Politfilm

Konklave (2024)

Regie: Edward Berger
Original-Titel: Conclave
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Conclave


Die katholische Kirche macht im Grundsatz schon viel richtig zur Unterhaltung des Pöbels: Mit viel Brimborium werden seltsame, unverständliche Rituale exerziert, Männer stecken in lustigen und farbenprächtigen Gewändern, mit denen sie sich am Kölner Karneval unters Volk mischen könnten, und die Wahl des Chefs erfolgt in einem streng geheimen Verfahren, von dem man nichts mitbekommt außer: „Weißer Rauch: Habemus Papam!“ und „Schwarzer Rauch: Die Kardinäle sind sich nicht einig und holen sich jetzt erst einmal eine Leberkässemmel.“ Nichts geht über gut dosierten Mystizismus, um die Massen zu begeistern. Dieses Geheimnis der Konklave, also der Papst-Wahl, setzt Edward Berger, mit einem Oscar geadelt für Im Westen nichts Neues, mit hochkarätiger Besetzung filmisch um. Herzstück des Films ist Dekan Lawrence (Ralph Fiennes einmal mehr mit einer preiswürdigen Leistung), ein tugendhafter Zweifler, dem nach dem Ableben des von ihm sehr geschätzten Papstes mit der Aufgabe der Durchführung der Konklave beauftragt ist. Ihm zur Seite steht der bescheidene und progressive Kardinal Bellini (Stanley Tucci, ebenfalls grandios), der auf gar keinen Fall Papst werden will und genau deshalb aber seine Anhänger hat. Ihm diametral gegenüber steht der erzkonservative Kardinal Tedesco (Sergio Castellitto), der die katholische Kirche wieder ins Mittelalter zurückschießen möchte. Und auch sonst mischen ehrgeizige Kandidaten in der Wahl mit, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen. Bald geht es weniger darum, einen geeigneten Kandidaten zu ermitteln, sondern zu verhindern, dass eines der vielen schwarzen Schafe, die da im Ornament herumturnen, den Thron von Rom erklimmt. Die Konklave wird zum Jahrmarkt der Eitelkeiten, und ja, das Muster lässt sich übertragen: Alte, gut situierte Männer sind vor allem an der Macht interessiert, und der Weg dahin darf durchaus durchs moralische Dickicht führen, durch das sich sonst keiner traut, wenn das Ziel damit erreicht werden kann. Dass der Film so gut funktioniert, verdankt er neben geschliffenen Dialogen und einem wunderbaren Cast (auch zu erwähnen: Isabella Rossellini mit einer kleinen, aber prägnanten Rolle, Lucian Msamati, John Lithgow und Carlos Diehz, die allesamt ihre Momente haben) vor allem aber seiner Verweigerung eines moralisch erhobenen Zeigefingers, der angesichts so mancher Fehltritte der katholischen Kirche durchaus angebracht erschiene. Edward Berger beobachtet und erzählt, er urteilt nicht. Vielmehr vertraut er darauf, dass die Kraft der Bilder und der Erzählung für sich sprechen und einen möglichen Weg aufzeigen. Gerade in dieser Hinsicht ist „Konklave“ durchaus ein moralischer Film, nur eben ohne Maßregelungen und Überheblichkeit. Das gepaart mit einer eindrucksvollen Kamerarbeit, die virtuos mit dem Raum und dessen Begrenzungen arbeitet, sowie einem eingängigen Soundtrack, der die Spannung des Geschehens untermalt, macht „Konklave“ zu einem exzellenten Film und würdigen Anwärter auf den Oscar für den besten Film des Jahres.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Focus Features. © 2/Courtesy of Focus Features. © 2 – ©  2024 Focus Features, LLC. All Rights Reserved., Quelle: http://www.imdb.com)

Jagd auf Roter Oktober (1990)

Regie: John McTiernan
Original-Titel: The Hunt for Red October
Erscheinungsjahr: 1990
Genre: Thriller, Politfilm, Kriegsfilm
IMDB-Link: The Hunt for Red October


Der Kalte Krieg nähert sich allmählich seinem Ende, doch die Spannungen zwischen Ost und West sind nach wie vor hoch. Als ein technologisch neuartiges und den Amerikanern überlegenes russisches U-Boot unter dem erfahrenen und hoch dekorierten Kapitän Ramius (Sean Connery) Kurs auf die Ostküste der Vereinigten Staaten nimmt, schrillen alle Alarmglocken. Noch pikanter wird die Sache, als die Amerikaner durch ihren CIA-Analysten Jack Ryan (Alec Baldwin) herausfinden, dass das mit atomaren Raketen ausgestattete U-Boot, dass dieses über einen kompletten neuen Antrieb verfügt, der es dem U-Boot erlaubt, völlig geräuschlos und unbemerkt durch feindliche Linien fahren zu können. Da wird einem schon ein wenig schummrig bei dem Gedanken, was ein solches Boot alles anrichten könnte. Allein Jack Ryan glaubt noch an eine zweite Theorie: Ramius könnte zu den Amerikanern überlaufen. Um Beweise für diese Theorie zu sammeln, begibt sich der trockene Theoretiker näher an die Praxis, als ihm eigentlich lieb ist – inmitten eines Katz- und Maus-Spiels, wo (es folgt ein Zitat aus diesem großartigen Film) die Schwierigkeit darin besteht, herauszufinden, wer die Katze und wer die Maus ist. „Jagd auf Roter Oktober“ lebt von einer spannenden Grundprämisse, die bis zuletzt offen lässt, in welche Richtung das Pendel schwingt, einer fesselnden Inszenierung, motivierten Darstellerleistungen und geschliffenen Dialogen, die sich ins filmhistorische kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. John McTiernan, der schon einen der spannendsten Filme des 20. Jahrhunderts inszeniert hat, in dem er Bruce Willis in einen Aufzugsschacht gesteckt hat, weiß, wie man Suspense kreiert und mit Action garniert. So ist „Jagd auf Roter Oktober“ 35 Jahre nach seinem Erscheinen ein zeitloser Klassiker, der immer noch bestens unterhält. Und er bietet eines der treffendsten Zitate der Filmgeschichte, das ich angesichts der aktuellen politischen Entwicklung der letzten Tage in Österreich anstatt eines Trailers einbauen möchte. Dieser Klassiker sollte eigentlich zur besseren Erklärung der Geschehnisse unter alle innenpolitischen Berichterstattungen dieser Tage angehängt werden.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Paramount Pictures/Getty Images – © 2012 Getty Images, Quelle: http://www.imdb.com)

Europa (2023)

Regie: Sudabeh Mortezai
Original-Titel: Europa
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Europa


Die fiktive Organisation EUROPA verteilt in Albanien großzügig Stipendien an Studierende aus sozial schwächeren Schichten und bietet Dorfbewohnern in entlegenen Gegenden viel Geld für ihr Grundstück, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Willkommen in Sudabeh Mortezais Europa, das die europäische Gemeinschaft heraufbeschwört und unter diesem Mäntelchen neoliberale, kapitalistische Interessen verbirgt. Verkörpert wird dieses doppelte Spiel von der deutschen Managerin Beate Winter (Lilith Stangenberg), die den albanischen Dorfbewohnern ihr Land abknöpfen soll. Sie versucht dies mit viel Zureden, mit freundlich-aufgesetzter Mimik, mit dem einen oder anderen Schluck Raki, den sie aus gutem Willen mit ihren Gesprächspartnern trinkt, doch stoßen hier zwei Welten aufeinander: Eine sehr traditionelle, auf religiösen und familiären Werten fußende, die nur die eigenen Nöte des Überlebens kennt, und die großkapitalistische, in der man meint, mit Geld oder Gewalt oder beidem alles erreichen zu können. Das Machtgefälle ist groß, und doch entspinnt sich zunächst ein zähes Ringen um Land und Boden. „Europa“ ist Kapitalismuskritik und ein zutiefst politischer Film, der sein Anliegen aber im Kleinen verarbeitet und sichtbar macht. Hier wird ein Stellvertreterkrieg geführt. Mortezais Arbeitsweise ist eine gesonderte Erwähnung wert: Auf die renommierte Darstellerin Stangenberg trafen fast ausschließlich Laiendarsteller:innen aus der Region, die nicht einmal das Drehbuch zu lesen bekamen, sondern in den Szenen improvisierten. Diese Kluft aus der Arbeitsweise heraus überträgt sich auf die Figuren, wobei es Stangenberg gelingt, ihrer starren Figur, die so sichtbar eine Rolle spielt, in der sie sich auch immer wieder mal unwohl fühlt, eine Brüchigkeit zu verleihen, die das Spiel mit den Rollen umso deutlicher hervortreten lässt. In diesem Sinne betrachtet „Europa“ auch die Zwänge, die in führenden Positionen großer Unternehmen oder Organisationen existieren. Ein spröder, aber ungemein genau beobachteter und stringent erzählter Film.


6,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Wag the Dog – Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt (1997)

Regie: Barry Levinson
Original-Titel: Wag the Dog
Erscheinungsjahr: 1997
Genre: Satire, Politfilm
IMDB-Link: Wag the Dog


Der Anlass für diesen Re-Watch ist ein trauriger, denn vor wenigen Tagen schied die talentierte Schauspielerin Anne Heche nach einem von ihr verursachten Unfall aus dem Leben. „Wag the Dog“ von Barry Levinson ist in meinen Augen der beste Film, in dem sie je mitgewirkt hat. Und auch unabhängig von ihrem tragischen Tod sollte man dieser Tage mal wieder einen genaueren Blick auf diesen machen. Was Barry Levinson und die Autoren Mitte der 90er-Jahre vorweggenommen haben, ist nicht weniger als die politische Realität unserer Zeit, in der bei Bekanntwerden schlechter Nachrichten prominente Kettenhunde der Parteien ausziehen, um möglichst effektive Nebelgranate zu zünden, die von dem eigentlichen Problem ablenken. Das ist gelebte Praxis, und wir in Österreich sitzen diesbezüglich leider erste Reihe fußfrei, um diesen ganzen Scheiß mitanzusehen. Diese Praxis noch gewürzt mit Fake News, und wir haben die politische Unkultur unserer Zeit auf den Punkt gebracht. „Wag the Dog“ war bei seinem Erscheinen vor 25 Jahren noch eine bitterböse Satire. Heute könnte der Film fast schon als Lehrstück über die politische Realität durchgehen. Der Inhalt: Da der Präsident der Vereinigten Staaten nicht einmal zwei Wochen vor der möglichen Wiederwahl über ein Schulmädchen stolpert, muss besagte Nebelgranate her. Auftritt Conny Brean (Robert De Niro), der als Troubleshooter für Ablenkung sorgen soll. Zusammen mit der Beraterin des Präsidenten, Winifred Ames (Anne Heche), und dem preisgekrönten Hollywood-Produzenten Stanley Motss (Dustin Hoffman) inszeniert er nicht weniger als einen fiktiven Krieg gegen Albanien. Der Zynismus trieft hier aus allen Poren. Jedes Mittel ist recht in der Politik und in Hollywood, um ans Ziel zu gelangen. Ob das Ziel erstrebenswert oder zumindest moralisch in Ordnung ist, fragt hier niemand. Bezeichnend, dass Motss gegen Abschluss der Fake News-Kampagne von der besten Arbeit seines Lebens spricht. Damals, als ich den Film zum ersten Mal vor etwa zwanzig Jahren sah, fand ich ihn grandios. Heute halte ich ihn – mit Schaudern – für prophetisch.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 1997 New Line Cinema, Quelle http://www.imdb.com)

Argo (2012)

Regie: Ben Affleck
Original-Titel: Argo
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Drama, Historienfilm, Thriller
IMDB-Link: Argo


Oscar-Verleihung 2013. Das war jene Preisverleihung, als Jennifer Lawrence der grandiosen Emmanuelle Riva den Oscar wegschnappte, Haneke aber immerhin bei fünf Nominierungen, darunter für die beste Regie, das beste Drehbuch und den besten Film, den Hauptpreis für den besten fremdsprachigen Film nach Hause nehmen konnte, sich jedermann und jedefrau fragte, wie es passieren konnte, dass Ben Affleck nicht für die beste Regie nominiert war und am Ende doch „Argo“ als bester Film triumphierte. Die besten Geschichten schreibt das Leben – und wenn eine solche Geschichte auch noch so gekonnt und spannend inszeniert wird wie „Argo“ von Ben Affleck, dann passt das schon mit dem großen Hauptpreis für diesen Politthriller. Die Geschichte: 1979 strandeten nach der Islamischen Revolution im Iran einige US-amerikanische Botschaftsangehörige in der Botschaft von Kanada, wo sie versteckt gehalten wurden. Alle anderen Botschaftsmitarbeiter:innen wurden vom Iran als Geiseln gehalten. Die Frage war nun, wie kriegt man die in der kanadischen Botschaft Versteckten aus dem Land, ohne dass sie als Botschaftsangehörige enttarnt werden, denn das hätte eine sofortige weitere Geiselnahme oder noch Schlimmeres für die Betroffenen zur Folge gehabt. Dem von Affleck gespielte CIA-Mitarbeiter Tony Mendez kommt schließlich die zündende Idee: Die Amerikaner sollen sich als Produzenten eines Hollywood-Films auf Location-Suche ausgeben. Und damit die misstrauischen Iraner auch wirklich keinen Verdacht schöpfen, muss der fiktive Film so authentisch wie möglich wirken. Was nach einer absurden Verwechslungskomödie klingt, wurde von Affleck als rasiermesserscharfer und realistischer Thriller realisiert. Das Tempo ist gemächlich, doch gerade dadurch baut sich die Spannung auf bis zum großen Finale. „Argo“ ist ein weiterer Beweis dafür, dass Affleck seine persönlichen Höchstleistungen vielleicht nicht als Mime erreicht, sehr wohl aber als Regisseur mit einem guten Gespür für Spannungsaufbau und realitätsnahe Inszenierungen.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy Warner Bros. Entertainment – © 2012 Warner Bros. Entertainment Inc, Quelle http://www.imdb.com)

In gewisser Hinsicht (1977)

Regie: Sara Gómez
Original-Titel: De cierta manera
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: De cierta manera


Filme können Arbeit sein. Und Arbeit kann Inhalt des Films sein. Beides trifft sich in „De Cierta Manera“, der einzige Langfilm der früh verstorbenen kubanischen Filmmacherin Sara Gómez aus den Jahren 1974-1977. Ihr Film spielt kurz nach der Revolution 1959. In einem arg didaktischen Ansatz erzählen eine männliche und eine weibliche Stimme aus dem Off von gesellschaftlichen Entwicklungen in den Schichten der Ärmsten, während sich auf einer fiktionalisierten Ebene die Liebesgeschichte zwischen Mario, einem Arbeiter und Macho, und der Lehrerin Yolanda entspinnt – mit allen Höhen und Tiefen. Die Ideale der Revolution ziehen sich auch in den privatesten Bereich hinein, das Fiktive vermischt sich mit dem Dokumentarischen, die Bilder schwanken zwischen intimer Vertrautheit und abstrakten Bildern von Abrissbirnen, die sich durch die Elendsviertel von Havanna fräsen. Ich muss zugeben: Mehr als einmal hat mich der Film gedanklich verloren, obgleich er nicht zu später Stunde, sondern an einem lauen Nachmittag gelaufen ist. Das Problem – für mich – ist eben dieser didaktische Aufbau, der kaum Nähe zu den Figuren zulässt. Auch springt Gómez arg hin und her, möchte alles, möchte ganz Kuba in einen Film packen und verliert den Zuseher dabei auf dem Weg. So bleiben einige sehr schöne Szenen, aber der Film fügt sich nicht zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Man kann durchaus die Ambition würdigen, filmhistorisch ist das alles auch recht interessant und ein gefundenes Fressen für alle Filmstudenten dieser Welt, noch mal werde ich mir den Film allerdings nicht ansehen.


4,5 Kürbisse

(Foto: (c) ICAIC / Viennale)

The Ides of March – Tage des Verrats (2011)

Regie: George Clooney
Original-Titel: The Ides of March
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Thriller, Politfilm, Drama
IMDB-Link: The Ides of March


Es gibt ein paar Berufe, die wären nichts für den Filmkürbis eures Vertrauens. Lobbyist zum Beispiel. Oder Strafverteidiger. Oder auch Wahlkampfmanager. Alles Berufe, für die man zumindest eine dehnbare Ausprägung an Moralvorstellungen mitbringen muss, ansonsten zerfrisst einem das eigene Tun die Seele. Der junge Stephen Meyers (Ryan Gosling) erfährt dies so nach und nach in George Clooneys „The Ides of March – Tage des Verrats“. Darin spielt er einen Wahlkampfmanager für den von Clooney selbst gespielten demokratischen Präsidentschaftskandidaten Mike Morris. Und auch wenn es sich erst noch um die Vorwahlen der Demokraten handelt, so muss Meyers bald feststellen, dass auch hier schon mit allen Mitteln, auch schmutzigen, gespielt wird. So wird er vom Wahlkampfmanager (Paul Giamatti) des ersten Herausforderers kontaktiert, der das junge politische Talent kurzerhand abwerben möchte. Das gefällt Meyers Boss Paul Zara (der selige Philip Seymour Hoffman einmal mehr mit einer überzeugenden Darstellung) nicht sonderlich, und die Kaskade der Ereignisse führt zu einem politischen Katz-und-Maus-Spiel, bei dem am Ende keiner mehr weiß, an welcher Stufe der Nahrungskette er steht. „The Ides of March – Tage des Verrats“ ist ein spannender Beitrag zur Perversion politischer Wahlen und deren Beeinflussbarkeit durch die Steuerung der Medienlandschaft. Dass die Realität die Fiktion mal mit Karacho rechts überholen würde durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, hätte damals, als „The Ides of March“ gedreht wurde, wohl auch niemand gedacht. Insofern ist das Bild, das George Clooney in seinem Film vermittelt, erschreckend akkurat. Dieser Film wird in den kommenden Jahren wohl nichts von seiner Relevanz einbüßen. Leider.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Photo by Saeed Adyani – © 2011 IDES FILM HOLDINGS, LLC., Quelle http://www.imdb.com)

Death to 2020 (2020)

Regie: Charlie Brooker
Original-Titel: Death to 2020
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Satire, Politfilm
IMDB-Link: Death to 2020


Ein bisserl Masel hatten die Macher von „Black Mirror“ mit ihrem Jahresrückblick „Death to 2020“ ja schon. Veröffentlicht am 27. Dezember auf Netflix gingen sie frech davon aus, dass in den letzten Tagen des Jahres nichts mehr passieren würde, was in ihrem voreilig veröffentlichten Film sonst fehlen würde. Immerhin hielten sich in den USA die Anhänger des orangenen Proud Boy-Knallkopfs an den Zeitplan und stürmten das Kapitol erst im Jänner. Und so greift „Death to 2020“ im Schnelldurchlauf dann doch alle wichtigen Themen des vergangenen Jahres auf. Schon nach den ersten fünf Minuten wird einem noch einmal so richtig bewusst, was für eine absolute Shitshow auf politischer und gesellschaftlicher Ebene 2020 tatsächlich war. Vieles hat man ja zwischenzeitlich schon erfolgreich verdrängt. Danke, Charlie Brooker, dass du uns den ganzen Mist noch mal nach oben spülst! Waldbrände in Kalifornien, Buschbrände in Australien, Brexit-Chaos, Kettengerassel zwischen Iran und den USA nach der Ermordung von Soleimani, nicht erwähnt, aber durch die Nachrecherche zu dieser Kritik wieder ins Bewusstsein geholt: der Großbrand des Affenhauses in Krefeld, der Terroranschlag in Hanau – und das alles, bevor die erste Fledermaussuppe serviert wurde. Und dann eben dieser wunderschöne Rückfall ins Mittelalter: Eine weltweite Seuche, fundamentalistische Verschwörungstheoretiker, die Wissenschaftler als Ketzer und Häretiker mit Mistgabeln aufspießen wollen, und die Gesandten Gottes in Form der ÖVP-Spitze unter Oberapostel Sobotka, die zum gemeinsamen Gebet ins Parlament laden. Und da soll noch mal einer behaupten, Zeitreisen wären heutzutage noch nicht möglich. Letzteres sparen Charlie Brooker und sein Team gnädigerweise aus, aber Österreich ist nicht der Nabel der Welt, und mit der Aufarbeitung der Fehltritte von Johnson, Bolsonaro und Trump sind die Macher des Films eh gut beschäftigt. Dabei bekommt Brooker tatkräftige Unterstützung aus Hollywood: Samuel L. Jackson als Journalist, Hugh Grant als konservativer Historiker, Lisa Kudrow als dauerlügende Pressetante des Weißen Hauses sind da nur die Speerspitze, Grant und Kudrow dabei die parodistischen Highlights, wenn man von Trump absieht, der selbst seine eigene bestmögliche Parodie abgibt. Das Erschreckende an dem Film ist aber, dass all das, was hier humorvoll aufgearbeitet wird, auch wirklich passiert ist. Da bleibt einem so manches Lachen im Hals stecken. Ein wenig mehr Drive hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle gewünscht, auch sind manche Kommentare zum Weltgeschehen noch immer viel zu zahm – mir wären da noch deutlichere Worte eingefallen. Man hätte den Pegel also durchaus noch etwas nach oben drehen können. 2020 hätte es verdient. Hoffen wir mal, dass es keine Fortsetzung „Death to 2021“ braucht, um diese Empfehlung noch umzusetzen.


6,0
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: © 2020 Netflix, Inc., Quelle http://www.imdb.com)

Vergiftete Wahrheit (2019)

Regie: Todd Haynes
Original-Titel: Dark Waters
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Politfilm, Biopic
IMDB-Link: Dark Waters


Einsamer Anwalt kämpft für das Gute gegen böse, gesichtslose Multikonzerne, die alles tun, um eine unbequeme Wahrheit zu verschleiern. Man kann nicht sagen, dass Todd Haynes‘ Justizfilm neue Pfade betritt oder das Genre gar neu erfindet. Aber wozu auch? Der Inhalt ist brisant genug und basiert noch dazu auf wahren Ereignissen. Ein einzelner Anwalt, der vormals für die größten Chemiekonzerne arbeitete, bekämpft nach Bekanntwerden eines massiven Umwelt- und Gesundheitsskandals zwei Jahrzehnte lang den Chemieriesen DuPont und zwingt durch Beharrlichkeit und leidenschaftlicher Arbeit diesen schließlich in die Knie. Diesen Robert Bilott, von Mark Ruffalo ausgezeichnet gespielt, gibt es wirklich, und ihm ist es zu verdanken, dass zigtausende Geschädigte mittlerweile eine Gesamtentschädigung in Höhe von über 600 Millionen US-Dollar von DuPont ausbezahlt bekommen haben. Ausgangspunkt ist ein Farmer in West Virginia, der vermutet, dass die Erkrankung seiner Kühe etwas mit der Abfallentsorgung der Chemiefabrik in der Nachbarschaft zu tun haben könnte. Todd Haynes zeichnet den langen Weg bis zu den ersten Erfolgen im Kampf gegen das Unrecht sehr unaufgeregt und präzise nach. Er kann sich dabei auf einen großartigen Cast verlassen, der von Mark Ruffalo angeführt wird, aber nicht bei diesem endet. Vor allem Tim Robbins als Chef der Anwaltskanzlei von Robert Bilott zeigt eine seiner besten Leistungen überhaupt. Und auch der Rest der Besetzung kann glänzen, wenngleich diese insgesamt etwas zu kurz kommt – vor allem Anne Hathaway als Bilotts Ehefrau, die dafür sorgen muss, dass der Haushalt funktioniert, wenn sich ihr Mann wieder zu sehr in den Fall verbeißt. Unterm Strich ist „Dark Waters“ ein gerader, ehrlicher Film ohne Schnörkel, der eine komplizierte Geschichte einfach verständlich erzählt, ohne Effekthascherei zu betreiben. Und gerade dadurch bekommt das Thema des Films die Dringlichkeit, die es braucht.


7,0
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Quelle imdb.com)

Die perfekte Kandidatin (2019)

Regie: Haifaa Al Mansour
Original-Titel: The Perfect Candidate
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Komödie, Politfilm
IMDB-Link: The Perfect Candidate


Es braucht halt Frauenpower. Das Mädchen Wadjda war 2012 der erste abendfüllende Kinofilm Saudi-Arabiens und konnte gleich ein weltweites Publikum überzeugen. Gedreht wurde er von Haifaa Al Mansour, die nun mit „Die perfekte Kandidatin“ ihren dritten Spielfilm vorlegt. Und wieder geht es um eine selbstbewusste junge Frau, die zwar mit den starren Grenzen, die ihr das islamische Regime vorgibt, zurecht kommen muss, die aber innerhalb dieser Begrenzungen versucht, ihr eigenes Leben und das Leben anderer zu verbessern. Die junge Ärztin Maryam (Mila Al Zahrani) arbeitet im lokalen Krankenhaus und sehnt sich angesichts der dort prekären Umstände (so gibt es beispielsweise nicht einmal eine asphaltierte Zufahrtsstraße zur Klinik) nach einem besseren Job in Riad. Eher durch Zufall wird sie jedoch plötzlich als Kandidatin für den Gemeinderat aufgestellt – und statt Jobinterviews hält sie nun Wahlkampfreden. Zur Seite stehen ihr ihre beiden Schwestern, während der Vater, ein Musiker, mit seiner Band gerade auf Tour durchs Land tingelt – eine einmalige Chance für ihn, der bislang sein Leben lang auf Feiern spielen musste. Und schon bald zeigt sich, dass die Kandidatin, die anfangs nur milde belächelt wird, die Menschen auch tatsächlich erreichen kann – wenngleich zu Beginn auch nur die Frauen. „Die perfekte Kandidatin“ begeht nicht den Fehler, die Geschichte zu märchenhaft zu erzählen, sondern zeigt vielmehr auf subtile Weise die starren gesellschaftlichen Regeln Saudi-Arabiens auf. Für den westeuropäischen Zuseher scheinen viele Szenen komplett absurd zu sein, geben aber die Lebensrealität der Bevölkerung wider. Spannend daran ist die Selbstverständlichkeit, mit der diese Regeln mitgetragen werden bei gleichzeitigem Erkennen ihrer Absurdität. Allein dieses Spannungsfeld hat im Anschluss an den Film bei zwei Gläsern Wein für mindestens eine Stunde angeregter Diskussion gesorgt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie dieser kritische Blick auf die Gesellschaft wohl in Saudi-Arabien selbst aufgenommen wird. Allein deshalb schon ist „Die perfekte Kandidatin“ ein gelungener und relevanter Film. Darüber hinaus erzählt er mit qualitativ hochwertigen Mitteln eine interessante (Familien-)Geschichte. Für den ersten Kinobesuch eines neuen Films nach dem Lockdown gerade die richtige Wahl.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen Filmverleih)