Viennale

Nachmittag (2007)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Nachmittag
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Drama
IMDB-Link: Nachmittag


Noch einmal Angela Schanelec. Gleich im Anschluss zu ihrem Marseille zeigte die Viennale im Rahmen der Monografie den Film „Nachmittag“ aus dem Jahr 2007. Lose basierend auf Motiven von Tschechows „Die Möwe“ erzählt Schanelec von sechs Menschen, die in einem Ferienhaus am See voneinander wegdriften. Da wäre einmal die Theaterschauspielerin Irene, gespielt von Angela Schanelec selbst, die mit ihrem neuen Freund Max (Mark Waschke) ihren älteren Bruder Alex (Fritz Schediwy) besucht. Ihr Sohn Konstantin (Jirka Zett), ein Schriftsteller, wohnt bei ihm. Dazu kommt noch Konstantins Nachbarin und Freundin Agnes (Miriam Horwitz) und deren junge Schwester Mimmi (Agnes Schanelec), die irgendwie als Bindeglied zwischen den Figuren herhalten muss. Man trifft sich auf der Terrasse, schaut den im Wind wogenden Blättern zu und rezitiert Sätze, die so gestochen sind, dass selbst Tschechow Ewigkeiten an ihnen gefeilt hätte. Da ist sie wieder, die Schanelec’sche Lebensbühne. Anders als in „Marseille“ geht hier die Rechnung aber nicht auf. Denn eingesperrt in diesen kleinen Raum mit fast keinem Bewegungsradius und auch kaum einer Möglichkeit, Emotionen in die scharfkantigen Sätze zu legen, bemühen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler zwar nach Kräften, das Werk am Laufen zu halten, werden aber vom Drehbuch erdrückt, das ein bisschen mehr sein will als es letztlich ist. Vielleicht gehen die Verletzungen, die sich die Figuren zufügen, einfach nicht tief genug, sind vielleicht zu banal, als dass der Film das Ende, auf das er letztlich zusteuert, rechtfertigen könnte.  Vielleicht liegt es auch daran, dass alle Figuren den gleichen Schwermut in sich tragen und somit undifferenziert bleiben. Auch wenn ich die künstlerische Intention hinter dem Film erkennen kann, ist „Nachmittag“ leider nur in seltenen Fällen interessant.


4,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=2He7Y0z7pPE

Marseille (2004)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Marseille
Erscheinungsjahr: 2004
Genre: Drama
IMDB-Link: Marseille


Die Berliner Schule. Zusammengefasst kann man die so beschreiben: Menschen gehen in Bars oder stehen am Fenster, schweigen sich minutenlang an, um dann einen höchst philosophischen Satz von sich zu geben, der von ihrem Gegenüber (in der Bar oder auf dem Nachbarbalkon) eine vielsagende Replik erfährt. Dann wird wieder geschwiegen, und gelegentlich rauscht der Wind durch die Blätter. Am Ende fährt jemand mit dem Auto. Angela Schanelec ist im besten wie im schlimmsten Sinne eine würdige Vertreterin dieser Filmströmung. Mal funktioniert das Konzept für mich (siehe Orly), mal nicht (siehe Mein langsames Leben). „Marseille“ aus dem Jahr 2004 gehört zu den Filmen, die mich interessiert haben und mein Interesse halten konnte, auch wenn 1,5 Stunden lang nichts passiert. Die Berliner Fotografin Sophie (Maren Eggert) fährt für zwei Wochen nach Marseille, weil sie mit einer Marseillerin die Wohnung getauscht hat. Sie trifft auf den charmanten Mechaniker Pierre (Alexis Loret) und spaziert durch die Stadt. Eine bloße Existenz ohne Verpflichtungen, aber auch ohne Antrieb. Schnitt. Zurück in Berlin schlägt sie sich mit dem Alltag herum, mit den Beziehungsproblemen ihrer besten Freundin (Marie-Lou Sellem) mit ihrem Freund (Devid Striesow). Der Alltag besteht aus Missverständnissen und Nichtigkeiten. Eine Sehnsucht schleicht sich auf leisen Füßen in die Szenerie. Und das wäre dann auch schon der ganze Film. Inszeniert ist das alles – wie für Schanelec üblich – in den Dialogen höchst artifiziell. Das Leben als Theater. Wenn man sich darauf einlassen kann, entdeckt man in den Zwischenräumen das, worauf Angela Schanelec (vielleicht) hinauswollte: Die Schwierigkeit, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen und diesen zu halten, denn überall lauert das Missverständnis, die Nichtigkeit, der Alltag eben. Wenn man sich aber nicht darauf einlassen kann, wird so ein Film allerdings zu einer extrem mühsamen Angelegenheit.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Little Joe (2019)

Regie: Jessica Hausner
Original-Titel: Little Joe
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller
IMDB-Link: Little Joe


Bleampal (= Blümchen auf Wienerisch) sind doch was Feines. Sie sehen hübsch aus, riechen gut und helfen manch stammelndem Liebenden, der daran scheitert, seine Gefühle auf die Zunge zu legen, auf einfache Weise aus der Patsche. In Jessica Hausners „Little Joe“ können sie sogar noch mehr: Ihre Botanikerin Alice (Emily Beechum) hat nämlich ein zartes Pflänzchen entwickelt, das durch den Ausstoß ihres Duftes die Menschen glücklich macht. Mit ihrem Kollegen Chris (Ben Whishaw) arbeitet sie daran, die neu gezüchtete Blume für die große Blumenmesse fertigzumachen. Währenddessen lassen die Blümchen ihres Chefs im Trog nebenan die Köpfe hängen. Und da sind wir schon mittendrin in den unerwarteten Nebenwirkungen, die eben auftreten können, wenn sich die Wissenschaft mal wieder was Tolles ausdenkt. Schlag nach bei Frankenstein, auf den von Jessica Hausner im anschließenden Q&A auch verwiesen wird. „Die Natur findet ihren Weg.“ Das wusste schon Jeff Goldblums Dr. Ian Malcolm. Es ist nun mal keine gute Idee, wenn man einem Lebewesen die Möglichkeit der Reproduktion verweigert. Darauf reagiert Mutter Natur sauer bzw. – wie in diesem Fall – mit kreativen Mitteln der Umgehung. Und so entspinnt sich allmählich ein langsamer Thriller, eine Mischung aus „Jurassic Park“ meets “Die Körperfresser kommen“, aber vegan und auf Beruhigungsmitteln. Die Kernfrage ist interessant: Was sind „echte“ Gefühle vs. „falsche“ Gefühle? Nur leider weist der Film Schwächen im Drehbuch auf, das zu viel erzählt bzw. erzählen lässt. Ein Film voller Ambivalenz, von einem Soundtrack, bei dem höchste Tinnitus-Gefahr herrscht, stimmig begleitet. Wenn doch nur das ganze Drehbuch so subtil gewesen wäre wie die Veränderungen, die im Film postuliert werden, dann hätte das ein großer Wurf werden können. Ganz reicht es dafür nicht aus, aber interessant ist der Film allemal.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Nona. If they soak me, I’ll burn them (2019)

Regie: Camila José Donoso
Original-Titel: Nona. Si me mojan, yo los quemo
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Nona. Si me mojan, yo los quemo


Wenn eine originelle und amüsante Prämisse, nämlich dass sich eine lebenslustige Mittsechzigerin ihres Frusts auf den Exmann mittels eines Molotow-Cocktails entledigt, in ein eher mühsames und sperriges Etwas von Film mündet, dann weiß man: Es ist Viennale-Zeit. Camila José Donosos „Nona. Si me mojan, yo los quemos“ ist ein typischer Festival-Film. Das heißt: Er hat seine starken Momente und ganz klar auch Qualitäten, die hervorstechen und für einen individuellen Zugang zum Medium Film der Schaffenden zeugen, aber Herrgottsakrament, wo ist die verdammte Geschichte? Und so sympathisch die schlitzohrige Nona, gespielt von Josefina Ramírez auch ist, so interessant stellenweise das Vermischen von dokumentarischen Aufnahmen mit Fiktion auch sein mag, am Ende ist das alles weder Fisch noch Fleisch. Was ja angesichts des Zugangs der Regisseurin durchaus so gewollt sein könnte. Denn auch die Formate werden wild vermischt – ob digitale Aufnahmen, 16 mm, in unterschiedlichen Formaten mit unterschiedlichen Farbgebungen, auch die Szenen selbst hängen kaum zusammen und auf Chronologie pfeift Donoso schon mal ganz. Eigentlich ein wilder (Molotow?)-Cocktail, den die Regisseurin da mixt, aber wenn man Tequila, Apfelsaft, Milch, Rotwein und Tee zusammenmischt, besteht die Gefahr, dass die ganze Suppe am Ende wieder hochkommt. Ganz so schlimm ergeht es Donoso hier nicht – dazu ist ihre Nona zu entzückend in ihrer mit Lebensweisheit gespickten Selbstfindung, und viele Bilder sind wirklich sehr schön anzusehen, aber allzu lange im Gedächtnis bleiben wird dieser Film wohl eher nicht. Als persönlicher Festival-Auftakt ist er aber ideal – nun bin ich in der Stimmung für sperriges Zeug.


5,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=BG19dZ9Ntfw

Jetzt geht das wieder los … Viennale 2019

Es ist Oktober, die Blätter fallen von den Bäumen, und der Kürbis eures Vertrauens zuckt mal wieder dezent aus. Was sind schon Vorsätze? Deutlich weniger Filme wollte ich dieses Jahr schauen, vielleicht 10, das ist eine schöne Zahl, die kann man mit seinen Händen noch nachvollziehen. Denn eigentlich bin ich ja damit beschäftigt, im November in eine neue Wohnung zu ziehen. Aber dann kam sie, die schicksalshafte Wendung: In diesem Jahr darf ich zum ersten Mal die Viennale mit einer Presseakkreditierung unsicher machen. Und schon fallen nicht nur die Blätter, sondern auch alle guten Vorsätze. Und wenn das Programm, das seit gestern auf der Homepage der Viennale einzusehen ist, dann auch noch so vielfältig und spannend gestaltet ist, gibt es ohnehin kein Halten mehr. Also muss ich da nun irgendwie durch. Geschätzt 15-20 Filme werden es schon wieder werden (besonders freue ich mich auf „Little Joe“ von Jessica Hausner, „Jojo Rabbit“ von Taika Waititi, „The Lighthouse“ von Robert Eggers, „Atlantique“ von Mati Diop sowie die Specials zu Angela Schanelec und Louise Fleck), und der Umzug wird natürlich auch geschaukelt. Wer mich in der nächsten Zeit sehen will: Ich bitte um schriftliche Kontaktaufnahme für eine Terminvereinbarung. Im Jänner habe ich noch was frei.

(Foto: (c) Alexander Tuma)

Mimosas (2016)

Regie: Oliver Laxe
Original-Titel: Mimosas
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Mimosas


Gott ist groß, und mit Gottes Hilfe findet man einen Weg – sei es auch zu Fuß durchs karge und verschneite Atlasgebirge mit einem toten Scheich, zwei Maultieren und keiner Ahnung von der örtlichen Topographie. So jedenfalls die Meinung von Shakib (Shakib Ben Omar), einem aus der Zeit (und einem Taxi) gefallenen Narren, der eine Karawane durch die Berge anführen soll, um eben jenem Scheich ein Begräbnis in seinem Land zukommen zu lassen. Ahmed und Said (Ahmed Hammoud und Said Aagli), seine Begleiter, sind da weniger hoffnungsvoll. Vor allem Ahmed ist ein Zweifler, der auf dem Weg schweren Prüfungen unterzogen wird. Was ist nun „Mimosas“ genau? Ein Road (bzw. vielmehr Rock) Movie? Ein Selbstfindungstrip? Ein Märchen? Ein Abenteuer? Eine Parabel? Wenn Taxis wie scheue Tiere durch die Wüste brettern, wenn Jahrhunderte ineinandergreifen und Handlungsebenen ineinander verschwimmen, dann versagen alle Definitionsversuche und man kann nur noch eines tun: Sich zurücklehnen und den Film einfach wirken lassen. Die Landschaftsaufnahmen gehören zu den schönsten, die ich in den letzten fünf Jahren gesehen habe, die (Laien)Darsteller überzeugen durch die Bank, ein hochinteressantes und mitreißendes Stück Kino, fremd und in vielerlei Hinsicht unverständlich vielleicht. Bezeichnend: Die häufigste Antwort des Regisseurs auf die Fragen des Publikums beim Q&A damals auf der Viennale 2016, als ich den Film zum ersten Mal sichten konnte, war „I don’t know“. Aber „Mimosas“ ist ein Film, der mir definitiv geblieben ist, der sich immer wieder in meine Gedanken schleicht mit seinen rätselhaften Bildern und dem Gefühl einer Reise ins Nirgendwo, vielleicht ins tiefste Innere des Menschseins an sich, aber wer weiß das schon?

 


7,5
von 10 Kürbissen

Love & Friendship (2016)

Regie: Whit Stillman
Original-Titel: Love & Friendship
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Komödie, Historienfilm, Liebesfilm
IMDB-Link: Love & Friendship


„Love & Friendship“ ist die Verfilmung von Jane Austens „Lady Susan“. Kate Beckinsale spielt auf unnachahmliche, oscarverdächtige Weise eben diese, eine durchtriebene und äußerst lebensfrohe Witwe, die sich zwischen ihren dem Amusement dienenden amourösen Verwicklungen auch noch darum kümmern muss, ihre Tochter möglichst vorteilhaft unter die Haube zu bringen. Und das ist schön anzuschauen (diese gut aussehenden Menschen in ihren vorteilhaften Garderoben!), schön anzuhören (diese gewitzten und geschliffenen Dialoge!) und darüber hinaus ein herrliches Spiel mit doppeltem Boden mit dem Medium Film an sich. Denn wenn zB eine neue Figur eingeführt wird, so wird diese dem Publikum erst mal in einer Frontalaufnahme präsentiert samt Namen, Verwandtschafts- bzw. Bekanntschaftsverhältnis sowie einer sarkastischen Anmerkung zur Person. Jeder bekommt sein Fett weg. Und so versteht sich der Film nicht nur als akkurates Kostümdrama, sondern gleichzeitig als augenzwinkernder und phasenweise extrem witziger Kommentar auf das ganze Genre. Eine sehr gelungene Jane Austen-Verfilmung, mit der wohl die Autorin selbst auch ihren Spaß gehabt hätte, und eine große Rolle für Kate Beckinsale, um die es in den letzten Jahren leider sehr still geworden ist. Man wünscht sich, dass sie mehr von diesen wunderbaren Rollen angeboten bekommt.

 


7,5
von 10 Kürbissen

Neruda (2016)

Regie: Pablo Larraín
Original-Titel: Neruda
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Biopic, Krimi, Drama, Komödie
IMDB-Link: Neruda


Luis Gnecco spielt Pablo Neruda, den großen Volksdichter Chiles und einen der bedeutendsten Vertreter des Kommunismus. Dieser tritt in den Augen der Machthaber etwas zu vehement gegen das herrschende Regime auf und wird so seines Amtes als Senator enthoben und soll verhaftet werden. Neruda flüchtet, geht mit seiner Frau Delia (Mercedes Morán) in den Untergrund, unterstützt von seinen Parteifreunden. Der Polizist Oscar Peluchonneau, gespielt von Gael García Bernal, heftet sich an seine Fersen. Der sinnliche Liebes- und Lebensmensch Neruda hat keine Lust darauf, sich wie ein Käfer zu verkriechen, und so entspinnt sich rasch ein amüsantes wie spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Ich muss zugeben, ich tat mir anfangs trotz der großartigen Darstellerleistungen und der extrem intelligenten Dialoge etwas schwer, in den Film hineinzufinden, denn Vieles schien mir überzeichnet zu sein, maßlos übertrieben, überdramatisiert. Aber dann fiel der Groschen: „Neruda“ ist nicht einfach ein politisches Bio-Pic, sondern vielmehr (auch) eine vergnügliche Hommage an den Film Noir und die Hard-Boiled-Detektivgeschichten der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Spätestens wenn der knallharte, wortkarge Polizist Peluchonneau (herrlich missverstanden in einer Szene, als ein Mann seinem Gutsherrn die Ankunft des Polizisten ankündigt und auf dessen Frage, was denn der für einer sei, antwortet mit: „Halb Idiot, halb Arschloch“) über seine eigene Rolle in Nerudas Geschichte zu reflektieren beginnt, löst sich das Vexierspiel zwischen den Genres auf, und der Film steuert auf einen grandiosen Showdown im Schnee der Anden hin. Kluges, großes und herrlich selbstironisches Kino.


8,0
von 10 Kürbissen

Radio Dreams (2016)

Regie: Babak Jalali
Original-Titel: Radio Dreams
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Komödie, Musikfilm
IMDB-Link: Radio Dreams


PARS Radio ist ein iranischer Radiosender in San Francisco, der die erste afghanische Alternative Rock-Band Kabul Dreams (gibt es wirklich) zu einer Session mit der US-Metal-Band Metallica (gibt es auch) eingeladen hat. Mr. Royani (Mohsen Namjoo), der Programmdirektor, war einst ein gefeierter Autor im Iran und muss sich nun mit amateurhaften Mitarbeitern, dummen Werbe-Einspielungen, einer Carlos Valderrama-Gedächtnis-Frisur in Grau und einem vagen Gefühl des Heimwehs herumplagen. Beckett hat einst „Warten auf Godot“ geschrieben. Dieser zauberhafte, sehr lakonische Film ist „Warten auf Metallica“. Der Tag vergeht. Das Programm geht zur Neige. Man muss improvisieren. Da draußen, außerhalb der sicheren Räume des Radiosenders, befindet sich eine fremde, einschüchternde Welt (was ausnahmsweise mal nicht an Metallica liegt). Und allmählich begreift man als Zuseher das Thema des Films: Das Fremde. Die Suche nach Identität, das Leben in der Diaspora, wo die Träume an den Mauern der Stadt zerschellen. „Radio Dreams“ ist witzig, hintersinnig und melancholisch. Und fühlt sich kurioserweise trotz aller Fremdheit trotzdem sehr vertraut an. Vielleicht, weil die Musik auch das Fremde miteinander verknüpft. Und das weiß schließlich auch Lars Ulrich, seines Zeichens nach Schlagzeuger von Metallica.

 


8,0
von 10 Kürbissen

Scarred Hearts – Vernarbte Herzen (2016)

Regie: Radu Jude
Original-Titel: Inimi cicatrizate
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: Inimi cicatrizate


Lose basierend auf dem Leben des jüdisch-rumänischen Schriftstellers Max Blecher erzählt Radu Jude in „Inimi Cicatrizate“ („Scarred Hearts – Vernarbte Herzen“) die Geschichte des Anfang zwanzigjährigen Dichters Emanuel, der 1937 in ein Sanatorium am Meer eingewiesen wird. Sein Krankheitsverlauf ist ein Auf und Ab, auch eine fragliche, undefinierbare Liebesgeschichte bahnt sich an, draußen in der Welt macht sich gerade ein gewisser Hitler daran, die Welt in Brand zu stecken, was aber innerhalb der geschützten Welt des Sanatoriums fast gleichgültig wegdiskutiert wird zwischen Juden und Antisemiten, die aufgrund ihrer eigenen persönlichen Krankheitsschicksale der Weltpolitik nicht übermäßig Beachtung schenken, man sitzt ja hier im gleichen Boot. Parallelen zu Thomas Manns „Zauberberg“ drängen sich auf. Die Dialoge sind toll und voller hintergründigem Witz (auch hier kann man durchaus den Quervergleich zu Thomas Mann ziehen), die Ausstattung spiegelt die Zeit, in der die Geschichte spielt, eindrucksvoll wider, und doch macht es der Film dem geneigten Zuseher schwer, Zugang zu finden. Zu viel will Radu Jude in seinem teils grotesk überzeichneten Biopic-Drama erzählen, zu langsam tut er es, zu wenig steckt dann letzten Endes dahinter. Nicht schlecht, aber wenn man nicht völlig fit in diese filmische Tour de Force über die Macht der Vergänglichkeit geht, droht Gefahr, im Verlauf der fast 2,5 Stunden Spielzeit selig wegzuschlummern.

 


6,0
von 10 Kürbissen