Thriller

Ich seh, ich seh (2014)

Regie: Veronika Franz und Severin Fiala
Original-Titel: Ich seh, ich seh
Erscheinungsjahr: 2014
Genre: Horror, Thriller
IMDB-Link: Ich seh, ich seh


Was dem österreichischen Film immer wieder gut gelingt, ist es, den Horror im Alltäglichen einzufangen. Michael Haneke hat dafür gute Beispiele gebracht. Hier hüpfen keine blutrünstigen Dämonen oder Vampirnonnen oder weiß der Kuckuck was aus finsteren Ecken – bei uns reicht es, wenn freundliche Nachbarn an der Tür läuten oder die Mama aus dem Krankenhaus nach Hause kommt. Das sagt vielleicht einiges über die österreichische Seele aus, wenn das unsere schlimmsten Albträume sind, aber den philosophischen Diskurs darüber spare ich mir. Lieber zurück zum Horrorthriller „Ich seh, ich seh“ von Veronika Franz und Severin Fiala. Ein einsames Haus im Waldviertel (und gibt es etwas Furchteinflößenderes als das Waldviertel?), ein Zwillingsbrüderpaar, die Mutter nach einem Unfall mit bandagiertem Gesicht und einer seltsamen Wesensänderung. Wo ist sie nur, die liebe, nette Mama, die den Kindern immer Lieder vorgesungen hat? Die neue Mama jedenfalls liegt am liebsten im Dunkeln zuhause bei heruntergelassenen Rollos, sie ist mürrisch und hat neue Regeln mitgebracht, die den beiden Brüdern Elias und Lukas nicht schmecken. Schon bald regen sich erste Zweifel: Ist das wirklich die Mama unter diesem undurchdringlichen Kopfverband? „Ich seh, ich seh“ spielt auf der Klaviatur der Psyche. Der Horror nährt sich hier aus den Zweifeln, die plötzlich an der engst möglichen Bindung überhaupt bestehe – der zwischen Mutter und Kindern. So wie das Vertrauen von Elias und Lukas unterlaufen wird, unterläuft der Film in weiterer Folge auch die Erwartungshaltung der Zuseher. Ich möchte nicht zu viel verraten – nur so viel: auch wenn sich ab einem bestimmten Punkt das Ende abzeichnet, trifft es einen dann doch in die Magengrube. „Ich seh, ich seh“ ist ein wirklich sehr solider Beitrag zum Horrorkino. Vielleicht ist der Film an der einen oder anderen Stelle etwas langatmig erzählt, aber insgesamt eine recht erfrischende Erfahrung.


7,0
von 10 Kürbissen

Schloß Vogelöd (1921)

Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Original-Titel: Schloß Vogelöd
Erscheinungsjahr: 1921
Genre: Drama, Krimi, Thriller
IMDB-Link: Schloß Vogelöd


Man kennt das: Da schmeißt man einfach eine gemütliche Party, und dann taucht genau der eine Vogel dort auf, den man definitiv nicht dabei haben möchte. Weil: Man hat die Witwe seines verblichenen Bruders eingeladen, die auf den Typen nicht gut zu sprechen ist. Wenn die dann auch noch mit ihrem neuen Haberer vorbeikommt und Grumpy Ex-Schwager im Nebenzimmer sitzt, verhagelt das ganz allgemein die Stimmung. So viel Mexikaner kann man gar nicht ausschenken, als dass sich die Gemüter noch erheitern. Wenn’s auch noch dauernd schifft und man ohnehin nichts tun kann, legt man am besten The Cure auf und versucht, irgendwie über die Runden zu kommen, bis der Spuk ein Ende hat. In der Zwischenzeit kann man sich mit bösen Gerüchten und Spekulationen die Zeit vertreiben. Hat denn der Ex nicht den eigenen Bruder auf dem Gewissen? Und wo ist eigentlich der ehrwürdige Pfaffe hin, dem die Ex-Frau des verstorbenen Bruders gerade noch ihr Herz ausgeschüttet hat? In der Nacht werfen diese Fragen allerlei unangenehme Träume auf, was auch nicht gerade zur Erheiterung beiträgt. Kurz: Es liegt was in der Luft. Und der finstere Typ im Nebenzimmer hat etwas damit zu tun.

Wenn ein Film fast 100 Lenze auf dem Buckel hat und trotzdem noch spannend anzusehen ist, dann kann man durchaus von einem Werk für die Filmgeschichte sprechen. „Schloß Vogelöd“ von Altmeister Friedrich Wilhelm Murnau reiht sich da jedenfalls ein, auch wenn der Film ein wenig zurückbleibt hinter seinen größten Werken. Das Setting mit dem alten Herrenhaus im Dauerregen ist aber gut gewählt, die Geschichte spannend und voller Wendungen inszeniert (M. Night Shyamalan muss den gesehen habe, da bin ich mir sicher) und die Darsteller geben auch alles. Da sieht man auch gerne über die eine oder andere kleinere Länge oder darstellerische, der Jugend des Films (der damals wirklich noch in den Kinderschuhen steckte) geschuldete Unbeholfenheit hinweg. Fazit: Kann man auch heute noch sehr gut ansehen.


7,0
von 10 Kürbissen

Widows – Tödliche Witwen (2018)

Regie: Steve McQueen
Original-Titel: Widows
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Thriller, Krimi, Drama
IMDB-Link: Widows


Der Beginn hat es in sich: Gefühlt fünf Minuten und schon steht der Van, in dem eine Verbrecherbande nach ihrem Coup die Flucht versucht, nach heftigem Polizeibeschuss in Flammen. Zurück bleiben die trauernden Witwen Veronica, Linda und Alice (Viola Davis, Michelle Rodriguez, Elizabeth Debicki), die allesamt je einen Mann weniger und viele Sorgen mehr haben. Denn das von ihren Göttergatten gestohlene Geld gehörte dummerweise Jamal Manning (Brian Tyree Henry), der als Außenseiter für das Amt des Bezirksvorstehers kandidieren möchte gegen den windigen Eliteklasse-Vertreter Jack Mulligan (Colin Farrell). Und Manning ist ein Mann, der endlich das große Stück vom Kuchen will, koste es, was es wolle. Und das lässt er auch Veronica spüren. Er will sein Geld wiederhaben, oder sein Kumpel Jatemme (Daniel Kaluuya) sorgt dafür, dass sie sich nie wieder Sorgen machen muss. Glücklicherweise hat Veronicas verblichener Ex (Liam Neeson) ihr ein Notizbüchlein hinterlassen, in dem akribisch alle Details des nächsten geplanten Coups aufgelistet sind. Und der ist fünf Millionen schwer und würde mit einem Schlag alle Probleme lösen. So finden sich die drei trauernden Witwen zusammen, sichern sich noch die Verstärkung von Lindas Nanny Belle (Cynthia Erivo), und machen sich an die Arbeit. Steve McQueen kann bei seinem Genre-Film auf ein ganzes First-Class-Schauspieler-Arsenal zurückgreifen, das neben den Genannten noch durch Robert Duvall und Jackie Weaver in kleinen Nebenrollen veredelt wird. Und McQueen hält seine Star-Truppe auch gut im Zaum. Schauspielerisch ist das alles sehr fein anzusehen. Allerdings ist es nicht leicht, in den Film hineinzufinden. Denn erst nach etwa der Hälfte der 130 Minuten Spielzeit finden die verschiedenen Handlungsstränge zueinander, und viele Figuren, die lange für sich isoliert waren, werden endlich miteinander verbunden. Auch ist auffallend, dass McQueen die Geschichte sehr distanziert erzählt. Er bleibt oft bewusst weg von seinen Figuren, wenn beispielsweise von einem emotionalen Gespräch zwischen Mulligan und seiner Assistentin (Carrie Coon) nichts zu sehen ist, da die Kamera ausschließlich auf die spiegelnde Frontscheibe des Autos, in dem das Gespräch stattfindet, draufhält. Das ist zwar ein interessanter Regieeinfall, bringt dem Zuseher die Figuren aber nicht näher. Und so wird der Film erst in der zweiten Hälfte interessant, wenn die Fäden verknüpft werden und die Handlung Fahrt aufnimmt. So richtig gezündet hat das Werk bei mir dennoch nicht. Aber immerhin weiß ich nun, dass Elizabeth Debicki 190 cm groß ist – das musste ich nach dem Film ergoogeln, nachdem sie ständig aus so großer Höhe auf ihre Kolleginnen heruntergeschaut hat.


