Drama

Konklave (2024)

Regie: Edward Berger
Original-Titel: Conclave
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Conclave


Die katholische Kirche macht im Grundsatz schon viel richtig zur Unterhaltung des Pöbels: Mit viel Brimborium werden seltsame, unverständliche Rituale exerziert, Männer stecken in lustigen und farbenprächtigen Gewändern, mit denen sie sich am Kölner Karneval unters Volk mischen könnten, und die Wahl des Chefs erfolgt in einem streng geheimen Verfahren, von dem man nichts mitbekommt außer: „Weißer Rauch: Habemus Papam!“ und „Schwarzer Rauch: Die Kardinäle sind sich nicht einig und holen sich jetzt erst einmal eine Leberkässemmel.“ Nichts geht über gut dosierten Mystizismus, um die Massen zu begeistern. Dieses Geheimnis der Konklave, also der Papst-Wahl, setzt Edward Berger, mit einem Oscar geadelt für Im Westen nichts Neues, mit hochkarätiger Besetzung filmisch um. Herzstück des Films ist Dekan Lawrence (Ralph Fiennes einmal mehr mit einer preiswürdigen Leistung), ein tugendhafter Zweifler, dem nach dem Ableben des von ihm sehr geschätzten Papstes mit der Aufgabe der Durchführung der Konklave beauftragt ist. Ihm zur Seite steht der bescheidene und progressive Kardinal Bellini (Stanley Tucci, ebenfalls grandios), der auf gar keinen Fall Papst werden will und genau deshalb aber seine Anhänger hat. Ihm diametral gegenüber steht der erzkonservative Kardinal Tedesco (Sergio Castellitto), der die katholische Kirche wieder ins Mittelalter zurückschießen möchte. Und auch sonst mischen ehrgeizige Kandidaten in der Wahl mit, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen. Bald geht es weniger darum, einen geeigneten Kandidaten zu ermitteln, sondern zu verhindern, dass eines der vielen schwarzen Schafe, die da im Ornament herumturnen, den Thron von Rom erklimmt. Die Konklave wird zum Jahrmarkt der Eitelkeiten, und ja, das Muster lässt sich übertragen: Alte, gut situierte Männer sind vor allem an der Macht interessiert, und der Weg dahin darf durchaus durchs moralische Dickicht führen, durch das sich sonst keiner traut, wenn das Ziel damit erreicht werden kann. Dass der Film so gut funktioniert, verdankt er neben geschliffenen Dialogen und einem wunderbaren Cast (auch zu erwähnen: Isabella Rossellini mit einer kleinen, aber prägnanten Rolle, Lucian Msamati, John Lithgow und Carlos Diehz, die allesamt ihre Momente haben) vor allem aber seiner Verweigerung eines moralisch erhobenen Zeigefingers, der angesichts so mancher Fehltritte der katholischen Kirche durchaus angebracht erschiene. Edward Berger beobachtet und erzählt, er urteilt nicht. Vielmehr vertraut er darauf, dass die Kraft der Bilder und der Erzählung für sich sprechen und einen möglichen Weg aufzeigen. Gerade in dieser Hinsicht ist „Konklave“ durchaus ein moralischer Film, nur eben ohne Maßregelungen und Überheblichkeit. Das gepaart mit einer eindrucksvollen Kamerarbeit, die virtuos mit dem Raum und dessen Begrenzungen arbeitet, sowie einem eingängigen Soundtrack, der die Spannung des Geschehens untermalt, macht „Konklave“ zu einem exzellenten Film und würdigen Anwärter auf den Oscar für den besten Film des Jahres.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Focus Features. © 2/Courtesy of Focus Features. © 2 – ©  2024 Focus Features, LLC. All Rights Reserved., Quelle: http://www.imdb.com)

Drecksau (2013)

Regie: Jon S. Baird
Original-Titel: Filth
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Filth


