Locarno 2019

Amor Maldito (1984)

Regie: Adélia Sampaio
Original-Titel: Amor Maldito
Erscheinungsjahr: 1984
Genre: Drama, Liebesfilm, Krimi, Erotik
IMDB-Link: Amor Maldito


Adélia Sampaio ist eine Filmpionierin. Bis heute ist sie die einzige schwarze Frau, die in Brasilien jemals einen Film gedreht hat. Um die Mittel dafür zu bekommen, musste sie in die Trickkiste greifen und den Geldgebern vorgaukeln, sie würde einen Porno drehen. Und so weist der Film „Amor Maldito“, eine Liebesgeschichte über die Liebe zweier Frauen, das zu einem Gerichtsdrama wird, in der Ästhetik phasenweise eine weichgezeichnete Ästhetik von 80er-Jahre-Pornos auf. Auch Brüste dürfen nicht fehlen. Diese Ästhetik in Kombination mit dem grandios überdramatischem Schauspiel (das zu Pornos gehört wie der Leopard zu Locarno) führt immer wieder zu vergnügtem Schmunzeln. Eines ist klar: Sampaio wusste, was sie tat. Wenn man dieses Täuschungsmanöver aber durchschaut, entfaltet sich eine recht tragische Geschichte von Moral und Doppelmoral. Denn schlimm genug, dass Fernanda (Monique Lafond) den Verlust ihrer Geliebten Suely (Wilma Dias), die aus einem Fenster in Fernandas Haus gestürzt ist, ertragen muss, doch findet sie sich schon bald im Gerichtssaal als Angeklagte wieder. Ermordet soll sie Suely haben, zumindest durch ihre perverse und obszöne Lebensweise in den Freitod gezwungen haben, so der Gift und Galle spuckende Staatsanwalt. Die Verführung eines unschuldigen Mädchens durch eine Ausgeburt der Hölle ohne Moral und Anstand – so der Grundtenor. Die Verteidigung bemüht sich nach Kräften, diesem Zeigefinger der Scheinmoral etwas entgegenzusetzen – nämlich das Selbstverständnis der Liebe. Allerdings ist unklar, in welche Richtung das Pendel ausschwingen wird, denn zu fest scheinen kirchliche Moralvorstellungen in diesem brasilianischen Gerichtssaal der 80er Jahre zu sitzen. „Amor Maldito“ ist aus den eingangs erwähnten Gründen beileibe kein guter Film. Er ist sogar ziemlich schlecht – wobei man das den Umständen seiner Entstehung zuschreiben muss. Aber dennoch unterhält er recht gut und lässt den Zuseher einen spannenden Blick auf gesellschaftliche Moralvorstellungen seiner Zeit werfen. Und, wenn man ehrlich ist, hat sich bis heute eigentlich nicht genug daran geändert.


5,0
von 10 Kürbissen

South Terminal (2019)

Regie: Rabah Ameur-Zaïmeche
Original-Titel: Terminal Sud
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Terminal Sud


