Politfilm

Gegen den Strom (2018)

Regie: Benedikt Erlingsson
Original-Titel: Kona Fer Í Stríð
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Kona Fer Í Stríð


Es ist eine beschlossene Sache. Wenn ich im nächsten Leben nicht als Hauskatze wiedergeboren werde, dann werde ich Isländer. Ich bin dann ein begnadeter Handballer, extrem erfolgreich im Fußball, ein außergewöhnlicher und kreativer Musiker, züchte Schafe und Ziegen (und, ehrlich: gibt es ein lässigeres Tier als die Ziege?), meine Tochter heißt Freyja Kürbisdottir, ich habe international eine Vorbildwirkung in Politik und Integration, erfreue mich an den Haubentauchern im Garten, und meine Filme sind der absolute Hammer. Isländer können einfach alles. Selbst Haie vergammeln lassen, um sie dann zu essen. Aber gut, lassen wir das mit den Haien, konzentrieren wir uns lieber auf den diesjährigen Überraschungsfilm der Viennale, nämlich den Film „Gegen den Strom“ von Benedikt Erlingsson. Darin geht es um eine Frau in ihren Vierzigern, die als politische Guerilla-Aktivistin gerne mal das nationale Stromnetz lahmlegt, um die Schwerindustrie in die Knie zu zwingen, während sie sich gleichzeitig auf ihre Rolle als Adoptivmutter einer ukrainischen Kriegswaisen vorbereiten darf. Ein gefährlicher Spagat, denn ihre Aktionen werden immer tollkühner, und schon bald erklärt ganz Island den Krieg gegen die „Bergfrau“, wie sie sich in einem anonym gehaltenen Pamphlet bezeichnet. Dieser Kampf wird so lakonisch humorvoll wie dramatisch dargestellt, wie es wohl nur Isländer können. Eingebettet in faszinierende Landschaftsaufnahmen entfaltet sich eine Geschichte rund um Moral, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit – und um die Frage, zu welchen Mitteln man greifen darf, um der gerechten Sache zu dienen. Diese spannenden Fragen werden allerdings auf eine sehr unterhaltsame und pfiffige Weise angegangen. Da taucht dann auch immer wieder mal ein spanischer Tourist auf dem Fahrrad auf, der als Running Gag stets zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Oder aber der Soundtrack wird von der dreiköpfigen Band live im Geschehen eingespielt – da sitzt die Kombo auch schon mal am Hausdach und begleitet mit stoischem Gesichtsausdruck die Szene, wenn Hjalla, die Heldin, ihre Pamphlete vom Himmel regnen lassen möchte. Die Protagonistin und die Band wissen voneinander, blicken sich vielsagend zu, interagieren aber nicht darüber hinaus. Eine herrlich ironische Durchbrechung der vierten Wand. Es ist eben dieser staubtrockene Humor, diese Absurdität im Kleinen, die dem Film mit seiner tiefgründigen Handlung einen leichtfüßigen Unterbau bietet. Als Wiener bleibt mir abschließend nur zu sagen: Isländer sind einfach leiwand. (Hauskatzen aber auch.)


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Persepolis (2007)

Regie: Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud
Original-Titel: Persépolis
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Animation, Biopic, Drama, Politfilm
IMDB-Link: Persépolis


Kind zu sein, aufzuwachsen und erwachsen zu werden ist per se schon mal eine unfassbar schwierige Übung. Doch das, was wir wohlstandsverwöhnten Rotzpippn in den Jahren vor, während und nach der Pubertät erleben, ist kein Vergleich zu Marjane Satrapis Aufwachsen. Die iranische Filmregisseurin erlebte als Kind die Islamische Revolution im Iran mit – mit allen negativen Auswüchsen, die die neu ausgerufene Republik in weiterer Folge so zeigte. Ihr Onkel wurde ermordet, viele Freunde verloren Familienmitglieder, die Regeln der patriarchischen Gesellschaft für Frauen wurden strenger und strenger, bis sie in offene Repressalien mündeten. Dem gegenüber steht die Freude am Leben, die sich in illegalen Feiern zeigt oder, wie bei Marjane, in der Liebe zu Hard Rock und Punk. Auch sind weder sie noch ihre Mutter oder Großmutter je um einen Spruch verlegen, wenn sie blöd angemacht werden. Doch die Zeiten sind gefährlich, und so beschließen ihre Eltern, Marjane nach Wien zu schicken, wo sie in Sicherheit aufwachsen soll. Marjane Satrapis Blick zurück ist ausgewogen und reflektiert – sie vergisst weder die guten, unbeschwerten Momente wie jene der völligen Verzweiflung. Dies alles wird mit einer wundervollen Lakonie in einfachen, aber effektiven Schwarz-Weiß-Zeichnungen erzählt. Auch geht Satrapi sehr selbstironisch mit ihrer Entwicklung um, mit den Entscheidungen, die sie gefällt hat, den guten wie den schlechten. Und sie begreift alles, was ihr zugestoßen ist, als Schritte in einem Entwicklungsprozess, der wohl nie abgeschlossen ist – wie es eben so ist im Leben. Das alles macht aus „Persepolis“ einen wirklich wunderbaren Coming of Age-Film mit einer klaren politischen und gesellschaftlichen Dimension, die den Film gerade für uns westliche Zuseher noch einmal zusätzlich hervorhebt über die meisten anderen guten Coming of Age-Filme. Unbedingt empfehlenswert, unabhängig davon, ob man sich für diese Art der Animation begeistern kann.


8,0
von 10 Kürbissen

Die Eiserne Lady (2011)

Regie: Phyllida Lloyd
Original-Titel: The Iron Lady
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Biopic, Drama, Politfilm, Historienfilm
IMDB-Link: The Iron Lady


Maggie, der britische Eisenschädel. Sie war und ist nicht unumstritten, und bei allen Verdiensten um Großbritannien, als besonders mitfühlend geht sie wohl nicht in die Geschichte ein. Sie fuhr schon einen harten Kurs, den vor allem die Arbeiterschicht am eigenen Leib zu spüren bekam. Thatcherism ist in der historischen Nachbetrachtung nicht unbedingt als besonders positiv eingeordnet. Aber wie sieht es um das Privatleben der Eisernen Lady aus? Phyllida Lloyd ging der Frage in ihrem Biopic aus 2011 nach. Und sie konnte sich dabei auf ihre Hauptdarstellerin verlassen, der unnachahmlichen Meryl Streep, die mal wieder völlig zurücktrat, um in ihrer Rolle als Margaret Thatcher aufzugehen. Verdient gab es dafür erneut einen Oscar für Streep als beste Darstellerin. Doch was bietet „Die Eiserne Lady“ darüber hinaus? Der Bogen ist jedenfalls interessant gespannt. Gleich zu Beginn sieht man Margaret Thatcher als alte Dame. Sie wird in ihrem Haus streng bewacht und führt Gespräche mit ihrem verstorbenen Mann (Jim Broadbent). Wir erleben Thatcher auf dem Boden ihres Lebens als demente Witwe. Und doch geht von ihr bzw. Streeps Darstellung eine große Kraft aus. In Erinnerungen und Flashbacks werden schließlich – schön chronologisch wie in den meisten Biopics – die wesentlichen Stationen ihres Lebens nacherzählt. Durch die Verknüpfung dieser Erinnerungen mit der Erkrankung wird der Film auch zu einem Drama über Altern, Krankheit und Demenz. Doch genau der Fokus auf diesen sehr menschlichen Aspekt in Thatchers Biographie lenkt ein wenig von ihrem Werden und Wirken als Politikerin ab. Immer wieder wird man als Zuseher an Punkte wichtiger Entscheidungen geführt, die sie getroffen hat, doch es bleibt meistens unklar, warum sie diese Entscheidungen so gefällt hat, wie sie es eben getan hat. Die (natürlich in der Politik oft komplexen) Hintergründe bleiben unklar. Und so besteht „Die Eiserne Lady“ primär aus einer Ansammlung von Anekdoten, die bestenfalls lose zusammenhängen. Das große Ganze erschließt sich nicht. Allerdings ist Meryl Streep dermaßen überragend, und gerade eben die Einbettung der Biographie in die Krankheitsgeschichte packt einen emotional dann doch, sodass der Film trotzdem immer interessant bleibt.

 


6,5
von 10 Kürbissen

Selma (2014)

Regie: Ava DuVernay
Original-Titel: Selma
Erscheinungsjahr: 2014
Genre: Biopic, Drama, Historienfilm, Politfilm
IMDB-Link: Selma


Dass „Selma“ von Ava DuVernay bei der Oscar-Verleihung 2015 „nur“ als bester Film und für den besten Song nominiert war (für Letzteres bekam er dann auch die Auszeichnung), gehörte zu den großen Aufregern des damaligen Jahrganges. Was ist mit einer Nominierung für Ava DuVernay? Was ist mit David Oyelowo als Martin Luther King? Beides berechtigte Fragen, wenn man den Film sieht. Denn „Selma“ ist ein sehr ambitionierter Historienfilm mit großartigen Darstellern, allen voran eben Oyelowo, über einen wichtigen Moment in der Geschichte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Es geht um die von Martin Luther King angeführten Selma-Montgomery-Märsche aus dem Jahr 1965, die auf das Unrecht hinwiesen, dass schwarzen Bürgerinnen und Bürgern trotz neuer Gesetze immer noch der Zugang zu den Wahlen erschwert wurden. Bürokratische Willkür, jede Menge Fallstricke in den Gesetzestexten und eine völlige Ignoranz des Problems seitens der US-Regierung sorgten dafür, dass Zehntausende Amerikanerinnen und Amerikaner jeglicher Couleurs gegen alle Widerstände von Selma nach Montgomery, der Hauptstadt von Alabama, zogen und friedlich protestierten. „Selma“ zeichnet sowohl die Vorgeschichte als auch die Märsche selbst (erst der dritte konnte erfolgreich durchgeführt werden, während die ersten beiden noch von der Exekutive behindert wurden) nach. Martin Luther King wird dabei als Familienvater und Mensch mit Stärken und Schwächen gleichermaßen gezeigt. Der ausgewogene Blick tut dem Film und seiner starken Botschaft durch. Gleichzeitig wird der Stoff dadurch teilweise auch etwas trocken abgehandelt. Über die gesamte Laufzeit von über zwei Stunden hat der Film dann doch den einen oder anderen Leerlauf. In den besten Momenten aber ist er auf eine sehr positive, unpathetische Weise ergreifend. Auch in einem exzeptionell guten Jahrgang 2014/2015 (u.a. „Grand Budapest Hotel“, „Birdman or The Unexpected Virtue of Innocence“, „Boyhood“ oder „Whiplash“) konnte sich dieser Film durchaus behaupten und gehört, so behaupte ich mal, zu jenen Filmen, die auch in einigen Jahren noch relevant sein werden.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 52 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,0
von 10 Kürbissen

Detroit (2017)

Regie: Kathryn Bigelow
Original-Titel: Detroit
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Detroit


Detroit 1967. Motor City leidet unter Arbeitslosigkeit und der Abwanderung der Menschen in die Suburbs. Die schwarze Bevölkerung ist in engen Vierteln zusammengepfercht. Wut über die soziale Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit führen dazu, dass es in diesem Kochtopf gewaltig zu brodeln beginnt. Die Polizei begegnet der Bevölkerung mit zunehmender Härte. Als schließlich eine Razzia eskaliert, kommt es zu gewalttätigen Aufständen der Schwarzen, die kurzerhand ein ganzes Viertel zerlegen und abfackeln. Es herrschen bürgerkriegsartige Zustände. Mitten in die Klimax hinein erlaubt sich ein junger Schwarzer im Algier-Motel, eine Mischung aus Partyzone und Refugium, einen folgenschweren Scherz. Die Polizei vermutet einen Heckenschützen im Motel und stürmt dieses ohne Rücksicht auf Verluste.

Die letzten beiden Filme von Kathryn Bigelow, „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“, kann man als politische Kriegsfilme bezeichnen. „Detroit“, obwohl es um die Bürgerrechtsbewegung geht und der Film ausschließlich in der US-amerikanischen Stadt spielt, reiht sich da nahtlos ein. Bigelow ist eine Regisseurin, die wie keine zweite das Chaos des Krieges und die Traumata, die daraus entstehen, festhalten kann. Umso erschreckender, dass die Handlungen, die sie in „Detroit“ zeigt, nicht aus einem fernen Kriegsgebiet stammen, sondern sich tatsächlich in den 60ern in der fünftgrößten Stadt der USA zugetragen haben. Kathryn Bigelow bleibt, auch dank der nervös zuckenden Handkamera von Barry Ackroyd (oscarnominiert für „The Hurt Locker“), stets nah am Geschehen. Die ersten zwei Stunden des Films sind ein permanenter Schlag in die Magengrube. Selten habe ich das Ungleichgewicht von Macht und Ohnmacht so überzeugend und physisch spürbar auf Film gebannt gesehen. Leider fällt das Ende dann ein bisschen ab. Die Aufarbeitung der Geschehnisse bräuchte nämlich im Grunde einen eigenen Film und wird hier etwas lieblos und fast zu schnell abgespult, sodass der Film am Ende trotz 2,5 Stunden Laufzeit etwas gehetzt wirkt. Trotzdem: Die ersten 1,5 bis 2 Stunden gehören zum Besten, was ich in diesem Filmjahr gesehen habe. Unglaublich eindringlich und mitreißend.

Eine Anmerkung am Rande noch: Nach „Licht“ ist das der zweite Film in jüngerer Zeit, in dem mir die Abmischung des Tons extrem positiv aufgefallen ist. Auch das trägt zu der beklemmenden Stimmung von „Detroit“ bei.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin Filmverleih)

Der Löwe im Winter (1968)

Regie: Anthony Harvey
Original-Titel: The Lion in Winter
Erscheinungsjahr: 1968
Genre: Drama, Historienfilm, Politfilm, Satire
IMDB-Link: The Lion in Winter


Einer der 8 Nicht-Oscars von Peter O’Toole. Einer von 4 Oscars von Katherine Hepburn. Ein junger Anthony Hopkins, ein blutjunger Timothy Dalton. „The Lion in Winter“ ist ganz klar großes Schauspielkino. König Henry II. von England (O’Toole) sorgt sich um seine Nachfolge. Sein Favorit wäre der etwas dümmliche John (Nigel Terry), seine Frau Eleonore (Hepburn) nutzt die Gelegenheit des Weihnachtsfestes, an dem sie von ihrem Gemahl ausnahmsweise mal aus ihrem Gefängnis geholt wird, um ihren Lieblingssohn Richard (Hopkins), der später den Beinamen Löwenherz bekommen wird, in Stellung zu bringen. Der dritte Sohn, Geoffrey (John Castle), sieht sich das Ganze mal an, hat aber seine eigenen Pläne. Dazu kommt noch die wunderschöne Geliebte des Königs, Alais (zum Verlieben: Jane Merrow), und der junge König von Frankreich (Timothy Dalton) mischt auch noch fröhlich mit. Alles, was Anthony Harvey für seinen Klassiker benötigte, war eine Burgkulisse, diese Ansammlung großartiger Schauspieler und ein brillantes Drehbuch. Es ist zauberhaft, wie durchtrieben und spitzzüngig hier in alle Richtung konspiriert und intrigiert wird. Das alles gelegentlich begleitet von charmanten Komplimenten, die das Messer im Rücken noch etwas tiefer ins Fleisch treiben. Und so ist das ein großer, anspruchsvoller Spaß. Der Film hat zwar seine Längen und er ist natürlich auch gealtert (die Kampfszenen sind heute eher lustig als episch anzusehen), aber die Dialoge funktionieren noch immer. Eleonore, mit einem Becher in der Hand: „I have a confession.“ Henry, lehnt gelangweilt im Stuhl: „Yeah?“ Eleonore: „I don’t much like our children.“


7,5
von 10 Kürbissen

Jackie – Die First Lady (2016)

Regie: Pablo Larraín
Original-Titel: Jackie
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic, Historienfilm, Politfilm
IMDB-Link: Jackie


Alle Zutaten für einen Filmkürbis-Lieblingsfilm sind angerichtet: Natalie Portman, Jugend-Crush und immer noch hochgeschätzte Schauspielerin, spielt Jackie, die Ehefrau bzw. Witwe von JFK in einem Film von Pablo Larraín, der mich vor kurzem erst mit „Neruda“ begeistert hat. Der Trailer verspricht menschliche Abgründe, tolle Dialoge und große Schauspielkunst. Aber hält er diese Versprechen auch? Leider nur zum Teil. „Jackie“ ist großartig gespielt, keine Frage. Ob nun Natalie Portman mit einer Leistung, für die sie ihren zweiten Oscar bekommen müsste (wäre da nicht Emma Stone im Weg), oder Peter Sarsgaard als Bobby Kennedy, der selige John Hurt als zweifelnder, gedankenvoller Priester oder Billy Crudup als charismatischer Journalist – jede Rolle ist toll besetzt und gespielt. Und ja, die Dialoge sind (zumeist) intelligent und abgründig. Aber etwas Entscheidendes fehlt dem Film, um so richtig zu zünden: Und das ist bedauerlicherweise die Tiefe der Figuren. Man sieht eine verzweifelte Jackie, eine tapfere Jackie, eine ratlose Jackie, der Film kreist um sie und ihre Gefühlsausbrüche und auch die Versuche, eben jene zu kontrollieren, aber trotzdem bleibt Larraín mit seinem Film an der Oberfläche. Die Geschichte, die „Jackie“ erzählt, handelt von Verlust (vom privaten Verlust eines geliebten Menschen wie auch von einem Verlust von Anerkennung, von Bedeutung, von Lebenssinn), behandelt aber dieses Thema dermaßen zentral und ausführlich, dass kein Raum bleibt für die Figuren, andere Facetten von sich zu zeigen. Der Film wird somit bedrückend und wirkt teilweise langatmig. Absolut kein schlechter Film, aber nach dem Ansehen hatte ich das Gefühl, dass der Film mehr eine theoretische Abhandlung über Trauer ist als ein Stück Leben, das im Gleichklang mit seinen Protagonisten atmet. „Jackie“ ist gut gemachtes, aber trotz der Intimität seines Porträts ein wenig distanziertes Kino.


6,0
von 10 Kürbissen

In the Crosswind (2014)

Regie: Martti Helde
Original-Titel: Risttuules
Erscheinungsjahr: 2014
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Risttuules


Der Gewinnerfilm des letztjährigen Scope100-Projekts in Österreich (100 Filmnarrische, darunter ich, sichten eine Reihe von Filmen, die keinen fixen Kinostart haben und bestimmen dann per basisdemokratischer Abstimmung, welcher Film ins Kino kommt) ist wahrlich keine leichte Kost. Erzählt wird vom jungen Regisseur Martti Helde die Geschichte der Zwangsdeportation der baltischen Bevölkerung durch das Sowjetregime während des Zweiten Weltkrieges. Basierend auf den realen Briefen einer jungen Frau an ihren Mann, beide in unterschiedlichen Lagern untergebracht und nichts voneinander wissend, zeichnet Helde ein Einzelschicksal nach, das stellvertretend für Abertausende steht. Für seinen Film findet er eine eindrückliche Form: In Schwarz-Weiß-Bildern zeigt er zunächst die junge Familie in ihren letzten Tagen des Glücks, über das aber schon der Schatten des Kriegs hängt. Als die Familie schließlich aus ihrem Haus abgeholt und weggebracht wird, friert Helde die Bilder in gewaltigen Sujets ein, durch die eine unbarmherzige Kamera fährt und jedes in der Bewegung erstarrtes Detail zeigt. Nur die Hintergrundgeräusche, wie beispielsweise das Rattern des Zuges auf den Schienen oder der Wind, der durch die Ritzen der notdürftig zusammengezimmerten Hütten pfeift, sind zu hören. Dabei werden Ernas Briefe an ihren Mann Heldur vorgetragen, poetische, zutiefst melancholische Schreiben, die zwischen Hoffnungslosigkeit und dem Willen, trotz allem weiterzumachen, schwanken. „In the Crosswind“ ist ein unglaublich ästhetischer, aber gleichermaßen schmerzhafter Film. Er wirbelt beim Ansehen durch die Eingeweide, und man sollte ihn wohl nicht ansehen, wenn man selbst gerade deprimiert ist. Aber er ist ein wichtiges und großes Werk, das eine Episode unserer europäischen Vergangenheit, die Gefahr läuft, vergessen zu werden, in unserer Zeit und unserem Bewusstsein verankert.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino)

Night Moves (2013)

Regie: Kelly Reichardt
Original-Titel: Night Moves
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Night Moves


Night Moves von Kelly Reichardt war mein erster Viennale-Film überhaupt. Für diesen Beginn im Jahr 2013 hätte es schlechtere Filme geben können, aber auch deutlich bessere. Die US-amerikanische Filmemacherin erzählt in diesem Politdrama auf eine für sie übliche langsame Art und Weise die Geschichte dreier junger Öko-Aktivisten (gespielt von Jesse Eisenberg, Dakota Fanning und Peter Sarsgaard), die einen Anschlag auf einen Staudamm durchführen. Am Tag danach erfahren sie, dass ihre nächtliche Aktion nicht folgenlos geblieben ist und müssen sich nun mit nagenden Gewissensbissen herumplagen. Das alles wird sehr ruhig erzählt. Die drei jungen Zukunftsgestalter fahren durch die Nacht, planen, sitzen herum, vergewissern sich noch einmal, dass sie das tatsächlich tun, und der eigentliche (terroristische) Akt wird nebenbei abgehandelt, als ginge es gar nicht darum. Die Geschichte plätschert vor sich hin und ist eher in den gequälten Gesichtszügen Jesse Eisenbergs zu erahnen als dass man sie tatsächlich auf der Leinwand oder dem Bildschirm verfolgen kann. Die Frage nach Schuld trotz guter Absichten drängt sich auf. Allerdings bleiben mir die Figuren aufgrund des distanzierten Blicks fremd und gleichgültig. Dass sie nicht unbedingt als Sympathieträger gezeichnet werden, hilft auch nicht wirklich. Insgesamt ein Film, den man sich ansehen kann, wenn er mal läuft, aber wenn man ihn auslässt, hat man auch nichts falsch gemacht.


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino)