1001 Filme

Rebecca (1940)

Regie: Alfred Hitchcock
Original-Titel: Rebecca
Erscheinungsjahr: 1940
Genre: Drama, Thriller, Krimi
IMDB-Link: Rebecca


Es gehört zu den großen Missverständnissen der Filmgeschichte, dass Kobe Bryant einen Oscar hat und Sir Alfred Hitchcock nicht. Dabei sorgte gleich Hitchcocks erste US-Produktion, die Verfilmung von Daphne du Mauriers Welterfolg „Rebecca“, bei den Oscars für Furore. 11 Nominierungen, darunter jene für die beste Regie, letztlich zwei Auszeichnungen, darunter aber auch jene als bester Film – nur ging diese nicht an Hitchcock, sondern an den Produzenten David O. Selznick. Im Nachhinein konnte sich Hitchcock wohl damit trösten, zu wissen, einer der einflussreichsten Regisseure der Filmgeschichte geworden zu sein. Warum das so ist, zeigt das frühe Werk „Rebecca“ schon sehr deutlich: Der atmosphärisch dichte Spannungsaufbau durch Kamerafahrten durch neblige Wälder, ungewöhnliche Perspektive und geschliffen vorgetragenen Dialogen macht ihn zum Meister des Suspense. Als exemplarisch sei jene großartige Szene erwähnt, in der Maxim de Winter, gespielt von Superstar Laurence Olivier, seiner neuen Frau (wunderbar fragil gespielt von Joan Fontaine) von der letzten Begegnung mit seiner verstorbenen Frau Rebecca erzählt und die Kamera der Erinnerung von Rebecca folgt, also auf den leeren Raum hält, in dem sie zum damaligen Zeitpunkt der Begegnung gestanden ist. Und plötzlich manifestiert sich vor dem inneren Auge des Zusehers jene geheimnisvolle Schöne, die wir kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Selten wurde eine Abwesende wirkungsvoller und plastischer inszeniert als in Hitchcocks Film. Natürlich ist der Film trotz allem ein Kind seiner Zeit und weist historisch bedingte Schwächen auf, die einen heute die Stirn runzeln lassen. Sei es das Frauenbild, das hier gezeigt wird, oder das übertriebene Macho-Gehabe von Maxim de Winter, mit dem ich bis zum Schluss nicht warm geworden bin. Diesbezüglich waren andere Filme aus der damaligen Zeit durchaus fortschrittlicher und moderner. Die grandiose Inszenierung lässt aber auch über solche Mängel hinwegsehen, und so ist „Rebecca“ auch heute noch ein spannendes und toll gefilmtes Vergnügen.


7,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=t3YJcW2UQiw

M.A.S.H. (1970)

Regie: Robert Altman
Original-Titel: M.A.S.H.
Erscheinungsjahr: 1970
Genre: Satire, Anti-Kriegsfilm
IMDB-Link: M.A.S.H.


Die Abkürzung M.A.S.H. steht für Mobile Army Surgical Hospital, also ein mobiles Armee-Lazarett, in dem die im Kampf Verwundeten notdürftig zusammengeflickt werden. Chirurgen, die sich so einen Dienst antun, müssen einen an der Waffel haben. Das zeigt Robert Altmans oscar-prämierter Film „M.A.S.H.“ aus dem Jahr 1970 mit Donald Sutherland und Elliott Gould in den Hauptrollen als zynische, opportunistische Chirurgen, deren Hauptbeschäftigungen neben den ziemlich blutigen Metzgerarbeiten das Verführen von Krankenschwester, das Golfspielen auf Helikopter-Landeplätzen und das Trinken extratrockener Martinis sind. Die dann doch vorhandene altruistische Ader zeigt sich, wenn man dem Kollegen, einem gut ausgestatteten Zahnarzt mit Erektionsproblemen, dabei hilft, seinem Leben mit Hilfe der „schwarzen Pille“ und einem Abschiedsgeleit a la letztem Abendmahl ein Ende zu setzen, nur um ihn dann dank tatkräftiger Unterstützung der attraktiven Krankenschwester wieder von den Toten aufzuerwecken. Zugegeben, diese Szene ist brillant und saukomisch. Allerdings hakt es bei „M.A.S.H.“ aus meiner Sicht an dem losen Aneinanderreihen komischer und absurder Szenen, die völlig beliebig nebeneinanderstehen und keinerlei Charakterentwicklung sichtbar machen lassen. Abgesehen von der Entwicklung der von Sally Kellerman gespielten Oberschwester, die zunächst höchst moralische und christliche Vorstellungen in den Ring wirft gegen das Sodom und Gomorrha, das sie vorfindet, und dann am Ende zum unterwürfigen Anhängsel wird, das beim finalen Football-Spiel hysterisch auszuckt. Gags. Gags. Gags. Eh ganz nett anzusehen, allerdings für mich ob der offenkundigen Mängel bei weitem nicht das Meisterwerk, als das der Film gerne rezipiert wird.


5,5
von 10 Kürbissen

Der große Eisenbahnraub (1903)

Regie: Edwin S. Porter
Original-Titel: The Great Train Robbery
Erscheinungsjahr: 1903
Genre: Kurzfilm, Western, Action
IMDB-Link: The Great Train Robbery


Was soll der Scheiß? „Der große Eisenbahnraub“ wird angekündigt als Actionfilm und Western mit wilden Schießereien und spannenden Szenen und Verfolgungsritten, und dann das! Lahmarschige 12 Minuten (Avengers: Endgame dauerte 182 Minuten, das ist mal value for money!) sehen wir ein paar Nasen zu, wie sie durch die Landschaft hirschen und versuchen, einen Zug auszurauben. Die Actionszenen sind lahm, die Special Effects lachhaft (ganz miese CGI!), das Bild ist pixelig und von Method Acting haben die Schauspieler wohl auch noch nie etwas gehört. Und so ein Blödsinn gehört zu den „1001 Filmen, die man sehen sollte, bevor das Leben vorbei ist“. Geht’s noch? Das Beste: In einer Einstellung sieht man, wie eine Puppe vom Zug geworfen wird! Haben die keine Stunt-Leute gehabt? Man sieht dem Film einfach in allen Belangen an, wie billig er produziert wurde. Aber für ein gutes B-Movie fehlt ihm der selbstironische Humor. Die haben das tatsächlich ernst gemeint, als sie diesen Film gedreht haben! Und was soll diese lächerliche Szene am Schluss, als der Eisenbahnräuber in Richtung Kamera ballert? Durchbrechung der vierten Wand – moi, was für eine ungewöhnliche Idee, auf die ist ja noch nie jemand gekommen! (Schnarch.) Eine herbe Enttäuschung. Aber zum Glück kommt bald „John Wick 3“ ins Kino. Da kann man dann sehen, wie Actionkino richtig geht.


6,0
von 10 Kürbissen

Meshes of the Afternoon (1943)

Regie: Maya Deren und Alexander Hammid
Original-Titel: Meshes of the Afternoon
Erscheinungsjahr: 1943
Genre: Kurzfilm, Experimentalfilm
IMDB-Link: Meshes of the Afternoon


Unter den „1001 Filmen, die Sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist“ befindet sich auch der avantgardistische Kurzfilm „Meshes in the Afternoon“ von Maya Deren und Alexander Hammid. Darin beschäftigt sich das Ehepaar Deren/Hammid mit Depressionen und Träumen aus der Perspektive einer Frau. Interessant sind vor allem die stilistischen und handwerklichen Mittel, die zum Einsatz kommen: Doppelungen und Spiegelungen, Zeitlupen, sehr subjektive Kameraperspektiven, Stop-Motion – hier wird alles aufgefahren, was filmtechnisch in der damaligen Zeit möglich war. Allein das schon macht „Meshes of the Afternoon“ zu einem sehenswerten und filmhistorisch interessanten Stück. Tatsächlich ist es aber die rätselhafte und verschachtelte Handlung als Sinnbild für Depression und Melancholie, die dem Film auch heutzutage Relevanz verleiht. Der Film lädt dazu ein, sich bei einem Glas Wein in einem verrauchten Kaffeehaus mit Freunden heftigste Diskurse über mögliche Interpretationen zu liefern. Ich weiß. „I feel so bohemian like you …“ Ich möchte mit meiner Filmbesprechung und der Einladung zum gemeinsamen Philosophieren wirklich nicht die nächste Generation an Hipstern heranzüchten. Aber Rotwein (beispielsweise ein Gläschen Monastrell „Finca Bacara Time Waits for No One Red Skull 2017“) passt tatsächlich hervorragend zu diesem gut gealterten cineastischen Meilenstein. In diesem Sinne: Prost!


7,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=gnFto626s3Q

Avengers: Endgame (2019)

Regie: Anthony und Joe Russo
Original-Titel: Avengers: Endgame
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Action, Fantasy, Science Fiction
IMDB-Link: Avengers: Endgame


Thanos hat es nicht leicht. Da arbeitet er sein Leben lang hin auf die Erfüllung seines Lebenssinns, dann kann er sich endlich in die wohlverdiente Pension begeben und  sich an hübschen Pflanzen erfreuen – doch was geschieht? Kaum hat er sich zur Ruhe gesetzt, stehen diese Avengers-Grätzen von der Erde wieder auf der Matte. So wird aus dem Ruhestand ein Unruhestand, und drei Stunden lang dürfen wir nun zusehen, wie sich Gut und Böse oder das, was wir dafür halten, in einem Endspiel um die Goldene Ananas verhauen. Denn dass man mit einem Fingerschnippen einfach die Hälfte aller Lebewesen ausradiert und danach Radieschen züchtet, das kann nicht sein, das darf nicht sein. „Avengers: Endgame“ ist das große, epische Finale von nicht weniger als 22 Filmen des Marvel Cinematic Universe. Dass man einem solch hohen Anspruch, den das sich hysterisch um Kinokarten prügelnde Publikum stellt, gerecht wird, ist schon eine schwierige Aufgabe. Für viele, darunter auch mich, hat diese Reise vor über 10 Jahren begonnen. Und nun geht man den letzten Weg mit den Heldinnen und Helden, die einem im Laufe der Jahre unweigerlich ans Herz gewachsen ist. Es ist so wie damals auf den letzten Metern, ehe ein verdammter Goldring in einen Feuerschlund im Schicksalsberg geworfen wurde. Nur dass man dieses Mal nicht nach drei Filmen an diesen Punkt gekommen ist, sondern nach fast zwei Dutzend. Das Involvement ist also bei dem Einen oder Anderen noch höher. Und wie viel hätte man hier falsch machen können. Wenn sich Filmemacher hinsetzen und am Reißbrett etwas entwerfen, das noch epischer, noch großartiger, noch actionreicher, noch erhabener werden soll als alles bisher Gedrehte, dann kommt dabei oft ein grandioser Murks heraus. Denn größer ist nicht immer besser. Doch genau das muss man nun den Machern der letzten beiden Avengers-Filme anrechnen: Natürlich wussten sie um die übergroße Erwartungshaltung. Und natürlich bedienen sie in ihrem Film die Gelüste des nach einer letzten großen Schlacht gierenden Publikums. Aber sie verlieren dabei nie die Charaktere und die Entwicklung, die diese über die besagten 22 Filme hinweg nehmen, aus den Augen. Und sie entfernen sich manches Mal ein gutes Stück von dem Erwartbaren. Man kann sich nie sicher sein, was in „Avengers: Endgame“ passiert. Und das tut dem Film sehr gut. Diese drei Stunden sind gewinnbringend investiert. Diese große Fantasy-Saga unserer Zeit findet mit diesem Film einen würdigen, kurzweiligen und spannenden Abschluss. Am Ende darf Zeit für Wehmut und die eine oder andere Träne sein. Denn eine lange Reise geht hier wirklich zu Ende.


8,5
von 10 Kürbissen

Papillon (1973)

Regie: Franklin J. Schaffner
Original-Titel: Papillon
Erscheinungsjahr: 1973
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: Papillon


Müsste man „Papillon“, der Verfilmung von Henri Charrières autobiographischem Roman, ein Motto voranstellen, so könnte dieses lauten: Schlimmer geht’s immer. Denn die Versetzung von Henri Charrière (Steve McQueen) und Louis Dega (Dustin Hoffman) auf die Teufelsinsel, einer Strafkolonie vor der Küste von Französisch-Guyana, ist erst der Beginn einer jahrelangen Marter. Hitze, korrupte und sadistische Aufseher, Mangelernährung, Isolationshaft und schließlich Einkerkerung bei Dunkelheit brechen die Häftlinge physisch wie psychisch. Dass der „Papillon“ (deutsch: Schmetterling) genannte Charrière das alles durchhält, ist nur einem eisernen Überlebens- und Freiheitswillen zu verdanken. Steve McQueen spielt diesen Besessenen mit allem, was er hat. Ständig bewegt sich Charrière am Rande des Wahnsinns und manchmal auch einen Schritt darüber hinaus, aber immer wieder findet er zu sich zurück und zur Motivation, weiterzumachen mit der Hoffnung auf Freiheit, irgendwann und irgendwie – sei es auf einem Seesack durchs offene Meer schwimmend. Eine grandiose Leistung von McQueen, deren man sich nicht entziehen kann. Auch Dustin Hoffman als nerdiger Sidekick überzeugt. Die beiden Männer tragen den Film auch über die opulente Spieldauer von fast 2,5 Stunden. Diese scheint allerdings nicht zur Gänze nötig zu sein, denn der Film krankt ein wenig an einem Problem, zu dem viele autobiographische Erzählungen neigen: Redundanzen und Leerstellen. Das echte Leben ist eben (auch) geprägt von Wiederholungen und Momenten, die dramaturgisch einfach in der Luft hängen. Selbst jene, die an Gott und die göttliche Vorhersehung glauben, tun sich etwas schwer damit, sich den Rauschebart dort oben a la Dalton Trumbo, der das Drehbuch für „Papillon“ geschrieben hat, mit Zigarre im Mundwinkel und Schreibmaschine auf einem Brett in einer Wolkenbadewanne vorzustellen, wie er das Leben von uns Erdwürmlingen in die Erstfassung seines Manuskripts tackert. Was ich damit sagen will: Das Leben kann halt manchmal fad sein. Und vor solchen Momenten ist auch „Papillon“ nicht gefeit, auch wenn er zurecht als Film-Klassiker gilt und über den Großteil seiner Laufzeit wirklich grandios ist. Kürzen hätte man ihn dennoch können.

 


7,5
von 10 Kürbissen

Buffalo ’66 (1998)

Regie: Vincent Gallo
Original-Titel: Buffalo ’66
Erscheinungsjahr: 1998
Genre: Liebesfilm, Krimi, Roadmovie, Drama
IMDB-Link: Buffalo ’66


Einer der 1001 Filme, die man gesehen haben muss, ehe das Leben vorbei ist, ist „Buffalo ’66“ von Vincent Gallo. Das ist der Typ, der Chloë Sevignys Karriere in Bedrängnis brachte, weil er mit ihr zusammen in „The Brown Bunny“ allzu offenherzig die Freuden des Oralsex vor der Kamera zeigte, dem ein medienwirksamer Beef mit Kritikerpapst Roger Ebert folgte, aber das ist eine andere Geschichte. In seinem Regiedebüt „Buffalo ’66“ geht es gemäßigter zu. Billy Brown (Vincent Gallo) kommt gerade aus dem Knast und muss erst mal pissen. Man kennt das ja. Und natürlich: Keine Toilette weit und breit in Sicht. Dafür aber die junge Layla (Christina Ricci), die der Häfnbruder mit der vollen Blase kurzerhand entführt. Und das, weil er seinen Eltern (Anjelica Huston und Ben Gazzara) vorgegaukelt hat, er wäre ein erfolgreicher Staatsbediensteter und glücklich verheiratet. Ersteres ist angesichts seiner Jahre in Staatsgewahrsam vielleicht noch Interpretationssache, Zweiteres lässt sich aber ohne passender Frau an seiner Seite nicht so einfach hinbiegen. Daher die Entführung. Und nach anfänglicher Skepsis spielt das Mädel dann auch brav mit, woraufhin sich allmählich tatsächlich zarte Gefühle einstellen, was Billy Brown zusehends verunsichert. Denn bald zeigt sich: So hart, wie er tut, ist er eigentlich gar nicht. „Buffalo ’66“ könnte ein amüsanter Film für zwischendurch sein, ein leicht schräges Independent-Komödien-Drama mit richtig guter Besetzung und ein paar witzigen Einfällen. Könnte. Ist er aber nicht. Und das liegt vor allem an Vincent Gallo selbst. Meine Kollegin in der Arbeit würde sagen: Eine Fresse wie ein Briefkasten. Links und rechts zum Hineinhauen. Sage ich natürlich nicht, denn das ist ja ein seriöser Blog. Husthust. Aber das Grundproblem von „Buffalo ’66“ ist tatsächlich, dass mir die empathielose, selbstsüchtige und gewaltbereite Hauptfigur von Anfang bis Ende auf die Nerven gegangen ist und ich ihr die Katharsis nicht vergönnt habe. Auch Christina Riccis Charakter stellte mich vor Probleme. Zwar ist ihre Layla gut gespielt (die Ricci kann schon was, keine Frage), aber ich glaubte ihr die aufkeimenden Gefühle einfach nicht. Auf welcher Basis? Liebe macht blind, sagt man. Okay. Aber blind und deppert? So hat mich „Buffalo ’66“ eher ärgerlich gemacht als gut unterhalten. Und was „The Brown Bunny“ betrifft: Die berühmte Szene gibt es kostenlos auf einschlägigen Internetseiten zu bewundern. Den ganzen Film tue ich mir wohl eher nicht an.


3,0
von 10 Kürbissen

Capernaum – Stadt der Hoffnung (2018)

Regie: Nadine Labaki
Original-Titel: Capharnaüm
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Capharnaüm


Der Libanon hat cineastisch einen Lauf. Erst letztes Jahr wurde mit „The Insult“ von Ziad Doueiri der erste libanesische Film für einen Oscar nominiert, und dieses Jahr legt Nadine Labaki mit „Capernaum – Stadt der Hoffnung“ diesbezüglich nach. Auch wenn die Chancen gegen den großen Favoriten Roma von Alfonso Cuarón schlecht stehen, kann sich diese Serie durchaus blicken lassen. Um den ehemaligen Skifahrer Rudi Nierlich zu zitieren: Wonn’s laft, donn laft’s. „Capernaum – Stadt der Hoffnung“ ist ein aufwühlender und richtig guter Film, der sich zurecht in der Reihe der nominierten Filme befindet. Allerdings gehört er auch zu den Filmen, die man kaum mehr als ein einziges Mal sehen möchte. Und man sollte ihn nicht anschauen, wenn man gerade selbst mit Weltschmerz zu kämpfen hat. Die Geschichte ist nämlich harter Stoff. Erzählt wird vom 12jährigen Zain, der im Jugendgefängnis einsitzt, weil er einen Mann niedergestochen hat. Nun verklagt er seine Eltern dafür, dass sie ihn geboren haben. Soweit die Rahmenhandlung. Nadine Labaki rollt dann chronologisch auf, wie es dazu gekommen ist – beginnend bei der vielköpfigen syrischen Flüchtlingsfamilie, die unter ärmlichsten Verhältnissen lebt. Zains Lieblingsschwester Sahar wird nach Eintreten der Regelblutung an den Besitzer der Wohnung verhökert. Zain selbst haut im Streit mit seinen Eltern ab und wird von der äthiopischen Illegalen Rahil aufgenommen. Die hat ein kleines Kind, Yonas. Doch eines Tages wird Rahil festgenommen, und Zain versucht, sich mit Yonas allein durchzuschlagen. Er plant die Flucht nach Schweden, doch als er nach langer Zeit wieder in der Wohnung seiner Eltern vorbeikommt, um seine Papiere zu holen, kommt es zur Katastrophe. „Capernaum – Stadt der Hoffnung“ ist ein Film, der direkt auf die Magengrube zielt, ohne allerdings allzu sehr in den Verdacht zu geraten, aus der Armut der gezeigten Protagonisten Kapital schlagen zu wollen. Zu ehrlich, zu gut recherchiert fühlt sich der Film an. Und auch wenn der Film vor allem im ersten Drittel einige Längen aufweist, zieht einen die Geschichte unweigerlich in ihren Bann. Ich fühlte mich definitiv nicht gut, als ich den Kinosaal nach dem Abspann verließ. Aber ich war trotzdem froh, den Film gesehen zu haben.


7,5
von 10 Kürbissen

Das Mädchen Wadjda (2012)

Regie: Haifaa Al Mansour
Original-Titel: Wadjda
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: Wadjda


Die Geschichte eines Fahrradkaufs. Ein 11jähriges Mädchen möchte den neuesten Flitzer käuflich erwerben und sinnt daher darüber nach, wie es am besten zu Geld kommen kann. Das klingt erst mal recht unspektakulär. Wenn die Geschichte allerdings im stock-konservativen Saudi-Arabien stattfindet und das vorwitzige Mädchen, das vor allem bei den streng muslimischen Lehrerinnen ununterbrochen aneckt, ausgerechnet darauf verfällt, einen Zitierwettbewerb zum Koran zu gewinnen, um das Preisgeld für den Fahrradkauf einzustreifen, und wenn man auch noch berücksichtigt, dass in Saudi-Arabien Frauen nicht Fahrradfahren, denn das macht man einfach nicht als Frau, dann wird aus dieser banalen Geschichte recht schnell ein subversiver Spaß. „Das Mädchen Wadjda“ von Haifaa Al Mansour war nicht nur der erste Film Saudi-Arabiens, der von einer Frau gedreht wurde, sondern 2012 auch ein weltweiter Kassenknaller und Festivalerfolg. Allerdings stellt sich bei mir trotz der unbestrittenen Qualitäten, die der leichtfüßige und humorvoll erzählte Film hat, dann doch die Frage, ob er für ähnliche Furore gesorgt hätte, wäre er von einem Mann oder in einem anderen Land gedreht worden. Es ist sehr löblich und wichtig, dass Haifaa Al Mansour mit dem Film ein Zeichen setzen konnte, aber dass „Das Mädchen Wadjda“ es gleich unter die „1001 Filmen, die man gesehen haben muss, bevor das Leben vorbei ist“ geschafft hat, ist dann vielleicht doch ein bisschen zu viel der Ehre für diesen netten und unterhaltsamen, aber nicht spektakulären Film. Gesellschaftliche Implikationen mag er gehabt haben, und das ist auch gut so, aber als Meisterwerk für die Ewigkeit sehe ich ihn dennoch nicht an. Nichtsdestotrotz kann man sich damit einen beschwingten Abend machen. Und froh darüber sein, dass wir im Westen zwar auch unsere Kreuze zu tragen haben (pun intended), aber zumindest die Frauen Fahrradfahren dürfen.


7,0
von 10 Kürbissen

Roma (2018)

Regie: Alfonso Cuarón
Original-Titel: Roma
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Roma


Ein bisschen überraschend wirkt es auf den ersten Blick ja schon, dass neben The Favourite ein mexikanisches Schwarz-Weiß-Drama, das von Netflix produziert wurde, mit 10 Oscar-Nominierungen der große Favorit der diesjährigen Oscar-Verleihung ist. Donald Trump wird sich ärgern, dass er mit dem Shut-Down nicht nur die Pläne für seine schöne, große Mauer zurückstellen musste, sondern diese mexikanischen Gfraster auch noch den wichtigsten amerikanischen Filmpreis abstauben könnten. Überhaupt: Wenn das so weitergeht, hat bald jeder Mexikaner seinen eigenen Oscar. Iñárritu hat ihn schon. Del Toro hat ihn schon. Cuarón hat ihn auch schon – und jetzt vielleicht gleich noch mal. Und Donald Trump? Wird für die Goldene Himbeere nominiert. Das kann ja nicht mit rechten Dingen zugehen. Oder doch? Wenn man nämlich Cuaróns „Roma“ gesehen hat, wird man erneut darin bestätigt, dass Mexikaner einfach verflucht gute Filme machen. So unspektakulär und banal und gleichzeitig so mitreißend und zutiefst menschlich muss man eine Geschichte erst einmal erzählen können. Im Grunde passiert nicht viel: In atemberaubend komponierten Schwarz-Weiß-Tableaus folgt die Kamera der jungen mixtekischen Haushälterin Cleo (Yalitza Aparicio in ihrer ersten Filmrolle und dafür gleich für einen Oscar nominiert – was ich angesichts ihrer zurückhaltend nuancierten Leistung absolut verstehen kann), die in Zeiten des politischen Umbruchs Anfang der 70er Jahre in Mexiko-City für eine bürgerlichen Familie arbeitet, die es selbst gerade zerreißt, weil der Vater kaum noch zuhause anzutreffen ist und stattdessen lieber mit einer Anderen anbandelt. Die politischen Unruhen spiegeln sich im Privaten. Leidtragende ist die Ehefrau Sofia (Marina de Tavira, ebenfalls zu Recht für einen Oscar nominiert), die ihren drei Kindern eine heile Welt vorspielen muss. Cleo selbst hat bald ein weiteres Problem an der Backe: eine ungewollte Schwangerschaft durch den Kampfsportler Fermín, der nichts von ihr wissen will. Stoisch erträgt sie aber diesen und weitere Schicksalsschläge. „Roma“ ist ein sagenhaft gut ausbalancierter Film. Nichts wird explizit durchgekaut, nichts wird analysiert und interpretiert, weder im Privaten noch was die politische Tragödie betrifft. Cuarón folgt mit seiner Kamera einfach dem Geschehen und lässt die Handlungen der Protagonisten und ihre Gesichter für sich sprechen. Das Ergebnis wirkt organisch und wie aus einem Guss. Wie im wahren Leben kommen die großen Umwälzungen auf leisen Sohlen. Und auch wenn der Film am Ende zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt, so hat sich dennoch etwas verändert bei beiden Frauen, die im Zentrum der Geschichte stehen. Das ist große Kunst.

 


8,5
von 10 Kürbissen