Biopic

The Favourite – Intrigen und Irrsinn (2018)

Regie: Giorgos Lanthimos
Original-Titel: The Favourite
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Historienfilm, Biopic
IMDB-Link: The Favourite


Giorgos Lanthimos hat es mit Tieren. In „Dogtooth“ redet ein Vater seinen Kindern ein, dass das gefährlichste Tier der Welt die Katze sei. In „The Lobster“ verwandelt er gleich paarungsunfähige Zeitgenossen in Tiere. Und in „The Favourite“ gibt es Entenrennen zu bestaunen und Kaninchen, die stellvertretend für die toten Kinder der Königin herhalten müssen. Im Gegensatz zu seinen früheren Werken gibt sich Lanthimos in seinem neuesten Werk allerdings erstaunlich zugänglich. Vordergründig ist „The Favourite“ ein Kostümfilm über die unfähige Queen Anne (zum Niederknien gespielt von Olivia Colman) und den Intrigen an ihrem Hof, befeuert durch ihre enge Vertraute und Ratgeberin Lady Marlborough (Rachel Weisz, smells like Oscar spirit) und der tief gefallenen Adeligen Abigail (Emma Stone, die ihren Kolleginnen um nichts nachsteht), die sich wieder nach oben arbeiten möchte in der Gesellschaft. Und die mit ihren Ambitionen naturgemäß die Stellung von Lady Marlborough bedroht, was diese nicht auf sich sitzen lassen möchte. Zwischen diesen beiden intriganten Damen und der Königin förmlich zermalmt werden die männlichen Figuren, die hier definitiv nichts zu melden haben. Frauenpower ist angesagt in Lanthimos‘ Werk, und das auf eine so schauerlich bitterböse Weise, dass einem schier die Luft wegbleibt und man eigentlich nur noch Mitleid mit den Figuren hat – mit allen nämlich. Genüsslich seziert Lanthimos Machtgefälle und Abhängigkeiten und kommt am Ende zu einem konsequenten Schluss: Intrigen gehen nie gut aus, am Ende sind alle verletzt. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist dekadent ausgestattet, hinreißend gespielt, mit scharfzüngigen Dialogen und herrlich unkonventionellen Szenen gespickt – und immer wieder für eine Überraschung gut, in der Lanthimos zeigt, dass Authentizität nicht sein Ding ist, sondern vielmehr die innere Logik und Dramaturgie der Welt, die er filmisch vermisst. Und die ist immer stimmig, selbst wenn sie für die seltsamste und denkwürdigste Tanzeinlage seit „Pulp Fiction“ sorgt.


8,5
von 10 Kürbissen

Julie & Julia (2009)

Regie: Nora Ephron
Original-Titel: Julie & Julia
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Biopic, Drama, Komödie
IMDB-Link: Julie & Julia


Gleich vorweg: Es gibt zwei gute Gründe, „Julie & Julia“ anzusehen. Der eine Grund ist Meryl Streep. Und der andere Amy Adams. Wenn die mitspielen, kann man eigentlich nichts falsch machen, zwei herausragende Größen ihrer Zunft (und auf Amy Adams habe ich zudem einen kleinen Crush, also, Amy, falls du meinen Blog lesen solltest: Darf ich dich zum Essen einladen?) Und schon wären wir beim Film selbst, denn in diesem geht es um kulinarische Kostbarkeiten, deren Zubereitungen und wie sie ein Leben (oder zwei) ändern können. Denn Julia Child (Meryl Streep) ist eine gelangweilte Amerikanerin in Paris, die als Zeitvertreib das Kochen für sich entdeckt, und gegen alle Widerstände und nur getragen vom Glauben an sich selbst und der Unterstützung ihres liebevollen Ehemanns (wunderbar warmherzig: Stanley Tucci) zu einer erfolgreichen Kochbuch-Autorin wird. Und Julie Powell (Amy Adams) ist eine etwas frustrierte Callcenter-Mitarbeiterin, die an ihrem Vorhaben, einen Roman zu schreiben, gescheitert ist, irgendwann aber die Idee hat, alle Rezepte aus Julia Childs Kochbuch innerhalb eines Jahres nachzukochen und darüber zu bloggen. So finden beide Frauen zu sich selbst. „Julie & Julia“ ist ein wirklich netter, leichtfüßiger Film, der den komödiantischen Anteil nicht übertreibt und das Drama nur subtil mitschwingen lässt. Eine ausgewogene Sache also, nicht unbedingt spektakulär, aber kurzweilig anzusehen. Ein Film, den man an einem verregneten Sonntagnachmittag auf der Couch gerne mal einlegen kann. Allerdings sollte das Telefon für die Bestellung beim Lieferservice griffbereit liegen, denn der Film macht tatsächlich Hunger. Und wenn es dann beim Abspann nicht gleich klingelt und keine dampfende Köstlichkeit in die Wohnung gebracht wird, schlägt sich das durchaus negativ aufs Gemüt. Man lädt den Ärger dann vielleicht sogar noch beim Film ab mit einer schlechten Bewertung – und das hat er sicher nicht verdient.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 67 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen

Greatest Showman (2017)

Regie: Michael Gracey
Original-Titel: The Greatest Showman
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Musical, Biopic, Drama
IMDB-Link: The Greatest Showman


Hollywood liebt Geschichten über das Showbusiness. Und wenn diese auch noch in Form eines Musicals erzählt werden, haben Produzenten feuchte Augen vor Freude. „The Greatest Showman“, der lose auf der Biographie von P.T. Barnum, einem Pionier des Zirkus, basiert, war auch ein großer Erfolg. Hugh Jackman darf mal wieder singen (und das tut er ja sehr gerne), Zac Efron darf zeigen, dass er nicht nur gelangweilt aussehen kann, Michelle Williams darf hingegen ausnahmsweise mal gelangweilt sein (und mit Handkuss den wohl beträchtlichen Scheck für ihre Nebenrolle, in der sie hoffnungslos unterfordert ist, einstreifen), und die Sängerin Keala Settle singt mit „This Is Me“ eine der großen Hymnen der vergangenen Filmjahre. Auch ist die Geschichte des Zirkus der Außenseiter unterhaltsam erzählt, und die Showeinlagen wissen durchaus zu überzeugen. So weit, so gut. Allerdings kümmert sich der Film nicht um historische Exaktheit, sondern trampelt sogar mit großen Elefantenfüßen (und das ist wortwörtlich gemeint) auf den historischen Begebenheiten herum. Das ist wahnsinnig schade und unnötig, denn so verkommt der Film zu einer Feelgood-Kitsch-Orgie, das viele ernste und gut gemeinte Themen mit einem Zuckerguss überstreut, der eine eingehendere Beschäftigung fast unmöglich macht. Es fehlen die leisen Zwischentöne. Für einen unterhaltsamen Filmabend reicht es allemal – dafür sorgen allein schon die Schauwerte des Films – aber richtig berühren konnte mich „The Greatest Showman“ nur selten, da er nur zu offensichtlich darauf abzielt, auf die Tränendrüsen zu drücken. Wer dafür empfänglich ist (und das ist völlig wertfrei gemeint), wird seine große Freude an diesem handwerklich gut gemachten und von den Darstellern mit viel Enthusiasmus gespieltem Film haben. Wer es allerdings etwas subtiler mag, wird wohl erschlagen vom Bombast.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 44 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)

 


5,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=AXCTMGYUg9A

Mary Shelley (2017)

Regie: Haifaa Al Mansour
Original-Titel: Mary Shelley
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Biopic, Drama, Liebesfilm, Historienfilm
IMDB-Link: Mary Shelley


Es hat eine Weile gedauert, bis dieser Streifen den Weg in unsere Lichtspielhäuser fand. Im September 2017 feierte „Mary Shelley“ von Haifaa Al Mansour in Toronto seine Premiere, im April 2018 lief der Film in Frankreich an, im Mai in den USA und nun, Ende Dezember, hat auch das deutschsprachige Publikum die Chance, der Entstehung eines Monsters beizuwohnen. Das Monster ist in diesem Fall die Liebesbeziehung zwischen Mary Godwin und Percy Shelley, deren emotionale Achterbahnfahrt schließlich in „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ mündet, vielleicht der beste und humanstischste Schauerroman, der jemals geschrieben wurde. Bis allerdings die Muse die 18jährige Mary (sehr bemüht verkörpert von Elle Fanning) packt, dauert es fast zwei Stunden. Denn im Grunde hat der Film wenig Interesse für den berühmten Roman, sondern fokussiert auf die Geschichte der späteren Mary Shelley, die in wilder Ehe gemeinsam mit ihrer Stiefschwester Claire Clairmont (Bel Powley) mit dem Dichter, Lebemann, Atheisten und rücksichtslosen Arschloch Percy Shelley (Douglas Booth, zu schön, um glaubhaft zu sein) zusammenlebt und versucht, an seiner Seite nicht komplett unterzugehen. In einem verregneten Sommer in Genf bei Lord Byron (Tom Sturridge) gehen schließlich die Wogen hoch, und ein Monster wird geboren. „Mary Shelley“ ist ein sehr bemühter Kostümfilm mit feministischer Agenda. Mary ist eine Suchende, die sich von gesellschaftlichen Konventionen nicht vorschreiben lässt, wie sie zu leben hat. Der Film hat allerdings ein gewaltiges Problem: Die Liebesgeschichte wird auf Rosamunde Pilcher-Niveau erzählt. Die Figuren, ihre Emotionen und Reaktionen, sind hoffnungslos überzeichnet, die Psychologie und damit die Glaubhaftigkeit leidet sehr darunter. Vor allem Douglas Booth ist überfordert, sein Percy Shelley gerät zur Witzfigur. Der Rest des Casts macht seine Sache gut, kann aber gegen diese schmalzige Inszenierung auch nicht viel ausrichten. Insofern: Wenn der Film am 14. Februar noch laufen sollte und ihr euer Valentinstag-Date klar gemacht habt, dann wäre dieser Anflug von Herzschmerz wahrscheinlich gerade passend. Ein guter Film ist „Mary Shelley“ trotz großem Potential allerdings nicht geworden.


4,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm Verleih)

Bohemian Rhapsody (2018)

Regie: Bryan Singer
Original-Titel: Bohemian Rhapsody
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Musikfilm
IMDB-Link: Bohemian Rhapsody


Eine ganz einfache Frage zu Beginn an den Leser: Wie viel kannst du mit der Musik von Queen anfangen? Wenn die Antwort darauf ist: „Viel!“, dann kannst du an dieser Stelle zu lesen aufhören. Stattdessen marschiere einfach schnurstracks in das nächste Kino und setze dich in „Bohemian Rhapsody“. As simple as that. Denn Bryan Singers Biopic ist Queen pur und Heldenverehrung in ihrer lautesten Form. Spätestens wenn beim ersten Auftritt der jungen Band (damals noch unter dem Bühnennamen Smile) Brian May auf seiner Red Special zum Riff von „Keep Yourself Alive“ ansetzt, möchte man aus dem Kinosessel springen und kräftig mithüpfen. (Kommt aber leider nicht so gut, wenn man das macht.) Rami Malek ist ein fantastischer Freddie Mercury, Ben Hardy ein überzeugender (und sexy) Roger Taylor, Joseph Mazzello ein authentischer, staubtrockener John Deacon – und Brian May wird von Brian May gespielt. Ehrlich – die haben doch eine Zeitmaschine erfunden, sind ins Jahr 1973 gedüst, haben dort Brian May aufgegabelt und ihn ins Jahr 2018 verfrachtet, wo er nun an der Seite von Schauspielern die eigene Bandgeschichte nachspielt. Muss ein seltsames Gefühl für ihn gewesen sein. Aber dass sich hinter der Figur der Schauspieler Gwilym Lee verbergen soll, nein, das kaufe ich euch nicht ab! Jedenfalls ist das Casting allein schon meisterhaft. Und dann die Energie, die während der Konzertaufnahmen eingefangen wird, vor allem im großen Finale und Herzstück, dem legendären Live Aid-Auftritt von 1985, sucht auch ihresgleichen. In dieser Hinsicht ist der Film ganz groß. Und wenn man die Musik von Queen mag, reicht das völlig aus, um diesen Film zu feiern und vielleicht sogar abgöttisch zu lieben. Wenn man das alles ein bisschen differenzierter betrachten möchte, so stehen als Wermutstropfen eine nicht ganz schlüssige und dramaturgisch arg verdichtete Chronologie (der Pferdefuß der meisten Biopics), auch – als Queen-Kenner wird einem das auffallen – was die Reihenfolge der Songs betrifft („Fat Bottomed Girls“ zB kommt viel zu früh, „Another One Bites the Dust“ hingegen zu spät), das Ausblenden der Jahre nach 1985 (und auch da ist noch verdammt viel Relevantes passiert in der Geschichte der Band sowie in Freddie Mercurys Leben) sowie die Tatsache, dass das Biopic an sich recht klassisch und routiniert erzählt wird. Sprich: Brav. Die großen Exzesse und Dramen werden nur angedeutet, und man hat nicht wirklich das Gefühl, die Menschen hinter den öffentlichen Legenden näher kennenzulernen. Aber, wie gesagt, man wird dafür entschädigt mit wirklich grandioser Musik und dem Gefühl, etwas ganz Großem beizuwohnen. Was ich täte, wenn ich eine Zeitmaschine hätte? Klar – ins Jahr 1985 reisen, zum Wembleystadion pilgern, und Augen- und Ohrenzeuge eines der großartigsten Konzertauftritte der Musikgeschichte werden.