Schottland hat vieles, auf das es stolz sein kann: Dudelsäcke, wildromantische Schlösser, Kilts & Clans, eine Sprache, die sonst niemand versteht, Sean Connery und laut Schriftsteller Irvine Welsh, dem Autoren von „Trainspotting“ und „Filth“ ein ausgeprägtes Drogenproblem. Das ist aber nur ein Teil der Probleme des korrupten und abgewrackten Polizisten Bruce Robertson (James McAvoy, noch so ein Nationalheiligtum der Schotten). Andere Probleme des exzentrischen Charmeurs mit der Persönlichkeitsstörung sind der Wunsch nach einer Beförderung, für die er gegen all seine Kollegen intrigiert, eine Sexsucht, ein halb verdrängtes Kindheitstrauma, die komplette Zerstörung seiner Familie und generell ein ungustiöses Verhalten, auf das der Titel des Films wenig subtil hindeutet. Selbst seinen einzigen Freund, den leicht naiven Freimaurer Clifford (Eddie Marsan in einer weiteren denkwürdigen Rolle seiner eindrucksvollen Karriere), reitet Bruce rein, wo es nur geht. Dass dabei der Fall, der über seine weitere Karriere entscheiden soll, nämlich der Totschlag eines japanischen Austauschstudenten, ein wenig ins Hintertreffen gerät, passt nur ins Bild. Für Bruce ist alles eine persönliche Spielwiese, und wer bzw. was nicht seinem Vorteil oder seinem Vergnügen dient, findet einfach nicht statt. Warum wir diesem Ungustl, dieser Drecksau tatsächlich über 1,5 Stunden lang folgen wollen, liegt am Charisma und der Energie von James McAvoy. Auch wenn die Handlung immer schlimmer und schlimmer wird, und der Verfall des „Helden“ immer deutlichere Züge annimmt, bleiben wir dabei, insgeheim hoffend, dass diese tragische Gestalt doch noch die Kurve bekommt. Dabei bleibt kaum Luft zu atmen. Jon S. Baird inszeniert den auf Welshs Roman beruhenden Film in einem hohen Tempo mit grellen Farben, schnellen Schnitten und einer Portion Surrealismus, die den satirischen Aspekt der Geschichte gut begleitet, aber dennoch so wohldosiert eingesetzt ist, dass er ihn nicht unterläuft. Zuweilen wirkt das Geschehen auf dem Bildschirm dennoch recht anstrengend – v.a. zu Beginn muss man sich selbst auch Geduld auferlegen beim Versuch, in die Geschichte und ihre Protagonisten einzutauchen – aber je länger der Film dauert, desto fesselnder wird er, was auch ein Zeichen von Qualität ist. „Filth“ ist eine Tour de Force, die man so schnell kein zweites Mal erleben möchte, aber dennoch trotz einiger stilistischer Wagnisse als rundum gelungen bezeichnet werden kann.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2013 – Lionsgate UK, Quelle: http://www.imdb.com)

Anora (2024)

Regie: Sean Baker
Original-Titel: Anora
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: Anora


Dass ich den Cannes-Gewinner „Anora“ krankheitsbedingt auf der Viennale verpasst habe, war schon Pech, bin ich doch großer Fan von Sean Bakers bisherigen Arbeiten. Ich hatte schon das Gefühl, dass mir da ein Film des Jahres durch die Lappen ging. Aber glücklicherweise mahlen die Mühlen in Österreich bekanntermaßen langsam, und so kann man sich auch zwei Monate nach Ende der Viennale und ein halbes Jahr nach dem Cannes-Sieg in einen gut gefüllten Kinosaal setzen, um den bisherigen Höhepunkt des Baker’schen Schaffens zu sichten. „Anora“ beginnt als klassische Cinderella-Geschichte: Die Erotiktänzerin Anora, die nur Ani genannt werden möchte, lernt im Club den russischen Milliardärsohn Wanja kennen. Es wird Party gemacht, getanzt, gevögelt, und es kommt, was kommen muss: Der infantile, aber humorvolle und gutherzige Wanja verfällt der lebenslustigen Ani, was in einem spontanen Hochzeitsantrag in Las Vegas mündet, und wenn man schon mal da ist, können diesem Antrag auch gleich Taten folgen. Das Problem ist allerdings: Wanjas Eltern in Russland sind nicht unbedingt glücklich darüber, dass die Ehe ihres Sohns mit einer Sexarbeiterin in Russlands Klatschmagazinen auftaucht und schicken daher ihre Schergen, um die Sache geradezubiegen. Was als erotisch aufgeladene Liebesgeschichte beginnt, wechselt bald zu einem Krimi mit Screwball-Elementen, aber Baker wäre nicht Baker, wenn er es bei der leichten Unterhaltung belassen würde. Baker ist ein Humanist mit einem großen Herzen für die Figuren am Rand der Gesellschaft, denen nicht alles in den Schoß fällt. Gleichzeitig hat er aber auch einen ehrlichen, ungeschönten Blick auf die Verhältnisse und führt daher seine Geschichten zu einem konsequenten Ende. „Anora“ vereint alle Vorzüge seines bisherigen Schaffens und fügt diesen noch einmal neue Facetten hinzu. Lustiger und tragischer war noch keiner seiner Filme. Und auch wenn Baker bislang ein fantastisches Händchen für Casting gezeigt hat, ist die Besetzung von Mikey Madison als Titelheldin ebenfalls sein bisheriges Glanzstück. Madison spielt ihre Figur mit einer Hingabe und Energie, die lange im Gedächtnis bleibt. Doch auch Juri Borissow in der denkwürdigsten vieler denkwürdigen Nebenrollen verleiht seinem Handlanger Igor eine Tiefe und menschliche Größe, die man in vielen Filmen vergeblich sucht. Das ist überragend geschrieben und kongenial gespielt. Kein Wunder, dass sowohl Madison als auch Borissow für ihre Leistungen für einen Golden Globe nominiert wurden, eben Sean Baker für Film, Regie und Drehbuch selbst. „Anora“ ist ein ganz großer Wurf, der alle Facetten der cineastischen Emotionen abdeckt, extrem gut unterhält und dabei auch noch lange nachwirkt. Er wäre wohl mein Film des Jahres 2024 geworden. So wird er halt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mein Film des Jahres 2025.


9,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Neon – © Neo, Quelle: http://www.imdb.com)

Challengers – Rivalen (2024)

Regie: Luca Guadagnino
Original-Titel: Challengers
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Liebesfilm, Sportfilm
IMDB-Link: Challengers


Im Finale eines kleineren Turniers der Challengers-Turnierreihe (im Tennis sozusagen die zweite Liga unter der ATP-Tour) treffen Patrick Zweig (Josh O’Connor) und Art Donaldson (Mike Faist) aufeinander – unter den interessierten Blicken des ehemaligen Wundertalents Tashi Duncan (Zendaya), die durch eine böse Knieverletzung früh in der Karriere ausgebremst wurde. Die drei verbindet eine lange Geschichte miteinander. Patrick und Art waren früher beste Freunde, haben ihre erste großen Erfolge gemeinsam im Doppel gefeiert – und das nicht nur auf dem Tennisplatz, sondern auch an einem denkwürdigen Abend mit Tashi. Nachdem die sich zunächst für den charismatischeren Patrick entschieden hat, wurde sie später mit dem solideren und fokussierten Art sesshaft, der in Folge auch eine erfolgreiche Tenniskarriere hinlegte, während Patrick, immer wieder an sich selbst scheiternd, in den Niederungen der kleineren Turniere hängenblieb, wo man mangels vernünftiger Preisgelder auch mal im Auto auf dem Parkplatz vor dem Tennisplatz übernachten muss. Doch befindet sich Art zum Zeitpunkt dieses großen Aufeinandertreffens in einer Formkrise. Am letzten großen Ziel, der Gewinn der US Open, droht er zu scheitern, weshalb Tashi, mittlerweile seine Frau und Trainerin, zwecks Formaufbau die Teilnahme an diesem kleineren Challengers-Turnier vorschlägt. Im Zuge des neuerlichen Aufeinandertreffens der einstigen Freunde und nunmehrigen Rivalen werden die Erinnerungen an die turbulenten Ereignisse der vergangenen zwölf Jahre wieder nach oben gespült und verleihen dieser Begegnung besondere Brisanz. In Rückblenden erzählt Luca Guadagnino in von ihm gewohnt stylischen Bildern die komplizierte Gefühlshistorie dieses Dreiecks. Wenn Sportler:innen ihren unbedingten Siegeswillen ins Liebesleben einbringen, wird es eben schnell mal kompliziert. Diesen Aspekt beleuchtet Guadagnino sehr kunstvoll. Auch die Sportszenen selbst lassen nichts zu wünschen übrig. Es ist schlicht spektakulär anzusehen, wenn man als Zuseher plötzlich die Perspektive des Balls einnimmt und von verschwitzten Rivalen mit jedem Schlag grimmiger übers Netz gedroschen wird. Die Schauwerte des Films überzeugen also. Auch die Darstellerriege liefert in hoher Qualität ab. Zendaya fungiert hierbei als Zugpferd für diesen Film, doch bleibt sie schauspielerisch sogar fast zurück hinter Josh O’Connor und Mike Faist, die ihre Charaktere mit authentischem und nuancierten Spiel enorme Glaubwürdigkeit verleihen und den Herzschlag des Films bestimmen. Allerdings können Dramaturgie und Spannungsbogen mit den Schauwerten nicht ganz mithalten. Für die doch recht einfach strukturierte Geschichte fühlt sich der Film insgesamt zu lang an. Guadagnino nimmt sich viel Zeit für seine Charaktere, was prinzipiell löblich ist, doch nicht jeder Ausflug in deren Vergangenheit erweist sich als gewinnbringend für die Zuseher. Und so gibt es immer wieder zähe Passagen, die den Film und seine Figuren nicht so recht voranbringen. Das drückt letzten Endes die Bewertung auf solide, aber ausbaufähige 6 Kürbisse.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Metro Goldwyn Mayer Pictures – © 2023 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved, Quelle: http://www.imdb.com)

Something Old, Something New, Something Borrowed (2024)

Regie: Hernán Rosselli
Original-Titel: Algo viejo, algo nuevo, algo prestado
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Algo viejo, algo nuevo, algo prestado


Die Wettmafia in Argentinien. Befeindete Clans und Familien haben die Stadt sauber unter sich aufgeteilt, ständig begleitet die Angst vor Razzien und Verhaftungen den Alltag. Und doch ist „Algo viejo, algo nuevo, algo prestado“ von Hernán Rosselli zunächst einmal eine dokumentarisch anmutende Familiengeschichte. Mittels Home Recording Videos wird die Geschichte von Maribel Felpeto und ihrer Familie nachgezeichnet: Wie sich Mutter und Vater kennenlernten und ineinander verliebten, wie Maribel aufwuchs und schließlich der Schock, als der Vater eines Tages aus unerklärlichen Gründen Suizid beging. Maribel ist längst im Familienunternehmen angekommen, das unter der Führung ihrer Mutter floriert. Um Geld dreht sich alles in dieser Familie, darunter leiden selbst zwischenmenschliche Beziehungen, und am Ende ist sich jeder selbst der Nächste. Das Bemerkenswerte an diesem Film ist Rossellis Herangehensweise: Er verwendet unter anderem Heimvideos seiner Hauptdarstellerin und Kollaborateurin Maribel Felpeto und konstruiert um diese herum die Geschichte vom Mafiaclan. Dadurch bekommt der Film einen realistischen Anstrich, wie man ihn nur selten im fiktionalen Kino findet. Doch gleichzeitig nimmt dieser halb-dokumentarische Ansatz unglaublich viel Tempo aus der Geschichte. Denn ganz ehrlich: Wer hat schon wirklich mit Genuss die verwackelten Heimvideos von losen Bekannten oder Verwandten angesehen, wenn die ihre Werke voller Stolz präsentiert haben? Sieht man sich Videos der eigenen Familie an, gibt es immerhin noch einen emotionalen Bezug, da kann man dann gerne über viel zu lange Sequenzen und grobkörnige Bilder hinwegsehen. Dieser emotionale Bezug fehlt hier aber komplett, und so ist die Idee von Rosselli zwar interessant, führt aber nicht zu einem interessanten Film. Ultrarealismus ist halt im Kino nicht immer gefragt, da braucht es Verdichtung und Spannungsaufbau. Beides fehlt hier. Und so können sich dann auch hundert Minuten recht lang anfühlen.


4,0 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Queer (2024)

Regie: Luca Guadagnino
Original-Titel: Queer
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Drama, Roadmovie, Biopic
IMDB-Link: Queer


Da ist er nun, der Überraschungsfilm der Viennale 2024. Wie Eva Sangiorgi in ihrer kurzen Ansprache vor Beginn der Vorführung erklärte, wäre der Film ohnehin als Fixpunkt im Programm gelaufen, hätte man nur rechtzeitig einen Verleih dafür gefunden. Nachdem sich dieser Prozess aber ein wenig hinzog, musste man ausweichen und dem neugierigen Publikum Guadagninos neuestes Werk mit Daniel Craig in der Hauptrolle eben als Überraschungsfilm präsentieren. Auf der einen Seite erscheint diese Vorgehensweise durchaus mutig, denn der Film nach einer literarischen Vorlage von William S. Burroughs gehört sicherlich zu jenen, die die Gemüter spalten. Andererseits: Wann kann man schon einen Guadagnino-Film als Überraschungsfilm präsentieren? Der Italiener ist so etwas wie der große internationale Aufsteiger der letzten zehn Jahre mit Filmen wie Call Me by Your Name oder Suspiria. Er gehört zu jenen Regisseuren, deren Stil man sofort wiedererkennt, da er eine ganz eigene, sinnliche Bildsprache pflegt und auch musikalisch immer wieder spannende Pfade betritt. „Queer“ bildet diesbezüglich keine Ausnahme – im Gegenteil. Der Film ist atmosphärisch enorm dicht. Die Story hingegen – und da sind wir bei dem Aspekt, der wohl die Geister voneinander scheiden wird – bleibt dünn. In seinem autobiographischen Roman erzählt William S. Burroughs von seinem Alter Ego, das in Schwulenbars in Mexico City abhängt und sich unsterblich in einen Jüngeren (Drew Starkey) verliebt, mit dem er sich schließlich auf einen Roadtrip nach Südamerika aufmacht, um dort nach der legendären Yage-Pflanze zu suchen, nach dessen Einnahme man angeblich Gedanken lesen kann. William Lee, mit vollem Einsatz von Daniel Craig gespielt, der die wohl beste und jedenfalls mutigste Leistung seiner Karriere abliefert, ist ein Suchender, doch scheint er manchmal selbst nicht zu wissen, was er sucht. Gefangen zwischen Lust und dem aufrichtigen Wunsch nach Liebe ist er ein Mensch, der niemals anzukommen scheint, ganz gleich, wohin es ihn verschlägt. Prinzipiell sieht man ihm bei seiner Reise ins Nirgendwo auch gerne zu, dafür sorgt allein schon die schon angesprochene dichte Atmosphäre. Und doch hat der Film ein Problem mit dem Pacing. Zieht sich der erste der drei Teile recht zäh hin, wird Teil zwei beinahe nebenbei rasch abgehandelt, ehe der Film in Teil drei, die Suche nach der Yage-Pflanze, ins Groteske driftet. Alle drei Teile fühlen sich auf ihre Weise wie eigene Filme an, die nur schwer zueinanderfinden. So fällt es am Ende auch schwer, eine emotionale Bindung zur Figur des William Lee aufzubauen, auch wenn sich Daniel Craig eben die Seele aus dem Leib spielt. „Queer“ ist ein Kunstwerk, eine ästhetische und intellektuelle Übung, der trotz aller Bemühungen (oder vielleicht auch gerade deshalb) ein wenig die emotionale Mitte fehlt. Ein Wagnis mit ganz klaren Stärken, aber auch Schwächen.


6,5 Kürbisse

Bildzitat: http://www.imdb.com

Das Omen (1976)

Regie: Richard Donner
Original-Titel: The Omen
Erscheinungsjahr: 1976
Genre: Horror, Drama
IMDB-Link: The Omen


Mei, Kinder sind der Quell der Freude. Was macht es schon, wenn das Kindermädchen der reichen Botschafter-Familie eines Tages mit gebrochenem Genick vor der Fassade baumelt? Oder wenn der Priester, der ständig seltsame Warnungen und was von Kindsmord brabbelt, plötzlich von einer Kirchenspitze gepfählt wird? Alles fein im Hause Thorn (Gregory Peck und Lee Remick), ihr Damian ist ja ein herziger Bub. Aber langsam dämmert es dem Vater, dass es damals vielleicht doch nicht die allerbeste Idee war, das totgeborene eigene Kind heimlich, ohne seine eigene Frau darüber zu informieren, gegen einen anderen Buben, dessen Mutter bei der Geburt gestorben ist, auszutauschen. Als dann auch noch das neue Kindermädchen auftaucht, das sich äußerst seltsam benimmt, ist das Misstrauen endgültig geweckt, und gemeinsam mit einem Fotojournalisten macht sich Robert Thorn auf, die eigenartigen Umstände von Damians Geburt nachzuforschen. Doch ist es möglicherweise schon zu spät? Wäre der Hauptcharakter nur etwas bibelfester gewesen, so wäre aus dem Film von Richard Donner ein Kurzfilm geworden. Kapitel 13 der Offenbarung des Johannes sagt ja eh alles aus, was man wissen muss. Bildung rettet Leben, und Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Und so nimmt das Übel seinen Lauf. „Das Omen“ ist ein Grusel-Klassiker, in dem das Böse als Unschuld verkleidet hereinbricht – ein beliebtes Thema im Horrorgenre. Das Grauen schleicht sich heimtückisch durch die Hintertür in die Köpfe. Erleichternd für solche Schisser wie mich ist, dass „Das Omen“ fast komplett auf Schockmomente in Form von Jump-Scares verzichtet. Dafür baut Richard Donner durchgängig eine düstere und bedrohliche Atmosphäre auf, die für den Spannungsaufbau völlig ausreicht. Wer braucht schon Jump-Scares, wenn der von Kinderdarsteller Harvey Stephens ikonisch verkörperte Damian sein als Unschuld getarntes Grinsen zeigt, hinter dem die Kälte lauert? „Das Omen“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass sich der größte Horror immer im eigenen Kopf abspielt und es keine expliziten Gewaltdarstellungen braucht, damit dieser funktioniert. In diesem Sinne: Happy Halloween, und viel Glück, dass sich unter den Kindern, die heute bei euch läuten und nach Süßem oder Saurem verlangen, kein Damian befindet.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2004 Shutterstock, Quelle http://www.imdb.com)

Matt und Mara (2024)

Regie: Kazik Radwanski
Original-Titel: Matt and Mara
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Komödie, Drama
IMDB-Link: Matt and Mara


Man kann die Truppe rund um Kazik Radwanski ein künstlerisches Konglomerat nennen oder etwas despektierlicher eine Festival-Gang. Jedenfalls waren sowohl sein Hauptdarsteller Matt Johnson (zB mit Operation Avalanche) als auch seine Hauptdarstellerin Deragh Campbell (mit MS Slavic 7) mit eigenen Filmen auf der Viennale vertreten. All diese Filme sind sehr unterschiedlich in ihrer Tonalität und mit ihren Themen, und doch verbindet diese drei kanadischen Künstler:innen ein gemeinsames Verständnis für zurückgenommenes Storytelling und ein respektvoller Blick auf die Arbeitsweisen der jeweils anderen. In „Matt und Mara“ treffen sich nun zwei Freunde nach langer Zeit wieder. Es ist nicht klar, seit wann und aus welchen Gründen die beiden befreundet sind, aber sie haben eine enge Bindung und sehr viel Chemie miteinander. Beim gemeinsamen Spazieren durch Toronto wird über das Leben und das Schreiben gesprochen (Matt ist mittlerweile ein angesehener Autor, Mara Dozentin für kreatives Schreiben), oder es wird einfach nur herumgeblödet. So ganz greifbar wird die Beziehung der beiden nicht, und es sieht so aus, als wüssten sie selbst gar nicht genau, was sie sind außer eben „Matt und Mara“. Vielsagend ist, dass beispielsweise Maras Ehemann von Matts Existenz gar nichts weiß. Überhaupt lebt der Film sehr stark von Lücken und Auslassungen. Alles bleibt vage, und damit ist am Ende auch alles möglich. Thematisch erinnert Kazik Radwanskis Film stark an Celine Songs Oscar-nominierten Past Lives aus dem vergangenen Jahr, allerdings hat Song den formal strengeren und konzentrierteren Film geliefert. Das spricht nicht unbedingt gegen „Matt und Mara“, denn dessen Stärke liegt in seiner Unbeschwertheit, die vor allem von Matt Johnson erzeugt wird, wohingegen sich die Perspektive des Films auf Deragh Campbells Mara und deren Gefühlschaos richtet. Daraus ergibt sich ein interessanter Kontrast, der dem Film gut tut. „Matt und Mara“ ist vielleicht kein großer Wurf, aber sehenswert und in seinem Thema durchaus nachvollziehbar, denn selten sind Gefühlswelten und Beziehungen so eindeutig definiert, wie uns Hollywood das oft vorzeigen möchte.


6,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Who by Fire (2024)

Regie: Philippe Lesage
Original-Titel: Comme le feu
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama
IMDB-Link: Comme le feu


Es gibt Filme, über deren objektive Qualität man vielleicht streiten kann, die aber beim Zuseher, wenn dieser in der richtigen Stimmung ist, einen Nerv treffen. Der entzückende Märchenfilm Riddle of Fire war letztes Jahr so ein Film für mich, und auch dieses Mal erwischt mich wieder ein Film mit Feuer im Titel. „Comme le feu“ (internationaler Festival-Titel: „Who by Fire“) des frankokanadischen Regisseurs Philippe Lesage ist ein sinnliches Erlebnis, das bereits in der ersten Szene, als es nicht mehr zu sehen gibt als ein Auto, das durch eine kanadische Waldlandschaft fährt, durch die Kraft von Bildern und Musik einen Sog aufbaut, dem ich mich nicht entziehen kann. In diesem Auto sitzt der Drehbuchautor Albert (Paul Ahmarani), der zusammen mit seinem Sohn Max (Antoine Marchand-Gagnon) und seiner Tochter Aliocha (Aurélia Arandi-Longpré) sowie Max’s Schulfreund Jeff (Noah Parker) seinen alten Kollegen, den renommierten Regisseur Blake (Arieh Worthalter) in dessen abgelegener Hütte besucht. Mehrere Tage wollen die alten Freunde in der Unbeschwertheit der Natur verbringen, angeln, jagen, über Filme philosophieren. Jeff hat gleich ein zweifaches Interesse an diesem Urlaubstrip: Zum Einen ist er hoffnungslos (und unerwidert) verknallt in Aliocha, zum Anderen möchte er selbst Filmregisseur werden und freut sich demnach sehr auf die Gelegenheit, von seinem Idol Blake zu lernen. Doch wird die Harmonie bald von Spannungen überlagert, als Albert und Blake alte Animositäten ausgraben. Philippe Lesage zeigt in seinem handlungsarmen, aber subtilen Film vor allem zwischenmenschliche Distanzen und Entfremdungen: Während Albert, der nun für das einst verhasste Fernsehen schreibt, in den Augen Blakes seine Ideale verraten hat, hegt dieser einen Groll auf Albert, da er sich nun dem Dokumentarfilm zugewandt hat und dementsprechend keinen Bedarf mehr für seinen alten Drehbuchautor hat. Beide versuchen sich, in männlichem Gehabe zu übertreffen, um eigene Überlegenheit zu suggerieren. Jeff wiederum versucht die Distanz zu Aliocha zu überbrücken, wobei ihm allerdings die Unbeholfenheit der Jugend einen Strich durch die Rechnung macht. Als noch ein befreundetes Ehepaar für einige Tage dazustößt, hat sich bereits ein gefährlicher Cocktail von Balzgehabe und toxischer Männlichkeit gebildet, der überzulaufen droht. Was „Comme le feu“ so stark macht, ist die Verweigerung einer klaren Zielrichtung. Man kann sich nie sicher sein, was in der nächsten Szene wartet. Da wird schon mal eine absurd komische Szene von einer bedrohlichen Thriller-Szene abgelöst, ehe man versonnen am Feuer sitzt und über das Leben kontempliert. Wie auch im Leben selbst kann man nie wissen, was als nächstes um die Ecke kommt. Das alles betrachten wir aus den Augen von Jeff, wobei die Zuseher sowohl die Rolle seines Komplizen als auch die seines Kritikers einnehmen. Alles ist in Bewegung in diesem Film, Grenzen werden ständig neu verhandelt, Komik und Tragik liegen eng beieinander, und am Ende des Films ist man sich vielleicht keiner umfassenden Veränderung der Charaktere bewusst, hat aber das Gefühl, dass diese zumindest neue Sichten auf das Leben gewonnen haben, das so seltsam verwirrend ist, wenn junge Liebe und alter Hass nebeneinander stehen und sich gegenseitig ausstechen wollen. Philippe Lesage selbst sagte während des Q&As nach dem Film sinngemäß, dass er vor allem an der Komik dieser männlichen Gefühlswelten interessiert sei, und das trifft es als Fazit vielleicht am besten.


8,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Suspended Time (2024)

Regie: Olivier Assayas
Original-Titel: Hors du temps
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: Hors du temps


Der Ausbruch der COVID-Pandemie war eine Zäsur der jüngeren Menschheitsgeschichte. Doch gefühlt war niemand davon so sehr betroffen wie der Filmemacher Paul Berger (Vincent Macaigne), der mit seiner Freundin sowie seinem Bruder und dessen Freundin (Nine d’Urso, Micha Lescot und Nora Hamzawi) während des Lockdowns im Elternhaus am Land festsitzt und einige interessante neue Neurosen entwickelt – Woody Allen lässt grüßen. Wenn er beispielsweise vom Einkaufen nach Hause kommt (was er ohnehin durch exzessive online-Bestellungen zu vermeiden versucht), zieht er sich bis auf die Unterhose aus und lädt die kontaminierte Wäsche sofort in die Waschmaschine, bevor er sich manisch die Hände wäscht, wie es einem Youtube-Video vorexerziert wird. Sein Bruder Etienne, ein Musikjournalist, nimmt die Corona-Regelungen etwas locker, was zu leicht entzündlichen brüderlichen Konflikten führt. Die meiste Zeit aber verbringt man beim gemeinsamen Abendessen mit einer guten Flasche Wein, auf dem Tennisplatz des nachbarschaftlichen Anwesens, auf dem man früher als Kind schon gespielt hat, und vor allem mit Name-Dropping obskurer Persönlichkeiten aus der Welt von Kunst und Philosophie, die selbst unter gelehrtem Viennale-Publikum für Stirnrunzeln sorgt. Beim einzig verständlichen diesbezüglichen Gag klopft man sich innerlich auf die Schulter, dass man immerhin den Namen Modigliani kennt – sonst wäre dieser Gag nämlich ebenfalls im Schlamm der Unkenntnis der Ungebildeten versunken. „Hors du temps“ von Olivier Assayas, den ich für gewöhnlich sehr schätze, hat zwei grundlegende Probleme, über die man nicht hinwegsehen kann: Erstens: Auch wenn es im Film karikiert werden soll, ist das seelische Leid des sensiblen Paul durch den Lockdown, den er in bester Gesellschaft in einem riesigen parkähnlichen Garten verbringt, einfach nur lächerlich. Zweitens: Selbstreferenzielle Diskurse über das Filmemachen, die Philosophie und die Philosophie des Filmemachens sind halt leider, wenn sie derart penetrant ausgebreitet werden, nur eine ziemliche Hirnwichserei. Zugute halten muss man Assayas, dass er das immerhin mit viel Verve inszeniert, französisch eben. Aber wenn in der Nachbetrachtung der weltumspannenden Pandemie, die unsere Gesellschaft einmal auf den Kopf und wieder zurück gedreht hat, ein solches nichtssagendes Etwas von einem Film herauskommt, so ist das enttäuschend.


4,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale