöhnt sich wieder, um sich im nächsten Moment doch wieder anzubrüllen, und irgendwie macht das meiste davon einfach keinen Sinn. Dann fährt Wu mal wieder minutenlang auf ihrem Roller durch die Gegend, macht mit ihrem Freund Schluss, lässt ihn dann doch wieder Geschenke bringen, um ihn erneut abzuweisen – Mädel, was willst du? Das hätte ich gern auch Yang Mingming selbst gefragt, denn irgendwo zwischen den endlos verschmatzten Mahlzeiten und konfusen Streitereien könnte in diesem geschwätzigen Film auch ein Sinn verborgen liegen, nur ist mir dieser leider entgangen. Was der Film laut Regisseurin Yang will: Das moderne Leben in Peking darstellen anhand einer Mutter-Tochter-Beziehung. Okay. Aber was genau ist daran interessant? So, wie das Leben gezeigt wird, mag es zwar authentisch sein, aber eine Geschichte ergibt das nicht. Und gehen wir nicht ins Kino, um Geschichten erzählt zu bekommen? Vielleicht war meine Erwartungshaltung diesbezüglich zu hoch, aber als ziemlich gesichert gilt, dass so gut wie nichts passiert in „Girls Always Happy“, und eine Entwicklung der Figuren ist auch nicht spürbar. So wird die Spieldauer von ziemlich genau zwei Stunden zu einer ähnlichen Qual wie die chinesische Tröpfchenfolter. Ein irrelevanter Streit nach dem anderen tropft auf die Häupter des Publikums herab – man weiß: der nächste wird bald folgen, und man kann nichts dagegen tun. Außer vielleicht, das Kino zu verlassen. Aber dafür bin ich wohl zu masochistisch veranlagt.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 3 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


2,5
von 10 Kürbissen

 

Maki’la (2018)

Regie: Machérie Ekwa Bahango
Original-Titel: Maki’la
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: –


Die 19jährige Maki’la, genannt „Maki“, lebt auf den Straßen Kinshasas. Sie hält sich mit Diebstählen und Prostitution über Wasser und unterhält eine Beziehung mit dem ebenfalls obdachlosen Mbingazor. Da tritt eines Tages die noch jüngere Acha in ihr Leben, und Maki beginnt, sich verantwortlich zu fühlen für das junge Mädchen, das auf der Suche nach ihrem Bruder ist und noch nicht so abgehärtet wurde vom Leben wie sie selbst. „Maki’la“ erzählt eine wohl leider alltägliche afrikanische Geschichte sehr beiläufig und unsentimental. Freud‘ und Leid liegen hier eng beisammen. Maki ist eine starke Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, doch wenn das Leben seine Zähne zeigt, zuckt auch sie zurück, und am Ende fügt sich alles so, als wäre es vorherbestimmt – was den Zuseher nachdenklich zurücklässt. Afrika ist nicht exotisch, Afrika ist nicht sexy, das Leben dort ist ein harter Kampf, den man jeden Tag aufs Neue ausfechten muss – im Schlamm, im Schmutz, im Blut. Leider aber plätschert die Geschichte selbst ziemlich ereignisarm vor sich hin, und es gelingt der Regisseurin Machérie Ekwa Bahango kaum, ihr Publikum eine echte Bindung zu Maki aufbauen zu lassen. Zu spröde ist das alles gefilmt, oft auch zu uninteressant. Es fehlt der rote Faden, an dem sich der Zuseher orientieren kann. Und so ist „Maki’la“ allein schon durch sein Setting und seine Figuren zwar anders als das, was man sonst in unseren Breitengraden üblicherweise zu sehen bekommt, aber ich jedenfalls wurde nicht mitgenommen auf diese tragische Reise. Trotz einer ökonomischen Laufzeit von 78 Minuten fühlt sich der Film lang an. Schade drum.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 6 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


4,5
von 10 Kürbissen

Die dunkelste Stunde (2017)

Regie: Joe Wright
Original-Titel: Darkest Hour
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Kriegsfilm, Biopic
IMDB-Link: Darkest Hour


Gary Oldman ist unbestritten einer der besten und wandlungsfähigsten Schauspieler der Gegenwart. Dass er bislang noch nicht zu Oscar-Meriten gekommen ist, verwundert doch sehr. Das wird sich aber mit dem 4. März 2018 ändern. Denn dann wird Gary Oldman für seine Rolle als Winston Churchill in „Darkest Hour“ ausgezeichnet werden. Alles Andere wäre absurd bis grob fahrlässig von der Academy. Der Film selbst ist ein klassisches Biopic-Drama mit allen diesem Genre zuordenbaren Stärken und Schwächen. Will man halbwegs seriös bleiben in diesem Genre, lassen sich halt nur wenige dramaturgische Veränderungen der Handlung vornehmen, was dieser – neben der Tatsache, dass sie den meisten Zusehern ohnehin geläufig ist – fast immer etwas an Spannung kostet und die Möglichkeiten, die Geschichte interessant und frisch zu erzählen, drastisch reduziert. Gleichzeitig aber lebt das Genre vom Bezug auf die historisch realen Personen und lässt und diese besser kennenlernen. Auch das kann interessant sein bzw. ist es auch im Fall von „Darkest Hour“. Womit wir wieder beim überragenden Gary Oldman wären, der Churchill nicht nur spielt, sondern ihn wieder lebendig werden lässt. Ähnliches ist Daniel Day-Lewis vor einigen Jahren in „Lincoln“ gelungen. Es braucht aber Ausnahmekapazunder wie eben Daniel Day-Lewis, Gary Oldman oder Helen Mirren (als Queen Elizabeth II.), damit diese Unternehmung gelingt und der Film nicht zu spannungsarmer Dutzendware verkommt. Denn an sich ist die Geschichte in „Darkest Hour“ trotz der historischen Relevanz und inhärenten Dramatik nur bedingt dazu geeignet, das Publikum in die Sitze zu kleben: Es geht um die ersten Wochen der Regierungszeit von Winston Churchill, der die undankbare Aufgabe übertragen bekommt, im Kriegsjahr 1940 die Kohlen für Großbritannien, das im Krieg gegen das Deutsche Reich schon verloren aussieht, doch noch aus dem Feuer zu holen, und das gegen innere Widerstände, denn die meisten seiner Parteifreunde bevorzugen die Kapitulation in Form von Friedensgesprächen mit Hitler. Joe Wright, der Regisseur, zeichnet dabei ein durchaus privates und intimes Porträt von Winston Churchill, konzentriert sich dabei im Großen und Ganzen aber dennoch auf seine Funktion als Staatsmann und auf das politische Hickhack seiner Zeit. Wie gesagt, das alles ist historisch relevant, aber für die Dramaturgie eines Films nicht ganz ideal. So bleibt Joe Wright auch auf sicheren konventionellen Pfaden. Allerdings wird der Film veredelt durch die schauspielerische Glanzleistung von Gary Oldman. Und allein deshalb schon funktioniert „Darkest Hour“ wirklich gut und bleibt jeden Augenblick interessant.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 51 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

 

Dance, Girl, Dance (1940)

Regie: Dorothy Arzner
Original-Titel: Dance, Girl, Dance
Erscheinungsjahr: 1940
Genre: Komödie, Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Dance, Girl, Dance


2017 ist das Jahr, das in die Geschichte eingehen wird als jenes Jahr, in dem über die Rolle der Frau und die weibliche Selbstbestimmung in einer männlich dominierten Gesellschaft gesprochen wurde. Gut Ding‘ braucht Weile. Schon 1940 drehte Dorothy Arzner, eine der wenigen Hollywood-Regisseurinnen ihrer Zeit, mit „Dance, Girl, Dance“ einen Film, in dem es um genau diese Themen geht, die fast 80 Jahre später heiß diskutiert werden. „Dance, Girl, Dance“ ist die Geschichte zweier Revue-Tänzerinnen, die von Ruhm und Anerkennung träumen – die eine (Lucille Ball) in Form von Reichtum und gesellschaftlichem Status, die andere (Maureen O’Hara) sieht sich als erfolgreiche Tänzerin im Ballett.  Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch schweißt sie das Schicksal zusammen, als Bubbles, die gekonnt ihre Reize einsetzt, um an das Ziel ihrer Träume, eben ein Leben in Luxus, zu kommen, in einer Burlesque-Show als Tiger Lilly groß herauskommt. Sie, der Star der Show, bietet ihrer alten Freundin Judy einen Job auf der Bühne an. Sie soll das männliche Publikum durch eine unschuldig-naive Ballett-Darstellung zwischen ihren Auftritten scharf auf das heiße Luder Tiger Lilly machen – eine erniedrigende Arbeit, aber die Zeiten sind hart für allein stehende junge Damen, und das Geld ist knapp. Als die rücksichtslose und ehrgeizige Bubbles auch noch ein Auge auf Judys reichen Verehrer wirft, ist endgültig Feuer am Dach.

„Dance, Girl, Dance“ spielt gekonnt mit den Extremen, die von Judy und Bubbles dargestellt werden. Naive Unschuld vs. laszive Verführung. Der Traum von Selbstverwirklichung vs. der Traum von Luxus. Beiden ist aber gemein, dass sie als Frauen in einer männlichen Welt nur über Umwege, Unterordnung und Selbsterniedrigung an ihre Ziele kommen (können). Nirgends wird das deutlicher als in der grotesken Burlesque-Show, wenn zunächst Bubbles als Tiger Lilly den Männern einheizt, der gröhlenden Masse, die sich selbst und die Herrschaft über die weiblichen Reize feiert, und dann Judy, die Unschuld, mit Gelächter und Obszönitäten bedacht wird. In diesen Momenten ist der Film sehr stark. Allerdings kann man durchaus bemängeln, dass das Ende nicht ganz so konsequent ist, wie man sich das vielleicht angesichts der Thematik wünschen würde – hier geht der Film dann Kompromisse ein zugunsten der breiten Massentauglichkeit. Dennoch ein guter, sehenswerter und heute vielleicht besonders aktueller Film.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 46 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

Loving Vincent (2017)

Regie: Dorota Kobiela und Hugh Welchman
Original-Titel: Loving Vincent
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Animation, Krimi
IMDB-Link: Loving Vincent


Beworben wird „Loving Vincent“ als „schönster Film des Jahres“. Wie kommt es dazu? Nun, man muss wissen, dass sich die bildnerische Künstlerin Dorota Kobiela und ihr Ehemann Hugh Welchman nichts Geringeres vorgenommen haben als den ersten, komplett in Öl gemalten Langfilm zu produzieren. Und zwar einen, der auf etwa 100 Meisterwerken von Vincent van Gogh beruht, die in etwa 60.000 Einzelbildern zum Laufen gebracht wurden. Erzählt wird die Geschichte der letzten 6 Wochen im Leben van Goghs bis zu seinem überraschenden Selbstmord in Frankreich. Der aufbrausende Armand Roulin erhält von seinem Vater, einem mit van Gogh befreundeten Postler, die Aufgabe, dem Bruder von Vincent van Gogh dessen letzten Brief zuzustellen. Zunächst geht Armand recht widerwillig an diese Aufgabe heran, doch ist bald seine Neugier geweckt, als er feststellt, dass sich van Goghs Umfeld in Widersprüche verstrickt, was die Umstände seines Todes betrifft. Und so wird daraus bald ein Kriminalfall, den Armand in bester Hard-Boiled-Manier angeht. Würde man rein die Erzählung bewerten, so fiele das Urteil über den Film wohl weniger günstig aus. Zwar ist der Krimi durchaus interessant erzählt und hält über die Laufzeit hinweg in Laune, doch bleibt vieles entweder im Dunkeln oder wirkt arg konstruiert. Überhaupt bleibt der Film eher an der Oberfläche van Goghs, zu dem der Zuseher über die ganze Laufzeit hinweg nicht wirklich einen Zugang findet, da interessanterweise gerade bei diesem Film, der für seine Bilder gepriesen wird, die Prämisse „show, don’t tell“ weitestgehend ignoriert wird. Der Film besteht aus einem durchs Dorf laufenden Armand, der mit verschiedenen Menschen über van Gogh spricht und die ihre Sicht erzählen, untermalt durch in Schwarz-Weiß gehaltenen Rückblenden. Allerdings hat man solche Bilder tatsächlich noch nie gesehen. Hier atmet jedes einzelne Frame den Geist van Goghs. Wer jemals vor einem meisterhaften Gemälde gestanden ist und sich in die darin gezeigte Landschaft hineinprojiziert hat, wird bei diesem Film aus dem Staunen nicht mehr heraus kommen. „Loving Vincent“ ist in der Tat ein visuelles Virtuosenstück, das neue Wege in der Filmkunst bestreitet. Da lässt es sich auch verschmerzen, wenn die Storysuppe selbst ein wenig dünn geraten ist – die üppigen Beilagen gleichen das jedenfalls aus.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 69 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Luna Filmverleih)