2024

Oh la la – Wer ahnt denn sowas? (2024)

Regie: Julien Hervé
Original-Titel: Cocorico
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Komödie
IMDB-Link: Cocorico


Wer hier regelmäßig mitliest, kennt vielleicht schon meine Meinung zu französischen Komödien, die nicht unbedingt zu Gunsten dieses Filmgenres ausfällt. (Ausnahmen wie Liebesbriefe aus Nizza oder Ziemlich beste Freunde bestätigen die Regel.) Um es diplomatisch auszudrücken: Sie sprechen nur in den seltensten Fällen meinen Sinn für Humor an. Und doch gibt es viele da draußen, die diese Filme lieben – und das sei ihnen auch unbenommen. Dennoch kann ich nicht umhin, eine allgemeine Warnung vor dem Film „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ von Julien Hervé auszusprechen, ganz unabhängig davon, ob man für den Humor in französischen Komödien empfänglich ist oder nicht. Denn dieser Film ist – wirklich, ganz ehrlich, ohne Übertreibung, mit vollem Bedacht der gewählten Worte – eine lahme Ente. Das junge Paar Alice und Francois schenkt seinen Eltern beim ersten Aufeinandertreffen das Ergebnis eines Gen-Tests, der die genetische Herkunft bestimmt (einer dieser Heritage-DNA-Tests, die gerade so in Mode sind.) Das Ergebnis passt selbstverständlich niemandem, und die Spannungen, die sich vor allem zwischen den beiden Vätern Gérard (Didier Bourdon), einem aufrechten französischen Autohändler, und Frédéric (Christian Clavier), einem versnobten Weingutsbesitzer mit Adelsstamm, von Beginn an ergeben, werden dadurch auf die Spitze getrieben. Fast kammerspielartig (der Großteil des Films spielt im Salon des fürstlichen Chateaus von Alices Eltern) prallen unterschiedliche Herkünfte, Lebenseinstellungen und Vorurteile aufeinander. Eine Situation wie in Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels, nur leider ohne Kraft, ohne Witz und ohne demaskierender Bösartigkeit. Vielmehr suhlt sich der Film in Ressentiments und rassistischen Entgleisungen. Und zeigt gleichzeitig eine der größten Sünden französischer Komödien auf, die diese für mich zum Teil eben so schwer verdaulich zu machen: Man will augenzwinkernd politisch inkorrekt sein, tut dies aber in einer verstörend verharmlosenden Weise, die eben jene politische Inkorrektheit de facto festzementiert. Unter progressivem Gehabe liegt eine tief verwurzelte konservativ-bürgerliche Einstellung, die an einer ehrlichen Debatte nicht interessiert ist, sondern das Progressive lieber für einen billigen (und oft nicht funktionierenden) Witz nutzt. Um es mit einem direkten Filmzitat zu sagen: „Fuck you very much.“ Es ist zu befürchten, dass es eine Fortsetzung geben wird.


2,0 Kürbisse

(Bildzitat: © Weltkino, Quelle: http://www.imdb.com)

Konklave (2024)

Regie: Edward Berger
Original-Titel: Conclave
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Conclave


Die katholische Kirche macht im Grundsatz schon viel richtig zur Unterhaltung des Pöbels: Mit viel Brimborium werden seltsame, unverständliche Rituale exerziert, Männer stecken in lustigen und farbenprächtigen Gewändern, mit denen sie sich am Kölner Karneval unters Volk mischen könnten, und die Wahl des Chefs erfolgt in einem streng geheimen Verfahren, von dem man nichts mitbekommt außer: „Weißer Rauch: Habemus Papam!“ und „Schwarzer Rauch: Die Kardinäle sind sich nicht einig und holen sich jetzt erst einmal eine Leberkässemmel.“ Nichts geht über gut dosierten Mystizismus, um die Massen zu begeistern. Dieses Geheimnis der Konklave, also der Papst-Wahl, setzt Edward Berger, mit einem Oscar geadelt für Im Westen nichts Neues, mit hochkarätiger Besetzung filmisch um. Herzstück des Films ist Dekan Lawrence (Ralph Fiennes einmal mehr mit einer preiswürdigen Leistung), ein tugendhafter Zweifler, dem nach dem Ableben des von ihm sehr geschätzten Papstes mit der Aufgabe der Durchführung der Konklave beauftragt ist. Ihm zur Seite steht der bescheidene und progressive Kardinal Bellini (Stanley Tucci, ebenfalls grandios), der auf gar keinen Fall Papst werden will und genau deshalb aber seine Anhänger hat. Ihm diametral gegenüber steht der erzkonservative Kardinal Tedesco (Sergio Castellitto), der die katholische Kirche wieder ins Mittelalter zurückschießen möchte. Und auch sonst mischen ehrgeizige Kandidaten in der Wahl mit, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen. Bald geht es weniger darum, einen geeigneten Kandidaten zu ermitteln, sondern zu verhindern, dass eines der vielen schwarzen Schafe, die da im Ornament herumturnen, den Thron von Rom erklimmt. Die Konklave wird zum Jahrmarkt der Eitelkeiten, und ja, das Muster lässt sich übertragen: Alte, gut situierte Männer sind vor allem an der Macht interessiert, und der Weg dahin darf durchaus durchs moralische Dickicht führen, durch das sich sonst keiner traut, wenn das Ziel damit erreicht werden kann. Dass der Film so gut funktioniert, verdankt er neben geschliffenen Dialogen und einem wunderbaren Cast (auch zu erwähnen: Isabella Rossellini mit einer kleinen, aber prägnanten Rolle, Lucian Msamati, John Lithgow und Carlos Diehz, die allesamt ihre Momente haben) vor allem aber seiner Verweigerung eines moralisch erhobenen Zeigefingers, der angesichts so mancher Fehltritte der katholischen Kirche durchaus angebracht erschiene. Edward Berger beobachtet und erzählt, er urteilt nicht. Vielmehr vertraut er darauf, dass die Kraft der Bilder und der Erzählung für sich sprechen und einen möglichen Weg aufzeigen. Gerade in dieser Hinsicht ist „Konklave“ durchaus ein moralischer Film, nur eben ohne Maßregelungen und Überheblichkeit. Das gepaart mit einer eindrucksvollen Kamerarbeit, die virtuos mit dem Raum und dessen Begrenzungen arbeitet, sowie einem eingängigen Soundtrack, der die Spannung des Geschehens untermalt, macht „Konklave“ zu einem exzellenten Film und würdigen Anwärter auf den Oscar für den besten Film des Jahres.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Focus Features. © 2/Courtesy of Focus Features. © 2 – ©  2024 Focus Features, LLC. All Rights Reserved., Quelle: http://www.imdb.com)

Anora (2024)

Regie: Sean Baker
Original-Titel: Anora
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: Anora


Dass ich den Cannes-Gewinner „Anora“ krankheitsbedingt auf der Viennale verpasst habe, war schon Pech, bin ich doch großer Fan von Sean Bakers bisherigen Arbeiten. Ich hatte schon das Gefühl, dass mir da ein Film des Jahres durch die Lappen ging. Aber glücklicherweise mahlen die Mühlen in Österreich bekanntermaßen langsam, und so kann man sich auch zwei Monate nach Ende der Viennale und ein halbes Jahr nach dem Cannes-Sieg in einen gut gefüllten Kinosaal setzen, um den bisherigen Höhepunkt des Baker’schen Schaffens zu sichten. „Anora“ beginnt als klassische Cinderella-Geschichte: Die Erotiktänzerin Anora, die nur Ani genannt werden möchte, lernt im Club den russischen Milliardärsohn Wanja kennen. Es wird Party gemacht, getanzt, gevögelt, und es kommt, was kommen muss: Der infantile, aber humorvolle und gutherzige Wanja verfällt der lebenslustigen Ani, was in einem spontanen Hochzeitsantrag in Las Vegas mündet, und wenn man schon mal da ist, können diesem Antrag auch gleich Taten folgen. Das Problem ist allerdings: Wanjas Eltern in Russland sind nicht unbedingt glücklich darüber, dass die Ehe ihres Sohns mit einer Sexarbeiterin in Russlands Klatschmagazinen auftaucht und schicken daher ihre Schergen, um die Sache geradezubiegen. Was als erotisch aufgeladene Liebesgeschichte beginnt, wechselt bald zu einem Krimi mit Screwball-Elementen, aber Baker wäre nicht Baker, wenn er es bei der leichten Unterhaltung belassen würde. Baker ist ein Humanist mit einem großen Herzen für die Figuren am Rand der Gesellschaft, denen nicht alles in den Schoß fällt. Gleichzeitig hat er aber auch einen ehrlichen, ungeschönten Blick auf die Verhältnisse und führt daher seine Geschichten zu einem konsequenten Ende. „Anora“ vereint alle Vorzüge seines bisherigen Schaffens und fügt diesen noch einmal neue Facetten hinzu. Lustiger und tragischer war noch keiner seiner Filme. Und auch wenn Baker bislang ein fantastisches Händchen für Casting gezeigt hat, ist die Besetzung von Mikey Madison als Titelheldin ebenfalls sein bisheriges Glanzstück. Madison spielt ihre Figur mit einer Hingabe und Energie, die lange im Gedächtnis bleibt. Doch auch Juri Borissow in der denkwürdigsten vieler denkwürdigen Nebenrollen verleiht seinem Handlanger Igor eine Tiefe und menschliche Größe, die man in vielen Filmen vergeblich sucht. Das ist überragend geschrieben und kongenial gespielt. Kein Wunder, dass sowohl Madison als auch Borissow für ihre Leistungen für einen Golden Globe nominiert wurden, eben Sean Baker für Film, Regie und Drehbuch selbst. „Anora“ ist ein ganz großer Wurf, der alle Facetten der cineastischen Emotionen abdeckt, extrem gut unterhält und dabei auch noch lange nachwirkt. Er wäre wohl mein Film des Jahres 2024 geworden. So wird er halt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mein Film des Jahres 2025.


9,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Neon – © Neo, Quelle: http://www.imdb.com)

Challengers – Rivalen (2024)

Regie: Luca Guadagnino
Original-Titel: Challengers
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Liebesfilm, Sportfilm
IMDB-Link: Challengers


Im Finale eines kleineren Turniers der Challengers-Turnierreihe (im Tennis sozusagen die zweite Liga unter der ATP-Tour) treffen Patrick Zweig (Josh O’Connor) und Art Donaldson (Mike Faist) aufeinander – unter den interessierten Blicken des ehemaligen Wundertalents Tashi Duncan (Zendaya), die durch eine böse Knieverletzung früh in der Karriere ausgebremst wurde. Die drei verbindet eine lange Geschichte miteinander. Patrick und Art waren früher beste Freunde, haben ihre erste großen Erfolge gemeinsam im Doppel gefeiert – und das nicht nur auf dem Tennisplatz, sondern auch an einem denkwürdigen Abend mit Tashi. Nachdem die sich zunächst für den charismatischeren Patrick entschieden hat, wurde sie später mit dem solideren und fokussierten Art sesshaft, der in Folge auch eine erfolgreiche Tenniskarriere hinlegte, während Patrick, immer wieder an sich selbst scheiternd, in den Niederungen der kleineren Turniere hängenblieb, wo man mangels vernünftiger Preisgelder auch mal im Auto auf dem Parkplatz vor dem Tennisplatz übernachten muss. Doch befindet sich Art zum Zeitpunkt dieses großen Aufeinandertreffens in einer Formkrise. Am letzten großen Ziel, der Gewinn der US Open, droht er zu scheitern, weshalb Tashi, mittlerweile seine Frau und Trainerin, zwecks Formaufbau die Teilnahme an diesem kleineren Challengers-Turnier vorschlägt. Im Zuge des neuerlichen Aufeinandertreffens der einstigen Freunde und nunmehrigen Rivalen werden die Erinnerungen an die turbulenten Ereignisse der vergangenen zwölf Jahre wieder nach oben gespült und verleihen dieser Begegnung besondere Brisanz. In Rückblenden erzählt Luca Guadagnino in von ihm gewohnt stylischen Bildern die komplizierte Gefühlshistorie dieses Dreiecks. Wenn Sportler:innen ihren unbedingten Siegeswillen ins Liebesleben einbringen, wird es eben schnell mal kompliziert. Diesen Aspekt beleuchtet Guadagnino sehr kunstvoll. Auch die Sportszenen selbst lassen nichts zu wünschen übrig. Es ist schlicht spektakulär anzusehen, wenn man als Zuseher plötzlich die Perspektive des Balls einnimmt und von verschwitzten Rivalen mit jedem Schlag grimmiger übers Netz gedroschen wird. Die Schauwerte des Films überzeugen also. Auch die Darstellerriege liefert in hoher Qualität ab. Zendaya fungiert hierbei als Zugpferd für diesen Film, doch bleibt sie schauspielerisch sogar fast zurück hinter Josh O’Connor und Mike Faist, die ihre Charaktere mit authentischem und nuancierten Spiel enorme Glaubwürdigkeit verleihen und den Herzschlag des Films bestimmen. Allerdings können Dramaturgie und Spannungsbogen mit den Schauwerten nicht ganz mithalten. Für die doch recht einfach strukturierte Geschichte fühlt sich der Film insgesamt zu lang an. Guadagnino nimmt sich viel Zeit für seine Charaktere, was prinzipiell löblich ist, doch nicht jeder Ausflug in deren Vergangenheit erweist sich als gewinnbringend für die Zuseher. Und so gibt es immer wieder zähe Passagen, die den Film und seine Figuren nicht so recht voranbringen. Das drückt letzten Endes die Bewertung auf solide, aber ausbaufähige 6 Kürbisse.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Metro Goldwyn Mayer Pictures – © 2023 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved, Quelle: http://www.imdb.com)

765874 – Unification (2024)

Regie: Carlos Baena
Original-Titel: 765874 – Unification
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Kurzfilm, Science Fiction
IMDB-Link: 765874 – Unification


Star Trek ist Teil einer weltweiten Identität des 20. Jahrhunderts. Man wird die entlegensten Dörfer des Erdballes besuchen können, mit Sicherheit findet sich ein Trekkie unter den Dorfbewohnern. Doch selbst das Raumschiff Enterprise entkommt nicht dem unerbittlichsten Feind der Menschheit, der Zeit. Von der Originalcrew sind nur noch Captain Kirk, Chekov und Sulu am Leben. Und auch von ihnen werden wir uns wohl oder übel in absehbarer Zeit verabschieden müssen. Diesen Abschied nimmt Carlos Baena in seinem atmosphärisch dichten und emotional berührenden Kurzfilm mit dem sperrigen Titel „765874 – Unification“ vorweg. Unter Mithilfe von William Shatner besucht Captain Kirk seinen alten Weggefährten und Freund Spock am Sterbebett. Fast zehn Jahre nach dem Tod von Leonard Nimoy ermöglicht die moderne Tricktechnik diese Reise in die Vergangenheit. Und die Möglichkeiten werden gut genutzt, führen den Star Trek-Fan auf eine nostalgische Reise, die fast ohne Worte auskommt und rein auf die Kraft der Bilder vertraut. Natürlich ist das rührselig und kitschig, aber ein wenig Kitsch hat Star Trek im Grunde immer gut gestanden. Dieser Tage auf Youtube veröffentlicht und somit für alle frei zugänglich ist der Film einerseits eine Verbeugung vor Nimoy und ein Dank an die zahlreichen Fans, die dem Raumschiff Enterprise fast sechzig Jahre nach dem Jungfernflug immer noch die Treue halten, andererseits aber auch eine kompakte Meditation über Vergänglichkeit, Tod und Freundschaft – existenzielle Themen, vor denen sich Star Trek nie gescheut hat. Und damit geht der Film weit über reines Fan-Pleasing hinaus.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Die Werwölfe von Düsterwald (2024)

Regie: Francois Uzan
Original-Titel: Loups-Garous
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Abenteuerfilm, Fantasy, Komödie
IMDB-Link: Loups-Garous