6,0
von 10 Kürbissen

Briefe aus dem Jenseits (1947)

Regie: Martin Gabel
Original-Titel: The Lost Moment
Erscheinungsjahr: 1947
Genre: Drama, Thriller, Liebesfilm
IMDB-Link: The Lost Moment


Der Verleger Lewis Venable (Robert Cummings) kommt Anfang des 19. Jahrhunderts nach Venedig, um dort nach den Briefen eines berühmten Dichters an seine Geliebte zu suchen, die er dann für gutes Geld veröffentlichen möchte. Dafür quartiert er sich unter dem falschen Namen im Haus der ehemaligen Geliebten an. Diese ist nicht mehr ganz taufrisch, denn die Episode mit dem berühmten Dichter liegt nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Ihre Nichte Tina (Susan Hayward) ist von dem Besuch weniger begeistert und lässt ihn das auch spüren. Zur Tante selbst entwickelt Lewis allerdings schon bald ein recht gutes Verhältnis, auch wenn die alte Dame, deren faltige Hände sich immer recht unentspannt an die Lehnen ihres Stuhls klammern, ein wenig creepy wirkt. So wie eigentlich auch das ganze Haus, das viel zu groß für die beiden Damen und ihre Haushälterin ist. Und das einige verwinkelte Ecken aufweist, in denen es sich nachts hervorragend herumschleichen lässt. Schon bald ist Lewis auf der Suche nach den verschollenen Briefen tiefer in die persönlichen Angelegenheiten der kleinen Damenrunde verwickelt, als es ihm lieb ist. Vor allem Tina gibt ihm so einiges zu denken auf. „The Lost Moment“ (der deutsche Titel „Briefe aus dem Jenseits“ ist eher irreführend) ist ein klassischer Film Noir. Die Gänge sind dunkel, die Mienen finster, die Schatten lang wie die Nächte, und hinter jeder Ecke lauert ein Geheimnis. Als Vorlage diente Henry James‘ Novelle „The Aspern Papers“, und man merkt dem Film den Geist der Vorlage aus dem 19. Jahrhundert durchaus an. Das erhöht durchaus die Eleganz und damit auch den Reiz des Films. Die Auflösung ist mir persönlich dann etwas zu einfach gestrickt geraten, aber dennoch unterhält der Film auch heute noch sehr gut mit seiner stimmungsvollen Atmosphäre, dem gelungenen Schauspiel und gut inszenierten Spannungsmomenten.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 16 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,5
von 10 Kürbissen

Der Killer von Wien (1971)

Regie: Sergio Martino
Original-Titel: Lo strano vizio della Signora Wardh
Erscheinungsjahr: 1971
Genre: Thriller, Krimi
IMDB-Link: Lo strano vizio della Signora Wardh


Ich muss gestehen: Vor meiner Teilnahme an der Filmreisechallenge war mir das Genre des „Giallo“ kein Begriff. Im Rahmen der Challenge wurde mir aber nun eben auch dieses italienische Filmgenre aufgedrückt, in dem unter anderem Dario Argento für Furore gesorgt hat. Ein Giallo ist ein Krimi/Thriller, in dem stimmungsvoll und stilistisch ansprechend Mordserien mit sehr viel Ketchup und Kunstblut inszeniert werden, die einen Mehrwert durch frei hängende Tutteln attraktiver Schauspielerinnen erfahren. Und wenn einer dieser Filme schon unter dem Titel „Der Killer von Wien“ läuft, ist klar, welcher meiner erster Giallo sein muss. In diesem Streifen kommt die attraktive Signora Wardh (Edwige Fenech, wahnsinnig attraktiv und vom Schöpfer wohlgeformt) mit ihrem Bürokratengatten nach Wien, wo sie auf ihren sadistischen Ex-Lover, einen mysteriösen Macho und eine Mordserie an jungen Damen stößt – Ersteres wie Letzteres zu ihrem Leidwesen, Zweiteres zur Freude der Zuseher, wenn sich Fenech und George Hilton in den Bettlaken wälzen. Schon bald wird klar, dass der Meuchelmörder, der seine Opfer mit einem Rasiermesser aufschlitzt, etwas mit Signora Wardh zu tun hat. Bis es zum Showdown kommt, dürfen sich einige ansehnliche Nebendarstellerinnen mit Kunstblut beschmieren, und Kellner wie Portiere mit einem sehr authentischen Wiener Zungenschlag parlieren. Hierbei hat sich die Synchronisation wirklich etwas gedacht in Sachen Lokalkolorit. All das reicht schon mal aus, um 1,5 Stunden lang vergnügt mitzurätseln, a) wer der Killer ist, b) was er mit Signora Wardh zu schaffen hat und c) wie hoch der Booby Count noch wird. Was die Freude hingegen ein wenig trübt, sind das hölzerne Schauspiel der meisten Beteiligten, die wohl genre-üblichen Logiklöcher und fetzendepperten Handlungen der Damen, denen nachgestellt wird, sowie das Ende selbst. Die Auflösung soll schockieren mit einem genialen Twist. Stattdessen sorgt sie nur für Stirnrunzeln und den Wunsch, dass der Drehbuchautor mittlerweile wieder weg ist von dem Zeug, das ihm dieses Ende eingegeben hat.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 22 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


5,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=Vz2YIrAoFZw

Suspense (1913)

Regie: Lois Weber
Original-Titel: Suspense
Erscheinungsjahr: 1913
Genre: Kurzfilm, Thriller
IMDB-Link: Suspense


Mit Rezensionen von Kurzfilmen ist es so eine Sache. Meistens dauert es länger, sie zu schreiben, als den ganzen Film zu sehen. „Suspense“ von Lois Weber ist so ein Fall. Konsumiert hat man den in knackigen zehn Minuten – und das auch noch kostenlos auf Youtube. Diese zehn Minuten kann wohl wirklich jeder aufbringen, warum also eine Rezension vorab lesen, ob sich die Sichtung lohnt oder nicht? Bei einem 7,5-Stunden-Knüller wie Satanstango sieht die Sache natürlich anders aus, da hilft so eine erste Einschätzung, ob man stattdessen nicht lieber etwas Sinn Stiftendes wie beispielsweise einen ausgedehnten Frühjahrsputz, eine Wanderung auf eine Alm oder die Sichtung einer kompletten Staffel Game of Thrones bewerkstelligten sollte. Aber bei zehn Minuten Laufzeit? Da dauert mancher Klogang länger. Aber weil ich gerade nicht am Häusl hocke und die Zeit habe, kann ich ein paar Zeilen schreiben über diese Pionierarbeit des Films. In „Suspense“ geht es um eine Hausfrau, die allein zuhause hockt, als sie einen Tramp sieht, der um ihr Haus schleicht. Anders als Charlie Chaplins berühmte Figur ist dieser eher von der ungepflegten Art, weshalb die Dame des Hauses gleich mal ihren im Büro weilenden Göttergatten anruft. Doch da ist der Tramp schon im Haus, kappt die Telefonleitung und schleicht durch die Räume. Der Gemahl kapert panisch ein Auto und wetzt mit Volldampf nach Hause, wild verfolgt von der Polizei, die natürlich den Autodieb stellen möchte. Wird er es schaffen, den Gesetzeshütern zu entkommen und rechtzeitig bei seiner Frau zuhause sein, um das Schlimmste zu verhindern? Das erfahrt ihr ab Minute 9. So viel Zeit muss sein. Was an diesem Frühwerk ungemein positiv auffällt, sind die Schnitttechnik, die durchaus als modern zu bezeichnen ist, und die Kameraeinstellungen. Vielleicht war Lois Weber ihrer Zeit diesbezüglich sogar voraus – so sehr bin ich filmgeschichtlich nicht bewandert, als dass ich dazu eine valide Aussage treffen könnte. Aber ob nun Alleinstellungsmerkmal oder nicht: „Suspense“ ist einfach gut und visuell überzeugend gemacht – das Ding fetzt. Da kann man die hanebüchene Story getrost in der Pfeife rauchen, die zehn Minuten kann man dennoch getrost investieren. Und hiermit ist die verdammte Rezi vermutlich länger als der Film selbst.


7,0
von 10 Kürbissen

First Reformed (2017)

Regie: Paul Schrader
Original-Titel: First Reformed
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Thriller
IMDB-Link: First Reformed


Wenn man sich den Zustand der Welt heute ansieht, kann man schon vom Glauben abfallen. So geht es jedenfalls Michael (Philip Ettinger), dem Mann von Mary (Amanda Seyfried). Die ist schwanger, und Michael, ein überzeugter Umweltaktivist, hadert mit dem Gedanken, Nachwuchs in die Welt zu setzen, wenn diese Welt knapp vor dem totalen Kollaps steht. Mary wiederum hätte gerne Kinder, weshalb sie Reverend Toller (Ethan Hawke) bittet, ihrem Mann ins Gewissen zu reden. In einer Dialogszene, deren Intensität an die erste Verhörszene in Tarantinos „Inglorious Basterds“ erinnert, merkt Toller schon bald, wie schwer es ist, jemandem Hoffnung zu machen, wenn man selbst schon knapp vor dem Abgrund stand und fast alle Hoffnung verloren hat und mit Fragen konfrontiert wird, auf die man keine Antworten hat. Der Kampf um das ungeborene Kind wird in einer dramatischen Wendung plötzlich zum Kampf um die eigene Seele. Und was tun, wenn man dann auch noch einen Schuldigen vor Augen hat? Darf man Schuld auf sich laden, um noch größere Schuld zu verhindern? Das Gewissen des Kirchenmannes wird mit jedem Tag mehr belastet, und schon bald wird es schwierig bis unmöglich, Richtig von Falsch zu unterscheiden. Auch alle zwischenmenschlichen Beziehungen erfahren völlig neue Bewertungen. Paul Schraders Film ist sehr intelligent gestrickt und konsequent gedacht und inszeniert, ohne dem Zuseher allerdings das eigene Mitdenken abzunehmen. Vor allem die letzte Szene kann auf Irritation stoßen, wenn man zu sehr am Offensichtlichen festhängt. „First Reformed“ verlangt, dass man sich in die Psychologie der Figuren hineinfühlt. Vieles bleibt unausgesprochen, viele Gespräche erscheinen zunächst auch redundant, dienen aber dazu, die Charaktere und ihre gedanklichen Verstrickungen sichtbar zu machen. Das allerdings führt dazu, dass der Film durchaus seine gelegentlichen Längen hat und beim Zusehen etwas Geduld erfordert. Am Ende wird man dafür belohnt, aber der Weg dahin kann etwas beschwerlicher ausfallen. Der von Ethan Hawke grandios nuanciert gespielte Reverend Toller ist allerdings ein interessanter Charakter, der gleichzeitig Stolz wie Demut, Hoffnung wie Verzweiflung, soziales Gewissen wie Gewissenlosigkeit vereint und dessen Weg man gerne mitverfolgt. Paul Schrader setzt dabei auf das Narrativ des Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat. Reverend Toller ist so etwas wie die sanfte und eloquente Version von Scorseses „Taxi Driver“. „First Reformed“, derzeit im Gartenbaukino in Wien zu sehen, ist ein ruhig erzählter, aber im Nachhinein aufwühlender Film und definitiv empfehlenswert.


7,5
von 10 Kürbissen

Gegen den Strom (2018)

Regie: Benedikt Erlingsson
Original-Titel: Kona Fer Í Stríð
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Kona Fer Í Stríð


Es ist eine beschlossene Sache. Wenn ich im nächsten Leben nicht als Hauskatze wiedergeboren werde, dann werde ich Isländer. Ich bin dann ein begnadeter Handballer, extrem erfolgreich im Fußball, ein außergewöhnlicher und kreativer Musiker, züchte Schafe und Ziegen (und, ehrlich: gibt es ein lässigeres Tier als die Ziege?), meine Tochter heißt Freyja Kürbisdottir, ich habe international eine Vorbildwirkung in Politik und Integration, erfreue mich an den Haubentauchern im Garten, und meine Filme sind der absolute Hammer. Isländer können einfach alles. Selbst Haie vergammeln lassen, um sie dann zu essen. Aber gut, lassen wir das mit den Haien, konzentrieren wir uns lieber auf den diesjährigen Überraschungsfilm der Viennale, nämlich den Film „Gegen den Strom“ von Benedikt Erlingsson. Darin geht es um eine Frau in ihren Vierzigern, die als politische Guerilla-Aktivistin gerne mal das nationale Stromnetz lahmlegt, um die Schwerindustrie in die Knie zu zwingen, während sie sich gleichzeitig auf ihre Rolle als Adoptivmutter einer ukrainischen Kriegswaisen vorbereiten darf. Ein gefährlicher Spagat, denn ihre Aktionen werden immer tollkühner, und schon bald erklärt ganz Island den Krieg gegen die „Bergfrau“, wie sie sich in einem anonym gehaltenen Pamphlet bezeichnet. Dieser Kampf wird so lakonisch humorvoll wie dramatisch dargestellt, wie es wohl nur Isländer können. Eingebettet in faszinierende Landschaftsaufnahmen entfaltet sich eine Geschichte rund um Moral, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit – und um die Frage, zu welchen Mitteln man greifen darf, um der gerechten Sache zu dienen. Diese spannenden Fragen werden allerdings auf eine sehr unterhaltsame und pfiffige Weise angegangen. Da taucht dann auch immer wieder mal ein spanischer Tourist auf dem Fahrrad auf, der als Running Gag stets zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Oder aber der Soundtrack wird von der dreiköpfigen Band live im Geschehen eingespielt – da sitzt die Kombo auch schon mal am Hausdach und begleitet mit stoischem Gesichtsausdruck die Szene, wenn Hjalla, die Heldin, ihre Pamphlete vom Himmel regnen lassen möchte. Die Protagonistin und die Band wissen voneinander, blicken sich vielsagend zu, interagieren aber nicht darüber hinaus. Eine herrlich ironische Durchbrechung der vierten Wand. Es ist eben dieser staubtrockene Humor, diese Absurdität im Kleinen, die dem Film mit seiner tiefgründigen Handlung einen leichtfüßigen Unterbau bietet. Als Wiener bleibt mir abschließend nur zu sagen: Isländer sind einfach leiwand. (Hauskatzen aber auch.)


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Bad Times at the El Royale (2018)

Regie: Drew Goddard
Original-Titel: Bad Times at the El Royale
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Thriller
IMDB-Link: Bad Times at the El Royale


Ein fast leeres Hotel an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Sieben Fremde in diesem Hotel, die allesamt ein doppeltes Spiel zu treiben scheinen. Ein paar Waffen. Ein paar Geheimnisse. Ein groß aufspielender Cast (Jeff Bridges, Cynthia Erivo, Dakota Johnson, Jon Hamm, Lewis Pullman, Cailee Spaeny, Chris Hemsworth). Einige Drinks. Regen. Eine Story, die zehn Jahre in die Vergangenheit zurückreicht. Und schwarzer Humor. Und schon brechen schlechte Zeiten im altehrwürdigen El Royale Hotel an. „Bad Times at the El Royale“ von Drew Goddard ist ein raffiniertes und wahnsinnig unterhaltsames Kammerspiel. Die Faszination leer stehender Hotels haben ja schon Stephen King respektive Stanley Kubrick begriffen und diese Kulisse genial genutzt. Hier bieten sich Räume, innerhalb derer sich die Geschichte entfalten kann – im doppelten Sinne. Zum Einen nimmt sich der Film tatsächlich Zeit für seine Charaktere, die er geschickt ineinander verschränkt. Zum Anderen öffnen sich im weitläufigen Hotel tatsächlich Türen zu Räumen, die man so nicht erwartet hätte. In der Dramaturgie weicht Goddard, der auch für das Script verantwortlich zeichnet, von den üblichen Pfaden ab. Die Geschichte wird in Kapiteln erzählt, die jeweils eine Figur ins Zentrum der Erzählung rücken. Dabei werden dann Vorgänge gerne auch mal doppelt geschildert – eben aus unterschiedlicher Perspektive. So eine Verschränkung kann auch mal ermüdend wirken. Nicht aber hier, denn Goddard behält die Fäden fest in der Hand. Und kann auf seine Darstellerinnen und Darsteller vertrauen, die in ihren Rollen Glanzleistungen abliefern, allen voran Jeff Bridges, der viele Facetten zeigen darf. Ein paar Abzüge kann man dem Film geben für seine letztendlich dann doch recht simple Geschichte, deren raffinierte Erzählweise ein wenig darüber hinwegtäuscht, dass der Plot selbst nicht sonderlich originell ist. Insgesamt aber ein sehr sehenswertes und höchst vergnügliches Werk für all jene, die es schätzen, wenn sich eine Geschichte Zeit nimmt, um sich zu entfalten.


7,5
von 10 Kürbissen

Nur ein kleiner Gefallen (2018)

Regie: Paul Feig
Original-Titel: A Simple Favor
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Thriller, Krimi
IMDB-Link: A Simple Favor


Erst einmal vorweg: Der Grund für den Besuch des bei uns im November anlaufenden „A Simple Favor“ (deutscher Titel: „Nur ein kleiner Gefallen“) in London war das Electric Cinema in der Portobello Road mit dem schönsten Kinosaal, in dem ich jemals gesessen bin. Ich wollte dort unbedingt einmal einen Film ansehen – und ich hätte mich auch hineingesetzt, wenn sie die „Teenage Mutant Ninja Turtles“ gezeigt hätten (die verhunzte Real-Verfilmung von Michael Bay). Dass der in diesem Kino gezeigte Film auch noch ein Thriller mit Blake Lively und Anna Kendrick mit komödiantischen Einlagen ist, der neben schönen Menschen auch noch Spannung und Plot-Twists verspricht, war ein netter Nebeneffekt, den ich gerne mitgenommen habe. Allerdings noch ein paar Worte zuvor zu Anna Kendrick: Ich halte sie für sehr talentiert (Oscarnominierung für „Up in the Air“), finde sie süß und witzig (bei schlechter Laune kann man ihr gerne mal auf Twitter folgen – es lohnt sich zumeist), aber in unseren bevorzugten Filmgenres finden wir uns nicht allzu oft wieder. Da haben wir unterschiedliche Geschmäcker, wie es aussieht. Und so konnte ich leider auch „A Simple Favor“, der prinzipiell von der Kritik ganz gut aufgenommen wurde, nicht viel abgewinnen. Anna Kendrick spielt Stephanie, eine alleinerziehende Mutter, die mit ihrem Perfektionismus und ihrem Hausfrauen-Vlog den anderen Eltern in der Schule auf die Nerven geht. Sie lernt die von Blake Lively gespielte mysteriöse, sarkastische und offensichtlich reiche Emily kennen, deren Sohn in die gleiche Klasse geht. Die beiden Frauen freunden sich miteinander an (eine Freundschaft besiegelt durch starke Martinis), und bald bittet Emily Stephanie um einen kleinen Gefallen: Sie hat etwas Dringliches im Büro zu erledigen – ob Stephanie nicht ihren Sohn von der Schule abholen und auf ihn aufpassen kann? Kann sie natürlich, die einsame Supermutter, die froh ist, wenn sie helfen kann. Das Problem dabei: Danach ist Emily verschwunden, und als sie auch nach fünf Tagen nicht auftaucht, beginnt Stephanie, der Sache auf eigene Faust nachzugehen. Und fördert dabei Überraschendes zutage. Unterhaltsam ist „A Simple Favor“ durchaus, was auch an dem guten Zusammenspiel von Lively und Kendrick liegt. Auch der Humor ist dosiert, aber immer gut gezielt eingesetzt. Das Problem, das ich mit dem Film hatte, ist aber jenes, dass die Thrillerhandlung in meinem Kopf deutlich interessanter war als das Geschehen auf der Leinwand selbst. Der Film deutet viele Möglichkeiten an, die allesamt interessant sind, um am Ende dann doch wieder recht konventionelle Wege zu gehen. Ohne jetzt zu viel verraten zu wollen, aber die Auflösung erscheint mir gemessen an dem, was möglich gewesen wäre, recht billig. Außerdem sind die Charaktere prinzipiell alle ein wenig überzeichnet, sie sind – mit Ausnahme von Kendricks Stephanie – eindimensional und wirken teils wie Karikaturen. Selbst die von Lively wirklich toll gespielte Emily. All das verhindert ein tieferes Abtauchen in der Geschichte und ein Bonding mit den Figuren. So ging ich enttäuscht vom Film, aber begeistert vom Kinosaal, aus dem Electric Cinema.


4,5
von 10 Kürbissen