Irgendein Land am Mittelmeer in den 90ern. Es könnte Algerien sein, es könnte Frankreich sein oder ein anderes Land. Es ist kein Land, und es sind damit alle Länder. Gewalt und Terror halten die Bevölkerung im Griff. Auch dem Staat, vertreten durch Militär und Polizei, ist nicht zu trauen. Mittendrin in dem Chaos ein idealistischer Arzt(Ramzy Bedia). Als sein Schwager, ein Journalist, der über die Übergriffe und Raubüberfälle berichtet, auf der Straße erschossen wird, wird der Arzt hineingezogen in die Gewalt und sieht sich bald selbst mit Todesdrohungen konfrontiert. Auch der Frage, wieweit der hippokratische Eid geht und welche Konsequenzen er zeitigt in einem Umfeld, in dem jeder verdächtig ist, selbst ein Arzt, geht der Film von Rabah Ameur-Zaïmeche nach. „Terminal Sud“ erforscht auf nüchterne Weise, was es mit einem Menschen macht, wenn Humanismus und Frieden durch Terror und Einschüchterung bedroht sind und das eigene Leben in Gefahr ist. Der Arzt versucht dem Chaos auf seine Weise zu begegnen: Mit Alkohol und dem Festhalten an Routinen und seiner Tätigkeit als Arzt, der er sich verpflichtet fühlt. Doch auch Routinen schützen nicht, wenn das Chaos übernommen hat. Die Eskalation gegen Ende trifft den Zuseher überraschend und in die Magengrube. Zwischendurch blitzen immer wieder Momente der Mitmenschlichkeit auf, die Hoffnung geben. Tatsächlich zielt aber Regisseur Ameur-Zaïmeche auf etwas Anderes ab – etwas, das einem fast entgehen könnte, das aber umso wichtiger ist und den Film zusätzlich aufwertet. Dass nämlich Land und Terror darin so gesichts- und namenlos sind, lässt sie als Stellvertreter fungieren. So ist der Film mehr eine Allegorie, die sich auf heutige Zeiten problemlos umlegen lässt, als die Erzählung eines persönlichen Schicksals. Ramzy Bedias namenlose Arztfigur ist jeder Mensch, ob Frau, ob Mann, ob Kind, die dem Terror ausgesetzt waren und sind. Das vor Augen ist „Terminal Sud“ ein wirklich ausgezeichneter Film.


8,0
von 10 Kürbissen

Days of the Bagnold Summer (2019)

Regie: Simon Bird
Original-Titel: Days of the Bagnold Summer
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Komödie
IMDB-Link: Days of the Bagnold Summer


Man weiß nicht so recht, was schwieriger ist: Teenager zu sein oder die Mutter eines Teenagers zu sein. Wenn beide dann für sechs Wochen aufeinander picken, weil der Exmann in Florida kurzfristig den geplanten sommerlichen Besuch des Sohnemanns abgesagt hat, entfalten sich die Schwierigkeiten auf einem noch viel höheren Niveau. Hier treffen zwei Aliens aufeinander. Sohn Daniel (Earl Cave, der Sohn von Nick Cave) und Mutter Sue (Monica Dolan mit einer herrlich überspannten Darstellung) müssen aber nun das Beste aus der Situation machen. Und beide haben Probleme, die man üblicherweise so hat. Daniel, ein Metal-Head, hat Stress mit seinem besten Kumpel und träumt davon, eine Band zu gründen, Sue, unscheinbare Bibliothekarin, sieht sich plötzlich mit männlichem Interesse konfrontiert. Die größte Herausforderung ist allerdings, diesen verdammten Sommer irgendwie zu überstehen, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Man merkt: Auf beiden Seiten ist viel guter Wille dabei, das Beste aus der Situation zu machen. Aber guter Wille allein reicht manchmal halt nicht ganz aus. Simon Bird ist mit seinem Debütfilm, der auf einer Graphic Novel beruht, eine zutiefst britische Feelgood-Komödie gelungen. „Days of the Bagnold Summer“ ist ein Film, in den man sich einfach hineinfallen kann, der gut und gewitzt unterhält und dabei nie eine seiner Figuren vorführt, sondern allen mit Respekt begegnet. Definitiv ein kleines Highlight des diesjährigen Filmfestivals Locarno. Vielleicht kein Film für die Ewigkeit, aber mindestens für einen Sommer.


7,5
von 10 Kürbissen

The Cool World (1963)

Regie: Shirley Clarke
Original-Titel: The Cool World
Erscheinungsjahr: 1963
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: The Cool World


Unbestritten ist „The Cool World“ von Shirley Clarke aus dem Jahr 1963 ein ausgezeichnet gemachter und relevanter Film. Unbestritten ist aber auch, dass es angesichts der Tonqualität und des Slangs ohne Untertitel für Filmkürbisse manchmal schwer sein kann, der Handlung wirklich zu folgen. Bei diesem Film bin ich an meine linguistischen Grenzen gestoßen – und dass ich in weiterer Folge dem Film nicht mehr Kürbisse zugestehe, hat vielleicht auch ein Stück weit damit zu tun, dass ich schlicht nicht immer den Durchblick hatte, was gerade passiert. Jedenfalls folgt der Film in einer Art semidokumentarischen Stil (der Produzent Frederick Wiseman tat sich später selbst als bedeutender Dokumentarfilmer hervor) dem fünfzehnjährigen Gangleader Duke (Hampton Clanton), der beim dubiosen „Priest“ einen Revolver erwerben möchte, um endlich mal aufzuräumen mit der feindlichen Gang. Was dabei interessant zu beobachten ist, ist das Leben in Harlem, dieser Geburtsstätte der Black Culture. Auch ist es interessant zu sehen, wie Duke feststeckt zwischen Teenager mit Teenager-Bedürfnissen und auf sich selbst gestellten Zampano und Möchtegern-Boss. Die Kameraarbeit ist elektrisierend und fängt das vibrierende Leben auf der Straße gut ein. Allein dafür lohnt es sich schon, den Film anzusehen. Allerdings ist er mit einer Laufzeit von etwa zwei Stunden und diesem Gerippe von einer Story auch eine echte Herausforderung für die Geduld des Publikums. Wenn dann noch Sprachprobleme hinzukommen wie in meinem Fall, muss man sich selbst nachmittags ordentlich anstrengen, um wach zu bleiben.


6,0
von 10 Kürbissen

 

Oroslan (2019)

Regie: Matjaž Ivanišin
Original-Titel: Oroslan
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: –


Manchmal ist es so einfach. Wie erzählt man vom Tod eines Dorfbewohners? Man lässt einen Fahrer Essen auf Räder ausfahren, er hängt seine Dosen an den Zaun, am Nachmittag kommt die Nachbarin nach Hause und sieht, dass die Dosen unberührt dort hängen. Diese indirekte, sensible Erzählweise zieht sich durch den ganzen Film. „Oroslan“ von Matjaž Ivanišin ist ein sehr reduziertes, stilles Drama über den Tod, über Verlust und Erinnerung. Viele Szenen wirken zunächst beliebig, man sucht nach einem roten Faden, ohne fündig zu werden. Doch das bleibt nicht so. Nach und nach werden die Protagonisten und ihre Beziehungen zueinander greifbarer. Dann erkennt man, dass eine der Figuren der Bruder des verstorbenen Oroslan ist, der bereits einen tragischen und überraschenden Trauerfall zu verarbeiten hatte. Im Gespräch über zerplatzte Träume mit seinem Arbeitskollegen öffnet sich plötzlich ein Fenster in die Vergangenheit, das sich ebenso schnell wieder schließt, wie es sich geöffnet hat. Und wahrscheinlich ist das so mit dem Schmerz: Wenn man davon erzählt, dann distanziert, mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen, das wie ein Schutzschild wirkt. Diese Nuancen fängt Ivanišin sehr gut ein. Die Gefahr besteht natürlich, dass diese Subtilität gelegentlich zu Langeweile führt. Denn trotz der Kürze des Films verlangt „Oroslan“ nach einem langen Atem des Zusehers. Allerdings wird das geduldige Publikum auch belohnt – mit Aufnahmen wie beispielsweise durch das Fenster einer Bar, als der Bruder des Verstorbenen Smalltalk mit der Barkeeperin führt, von der er in der Szene davor seinem Arbeitskollegen erzählt hat, um ihn dazu zu bewegen, noch einen Drink mit ihm zu nehmen. Dieser lehnte jedoch ab. Selten wird die Einsamkeit, die den Trauernden umhüllt, greifbarer als hier. Es gibt keine Vorwürfe, es gibt nur das Weitermachen – auch wenn es dazu führt, dass man allein an der Bar sitzt. So deutlich und so wenig plakativ ist das gefilmt. Ein Film, der durch das Sinnieren darüber immer mehr an Qualität hinzugewinnt, den man also durchaus erst mal sacken lassen sollte. Vielleicht aufgrund einiger Leerstellen nicht der beste Festivalbeitrag, aber einer der eigenständigsten.


7,0
von 10 Kürbissen

Lovemobil (2019)

Regie: Elke Margarete Lehrenkrauss
Original-Titel: Lovemobil
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: –


Filme, auch Dokumentationen, über Prostitution sind eine ganz heikle, schwierige Angelegenheit. Es besteht die Gefahr, dass der Film zu einer Art Sozialporno gerät, der auf die Betroffenheit der Zuseher abzielt. Es besteht auch die Gefahr, dass Freier überzeichnet und ausschließlich als perverse Schweine dargestellt werden. Die Schwierigkeit der Gratwanderung besteht darin, dass das Schicksal der Frauen tatsächlich arg sein kann und Betroffenheit auslöst, und das viele Freier tatsächlich perverse Schweine sind, die sich einen Dreck um die Frauen scheren. Also kann und darf man auch nichts beschönigen. Elke Lehrenkrauss gerät diese Gratwanderung mit ihrer Dokumentation „Lovemobil“ recht gut. Der Schlüssel dazu ist, dass sie sowohl eine offenkundig gute und dokumentarische Nähe zulassende Beziehung zu zwei wirklich interessanten Frauen aufgebaut hat – der Bulgarin Milena, die ihrem jüngeren Bruder eine Zukunft ermöglichen möchte, und die kluge und toughe Nigerianerin Rita – und zur anderen Seite, der „Vermieterin“ der Trailer, Uschi. Am Ende will jede nur Geld machen, Geld, Geld, Geld, darum dreht sich alles, wie Uschi einmal selbst bemerkt. Es bedarf schon eines Passanten, eines Mannes Gottes, wie er von Uschi genannt wird, um in einem Streitgespräch mit der betagten Zuhälterin die Ausbeuterei und das Machtgefälle deutlich aufzuzeigen. Wenn dann von der bislang eher sympathisch gezeichneten Uschi Sätze fallen wie „die afrikanischen Frauen werden da unten ja gebrütet, um diesen Beruf auszuüben“, dann verschlägt es nicht nur dem Mann Gottes die Sprache. Vielmehr wird dann deutlich, wie sich diese ausbeuterischen Abhängigkeiten überhaupt erst ergeben konnten. Solange Prostituierte wie Menschen zweiter Klasse wahrgenommen werden, wird sich an ihrem Schicksal wohl nie etwas ändern können. So gesehen wartet „Lovemobil“ zwar nicht mit bahnbrechend neuen Erkenntnissen auf, ist aber empathisch inszeniert und regt zu Diskussionen und weiteren Gedanken an.


6,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=GWJuvnP5ztw
 

Endless Night (2019)

Regie: Eloy Enciso
Original-Titel: Longa noite
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Longa noite


Haben Sie Schlafstörungen oder Probleme beim Einschlafen? Liegen Sie manchmal abends mit offenen Augen im Bett und nichts hilft? Kein Schäfchen zählen, keine warme Milch mit Honig, keine leise gesummten Schlaflieder? Dann empfehlen wir „Longanoite forte“, das neue Wundermittel aus Spanien. Ganz einfach einzunehmen, nämlich visuell, und der Schlaf stellt sich binnen Minuten ein. Probieren Sie es aus. Jetzt mit Geld-zurück-Garantie. – Leute, ich sage euch, wenn ich das professionell aufziehe, werde ich reich. Denn Eloy Encisos Drama über einen Heimkehrer, der während der Franco-Diktatur inhaftiert war, gehört zum Langweiligsten, was ich in diesem Jahr im Kino gesehen habe. Zu Beginn kann der Film noch einigermaßen bei der Stange halten. Man kennt sich nicht wirklich aus, die Bilder sind langsam und schön gefilmt, ein interessanter Dialog zwischen Anxo, dem Heimkehrer, und einem auswanderungswilligen Geschäftsmann im Bus entfaltet sich, ein bedrückender Monolog einer jungen Frau, die ihre Geliebte (oder vielleicht doch Kusine) an die Diktaktur verloren hat, wird auch sehr intensiv vorgetragen, das alles ist zwar auch fürchterlich langatmig, aber von gewissem Interesse. Doch dann verliert mich Eloy Enciso mit seinem Film im Wald. Die letzte halbe Stunde folgen wir Anxo, wie er durch den nächtlichen Wald schleicht, Bäume betatscht, gelegentlich Radio hört, und aus dem Off liest jemand einen Brief eines Häftlings, vielleicht Anxo selbst, vor. Ein Kernproblem des Films liegt wohl darin, dass Enciso vom Publikum zu viel erwartet, zu viel Wissen um die Franco-Diktatur und die Geschehnisse darin, zu viel Geduld mit Geschichten, deren Hintergründe es nicht kennt über Personen, die im Film kaum bis gar nicht präsent sind. Das Ergebnis lässt nicht lange auf sich warten: Leises Schnarchen erhebt sich im Kinosaal. Und so heißt es für die Zuseher nicht mehr „Longa noite“, sondern „Boa noite“. Gute Nacht.


2,5
von 10 Kürbissen

 

Space Dogs (2019)

Regie: Elsa Kremser und Levin Peter
Original-Titel: Space Dogs
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Space Dogs


Gleich vorweg: Vor keinem anderen Film musste ich bislang eine so deutliche Warnung aussprechen wie vor dem Dokumentarfilm „Space Dogs“ von Elsa Kremser und Levin Peter. Tierliebhaber und alle Menschen, die keine empathielosen Arschlöcher sind, werden diesen Film stellenweise nur schwer ertragen. (Was jetzt keine Empfehlung für empathielose Arschlöcher ist, diesen Film zu sehen.) Es gibt Szenen zu sehen, in denen zum Einen die Grausamkeit des Menschen am Tier unter dem Deckmantel der Wissenschaft sichtbar wird, und zum Anderen die Grausamkeit des Tieres gegenüber eines anderen Tieres. Lose folgt der Film zwei Moskauer Straßenhunden, während aus dem Off die Geschichte von Laika, der ersten Hündin im Weltall, und den Straßenhunden, die ihr ins All folgten, erzählt wird. Die Analogie ist klar: Die aus eindrücklicher Nähe dokumentierten Straßenhunde bilden die Brücke in die Vergangenheit, wenn sich die Geschichte Laikas als alternative Realität, die sie hätte haben können, im Herumstreunen der Hunde andeutet. Zwischendurch sind auch Archivaufnahmen zu sehen, wie die Hunde nach Laika für ihre Weltraummission vorbereitet werden. Diese Aufnahmen gehören zu jenen, die sich auf den Magen schlagen. „Space Dogs“ bringt so einen Gedankenprozess in Gang: Wie stehen wir zu den Tieren, was bedeutet unser Interesse an ihnen für sie, was unser Desinteresse? Hier setzt eine andere, sich auf den Magen schlagende Szene einen Kontrapunkt: Denn die Vorstellung, dass alle Tiere friedlich und im Einklang mit der Natur leben könnten, wenn wir sie nur ließen, erweist sich als Illusion. Denn auch die Natur ist grausam. Das muss man sich unbedingt ins Gedächtnis rufen, wenn man sich diesen Film ansieht. Denn ansonsten übersteht man ihn nicht. In diesem Fall dann lieber Aurel Klimts liebevoll gemachten Animationsfilm Laika aus dem Jahr 2017, der eine alternative und hoffnungsvollere Geschichte erzählt.


7,0
von 10 Kürbissen

 

Camille (2019)

Regie: Boris Lojkine
Original-Titel: Camille
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Biopic, Anti-Kriegsfilm
IMDB-Link: Camille


Mit den Leidenschaften ist es so eine Sache. Einerseits treiben sie uns zu Leistungen und Taten an, die unser Umfeld kaum für möglich gehalten hätte. Andererseits sind sie auch gefährlich, wenn man es damit übertreibt. Camille Leparge (Nina Meurisse) ist eine junge, leidenschaftliche Fotojournalistin. Auf eigene Faust fährt sie 2013 in die Zentralafrikanische Republik, um über den dort ausgebrochenen Bürgerkrieg zwischen Christen und Moslems zu berichten. Schon bald feiert sie erste Erfolge. Sie knüpft Kontakt zu Studenten, die im Widerstand aktiv sind, sie findet Anschluss an andere Journalisten vor Ort, und sie verkauft ihre ersten Foto-Stories an renommierte französische Zeitschriften. Doch gleich mit der allerersten Szene macht Regisseur Boris Lojkine klar, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird. Camille Leparge lebte tatsächlich, und sie wurde nicht alt. Sie starb während ihrer Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik, als sie und die Soldaten, mit denen sie unterwegs war, in einen Hinterhalt gerieten. Lojkine zeigt in seinem Film, worin die Stärken, aber auch die Gefahren und Schwächen von Idealismus liegen. Camille Leparge ist bewundernswert für ihr Engagement und ihren Mut, den Krieg, den in Europa beziehungsweise der westlichen Welt kaum jemanden interessiert hat, zu zeigen und die Menschen, ihren Kampf und ihr Leid sichtbar zu machen. Gleichzeitig aber wird ein Stück Besessenheit in Camilles Handeln sichtbar, eine Irrationalität, die sie auch Grenzen überschreiten lässt. Und dadurch wird ihr Handeln gefährlich. Boris Lojkine stellt dem Zuseher die Frage, ob Camille Leparge heute noch leben könnte – ohne sie selbst zu beantworten. Sein Film ist nüchtern gehalten, von dokumentarischer Anmutung und damit leicht zugänglich. Die moralischen Fragen, die er aufwirft, sind jedoch diffizil und kaum zu beantworten.


7,0
von 10 Kürbissen

Ivana the Terrible (2019)

Regie: Ivana Mladenovic
Original-Titel: Ivana cea Groaznica
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Ivana cea Groaznica


Die in Bukarest lebende serbische Filmemacherin und Schauspielerin Ivana kommt in ihre Heimatstadt an Grenze zwischen Rumänien und Serbien an der Donau. Die Stadt ist gerade dabei, ein Festival zu Ehren der rumänisch-serbischen Freundschaft auszurichten und hätte Ivana gerne als Botschafterin des Festivals. Doch die hat andere Probleme: unerklärliche Kopfschmerzen, einen Wickel mit der Großmutter, einen dreizehn Jahre jüngeren Geliebten und die Angst davor, dass diese Liaison auffliegt, denn man ist hier noch recht konservativ unterwegs, und dass eine Frau einen jüngeren Lover haben kann, der noch dazu schmutzige Dinge mit ihr beim Sex tut, das ist quasi unvorstellbar. Und auch auf das Festival hat sie keine Lust, auch wenn ihr Ex Andrei, mit dem sie sich noch immer gut versteht, und dessen neue Freundin Anca als Musiker gebucht sind. So weit, so gewöhnlich. Nun zum Ungewöhnlichen, was sich hier auch als Problem herausstellt: Ivana ist Ivana Mladenovic, Andrei ist Andrei Dinescu. Anca ist Anca Pop. Die ganze Familie Mladenovic spielt sich selbst. Dieser ungewöhnliche Ansatz führt zwar zum Einen zu einem dokumentarischen Feeling, das von der Regisseurin durchaus so beabsichtigt ist. Der Film scheint nur in geringen Dosen mit Fiktion angereichert zu sein. Aber genau in dieser Dosierung liegt auch das Problem: Denn so wird „Ivana the Terrible“, was als selbstironische Reflexion über das Leben als Berühmtheit in der Heimatstadt gedacht sein mag, zu einer Nabelschau, in der gerade das Bemühen von Ivana Mladenovic, unsympathisch zu wirken, einen bitteren Beigeschmack hat. Denn klar ist, dass sie sich so für den Film inszeniert und so ihre eigenen Befindlichkeiten thematisiert. Die gerade eben verstorbene Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison meinte einst, dass sie Literatur von Schriftstellern, die nur über sich selbst und ihre Welt schreiben, fadisiert. Und so geht es mir auch mit Filmemachern, die von sich selbst erzählen. Denn immer liegt ein Filter darüber, der die Befindlichkeiten überhöht und damit – für mich – uninteressant machen. Am Film berührt hat mich eigentlich nur die Widmung am Ende: Anca Pop ist nämlich kurz nach Fertigstellung des Films tödlich verunglückt.


4,0
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=3AW96zQDE3A