8,0
von 10 Kürbissen

Aufbruch zum Mond (2018)

Regie: Damien Chazelle
Original-Titel: First Man
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Historienfilm, Biopic
IMDB-Link: First Man


Nächstes Jahr jährt sich die erste Mondlandung zum 50. Mal. Ihr wisst schon – Neil Armstrong (der Astronaut, nicht der Radfahrer und auch nicht der Trompeter) mit seinem kleinen Hüpfer, den geschätzt fünfhundertfünfzig Fantastilliarden Menschen live vor den Fernsehgeräten verfolgt haben. Wie es dazu gekommen ist, erzählt Damien Chazelle in seinem Biopic „First Man“. Und zwar nicht so, wie es die EAV besungen haben: „Liebste mein, komm steig in mein Flugzeug ein. Dann flieg ich dich zum Mond, wo die Liebe wohnt, und dort wirst du belohnt.“ Nein, das Ganze ist hochgradig seriöser. Chazelle zeigt Armstrong, gespielt von Ryan Gosling, als schweigsamen, introvertierten Mann, der heftig am frühen Verlust seiner Tochter zu nagen hat. Mag sein, dass er zu den Sternen will, weil er dort seiner Tochter näher ist. Mit seiner Frau (Claire Foy) ist er jedenfalls nicht mehr ganz so eng. Klar, jedes Familienleben hat seine Höhen und Tiefen, und immerhin schaffen die beiden es mit ihren verbliebenen Kindern noch, eine Familie zu sein, aber wie will man schon den gemeinsam erlebten Schmerz verarbeiten, wenn sich der eine Part lieber mit einem Fernglas in den Garten stellt und zum Mond hinaufstarrt anstatt über die Probleme zu reden? Irgendwie ist es dann auch gut, dass sich Neil nach einigen halsbrecherischen Versuchsreihen und tragischen Verlusten dann doch 1969 auf den Weg macht. Ein wenig Distanz (in diesem Fall knapp 400.000 Kilometer) hat schon mancher Beziehung gut getan. Das alles ist durchaus solide und handwerklich gekonnt erzählt. Diesbezüglich kann man Chazelle und seinem Team keinen Vorwurf machen. Dennoch zieht sich der Film ein wenig, denn der (bewusst gewählte) Fokus liegt eindeutig auf Neil Armstrong und der Beziehung zu seiner Familie. Kann man machen, keine Frage, aber dadurch bleibt zwangsweise der technische Part der ganzen Mondlandungsvorbereitung zurück. Zwar wird immer wieder ersichtlich, mit welchem Wahnsinnsoptimismus dieses Projekt angegangen wurde und an wie vielen „Sofern alles klappt“ die ganze Operation hing, aber recht viel Neues erfährt man nicht. Mich hätte vor allem eben der technische Kram interessiert (ohne ihn zu verstehen), denn so wird die Leistung des Teams ein wenig in den Schatten gestellt zu Gunsten von Neil Armstrong – sicherlich eine faszinierende Persönlichkeit, aber eben nur ein Rad im Getriebe dieses bahnbrechenden Projekts. So kann „First Man“ meinen hohen Erwartungen, die ich in den Film hatte, nicht ganz gerecht werden, bietet aber dennoch gute Unterhaltung.


