1001 Filme

Paisà (1946)

Regie: Roberto Rossellini
Original-Titel: Paisà
Erscheinungsjahr: 1946
Genre: Episodenfilm, Drama, Kriegsfilm
IMDB-Link: Paisà


Als „Paisà“ bezeichneten die Italiener während des Zweiten Weltkriegs die amerikanischen Soldaten, die in Sizilien landeten und von dort aus nordwärts Richtung Alpen marschierten. Um die Begegnungen zwischen den Soldaten und der zivilen Bevölkerung geht es auch in Rossellinis Episodenfilm, der zu den Klassikern des italienischen Neorealismus gezählt wird. Wie auch die amerikanischen Truppen selbst arbeitet sich Rossellini vom Süden in den Norden vor: Auf Sizilien begegnet ein Spähtrupp einer jungen Sizilianerin, die nach ihrer Familie sucht. Im besetzten Neapel führt ein armer Junge einen betrunkenen Militärpolizisten durch die Ruinen der Stadt. In Rom laufen sich zwei ehemals Liebende in die Arme, die sich nach den fürchterlichen Grauen, die der Krieg in die Stadt gebracht hat, nicht wiedererkennen. In Florenz versucht eine amerikanische Krankenschwester zusammen mit einem Bekannten in den noch von Deutschen besetzten Teil der Stadt vorzudringen, um ihren Geliebten zu suchen. In einem entlegenden Kloster in der Romagna nehmen Mönche amerikanische Militärkaplane bei sich auf. Und in der Po-Ebene kämpfen im Schilf des Ufers erbittert eingeschlossene Partisanen zusammen mit einer amerikanischen Einheit mit Unterstützung der Bevölkerung gegen die Deutschen. Manche dieser Geschichten sind wunderbare, in sich geschlossene Dramen (wie etwa die erste und die dritte Episode), die auch einen ganzen Film allein tragen würden. Nicht alle Episoden sind gleichermaßen fesselnd, aber alle zeichnet ein unverzerrter, jedoch nicht verbitterter Blick auf die Verhältnisse im besetzten Italien aus. Die Dialoge sind hervorragend geschrieben (am Drehbuch arbeiteten Federico Fellini und Klaus Mann mit), die Kamerarbeit ist exzellent, und hin und wieder blitzt sogar ein Funke Humor durch – der allerdings schon in der nächsten Einstellung von der Realität des Krieges unterlaufen wird. Den Fortschritt der amerikanischen Truppen zeichnet Rossellini in kurzen Zwischensequenzen mit Aufnahmen aus der Nachrichten nach, was dem Film zudem eine dokumentarische Note verleiht. Ein sehr eindringlicher und phasenweise intensiver Film, dessen einzelne Episoden zwar nicht alle durchgängig auf dem gleichen herausragenden Niveau sind, aber insgesamt ist „Paisà“ ein großes Werk, das sehr gut gealtert ist.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 15 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


8,0
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=ZGSK7Hzspyc

BlacKkKlansman (2018)

Regie: Spike Lee
Original-Titel: BlacKkKlansman
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Krimi
IMDB-Link: BlacKkKlansman


Die Geschichte klingt wirklich irre, aber wie Spike Lee im Vorspann versichert: Dieser Shit ist wirklich passiert. Anfang der 70er greift der Undercover-Polizist Ron Stallworth (Denzels Washingtons Filius John David Washington), der erste schwarze Cop in Colorado Springs, zum Telefonhörer, um auf eine Anzeige des Ku-Klux-Klans zu antworten, der nach neuen Mitgliedern sucht. Die Szene, in der Ron im Großraumbüro seinem Gegenüber am Telefon versichert, wie sehr er Schwarze hasst und sich die Kollegenschaft verwundert zu ihm umdreht, ist brillante Situationskomik. Das Problem bei der ganzen Sache liegt recht bald am Tisch: Ron Stallworth wird sich schwer tun, die KKK-Veranstaltungen zu besuchen, zu denen er eingeladen ist. Also nimmt übernimmt Rons jüdischer Kollege Flip (Adam Driver) diese Rolle, und gemeinsam werden sie zu Ron Stallworth, der Stimme am Telefon und dem Klan-Mitglied bei den Zusammenkünften. Ein gefährliches Spiel, denn wie sich schon bald zeigt, sind die Klan-Mitglieder zwar rassistische Arschlöcher, aber nicht blöd (zumindest nicht alle). Dass Ron nebenbei um die politische Aktivistin Patrice (die entzückende Laura Harrier) buhlt, macht die Sache auch nicht einfacher. „BlacKkKlansman“ ist richtig böses (gutes) Kino. Das Lachen bleibt dem Zuseher oft genug im Hals stecken, wenn die Klan-Mitglieder ihre rassistischen Parolen rausschmettern oder Redneck-Polizisten übergriffig werden. Zudem sind alle Rollen sehr gut besetzt und ausgezeichnet gespielt. Auch setzt der Film das Thema recht down to earth um. Obwohl natürlich im Vergleich zur realen Geschichte dramaturgische Eingriffe vorgenommen wurden, ist die Action nicht überspitzt und das Drama nicht allzu breit getreten. Eine gewisse Lässigkeit liegt über dem Ganzen. Damit bekommt der Film allerdings im Mittelteil dann auch teilweise Timing-Probleme, da sich der Spannungsbogen nicht so recht aufbauen möchte. Die vielen guten Momente, die der Film hat, machen dies aber dann doch wieder wett. Am Ende wird die Brücke zur (erschreckenden) Gegenwart geschlagen, und der lockere 70er-Vibe-Film bekommt ein ernsthaftes (und das kann man kritisieren) plakatives Statement aufgedrückt zur Lage der Nation und dem immer noch allgegenwärtigen Rassismus, der seit diesem Jahr von oberster Stelle vorexerziert wird. In Cannes gab es dafür den Großen Preis der Jury. Und vom Filmkürbis immerhin solide 7 Kürbisse.


7,0
von 10 Kürbissen

Das Cabinet des Dr. Caligari (1920)

Regie: Robert Wiene
Original-Titel: Das Cabinet des Dr. Caligari
Erscheinungsjahr: 1920
Genre: Horror, Fantasy
IMDB-Link: Das Cabinet des Dr. Caligari


Wenn man an den deutschen Film und dabei an den Expressionismus denkt, ist „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene aus dem Jahr 1920 so etwas wie dessen Urknall. Vor windschiefen, verwinkelten Kulissen wird die dramatische Geschichte eines verrückten Gauklers, Dr. Caligari, auf dem Jahrmarkt erzählt, der einen Schlafwandler  präsentiert, der angeblich, wenn er aufgeweckt wird, die Zukunft vorhersagen kann. Das wollen sich die beiden Bohemiens und Freunde Franzis und Alan nicht entgehen lassen.  Blöd nur, dass der Somnambule Alan ein frühes Ableben, nämlich noch in der folgenden Nacht, prophezeit. Und noch blöder, dass sich der Mist bewahrheitet und Alan am nächsten Morgen ermordet in seiner Kammer aufgefunden wird. Franzis rückt aus, um dem Schurken Caligari, den er hinter dem Mord vermutet, den Garaus zu machen. So weit, so simpel die Story. Und natürlich, was das Storytelling selbst betrifft, war von Dr. Caligari aus noch ein Weg zu gehen bis zu Filmen wie „Inception“. Trotzdem kann der Klassiker auch heute noch überzeugen – durch die expressionistischen und liebevoll gestalteten Bühnenbilder, durch das charmante Overacting der Hauptfiguren, die interessante Farbgebung und natürlich auch durch die Geschichte selbst, die zwar simpel ist, aber doch spannend erzählt und gegen Ende hin auch einen unerwarteten Twist aufweist, über den sich trefflich grübeln lässt. So trefflich, dass sich Filmhistoriker bis heute mit dem Werk beschäftigen. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ist auch heute noch solide Unterhaltung und dank einer ökonomischen Laufzeit und vieler interessanter Details am Rande auch recht kurzweilig. Gleichzeitig weiß man beim Sichten natürlich um die filmhistorische Bedeutung. Diese Perle des Expressionismus wird, wenn man sie in ihren historischen Kontext setzt, zu einem tiefenpsychologischen Werk über den Zustand der deutschen Seele kurz nach dem verheerenden Weltkrieg. Das hier im Detail auszuführen, würde aber jeden Rahmen sprengen. Kann man woanders nachlesen – dazu einfach den eigenen Kürbis gebrauchen anstelle des Filmkürbis.

Übrigens ein kleiner Tipp für alle, die sich selbst ein Bild machen möchten: Auf Youtube ist der ganze Film verfügbar (mit englischen Texten).

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 12 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

Die roten Schuhe (1948)

Regie: Michael Powell und Emeric Pressburger
Original-Titel: The Red Shoes
Erscheinungsjahr: 1948
Genre: Drama, Musikfilm
IMDB-Link: The Red Shoes


Rote Schuhe haben in der Filmgeschichte gerne mal besondere Eigenschaften – siehe zum Beispiel „Der Zauberer von Oz„. Warum rote Schuhe im Gegensatz zu grünen Schuhen oder gelben Schuhen so besonders sein sollen, erschließt sich mir nicht ganz, aber vielleicht ist ja Hans Christian Andersen daran schuld, der im 19. Jahrhundert das Märchen von den roten Schuhen geschrieben hat. Eben jenes Märchen möchte nun der große Ballettmanager Boris Lermontov (der österreichische Schauspieler Adolf Wohlbrück, der im englischen Exil als Anton Walbrook arbeitete) auf die Ballettbühne bringen, und zwar mit der jungen, aufstrebenden Tänzerin Victoria Page (Moira Shearer) in der Hauptrolle. Zwar ist Lermontov ein ziemliches Arschloch, doch genießt er in Kunst- und Societykreisen den besten Ruf und verspricht Victoria, aus ihr die größte Tänzerin aller Zeiten zu machen. Gleichzeitig sichert sich Lermontov die Dienste des talentierten Komponisten Julian Craster (Marius Goring), der die Partituren veredeln soll. Die Aufführung der „Roten Schuhe“ wird ein grandioser Erfolg, und die Entourage bereits die wichtigsten Städte Europas, um dort für Furore zu sorgen. Allerdings verkompliziert sich alles, wenn die Liebe ins Spiel kommt. Und so entspinnt sich eine Geschichte rund um Besessenheit, Ruhm und den Preis, den man für diesen zahlen muss. In vielerlei Hinsicht ist „Die roten Schuhe“ eine Art Blaupause für den späteren Darren Aronofsky-Film „Black Swan“. Die Themen sind ähnlich gelagert, und hier wie dort wird die Besessenheit gegen Ende hin mit den Mitteln der Fantastik verdeutlicht. Erstaunlich ist dabei das grandiose Handwerk des 1948 in Technicolor produzierten Films. Vor allem die Ballettszene, in der die „Roten Schuhe“ aufgeführt werden, ist meisterhaft inszeniert. Da verwundert es nicht, dass es Oscars für das beste Szenenbild und die beste Filmmusik gab sowie weitere Nominierungen für den besten Schnitt, das beste Drehbuch und den besten Film. Zwar hat der Film durchaus seine Längen, und die Geschichte selbst ist – trotz ihres allegorischen Wertes – nicht allzu vielschichtig, aber dennoch funktioniert der Film auch heute noch tadellos.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 47 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

Hereditary – Das Vermächtnis (2018)

Regie: Ari Aster
Original-Titel: Hereditary
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Horror
IMDB-Link: Hereditary


Die in der Menschheitsgeschichte am meisten gestellte Frage ist wohl die nach dem Warum. Eine solche Frage stellte ich mir gestern auch wieder: Warum sitze ich Schisser allein im Kino in einem Horrorfilm, der noch dazu als besonders furchteinflößend beschrieben wird? Eine mögliche Antwort: Als Filmliebhaber sollte ich halt für alle Genres offen sein. Jedenfalls saßen ich und mein Popcorn (damit ich nicht ganz so allein war) hinter und neben und vor jungen Pärchen, die ihre Beziehung durch gemeinsame Grenzerfahrungen zu stärken versuchten. Das schien zu funktionieren. Auch meine Beziehung zum Popcorn wurde während der zwei Stunden von „Hereditary“ vertieft. Die Grundprämisse ist eine simple: Mutter (die überragende Toni Collette) von zwei Kindern samt stoischem Ehegatten (Gabriel Byrne, schön, ihn wieder mal gesehen zu haben) trauert um ihre Mutter, zu der sie ein ambivalentes, kaltes Verhältnis hatte, die aber gemeinsam mit der Familie die letzten Jahre unter einem Dach gewohnt hat. Und wie das so ist mit Familienbanden – ganz scheinen die auch nicht zu reißen, wenn Omi schon mit den Englein singen sollte. Offenbar ist es aber im Himmel fad, oder ihr wurde schlicht der Eintritt verwehrt, jedenfalls mehren sich die Zeichen, dass Omi hier im Haus noch was zu tun hat. Auch die Kinder sind irgendwie neben der Spur – der ältere Sohn fühlt sich missverstanden und ungeliebt, die jüngere Tochter scheint ihre Siebensachen nicht ganz beisammen zu haben, wirkt abwesend und macht ständig Klickgeräusche. (In „A Quiet Place“ hätte sie keine zwei Minuten überlebt.) Und wie das so ist bei Horrorfilmen, beginnt alles recht gemächlich, aber nach und nach werden die Daumenschrauben angezogen. Dabei ist „Hereditary“ ein Film, der nicht auf Schockeffekte durch billige Jump-Scares aus ist, sondern dem Zuseher das Gruseln nachhaltig beibringen will – über die gut gezeichneten und herausragend gespielten Figuren. Zeitweise könnte der Film auch eine magisch-realistische Abhandlung über Trauerarbeit sein – aber gegen Ende hin wird klar, dass das viel zu kurz gegriffen wäre und der Film Böses mit einem vor hat. Die letzten zwanzig Minuten konnte ich sehr konzentriert den Bezug des Kinosessels vor mir bewundern. Und mir die eingangs erwähnte Warum-Frage stellen.


7,0
von 10 Kürbissen

Blade Runner (1982)

Regie: Ridley Scott
Original-Titel: Blade Runner
Erscheinungsjahr: 1982
Genre: Science Fiction
IMDB-Link: Blade Runner


Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Diese Frage stellte sich einst der Sci-Fi-Visionär Philip K. Dick und lieferte damit die Vorlage für einen der einflussreichsten Filme aller Zeiten. Und dabei floppte Ridley Scotts „Blade Runner“ mit Harrison Ford in der Hauptrolle erst einmal ordentlich an den Kinokassen. Erst in späteren Jahren wurde der Film wiederentdeckt. Heute gilt er als einer der Wegbereiter moderner Science Fiction. Ich selbst kann mich an meine erste Sichtung noch erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich war ein Schüler, lag zuhause in meinem Bett und zappte durchs Spätabendprogramm (ja, damals machte man das noch, dieses „zappen“). Und da lief dieser düstere Science Fiction-Streifen, den ich noch nicht kannte. Und weil der Film in der Fernsehzeitschrift gut bewertet war und ich Harrison Ford mochte, blieb ich hängen. Es dauerte ungefähr drei Minuten, und dann war die lebenslange Beziehung von mir und dem Film besiegelt. Wenn ich einen einzigen Film auswählen müsste, den ich bis ans Ende meiner Tage sehen dürfte, dann wäre es mit Sicherheit dieser. Auf das Nacherzählen der Story verzichte ich an dieser Stelle – man kann diese gerne selbst ergoogeln, wenn man den Film noch nicht kennen sollte. Lieber beschäftige ich mich damit, warum mich dieser Film so unglaublich packt – und das jedes Mal, wenn ich ihn sehe. Es ist das unglaublich düstere Film Noir-Setting – ein dystopisches Los Angeles im Dauerregen, auf Fahrrädern huschen vermummte Gestalten durch den Regen, man spricht Englisch und Chinesisch, die Stadt wirkt so, als hätte man längst aufgegeben, an eine Zukunft zu glauben und macht daher einfach weiter, weiter, weiter. Es ist die ambivalente Figur des Rick Deckard (Harrison Ford), der im Dauerregen und durch seinen Job zu einem Zyniker geworden ist, aber man spürt als Zuseher, dass er eine der wenigen Figuren ist, um die es noch nicht hoffnungslos steht. Es ist diese überraschende Liebesgeschichte und die Motivation dahinter – Liebe aus Verzweiflung, vielleicht gibt es auch gar keine stärkere Liebe. Es ist die Tatsache, dass die Bösen zwar Böses tun, aber man mit Fortdauer des Films immer mehr ihre Motivation begreift und ihre Ängste und ihre Verletzlichkeit, und die Grenzen zwischen richtig und falsch zu verschwimmen beginnen. Es ist die episch-trostlose Musik von Vangelis, die sich wie ein eigener Charakter tief einbrennt und, wenn man sie zum ersten Mal gehört hat, den Hörer den Rest seines Lebens im Unterbewussten begleiten wird. Es ist Rutger Hauers unfassbarer Schlussmonolog, der Filmgeschichte geschrieben hat, und am Ende einer trostlosen Tour de Force durch die schleichende Apokalypse wie ein funkelnder Diamant im Dunkeln steht. Und es ist die Tatsache, dass am Ende dieser zwei Stunden die Ambivalenzen nicht aufgelöst werden und man in weiterer Folge gedanklich immer wieder zurückkehrt zu diesem Meisterwerk und den Fragen, die es aufgeworfen hat. Ein Film für die Ewigkeit.


10
von 10 Kürbissen

Uzala der Kirgise (1975)

Regie: Akira Kurosawa
Original-Titel: Dersu Uzala
Erscheinungsjahr: 1975
Genre: Drama, Abenteuerfilm, Biopic, Historienfilm
IMDB-Link: Dersu Uzala


Das Medium Film ist international. So saß ich heute im Gartenbaukino in Österreich, um einen russischen Film eines japanischen Regisseurs mit schwedischen Untertiteln zu sehen, in dem es um einen Kirgisen geht, der eigentlich ein indigener Nanaier ist. Alles klar? „Dersu Uzala“ (wie der Film von Meisterregisseur Akira Kurosawa heißt, „der Kirgise“ im Deutschen ist schlicht ein Fehler) erzählt die Geschichte einer Freundschaft in der unwirtlichen Taiga. Der russische Entdecker Wladimir Arsenjew macht 1902 zufällig die Bekanntschaft mit eben jenem Dersu Uzala, einem älteren Nanai, der durch die Pocken Frau und Kinder verloren hat, und sich allein als Jäger durchschlägt. Arsenjew und Dersu Uzala sind sich sofort sympathisch, und so begleitet Dersu Uzala die russische Expedition als Führer. Auf dieser Expedition, bei der schon der kleinste Fehler den Tod durch die unbarmherzige Natur bedeuten kann, freunden sich die beiden sehr unterschiedlichen Männer an, doch mit dem Ende der Expedition trennen sich auch ihre Wege wieder. Als Arsenjew Jahre später wieder in die Gegend kommt, trifft er erneut auf Uzala, und wieder begleitet Dersu Uzala seinen alten Freund und die Männer, die er anführt, durch die Wildnis. Doch Uzala ist nicht mehr der Jüngste. Seine Augen werden schwächer, und Arsenjew erkennt, dass das Leben da draußen für ihn kaum mehr zu bewältigen ist, wenn er nicht gut sieht. „Dersu Uzala“ erzählt über 2,5 Stunden eine sehr reduzierte, fast schon unspektakuläre Geschichte. Es gibt keinen Feind zu bekämpfen außer der grausamen Natur selbst. Die meiste Zeit über sieht man Männer, die sich durch Schnee und Eis und dichte Wälder kämpfen. Und dennoch steckt sehr viel in diesem Film. Diese fast schon meditative Ruhe, die der Film in seinen grandiosen Naturaufnahmen ausstrahlt, bildet die Fläche, auf der sich die Freundschaft der beiden unterschiedlichen Charaktere aufbauen kann. Und dennoch spürt man, dass sich die beiden Männer trotz aller Nähe, trotz der Gefahren, die sie gemeinsam durchstehen, fremd bleiben – zu fremd nämlich sind sich die Welten, aus denen sie kommen. Dieser Clash of Culture wird von Akira Kurosawa ohne Wertung erzählt. Jeder behält seine Würde in diesem Aufeinandertreffen bei. Das Ende ist konsequent, lakonisch und hinterlässt dennoch (oder gerade deswegen) einen bleibenden Eindruck. Nur hier erlaubt sich Kurosawa so etwas wie einen zynischen Zwischenruf. Doch auch der ist im Grunde nicht sein eigener – denn die Geschichte von Dersu Uzala hat sich tatsächlich so abgespielt. Zynisch war hier das Schicksal selbst.


7,5
von 10 Kürbissen

Mad Max: Fury Road (2015)

Regie: George Miller
Original-Titel: Mad Max: Fury Road
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Action, Roadmovie, Science Fiction
IMDB-Link: Mad Max: Fury Road


„Mad Max: Fury Road“ oder: „Wir fahren eine Stunde lang in die eine Richtung, drehen dann um, und fahren eine Stunde lang wieder in die andere Richtung zurück“. Selten war ein Konzept für einen Film so einfach wie in George Millers Neuauflage der Mad Max-Filmreihe. Diesmal darf der von mir hochgeschätzte Tom Hardy in die Rolle des verrückten Maxl schlüpfen, hat aber, wenn man ehrlich ist, den ganzen Film über lang nicht viel zu melden. Einen Großteil der Action der ersten Stunde verbringt er dekorativ in der ersten Reihe fußfrei als Kühlerfigur, in der zweiten Stunde darf er dann als Sidekick für die furiose Furiosa (Charlize Theron) herhalten. Schönste Szene: Als er mit seinem Gewehr zwei von drei Kugeln verballert, dann kurz mit den Schultern zuckt, die Waffe nach hinten reicht und Furiosa mit der letzten Kugel den heranjagenden Bösewichten wortwörtlich das Licht ausknipst. Frauenpower! Diese gehört auch zu den größten Stärken des Films. Die Damen sehen nicht einfach nur hübsch aus, sondern sie zeigen den Männern, wie ein richtiger Kinnhaken aussieht. Ob das ausreicht, dass man den Film gleich zu einem feministischen Befreiungsschlag hochstilisiert, sei aber mal dahingestellt. Denn abgesehen von den austeilenden Damen hat der Film ansonsten nicht viel übrig für seine Figuren und deren Motivationen. Hier geht’s mal wieder rein um die Action, und die ist natürlich exzellent in Szene gesetzt mit all den technischen Möglichkeiten, die man heute eben so hat (und die George Miller in den 70ern und 80ern noch spürbar gefehlt haben). Aber die Storysuppe ist eben sehr dünn, und irgendwann hat man genug gesehen von völlig durchgeknallten Gitarrensolisten (ja, richtig gelesen) auf explodierenden Fahrzeugen. Wenn man die Schauwerte beiseite lässt, hat der Film nicht wirklich viel zu bieten abgesehen von dem Versuch, sich für drei Filme Macho-Gehabe bei der Frauenwelt zu entschuldigen, indem die Damen nun mal richtig zulangen dürfen. Eh sehr in Ordnung, und auch nach der zweiten Sichtung noch unterhaltsam, aber der Hype, der um ihn entstanden ist, inklusive einer Oscar-Nominierung für George Miller als besten Regisseur sowie eine Nominierung als bester Film neben sechs Oscars in technisch-handwerklichen Kategorien, war vielleicht ein bisschen zu viel des Guten.


6,5
von 10 Kürbissen

Avengers: Infinity War (2018)

Regie: Anthony und Joe Russo
Original-Titel: Avengers: Infinity War
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Action, Fantasy, Science Fiction
IMDB-Link: Avengers: Infinity War


Thanos, grimmiger Oberschurke mit dem Fünffachkinn, hat nicht alle Murmeln beisammen. Konkret: Es fehlen ihm noch vier Infinity-Steine, dann kann er tun, was ein Thanos tun muss: Mit der Macht der Steine das halbe Universum auslöschen und über den traurigen Rest regieren. Das ist natürlich nicht ganz im Sinne der Avengers und ihrer mittlerweile über viele Galaxien verstreute Freunde, die fortan versuchen, den Genozid-Fan von seinem Vorhaben abzubringen. Überreden lässt sich der Mann ja nur sehr schwer, also gibt es schlagkräftige Überzeugungsarbeit zu leisten auf diversen Planeten und in diversen Konstellationen, bis es schließlich auf der Erde zum großen Showdown kommt. Und der hat es in sich. „Avengers: Infinity War“ muss eine nahezu unmögliche Aufgabe bewältigen: Ein ganzes Klassentreffen von Superhelden, die noch dazu in kleinen Gruppen im Weltall verstreut sind, publikumswirksam auf den Schurken loslassen, und zwar auf eine Weise, die den Zuseher auch noch folgen lässt und gleichzeitig alle Helden abfeiert und niemanden zum Statisten degradiert. Die Russo-Brüder haben sich dieser Aufgabe gestellt – und sie bravourös gemeistert. Denn auch wenn das Spektakel gelegentlich ein bisschen chaotisch wirkt (was bei der Vielzahl von Schauplätzen und Figuren unvermeidbar ist), so behalten sie dennoch immer den Überblick und die Zügel fest in der Hand. Die über mehrere Filme verstreute Vorgeschichte wird nahtlos fortgesetzt, alle lieb gewonnenen Figuren bekommen ihre Screentime und sind für die Geschichte wichtig, der Schurke ist überraschend charismatisch und interessant, und über die Schauwerte braucht man ohnehin nicht groß sprechen, die sind fantastisch. Was aber trotzdem noch überrascht ist die Konsequenz, die das Drehbuch gerade gegen Ende hin aufweist. Jedes weitere Wort mehr würde an dieser Stelle schon das Risiko eines Spoilers bedeuten, also sage ich lieber nicht mehr dazu, sondern nur das: Die Russo-Brüder denken hier mehr an den Film selbst als an die Zuseher, und das ist gut so. Ich habe selten ein Publikum so heftig diskutierend aus einem Kinosaal kommen gesehen wie nach „Avengers: Infinity War“. Der Film macht zum Ende hin alles richtig. Mir persönlich war es ein bisschen zu sehr Planeten-Hopping, auch die Dynamik der Figuren untereinander blieb bedingt durch die rasante Handlung eher außen vor, und einige genre-üblichen Logiklöcher waren zu beklagen, aber nichtsdestotrotz ist „Avengers: Infinity War“ sehr weit oben unter den Comic-Verfilmungen angesiedelt und macht Lust auf mehr.


8,5
von 10 Kürbissen

Mad Max (1979)

Regie: George Miller
Original-Titel: Mad Max
Erscheinungsjahr: 1979
Genre: Action, Roadmovie, Science Fiction
IMDB-Link: Mad Max


Wenn man keine Kohle hat, muss man für eine Filmszene auch schon mal seinen eigenen Wohnwagen zerschreddern. Diese cineastische Grenzerfahrung machte George Miller bei seinem Low Budget-Actionfilm „Mad Max“, der zu einem überraschenden Box Office-Hit und Kultfilm geriet (weshalb er dann in weiterer Zukunft seine Wohnwägen behalten durfte). Wenn man den Film in einem Satz beschreiben müsste, würde dieser wohl lauten: Auf dem Highway ist die Hölle los. In einem dystopischen Australien der Zukunft machen Biker-Gangs die Straßen unsicher. Die Polizei stellt sich diesen mit aller Brutalität entgegen und ist dabei um keinen Deut besser. Max (Mel Gibson in der Rolle, die nicht nur George Millers Wohnwagen, sondern auch ihm zum Durchbruch verhalf) ist einer der besten Polizisten. Entspannung nach adrenalinberauschten Verfolgungsjagden findet er zuhause bei Frau und Kind. Doch als er einen berüchtigten Biker, der gerade freiwillig seinen Gefängnisurlaub verkürzt hat, unter die Räder kriegt, legt er sich mit der gefürchtetsten Gang von allen an, die vom sadistischen Toecutter geleitet wird. Klarerweise ist das schon bald eine Belastung für das Familienglück. Doch einen Mad Max macht man besser nicht wütend, denn das geht zulasten der eigenen Gesundheit. Ich kannte bislang nur „Mad Max: Fury Road“ und nutzte die Filmreisechallenge, um die Bildungslücke der fehlenden Original-Trilogie nachzuholen. Im Gegensatz zum schrillen, wüst-trostlosen „Fury Road“ und auch zu den beiden Fortsetzungen ist der erste Mad Max-Film noch erstaunlich gegenwartsnah. Das Dystopie-Feeling der späteren Filme stellt sich noch nicht ein. Dafür sieht man einen schlanken Rache-Action-Reißer, der aus geringen Mitteln viel macht. Dennoch: Wenn man sich aus schnellen Autos und wilden Verfolgungsjagden nicht viel macht, ist „Mad Max“ zwar unterhaltsam, aber nicht so wahnsinnig interessant, da insgesamt doch recht eindimensional.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 26 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen