Musikfilm / Musical

Rocketman (2019)

Regie: Dexter Fletcher
Original-Titel: Rocketman
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Musical, Drama, Biopic
IMDB-Link: Rocketman


Obacht, der Kürbis ist heute auf Krawall gebürstet! Denn er ist im Begriff, dem allseits beliebten Musiker-Biopic „Rocketman“ von Dexter Fletcher ans Bein zu pinkeln. Auf IMDB erfreut sich dieser Film einer guten Bewertung von 7,7, auf Moviepilot schlägt der Durchschnitt der User-Bewertungen immerhin noch mit 7,3 durch – nur der Kürbis ist grantig und gesteht dem Film nicht mehr als 4,5 Punkte zu. Was ist passiert? Schlägt der Schlüsselbeinbruch vielleicht doch aufs Gemüt, ist der Kürbis generell in eine misogyne Phase gerutscht, mag er vielleicht Elton John so gar nicht? Zumindest Letzteres kann ausgeschlossen werden. Dank „Tiny Dancer“ und dessen Einsatz in Almost Famous hat der als Reginald Kenneth Dwight geborene Sänger einen Stein im Kürbisbrett. Da werden dann auch lahmarschige Nummern wie „Candle in the Wind“ verziehen. (Prinzessin Diana war trotzdem eine coole Socke.) Aber warum der Film in meinen Augen dann doch nicht funktioniert, liegt an mehreren Faktoren, die man tatsächlich hätte besser machen können und einem, der wohl unvermeidbar war. Unvermeidbar: Dass der Aufbau dieses Musiker-Biopics halt so ausfällt, wie der Aufbau eines Musiker-Biopics ausfallen muss: Kindheit, das Talent wird erkannt, Tingeln durch diverse Spelunken, der raketenhafte Aufstieg, Ruhm, Drogen, Absturz, Comeback. Die Blaupause für so gut wie alle Filme dieses Genres. Und wenn man mich fragt, welches Musikerleben ich als nächstes verfilmt sehen möchte, dann antworte ich: Keines. Da ich nicht ständig den gleichen Film sehen möchte. Soweit aber zum Unvermeidbaren. Vermeidbar hingegen wäre gewesen, die tollen Nummern, die Elton John geschrieben hat, als qualitativ mäßig dargebotene Karaoke-Nummern einzubauen, die dann auch oft nur kurz angeschnitten werden, ehe man zur nächsten Nummer übergeht. Das hat Bohemian Rhapsody ganz anders und viel überzeugender gelöst. Ich erinnere an den kompletten, sich organisch einordnenden Einbau des Live Aid-Konzerts in den Film. Vermeidbar wäre auch gewesen, Taron Egerton selbst singen zu lassen. Er macht das gar nicht übel – aber von der Stimme Elton Johns ist er dann doch meilenweit entfernt. Und vermeidbar wäre gewesen, Egerton überhaupt zu besetzen. Denn bei allem Respekt – und ich mag den Kerl wirklich gern – aber sein Elton John passt einfach nicht, gerät trotz allen Bemühens zur schlechten Imitation. Und so kommen dann eben nicht mehr als diese 4,5 Kürbisse heraus. Nächster Film, bitte. (Solange es kein Musiker-Biopic ist.)


4,5
von 10 Kürbissen

Junun (2015)

Regie: Paul Thomas Anderson
Original-Titel: Junun
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Dokumentation, Musikfilm
IMDB-Link: Junun


Diesen Tipp verdankte ich prinzipiell dem seligen Hans Hurch, der vor Beginn der letzten von ihm geleiteten Viennale das Publikum zu einer Informationsveranstaltung einlud. Dort machte er auf kleinere Perlen aufmerksam, die sonst vielleicht untergehen könnten. Dass ich aber „Junun“ verpassen könnte, stand von Vornhinein außer Frage, nachdem ich gelesen hatte, wer da aller seiner Finger im Spiel hatte. Beginnen wir mit dem von mir sehr geschätzten Jonny Greenwood. Der ist offenbar nicht damit ausgelastet, mit Radiohead die zeitgenössische Musik zu revolutionieren und Filmmusik zu schreiben. Also geht er nach Indien und bunkert sich dort mit einem Haufen lokaler Musiker (darunter eine Blasmusikkapelle) und dem israelischen Songwriter Shye Ben Tzur in der altehrwürdigen indischen Festung Meherangarh ein, um zu musizieren. Gut, dass er seine alten Spezis Paul Thomas Anderson und Nigel Godrich (den Produzenten von Radiohead) im Gepäck hat, denn so entsteht ein ganzes Album mit wunderbarer israelisch-indisch-westlicher Crossover-Musik, und der Entstehungsprozess wird auch noch filmisch eingefangen. Dabei hält sich Paul Thomas Anderson angenehm zurück. Er lässt Drohnen über die eindrucksvolle Festungsanlage kreisen, als würde er das Geschehen respektvoll aus der Ferne betrachten wollen. Eigentlich ist die nicht einmal eine Stunde dauernde Doku „Junun“ gar kein Film. Es ist ein langer Musikclip, der die Produktion des Albums „Junun“ dokumentiert. Und doch ist keine einzige Sekunde langweilig. Zu faszinierend ist es, diesen allesamt begnadeten und so unterschiedlichen Musikern zuzusehen, wie sie sich aufeinander einschwingen und wie aus ihren jeweiligen Zugängen zur Musik etwas völlig Neues, Einzigartiges entsteht. Die Musik ist absolut mitreißend und zeigt vor allem eines: Dass es auch unter Fremden immer etwas gibt, das sie vereint.

 


7,0
von 10 Kürbissen

Aladdin (2019)

Regie: Guy Ritchie
Original-Titel: Aladdin
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Fantasy, Abenteuerfilm, Musical
IMDB-Link: Aladdin


Eigentlich ist Guy Ritchie ja für den Coolness-Faktor seiner Filme bekannt. In „Aladdin“, der Realverfilmung des Disney-Trickfilmklassikers von 1992, erleben wir mal eine andere Seite von ihm: Jene des Buben, der sich mit leuchtenden Augen an quietschbunter Magie erfreut. Zur Seite steht ihm dabei ein bestens aufgelegter Cast: Mena Massoud ist ein durch und durch sympathischer Aladdin, Naomi Scott eine starke und bezaubernde Prinzessin Jasmin und Will Smith, gegen dessen Besetzung im Vorfeld wohl die lautesten Bedenken zu hören waren, hat in der Rolle des Flaschengeists so viel Spaß wie wohl selten zuvor. Jedenfalls ist seine Performance großartig, und man merkt ihm zu jeder Sekunde die Freude am kindischen Toben an. Allerdings vertraut Guy Ritchie mit seinem Film nicht allein darauf, dass der Cast die Sache im Griff hat – er selbst legt sich auch ordentlich ins Zeug und schafft mit Production Design, den Kostümen und der Kamera eine märchenhafte Welt, wie man sie selten zuvor gesehen hat. Selbst die CGI-Tiere, allen voran Aladdins treuer äffischer Begleiter Abu, sind perfekt ausgearbeitet und ergeben so vollwertige Charaktere, die einem ans Herz wachsen. Natürlich ist „Aladdin“ ein Stück Eskapismus in Reinform, und in keinem Moment muss man sich Sorgen um die Hauptfiguren machen – dazu ist der von Marwan Kenzari gespielte Schurke Jafar auch zu blass und uninteressant. Auch die Musical-Nummern waren nicht so der Brüller und bleiben kaum hängen, zu schematisch sind sie eingesetzt. Aber ein buntes, vergnügliches Spektakel, das zwei Stunden lang gut unterhält, bietet der Film allemal. Durchaus eine positive Überraschung für mich.


7,0
von 10 Kürbissen

Laika (2017)

Regie: Aurel Klimt
Original-Titel: Lajka
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Animation, Musical
IMDB-Link: Lajka


Aurel Klimts „Laika“ ist der Film, auf den ich mich im Vorfeld des Crossing Europe Festivals am meisten gefreut habe: Ein Stop-Motion-Musicalfilm über die Hündin Laika, das erste Lebewesen im Weltall. Traurigerweise ist die reale Laika wenige Stunden nach dem Start der Rakete, die sie ins Weltall geschossen hat, verstorben – vermutlich aufgrund des Stresses. Aurel Klimt erzählt die Geschichte ein wenig anders. Denn in seinem Film wird Laika durch ein schwarzes Loch in eine fremde Galaxie gesogen, wo sie auf einem fantastisch anmutenden Planeten neue Freunde trifft – und sich alten Widersachern stellen muss. Aurel Klimt ist mit diesem Film ein kleines Wunderwerk gelungen. Ich habe ja ein Herz für Stop-Motion-Animationsfilme. Die sind so eine gewaltige Fitzelarbeit, und nur wenige Filmemacher tun sich das wirklich an. Im Ergebnis sieht man das Herzblut, das da hineingesteckt wurde, jedoch immer, ob nun in Wes Anderson großartigen Tier-Abenteuern oder bei Charlie Kaufmans „Anomalisa“, um nur zwei Regisseure zu nennen, die auf diesem Gebiet Meisterwerke geschaffen haben. Aurel Klimt muss sich dahinter aber nicht im geringsten verstecken. So bunt, so ideenreich, so herzerfrischend anders und mit so viel lakonischem Humor erzählt ist sein „Laika“, dass jede Minute Freude macht. Ich wünschte nur, ich wäre nicht in der Spätvorstellung um 23 Uhr gesessen, denn ausgeschlafen und fit hätte ich den Film noch mehr genießen können. Aber das wird hoffentlich noch nachgeholt. In der Zwischenzeit singe ich den Titelsong vor mich hin und schunkele dazu mit: „Lai lai lai lai lai Laika, lai lai Laika!“


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Almost Famous – Fast berühmt (2000)

Regie: Cameron Crowe
Original-Titel: Almost Famous
Erscheinungsjahr: 2000
Genre: Drama, Komödie, Roadmovie, Musikfilm
IMDB-Link: Almost Famous


Zur Erinnerung: 10 Punkte bekommen nur die absoluten Lieblingsfilme von mir, die sich im Laufe der Jahre auch bei Mehrfachsichtungen bewährt (und dabei vielleicht sogar gewonnen) haben. Cameron Crowes autobiographisch geprägter Film „Almost Famous“ gehört zu diesem kleinen Kreis. Und es ist wirklich egal, in welcher Stimmung ich gerade bin – diesen Film kann ich jederzeit erneut sehen. Vielleicht, weil im Grunde jeder so sein möchte wie der 15jährige William Miller (Patrick Fugit), der mit seiner Lieblingsband auf Tour sein darf, um darüber für ein international renommiertes Magazin zu schreiben. Vielleicht, weil Billy Cudrup als Gitarrist so eine coole Socke ist. Vielleicht, weil ich bei jeder Sichtung ein bisschen in Kate Hudsons Penny Lane verschossen bin. Vielleicht, weil ich beim Elton John-Song „Tiny Dancer“ im Bus immer mitsingen möchte. Vielleicht, weil ich beim Intro des eigens für den Film geschriebenen Songs „Fever Dog“ immer Gänsehaut bekomme. Vielleicht, weil ich, wenn ich „I have to go home“ sage, als Antwort im Grunde auch immer „You are home!“ hören möchte. Vielleicht, weil der Film für mich so perfekt wie kein anderer ein bestimmtes Lebensgefühl vermittelt und eine Sehnsucht nach Freiheit, Abenteuer und Zugehörigkeit. (In dieser Hinsicht ist dem Film das ebenfalls grandiose „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ von Rob Reiner zumindest ähnlich.) „Almost Famous“ ist eine große Filmliebe von mir. Ein Film für alle, die das Gefühl haben, im falschen Jahrzehnt geboren zu sein – und für all jene, die im richtigen Jahrzehnt geboren wurden und sich das Gefühl ihrer Jugend wieder zurückholen möchten.


10
von 10 Kürbissen

Greatest Showman (2017)

Regie: Michael Gracey
Original-Titel: The Greatest Showman
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Musical, Biopic, Drama
IMDB-Link: The Greatest Showman


Hollywood liebt Geschichten über das Showbusiness. Und wenn diese auch noch in Form eines Musicals erzählt werden, haben Produzenten feuchte Augen vor Freude. „The Greatest Showman“, der lose auf der Biographie von P.T. Barnum, einem Pionier des Zirkus, basiert, war auch ein großer Erfolg. Hugh Jackman darf mal wieder singen (und das tut er ja sehr gerne), Zac Efron darf zeigen, dass er nicht nur gelangweilt aussehen kann, Michelle Williams darf hingegen ausnahmsweise mal gelangweilt sein (und mit Handkuss den wohl beträchtlichen Scheck für ihre Nebenrolle, in der sie hoffnungslos unterfordert ist, einstreifen), und die Sängerin Keala Settle singt mit „This Is Me“ eine der großen Hymnen der vergangenen Filmjahre. Auch ist die Geschichte des Zirkus der Außenseiter unterhaltsam erzählt, und die Showeinlagen wissen durchaus zu überzeugen. So weit, so gut. Allerdings kümmert sich der Film nicht um historische Exaktheit, sondern trampelt sogar mit großen Elefantenfüßen (und das ist wortwörtlich gemeint) auf den historischen Begebenheiten herum. Das ist wahnsinnig schade und unnötig, denn so verkommt der Film zu einer Feelgood-Kitsch-Orgie, das viele ernste und gut gemeinte Themen mit einem Zuckerguss überstreut, der eine eingehendere Beschäftigung fast unmöglich macht. Es fehlen die leisen Zwischentöne. Für einen unterhaltsamen Filmabend reicht es allemal – dafür sorgen allein schon die Schauwerte des Films – aber richtig berühren konnte mich „The Greatest Showman“ nur selten, da er nur zu offensichtlich darauf abzielt, auf die Tränendrüsen zu drücken. Wer dafür empfänglich ist (und das ist völlig wertfrei gemeint), wird seine große Freude an diesem handwerklich gut gemachten und von den Darstellern mit viel Enthusiasmus gespieltem Film haben. Wer es allerdings etwas subtiler mag, wird wohl erschlagen vom Bombast.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 44 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)

 


5,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=AXCTMGYUg9A

Yentl (1983)

Regie: Barbra Streisand
Original-Titel: Yentl
Erscheinungsjahr: 1983
Genre: Musical, Liebesfilm, Drama
IMDB-Link: Yentl


„Yentl“ ist die volle Dröhnung Barbra Streisand. Sie hat hier gleich alles gemacht, was man in einem Film so machen kann: Das Drehbuch geschrieben. Regie geführt. Die Hauptrolle übernommen – und zwar gleich die weibliche und männliche zusammen, wenn man so will. Und gesungen hat sie auch. Das sehr schön, aber etwas Anderes wird von Barbra Streisand auch nicht erwartet. Besungen hat sie eine etwas kitschige, aber doch sehr rührige und sensibel erzählte Feminismus-Geschichte. Osteuropa Anfang des 20. Jahrhunderts: Yentl ist eine junge Jüdin, die allein bei ihrem Vater aufwächst, der sie im Talmud und den Wissenschaften unterrichtet – heimlich, da dies Frauen verboten ist. Und als der alte Vater seinen letzten Atemzug getan hat, flüchtet Yentl aus dem Dorf, in dem sie nur Haushaltsarbeit und geschwätzige Weiber erwarten. Sie geht in die Stadt und schleicht sich, als Mann verkleidet unter dem Namen Anshel, in eine Religionsschule ein, wo sie schon bald zu den Besten gehört. Blöd, dass sie sich in ihren Mitstudenten Avigdor verschaut, der wiederum die schöne Hadass heiraten soll, was allerdings abgeblasen wird, als deren Familie vom Selbstmord von Avigdors Bruder erfährt. So einem potentiellen Melancholiker vertraut man den rothaarigen Augapfel der Familie, der noch dazu so gut backen und Tee servieren kann, nicht an. Das wiederum lässt in Avigdor einen verzweifelten Plan reifen, um seiner Hadass doch noch irgendwie nahe zu sein: Anshel soll sich nun um die offene Stelle als Bräutigam bewerben. Und da Anshel/Yentl wiederum selbst so sehr in Avidgor verknallt ist und fürchtet, dass er sich aus dem Staub macht, wenn sie in den aberwitzigen Plan nicht einwilligt, stimmt sie zu. Was macht man nicht alles für die Liebe? Und klar, dass dieses dreifache Versteckspiel nicht lange gut gehen kann. Was nach einer überdrehten Screwball-Komödie klingt, ist, wie schon erwähnt, ein feinfühlig erzähltes Musical-Drama, das seine Figuren ernst nimmt. Auch wenn sie schmachtend singen. (Gut, es singt eh nur die Streisand, das dafür umso öfter und inbrünstiger.) Wer sich am 90bisschen Herzschmerz und vielen schmalzigen Musical-Arien nicht stört, hat an dem Film sicher seine Freude. Unterhaltsam und interessant ist er allemal.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 42 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,5
von 10 Kürbissen

Bohemian Rhapsody (2018)

Regie: Bryan Singer
Original-Titel: Bohemian Rhapsody
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Musikfilm
IMDB-Link: Bohemian Rhapsody


Eine ganz einfache Frage zu Beginn an den Leser: Wie viel kannst du mit der Musik von Queen anfangen? Wenn die Antwort darauf ist: „Viel!“, dann kannst du an dieser Stelle zu lesen aufhören. Stattdessen marschiere einfach schnurstracks in das nächste Kino und setze dich in „Bohemian Rhapsody“. As simple as that. Denn Bryan Singers Biopic ist Queen pur und Heldenverehrung in ihrer lautesten Form. Spätestens wenn beim ersten Auftritt der jungen Band (damals noch unter dem Bühnennamen Smile) Brian May auf seiner Red Special zum Riff von „Keep Yourself Alive“ ansetzt, möchte man aus dem Kinosessel springen und kräftig mithüpfen. (Kommt aber leider nicht so gut, wenn man das macht.) Rami Malek ist ein fantastischer Freddie Mercury, Ben Hardy ein überzeugender (und sexy) Roger Taylor, Joseph Mazzello ein authentischer, staubtrockener John Deacon – und Brian May wird von Brian May gespielt. Ehrlich – die haben doch eine Zeitmaschine erfunden, sind ins Jahr 1973 gedüst, haben dort Brian May aufgegabelt und ihn ins Jahr 2018 verfrachtet, wo er nun an der Seite von Schauspielern die eigene Bandgeschichte nachspielt. Muss ein seltsames Gefühl für ihn gewesen sein. Aber dass sich hinter der Figur der Schauspieler Gwilym Lee verbergen soll, nein, das kaufe ich euch nicht ab! Jedenfalls ist das Casting allein schon meisterhaft. Und dann die Energie, die während der Konzertaufnahmen eingefangen wird, vor allem im großen Finale und Herzstück, dem legendären Live Aid-Auftritt von 1985, sucht auch ihresgleichen. In dieser Hinsicht ist der Film ganz groß. Und wenn man die Musik von Queen mag, reicht das völlig aus, um diesen Film zu feiern und vielleicht sogar abgöttisch zu lieben. Wenn man das alles ein bisschen differenzierter betrachten möchte, so stehen als Wermutstropfen eine nicht ganz schlüssige und dramaturgisch arg verdichtete Chronologie (der Pferdefuß der meisten Biopics), auch – als Queen-Kenner wird einem das auffallen – was die Reihenfolge der Songs betrifft („Fat Bottomed Girls“ zB kommt viel zu früh, „Another One Bites the Dust“ hingegen zu spät), das Ausblenden der Jahre nach 1985 (und auch da ist noch verdammt viel Relevantes passiert in der Geschichte der Band sowie in Freddie Mercurys Leben) sowie die Tatsache, dass das Biopic an sich recht klassisch und routiniert erzählt wird. Sprich: Brav. Die großen Exzesse und Dramen werden nur angedeutet, und man hat nicht wirklich das Gefühl, die Menschen hinter den öffentlichen Legenden näher kennenzulernen. Aber, wie gesagt, man wird dafür entschädigt mit wirklich grandioser Musik und dem Gefühl, etwas ganz Großem beizuwohnen. Was ich täte, wenn ich eine Zeitmaschine hätte? Klar – ins Jahr 1985 reisen, zum Wembleystadion pilgern, und Augen- und Ohrenzeuge eines der großartigsten Konzertauftritte der Musikgeschichte werden.


8,0
von 10 Kürbissen

Climax (2018)

Regie: Gaspar Noé
Original-Titel: Climax
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Horror, Thriller, Musikfilm
IMDB-Link: Climax


Will man Gaspar Noés neuesten Film „Climax“ so knapp wie möglich zusammenfassen, kann man das auf diese Weise tun: Party hard! Nach einer Probe feiern die jungen Tänzerinnen und Tänzer, die für einige Tage in einem alten Schulgebäude untergebracht wurden, um sich auf eine Tournee durch Frankreich und die USA vorzubereiten. Es gibt Sangria, spektakuläre Tanzeinlagen (meist von oben gefilmt, Gaspar Noé lässt gerne mal die Kamera irgendwo herunterhängen – ist ja auch praktisch, wenn man sie an der Decke aufhängt, da ist sie nicht im Weg und man weiß immer, wo sie ist), Drogen, Alkohol, geschmeidige Bewegungen, Eifersucht, Machogehabe – was man halt so erwartet, wenn Noé eine Party inszeniert. Doch irgendwann fällt auf, dass in die Sangria offenbar noch ein paar Geheimzutaten gemischt sind. Was folgt, ist ein Horrortrip auf Drogen. Sämtliche Hemmungen fallen, die Nerven werden blank nach außen gekehrt, Ängste auf die Tanzfläche gekotzt. Die fiebrige Kamera ist stets nah dran, und wenn sich nach einem Stromausfall die völlig durchgeknallten Tänzer teils in Ekstase, teils in purer Panik auf dem durch die Notbeleuchtung rot schimmernden Boden wälzen und sich die Kamera auf den Kopf stellt, haben die Bilder etwas furchteinflößend Dämonisches an sich – als würden die durchgeknallten Berauschten von der Decke hängen. Das ist schon eine verdammt starke Einstellung und sorgt für Bilder, die man nicht oft sieht und vor allem auch nicht so schnell vergisst. Aber das ist generell eine Stärke von Noé – die sich aber auch in eine Schwäche wandeln kann, wenn diese Effekte nämlich zu repetitiv und uninspiriert eingesetzt werden. Und das ist hier zuweilen der Fall. Noé hat schon so oft versucht, das Publikum zu schocken, dass es genau das von ihm erwartet – und ihm fällt dazu nichts Neues mehr ein. So ist „Climax“ ein bildgewaltiger Albtraum, aber er ist unterm Strich auch zu berechnend, um die verstörende Meisterschaft von „Irreversibel“, Noés bislang bestem Werk, zu erreichen.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Vox Lux (2018)

Regie: Brady Corbet
Original-Titel: Vox Lux
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Vox Lux


Grenzerfahrungen im Rahmen der Viennale: Um Viertel nach 4 in der Früh aufstehen, damit man sich „Vox Lux“ von Brady Corbet als Frühstücksfilm vor der Arbeit hineinziehen kann. Das Team des Gartenbaukinos wappnete sich gut für den Ansturm der Kinozombies und stellte neben Süßgebäck, Müsli und Kakao gleich drei Ausgabestellen für einen richtig starken Espresso zur Verfügung. Doch spätestens nach der heftigen Eröffnungsszene waren ohnehin alle munter im Kinosaal. Diese heftige Szene führt in weiterer Folge zum Aufstieg der 14jährigen Celeste in den Pop-Himmel. Begleitet wird sie dabei von ihrer älteren Schwester und dem von Jude Law gespielten Manager. Man muss nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und die Chance ergreifen, auch wenn die richtige Zeit und der richtige Ort die Gedenkfeier für die Toten eines Massakers ist. Und selbst wenn die Gefühle echt sind, so geht man doch gewissermaßen über Leichen. Wenn man bereits in so jungen Jahren hofiert wird und eigentlich gar keine Zeit hat zur Trauerbewältigung, weil man plötzlich der neue Superstar am Firmament ist, ist es kaum verwunderlich, wenn man in späteren Jahren ein wenig exzentrisch und entrückt von der Welt wirkt. So geht es Celeste 17 Jahre später, herausragend und Oscar-verdächtig gespielt von Natalie Portman. Sie hat nun selbst eine Tochter im Teenager-Alter (und man wundert sich nicht wirklich darüber, dass es dazu gekommen ist), und ist vollends gefangen in der PR-Maschinerie, die einen fast unweigerlich schnetzelt, wenn man jung und beeinflussbar zu großem Ruhm kommt. Dass darunter die Beziehung zur Tochter, zur Schwester, zu allen Menschen, die ihr eigentlich nahestehen sollten, leidet, überrascht ebenso wenig. Ein großes Comeback-Konzert soll der Karriere des einstigen Teenager-Stars zu neuem Schub verleihen. Doch dieses wird im Vorfeld überschattet von einer neuerlichen Gewalttat, die Celeste in ihre eigene Vergangenheit zurückschleudert und mit alten Ängsten konfrontiert. In dieser Beziehung ist „Vox Lux“ klug konzipiert. Der Film kreist um mehrere Spielarten von Massenhysterie – sei es um die Angst vor Anschlägen in unserer heutigen Zeit oder aber auch die Hysterie, die man Popstars entgegenbringt. Das vermischt sich zu einem gefährlichen Cocktail. Im Mittelpunkt steht dabei immer Celeste – und was diese Ängste und Erwartungen mit ihr machen.  Das alles wird ironisch distanziert von Willem Dafoe als Erzähler aus dem Off. Allerdings hat der Film auch trotz aller Stärken unübersehbare Schwächen, darunter vor allem das Ende, das aus einer überlangen Konzertszene besteht, die zwar Celeste noch einmal in ihrem Element zeigt, aber die Geschichte nicht zu einem runden Abschluss bringen kann. Auch werden die Beziehungen der Figuren untereinander im Grunde nur am Rande und sehr oberflächlich betrachtet – trotz vieler Dialogzeilen. Vielleicht ist das auch ein von Brady Corbet gewünschter Effekt – die Protagonisten bleiben isoliert voneinander. Aber es fördert nicht unbedingt das Interesse an den Figuren, jedenfalls nicht bei mir. Und so ist „Vox Lux“ ein zwar durchaus aktueller und zeitgemäßer Film mit einer überragend aufspielenden Natalie Portman, lässt den Zuseher dann aber doch auch etwas ratlos zurück.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 50 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=dolxUIZzb3w