6,0
von 10 Kürbissen

Angelo (2018)

Regie: Markus Schleinzer
Original-Titel: Angelo
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Historienfilm, Biopic
IMDB-Link: Angelo


Dass Markus Schleinzer keine Sissi-Romantik auf die Leinwand bringen würde, wenn er sich der historischen Figur des Angelo Soliman annähert, dem „Hofmohren“ des Kaisers, war zu erwarten. Und auch, dass der Film eher unbequem fürs Publikum werden würde. Dass diese Unbequemlichkeit allerdings mehr der wirren Struktur und einer Zähigkeit im Mittelteil, der viel Geduld und Sitzfleisch erfordert, geschuldet ist, kommt dann aber doch eher überraschend. Dies liegt auch daran, dass der Film zu Beginn Möglichkeiten andeutet, die er später nicht oder nur inkonsequent weiterverfolgt. Denn in der zweiten Szene des Films finden wir uns plötzlich in einer kahlen Fabrikhalle wieder, wo die gerade aus Afrika eingeschifften Jungs medizinisch untersucht werden, sodass eine edle Comtesse eines dieser eingeschüchterten Kinder quasi als „Sozialprojekt“ bei sich aufnehmen kann. Da steckt viel Zunder drinnen, wenn die Figuren in historischer Gewandung vom Neonlicht grell ausgeleuchtet werden. Doch genau das, was vielleicht anfangs irritiert, aber doch auch interessiert, wird danach kaum mehr weiterverfolgt. Statt eine konsequente Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart herzustellen und dem Film eine klare Botschaft dahingehend mitzugeben, wie wir das uns Fremde immer noch als Kuriosum wahrnehmen, verliert sich Schleinzer im Laufe des Films dann doch wieder in bedrückenden historischen Sets. Auch kommt die Struktur und Dramaturgie des Films dem Zuseher nicht unbedingt entgegen. Aufgebaut in drei Akten (Kindheit, das junge Erwachsenenalter, die späten Jahre mit dem bitteren Ende nach dem Tod) wirft der Film nur vereinzelte Schlaglichter auf Angelos Leben. Mit Ausnahme des von Lukas Miko großartig gespielten Kaisers Joseph II. gelingt es kaum, eine Beziehung zu einer Figur aufzubauen. Apropos Lukas Miko: Der legt gerade einen rasanten Aufstieg hin, und damit meine ich nicht nur den vom Junkie in Die Beste aller Welten über einen Adelsmann in Licht bis zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Durch seine Präsenz als an sich selbst zweifelnder Kaiser gelingen dann doch einige intensive Szenen im ansonsten leider ziemlich wirren Mittelteil. Der Schluss hingegen ist gelungen und bietet ein starkes Bild, das noch länger durch die Gedanken kreist. Als Fazit bleibt am Ende jedoch eine gewisse Ernüchterung übrig. Ein starkes Thema mit vielen spannenden Möglichkeiten wurde leider unnötig sperrig umgesetzt und braucht dafür schon ein hart gesottenes Publikum, das auch längere dramaturgische Durststrecken durchzustehen vermag.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 56 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

https://www.youtube.com/watch?v=zQKB4uXqefQ

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (2015)

Regie: Natalie Portman
Original-Titel: Sipur Al Ahava Ve Choshech
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Drama, Biopic, Historienfilm
IMDB-Link: Sipur Al Ahava Ve Choshech