Das Rollenspiel „Die Werwölfe von Düsterwald“ sind ein weltweites Phänomen, und auch der Kürbis eures Vertrauens hat sich in trauter Runde schon die eine oder andere Nacht um die Ohren geschlagen, um im Freundeskreis die mordlustigen Wölfe unter den unschuldigen Dorfbewohnern ausfindig zu machen. Das Spiel ist sehr schnell erklärt für alle, die es nicht kennen: Jeder Spieler erhält zu Spielbeginn eine geheime Rolle. Darunter befinden sich Werwölfe, die in der Nacht im Pack jeweils ein unschuldiges Opfer reißen. Untertags diskutieren dann die Dorfbewohner (darunter auch die unerkannten Wölfe), wer von ihnen etwaige hündische Vibes ausstößt und aus dem Dorf verbannt werden soll. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis diese simple, aber im richtigen Kontext so spannende Geschichte auch mal verfilmt werden würde. Regisseur Francois Uzan und die Drehbuchautoren haben es sich in der französischen Verfilmung zu diesem Spiel allerdings besonders einfach gemacht. Die moderne Familie, die zu einer Partie Werwolf zusammenkommt (darunter Jean Reno – er wird alt und braucht das Geld), wird durch ein magisches Spiel, Jumanji lässt grüßen, in eben dieses hineingesaugt und findet sich im Mittelalter wieder. Das Gute ist: Sie sind mit magischen Kräften ausgestattet. Schlecht hingegen ist, dass sie lange Zeit keinen Plan haben, worum es hier geht, und vor allem keine Idee, wie sie wieder nach Hause in ihre Zeit reisen können. Und dazu schleichen in der Nacht auch noch Wölfe umher. Doch schon bald rauft sich die Sippe zusammen und begegnet dem hungrigen Rudel mit geballter Familienpower. So weit, so vorhersehbar. „Die Werwölfe von Düsterwald“ ist recht lieblose heruntergespulte Netflix-Standardware, die sich zur Gänze darauf verlässt, die Fans des Spiels abzuholen, ohne sich groß dafür anstrengen zu müssen. Nur wenige Gags sitzen, und die Story plätschert vor sich hin, bis sie zum überraschungsfreien Ende kommt. Immerhin die Darsteller:innen sind zum größten Teil bemüht (unrühmliche Ausnahme: Jean Reno, dem man in jeder Szene ansieht, dass er nur da ist, um den Gehaltsscheck einzustreifen), machen das Kraut aber auch nicht fett. Wer etwas Gehaltvolleres zum Thema Werwölfe erfahren möchte, dem sei Christian Morgenstern mit seinem Gedicht „Der Werwolf“ ans Herz gelegt:

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

»Der Werwolf«, – sprach der gute Mann,
»des Weswolfs« – Genitiv sodann,
»dem Wemwolf« – Dativ, wie man’s nennt,
»den Wenwolf« – damit hat’s ein End‘.

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar,
doch „Wer“ gäb’s nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –
er hatte ja doch Weib und Kind!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.


3,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle: http://www.imdb.com)

Something Old, Something New, Something Borrowed (2024)

Regie: Hernán Rosselli
Original-Titel: Algo viejo, algo nuevo, algo prestado
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Algo viejo, algo nuevo, algo prestado


Die Wettmafia in Argentinien. Befeindete Clans und Familien haben die Stadt sauber unter sich aufgeteilt, ständig begleitet die Angst vor Razzien und Verhaftungen den Alltag. Und doch ist „Algo viejo, algo nuevo, algo prestado“ von Hernán Rosselli zunächst einmal eine dokumentarisch anmutende Familiengeschichte. Mittels Home Recording Videos wird die Geschichte von Maribel Felpeto und ihrer Familie nachgezeichnet: Wie sich Mutter und Vater kennenlernten und ineinander verliebten, wie Maribel aufwuchs und schließlich der Schock, als der Vater eines Tages aus unerklärlichen Gründen Suizid beging. Maribel ist längst im Familienunternehmen angekommen, das unter der Führung ihrer Mutter floriert. Um Geld dreht sich alles in dieser Familie, darunter leiden selbst zwischenmenschliche Beziehungen, und am Ende ist sich jeder selbst der Nächste. Das Bemerkenswerte an diesem Film ist Rossellis Herangehensweise: Er verwendet unter anderem Heimvideos seiner Hauptdarstellerin und Kollaborateurin Maribel Felpeto und konstruiert um diese herum die Geschichte vom Mafiaclan. Dadurch bekommt der Film einen realistischen Anstrich, wie man ihn nur selten im fiktionalen Kino findet. Doch gleichzeitig nimmt dieser halb-dokumentarische Ansatz unglaublich viel Tempo aus der Geschichte. Denn ganz ehrlich: Wer hat schon wirklich mit Genuss die verwackelten Heimvideos von losen Bekannten oder Verwandten angesehen, wenn die ihre Werke voller Stolz präsentiert haben? Sieht man sich Videos der eigenen Familie an, gibt es immerhin noch einen emotionalen Bezug, da kann man dann gerne über viel zu lange Sequenzen und grobkörnige Bilder hinwegsehen. Dieser emotionale Bezug fehlt hier aber komplett, und so ist die Idee von Rosselli zwar interessant, führt aber nicht zu einem interessanten Film. Ultrarealismus ist halt im Kino nicht immer gefragt, da braucht es Verdichtung und Spannungsaufbau. Beides fehlt hier. Und so können sich dann auch hundert Minuten recht lang anfühlen.


4,0 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Queer (2024)

Regie: Luca Guadagnino
Original-Titel: Queer
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Drama, Roadmovie, Biopic
IMDB-Link: Queer


Da ist er nun, der Überraschungsfilm der Viennale 2024. Wie Eva Sangiorgi in ihrer kurzen Ansprache vor Beginn der Vorführung erklärte, wäre der Film ohnehin als Fixpunkt im Programm gelaufen, hätte man nur rechtzeitig einen Verleih dafür gefunden. Nachdem sich dieser Prozess aber ein wenig hinzog, musste man ausweichen und dem neugierigen Publikum Guadagninos neuestes Werk mit Daniel Craig in der Hauptrolle eben als Überraschungsfilm präsentieren. Auf der einen Seite erscheint diese Vorgehensweise durchaus mutig, denn der Film nach einer literarischen Vorlage von William S. Burroughs gehört sicherlich zu jenen, die die Gemüter spalten. Andererseits: Wann kann man schon einen Guadagnino-Film als Überraschungsfilm präsentieren? Der Italiener ist so etwas wie der große internationale Aufsteiger der letzten zehn Jahre mit Filmen wie Call Me by Your Name oder Suspiria. Er gehört zu jenen Regisseuren, deren Stil man sofort wiedererkennt, da er eine ganz eigene, sinnliche Bildsprache pflegt und auch musikalisch immer wieder spannende Pfade betritt. „Queer“ bildet diesbezüglich keine Ausnahme – im Gegenteil. Der Film ist atmosphärisch enorm dicht. Die Story hingegen – und da sind wir bei dem Aspekt, der wohl die Geister voneinander scheiden wird – bleibt dünn. In seinem autobiographischen Roman erzählt William S. Burroughs von seinem Alter Ego, das in Schwulenbars in Mexico City abhängt und sich unsterblich in einen Jüngeren (Drew Starkey) verliebt, mit dem er sich schließlich auf einen Roadtrip nach Südamerika aufmacht, um dort nach der legendären Yage-Pflanze zu suchen, nach dessen Einnahme man angeblich Gedanken lesen kann. William Lee, mit vollem Einsatz von Daniel Craig gespielt, der die wohl beste und jedenfalls mutigste Leistung seiner Karriere abliefert, ist ein Suchender, doch scheint er manchmal selbst nicht zu wissen, was er sucht. Gefangen zwischen Lust und dem aufrichtigen Wunsch nach Liebe ist er ein Mensch, der niemals anzukommen scheint, ganz gleich, wohin es ihn verschlägt. Prinzipiell sieht man ihm bei seiner Reise ins Nirgendwo auch gerne zu, dafür sorgt allein schon die schon angesprochene dichte Atmosphäre. Und doch hat der Film ein Problem mit dem Pacing. Zieht sich der erste der drei Teile recht zäh hin, wird Teil zwei beinahe nebenbei rasch abgehandelt, ehe der Film in Teil drei, die Suche nach der Yage-Pflanze, ins Groteske driftet. Alle drei Teile fühlen sich auf ihre Weise wie eigene Filme an, die nur schwer zueinanderfinden. So fällt es am Ende auch schwer, eine emotionale Bindung zur Figur des William Lee aufzubauen, auch wenn sich Daniel Craig eben die Seele aus dem Leib spielt. „Queer“ ist ein Kunstwerk, eine ästhetische und intellektuelle Übung, der trotz aller Bemühungen (oder vielleicht auch gerade deshalb) ein wenig die emotionale Mitte fehlt. Ein Wagnis mit ganz klaren Stärken, aber auch Schwächen.


6,5 Kürbisse

Bildzitat: http://www.imdb.com

Between the Temples (2024)

Regie: Nathan Silver
Original-Titel: Between the Temples
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: Between the Temples


Seit Woody Allen weiß man als Filmliebhaber: Die Hauptstadt des Judentums ist New York, und dort konkret Brooklyn. Da können Tel Aviv und Jerusalem einpacken. Und so lernen wir in Nathan Silvers „Between the Temples“ den von Jason Schwartzman gespielten Ben Gottlieb, Kantor seiner Synagoge und in einer veritablen Lebenskrise. Seine Frau ist verstorben, er hat die Fähigkeit, vor Publikum zu singen verloren, und als Ü-40er lebt er nun wieder bei seiner Mutter und deren Lebensgefährtin. Durch Zufall begegnet er eines Abends nach einer betrunkenen Schlägerei in einer Bar seiner alten Musiklehrerin Carla Kessler (Carol Kane). Die hat ein recht ungewöhnliches Ansinnen: Nachdem sie herausfindet, dass Ben Jugendliche auf ihre Bar-Mizwa vorbereitet, kommt sie zu ihm, um ihre eigene Bar-Mizwa, die sie nie hatte, nachzuholen. Dieses Ansinnen stößt nicht überall auf Gegenliebe, aber wo ein Wille, da ein Weg. „Between the Temples“ erinnert zeitweise sehr an den wunderbaren Film Harold und Maude von Hal Ashby, findet aber eigene Wege und Themen, um nicht in den Verdacht einer Kopie zu geraten. Im Mittelpunkt steht zwar auch die Beziehung zweier Menschen, die entgegen gängiger Konventionen zueinander finden, doch unterscheiden sich die Figuren und ihre Ambitionen sowie Erzähltempo und Humor recht deutlich. Im Gegensatz zu „Harold und Maude“ ist „Between the Temples“ der zärtlichere, feinfühligere Film, da Nathan Silver noch mehr am Innenleben seiner Figuren interessiert ist als Hal Ashby in „Harold und Maude“. Jason Schwartzman und Carol Kane in den Hauptrollen verleihen ihren Figuren eine sanfte Melancholie, die sich in jeder Geste ausdrückt und die Charaktere besser beschreibt, als es Worte könnten. Der bessere Film ist „Between the Temples“ deshalb aber nicht, er ist nur etwas anders. Allerdings erinnert auch dieser Film uns daran, dass das Leben eben manchmal unerwartete Wendungen nimmt, und wenn etwas Gutes passiert, dann sollte man dies auch einfach annehmen, ohne es lange zu hinterfragen.


7,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale

Matt und Mara (2024)

Regie: Kazik Radwanski
Original-Titel: Matt and Mara
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Liebesfilm, Komödie, Drama
IMDB-Link: Matt and Mara


Man kann die Truppe rund um Kazik Radwanski ein künstlerisches Konglomerat nennen oder etwas despektierlicher eine Festival-Gang. Jedenfalls waren sowohl sein Hauptdarsteller Matt Johnson (zB mit Operation Avalanche) als auch seine Hauptdarstellerin Deragh Campbell (mit MS Slavic 7) mit eigenen Filmen auf der Viennale vertreten. All diese Filme sind sehr unterschiedlich in ihrer Tonalität und mit ihren Themen, und doch verbindet diese drei kanadischen Künstler:innen ein gemeinsames Verständnis für zurückgenommenes Storytelling und ein respektvoller Blick auf die Arbeitsweisen der jeweils anderen. In „Matt und Mara“ treffen sich nun zwei Freunde nach langer Zeit wieder. Es ist nicht klar, seit wann und aus welchen Gründen die beiden befreundet sind, aber sie haben eine enge Bindung und sehr viel Chemie miteinander. Beim gemeinsamen Spazieren durch Toronto wird über das Leben und das Schreiben gesprochen (Matt ist mittlerweile ein angesehener Autor, Mara Dozentin für kreatives Schreiben), oder es wird einfach nur herumgeblödet. So ganz greifbar wird die Beziehung der beiden nicht, und es sieht so aus, als wüssten sie selbst gar nicht genau, was sie sind außer eben „Matt und Mara“. Vielsagend ist, dass beispielsweise Maras Ehemann von Matts Existenz gar nichts weiß. Überhaupt lebt der Film sehr stark von Lücken und Auslassungen. Alles bleibt vage, und damit ist am Ende auch alles möglich. Thematisch erinnert Kazik Radwanskis Film stark an Celine Songs Oscar-nominierten Past Lives aus dem vergangenen Jahr, allerdings hat Song den formal strengeren und konzentrierteren Film geliefert. Das spricht nicht unbedingt gegen „Matt und Mara“, denn dessen Stärke liegt in seiner Unbeschwertheit, die vor allem von Matt Johnson erzeugt wird, wohingegen sich die Perspektive des Films auf Deragh Campbells Mara und deren Gefühlschaos richtet. Daraus ergibt sich ein interessanter Kontrast, der dem Film gut tut. „Matt und Mara“ ist vielleicht kein großer Wurf, aber sehenswert und in seinem Thema durchaus nachvollziehbar, denn selten sind Gefühlswelten und Beziehungen so eindeutig definiert, wie uns Hollywood das oft vorzeigen möchte.


6,5 Kürbisse

Foto: (c) Viennale