Ein Geständnis vorab: Im Alter von etwa 22 Jahren erwog ich die Möglichkeit, einen anderen Karrierepfad zu verfolgen als den eingeschlagenen. Ich wollte Autorenfilmer werden, meine eigenen Drehbücher schreiben und verfilmen, damit unglaublich erfolgreich und reich und angesehen werden, nach Hollywood gehen, mit Natalie Portman einen Film drehen und sie anschließend heiraten. Sagen wir so: Die Realisierung erwies sich als relativ schwierig, und so habe ich dieses wunderbar durchdachte Projekt dann auch zur Seite gelegt. Ein Drehbuch schreibe ich vielleicht noch, aber bei Natalie Portman könnte möglicherweise der Zug mittlerweile abgefahren sein. (Meine Portion Ultrarealismus für heute, wenn zur nächtlichen Stunde die Einsicht in die Glieder fährt.) Ein Bewunderer von Natalie Portman blieb ich dennoch, und so war es auch nur eine Frage der Zeit, bis ich ihre erste Regie-Arbeit, die Verfilmung von Amos Oz‘ Romanbiographie „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“, sichten würde. Nun war es soweit. Und ich muss leider sagen: Natalie, jetzt bin ich tatsächlich froh, nicht dein angetrauter Mann zu sein, denn als solcher hätte ich wohl sagen müssen: „Na ja, vielleicht ist da die eine oder andere kleinere Schwäche zu bemerken, wenn man genau hinsieht, aber du weißt ja, ich liebe ja alles, was du machst, Schatz, und dein Film ist toll und die Kritiker sind blöd.“ Dieser Eiertanz bleibt mir zum Glück erspart, und so kann ich frei heraus sagen: Sorry, das war nix. Man merkt es dem Film an, dass Portman in der Umsetzung wohl einen zu großen Respekt vor der literarischen Vorlage hatte (die ich im Übrigen selbst leider nicht kenne). Und auch wenn John Hustons Antwort auf Ray Bradburys Frage, wie er denn dessen Drehbuch zu „Moby Dick“ verfilmen wolle, nämlich: „Ich reiße Ihre Seiten aus dem Buch und stopfe sie in die Kamera“, ein prinzipiell löbliches Unterfangen ist, so sollte man nicht darauf vergessen, dass Buch und Film unterschiedliche Medien sind, die jeweils andere Erzählweisen bedingen. Die einzelnen Sequenzen des Filmes finden jedoch nie zueinander, folgen aufeinander in seltsamer Belanglosigkeit, denn das Gewebe, was sie im Buch zusammenhält, die Sprache nämlich, fehlt hier. So ist das alles eine sehr zähe, langatmige, fragmentarische Angelegenheit, die, um dem Genre gerecht zu werden, mit Sepiatönen zugekleistert wurde. Allein Natalie Portman vor der Kamera ist ein Pluspunkt des Films. Hinter der Kamera ist sie es leider nicht. Es tut mir wahnsinnig leid, Natalie, und ich verstehe, dass du mich jetzt garantiert nicht mehr heiraten möchtest.


3,5
von 10 Kürbissen

Nico, 1988 (2017)

Regie: Susanna Nicchiarelli
Original-Titel: Nico, 1988
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Biopic, Musikfilm, Drama
IMDB-Link: Nico, 1988


Nico war ein Phänomen. Das erste deutsche Supermodel, Pop-Art-Ikone, Musikerin mit The Velvet Underground – ihr viel zu kurzes Leben hätte wohl mehr Biographien gefüllt als manche mehrere Hundert Jahre zurückgehende Familienchronik. 1988 kam sie bei einem Fahrradunfall auf Ibiza zu Tode. „Nico, 1988“ von Susanna Nicchiarelli steigt genau dort ein: Man sieht die Sängerin (überragend verkörpert von Trine Dyrholm, aber dazu gleich mehr) auf der Finca, sie nimmt das Fahrrad und verabschiedet sich von ihrem Sohn. Cut. Zwei Jahre davor ist Nico mit ihrer internationalen Band auf Europatournee. Diese hat ihr Manager Richard eingefädelt, der ebenfalls mit von der Partie ist und versucht, die exzentrische und schwer drogenabhängige Nico samt ihrer Begleitband bei Laune zu halten, sodass die Auftritte einigermaßen professionell über die Bühne gehen können. Zwar muss man kleinere Brötchen backen als früher (so sind alle in einem VW-Bus zusammengepfercht und mit der Qualität ihrer Tourneemusiker ist Nico nicht so ganz einverstanden), aber der Hauch von Mysterium und Nostalgie umweht die verschlossene Ausnahmekünstlerin Nico. Immer noch fasziniert sie die Menschen, die in ihren Bann geraten. Doch sie hat ein schweres Kreuz zu tragen – ihr Versagen als Mutter bei ihrem Sohn Ari. Und so ist diese Reise durch Europa mehr eine Reise zu sich selbst und der Versuch, inneren Frieden zu finden. „Nico, 1988“ ist ein klassisches Biopic, das aber dank seiner gewaltigen Hauptdarstellerin Trine Dyrholm deutlich über den Durchschnitt hinausragt. Trine Dyrholm spielt Nico nicht, sie wird zu Nico. Das geht so weit, dass sie die Songs selbst singt und man kaum einen Unterschied bemerkt. Auch der Rest des Casts weiß zu überzeugen, kommt aber mit Ausnahme von John Gordon Sinclair, der mit viel Herzenswärme den Manager Richard spielt, nicht wirklich über die Rolle als Stichwortgeber hinaus. Zu sehr ist alles auf Trine Dyrholm und ihre verletzliche und doch so stolze Nico konzentriert. In diesem Fall ist das aber in Ordnung, denn sie macht in ihrer fragilen Darstellung Nico zu einem Menschen, dem wir auf diese Weise tatsächlich näher kommen. Dazu gibt es jede Menge gute Musik und sehr starke Bilder. Vielleicht hätte man den Film noch ein bisschen straffen können, aber sei’s drum. „Nico, 1988“ ist einfach ein richtig guter Film.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Persepolis (2007)

Regie: Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud
Original-Titel: Persépolis
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Animation, Biopic, Drama, Politfilm
IMDB-Link: Persépolis


Kind zu sein, aufzuwachsen und erwachsen zu werden ist per se schon mal eine unfassbar schwierige Übung. Doch das, was wir wohlstandsverwöhnten Rotzpippn in den Jahren vor, während und nach der Pubertät erleben, ist kein Vergleich zu Marjane Satrapis Aufwachsen. Die iranische Filmregisseurin erlebte als Kind die Islamische Revolution im Iran mit – mit allen negativen Auswüchsen, die die neu ausgerufene Republik in weiterer Folge so zeigte. Ihr Onkel wurde ermordet, viele Freunde verloren Familienmitglieder, die Regeln der patriarchischen Gesellschaft für Frauen wurden strenger und strenger, bis sie in offene Repressalien mündeten. Dem gegenüber steht die Freude am Leben, die sich in illegalen Feiern zeigt oder, wie bei Marjane, in der Liebe zu Hard Rock und Punk. Auch sind weder sie noch ihre Mutter oder Großmutter je um einen Spruch verlegen, wenn sie blöd angemacht werden. Doch die Zeiten sind gefährlich, und so beschließen ihre Eltern, Marjane nach Wien zu schicken, wo sie in Sicherheit aufwachsen soll. Marjane Satrapis Blick zurück ist ausgewogen und reflektiert – sie vergisst weder die guten, unbeschwerten Momente wie jene der völligen Verzweiflung. Dies alles wird mit einer wundervollen Lakonie in einfachen, aber effektiven Schwarz-Weiß-Zeichnungen erzählt. Auch geht Satrapi sehr selbstironisch mit ihrer Entwicklung um, mit den Entscheidungen, die sie gefällt hat, den guten wie den schlechten. Und sie begreift alles, was ihr zugestoßen ist, als Schritte in einem Entwicklungsprozess, der wohl nie abgeschlossen ist – wie es eben so ist im Leben. Das alles macht aus „Persepolis“ einen wirklich wunderbaren Coming of Age-Film mit einer klaren politischen und gesellschaftlichen Dimension, die den Film gerade für uns westliche Zuseher noch einmal zusätzlich hervorhebt über die meisten anderen guten Coming of Age-Filme. Unbedingt empfehlenswert, unabhängig davon, ob man sich für diese Art der Animation begeistern kann.


8,0
von 10 Kürbissen