Biopic

Bottle Shock (2008)

Regie: Randall Miller
Original-Titel: Bottle Shock
Erscheinungsjahr: 2008
Genre: Komödie, Drama, Biopic
IMDB-Link: Bottle Shock


Für Weinfreaks ist die Weinjury von Paris 1976 so etwas wie die erste Herztransplantation durch Dr. Barnard, die Präsidentschaftswahl von Donald Trump oder der Brexit: Etwas nie für möglich Gehaltenes passiert und stellt die Welt auf den Kopf. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Überlegenheit französischer Weine in der Weinwelt als so fest wie das Amen im Gebet. Der in Paris lebende englische Weinkritiker und Händler Steven Spurrier (Alan Rickman), ebenfalls großer Fan französischer Erzeugnisse, findet aber eine kreative Möglichkeit, seinen schlecht laufenden Shop zu promoten, indem er die „Weinjury von Paris“ einberuft: Die renommiertesten Weinkritiker Frankreichs sollen eine Auswahl hochwertiger französischer Weine blind neben kalifornischen Weinen aus Napa Valley verkosten, darunter den Chardonnay von Chateau Montelena, betrieben durch den ehrgeizigen Quereinsteiger Jim Barrett (Bill Pullman) und dessen Hippie-Sohn Bo (Chris Pine). Die Kalifornier, die zwar mit Herzblut bei der Sache sind, aber auf keine lange Weintradition wie Frankreich verweisen können, sind skeptisch: Will man sie vor der Weltöffentlichkeit vorführen? Dass Spurrier durch und durch Brite ist mit allen dazugehörigen Manierismen und Eigenheiten, macht die interkulturelle Annäherung nicht einfacher. Aber man beschließt, der ganzen Sache eine Chance zu geben. Das Ergebnis wird die Fachwelt in ihren Grundfesten erschüttern. „Bottle Shock“ basiert auf wahren Begebenheiten, sowohl Steven Spurrier als auch die Barretts waren bzw. sind real lebende Persönlichkeiten, und die Weinjury von Paris 1976 gab es in dieser Form ebenfalls – mit weitreichenden Folgen für die Weinwelt. Da ich selbst einen guten Tropfen zu schätzen weiß, waren die Voraussetzungen für eine wohlwollende Bewertung des Films schon mal sehr gut. Dazu der legendäre Alan Rickman, der von mir ebenfalls sehr geschätzte Bill Pullman, ein sympathischer Freddy Rodriguez in der Rolle des Weinbaugehilfen Gustavo und Rachael Taylor als Praktikantin, die alle Blicke auf sich zieht. Alle Zutaten für einen guten Film sind da, aber es ist halt auch wie bei der Weinerzeugung selbst: Wenn man es zu formelhaft angeht, springt der magische Funke halt nicht über und das Erzeugnis ist zwar von sauberer Qualität, aber eben austauschbar und nicht mitreißend. So geht es auch „Bottle Shock“ – unterm Strich ein solider Film, aber zu routiniert inszeniert, um zum Publikum eine echte Bindung aufbauen zu können.


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2008 Twentieth Century Fox, Quelle http://www.imdb.com)

Bombshell – Das Ende des Schweigens (2019)

Regie: Jay Roach
Original-Titel: Bombshell
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: Bombshell


Der wohl denkwürdigste Spruch in Jay Roachs „Bombshell – Das Ende des Schweigens“ lautet sinngemäß: „Es ist eine Fox-Nachricht, wenn es entweder deine Großmutter verängstigt oder bei deinem Großvater Ärger erregt“. Fox-News ist so etwas wie die amerikanische Bild-Zeitung im Fernsehen, nur konservativer. Dass sich der einflussreiche und cholerische CEO Roger Ailes (John Lithgow) gerne mal an hübschen Moderatorinnen vergreift als Gegenleistung für deren berufliches Fortkommen, kann man also getrost als perfekte Schlagzeile für Fox-News betrachten. Nur, dass die Frauen intern die Mauer machen – zu groß ist die Angst vor dem weitreichenden Einfluss des Ekels. Auch Megyn Reilly (eine dank Oscar-gekrönter Maske fast unkenntliche Charlize Theron), Aushängeschild des erzkonservativen Senders, möchte zunächst ihrer gefeuerten Kollegin Gretchen Carlson (Nicole Kidman) nicht beispringen. Attacken seitens des Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der sich von Reillys kritischen Fragen zu seinem sexistischen Verhalten angegriffen fühlt, sind ihr erst einmal genug Action im Job, zumal plötzlich auch windige Fotografen auf ihrer Veranda stehen und versuchen, ihr Privatleben in die Öffentlichkeit zu zerren. Doch steter Tropfen höhlt den Stein, und allmählich wagen sich auch andere belästigte Frauen nach vorne. Das Imperium von Roger Ailes scheint angreifbar zu werden. „Bombshell“ ist ein weiterer Film, der die MeToo-Bewegung thematisiert und aufzeigt, wie oft Grenzen überschritten werden und wie das System die Grenzüberschreiter deckt. Das Thema allein muss man dem Film schon mal hoch anrechnen. Und auch schauspielerisch wird der Film von absoluten Größen der Branche getragen. Selbst Nebenrollen sind mit Kapazundern wie Margot Robbie, Malcolm McDowell, Allison Janney oder Richard Kind besetzt. Allerdings hat der Film ein Problem mit dem Pacing. Die Geschichte wird recht wirr erzählt, Zusammenhänge muss sich der Zuseher selbst erarbeiten, und es gibt wenige entscheidende Momente, die den Plot wirklich voranbringen. Vielmehr tröpfelt dieser vor sich hin, passend wiederum zu den realen Ereignissen, die auch nur langsam in Fahrt gekommen sind. Eine straffere Inszenierung hätte dem Film aber insgesamt gutgetan.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben (2023)

Regie: Robert Schwentke
Original-Titel: Seneca: On the Creation of Earthquakes
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Satire, Historienfilm, Biopic, Experimentalfilm
IMDB-Link: Seneca: On the Creation of Earthquakes


Wie passend, dass im Radio nach der Heimfahrt vom Kinobesuch „Bad Moon Rising“ von Creedence Clearwater Revival gespielt wurde. Der Text des Songs bietet eine wunderbare Zusammenfassung von Robert Schwentkes gewagtem Historien-Experimentalfilm, vor allem die Stelle „Hope you got your things together. Hope you are quite prepared to die“. Denn dieses Schicksal erwartet Seneca, Senator Roms, Lehrer Neros und allseits beliebter Gastgeber von Reich und Schön, die sich seine Lebensweisheiten reinziehen, bevor sie zu omnipräsenten Kalendersprüchen wurden. Denn Seneca ist in Ungnade gefallen, und der Bote Roms, der an seiner Haustür anklopft, stellt ihn vor die Wahl: Am nächsten Morgen kommt er wieder, um Senecas Leiche einzusammeln, oder aber er setzt Neros Wunsch persönlich um, was dann allerdings, wie er andeutet, einen grauslichen und langwierigen Leidensweg bedeuten würde. „Hope you got your things together. Hope you are quite prepared to die.“ Auch einen wortwörtlichen bad moon gibt es zuvor, denn Seneca hat für sein extravagantes Partyvolk vorab noch ein Theaterstück zum Besten gegeben, um ihnen ihre Dekadenz vor Augen zu führen, wobei er nicht vor drastischen Mitteln zurückschreckt, und genau am Höhepunkt dieser Inszenierung schiebt sich der Mond wie ein böses Omen vor die Sonne und verdunkelt die Welt. Doch ist Seneca ein Erleuchteter oder nicht vielmehr ein Heuchler, ein Hypokrit, wie im Buche steht? Selbst unermesslich reich geworden predigt er über Tugend, Anstand und Gnade, und sich nicht zum Sklaven des Reichtums zu machen, sondern Herr darüber zu sein. John Malkovich in der Titelrolle spielt diese zweideutige Gestalt, die vor dem reichen Publikum auf dicke Hose macht, doch im Grunde nur ein aufgeblasener, eitler Gockel ist, mit einer Präsenz, die es unmöglich macht, den Blick von der Leinwand zu wenden. Allerdings eine Warnung: Wer einen klassischen Historienfilm erwartet, ist hier falsch. Denn „Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben“ ist vielmehr eine auf Film gebannte Theaterinszenierung, in die immer wieder, wie als fernes Echo, die moderne Welt hineinhuscht – sei es durch Sonnenbrillen, Graffiti von Panzern oder der eindrücklichen Schlussszene, als Senecas Körper von einem Bagger verscharrt wird. Jede dieser Szenen bietet unterschiedliche Lesarten an, und es liegt am Zuseher selbst, was er daraus macht. Als gebürtiger Salzburger komme ich nicht umhin, Parallelen zu Hugo von Hofmannsthals Stück „Jedermann“ zu ziehen, in dem es ebenfalls über das Sterben des reichen Mannes geht. Am Ende sind wir allein und auf unsere intimsten Ängste und Instinkte zurückgeworfen, ganz gleich, wer man im Leben war. Um noch einen Songtext zu zitieren – hier nun die Erste Allgemeine Verunsicherung: „Der Tod ist ein gerechter Mann, ob’st oarm bist oder reich. ‚G’sturbn is g’sturbn‘, sagt der Wurm. Als Leich‘ is jeder gleich.“


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Lilli Kuschel, Quelle http://www.imdb.com)

Air: Der große Wurf (2023)

Regie: Ben Affleck
Original-Titel: Air
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Sportfilm, Biopic, Drama
IMDB-Link: Air


Zugegeben, ich habe einen kleinen Bogen um Ben Afflecks neuen Film gemacht. Wie spannend kann die Geschichte rund um die Entwicklung eines Sportschuhs sein? Und wird daraus nicht einfach nur ein Werbefilm für Nike? Tatsächlich ist der Stoff aber bei Affleck in guten Händen. Zusammen mit seinem alten Spezi Matt Damon in der Hauptrolle des Basketball-Gurus Sonny Vaccaro gelingt es ihm, daraus eine Geschichte von einem unkonventionellen Underdog zu machen, der den angestaubten Platzhirschen (in diesem Fall Converse und Adidas) mit Chuzpe die Stirn bietet. 1984 ist Nike nur die Nummer 3 unter den Basketballschuh-Herstellern. Die Aussicht auf Stars als lukrative Testimonials für das eigene Schuhwerk ist gering. Man begnügt sich mit den Krümeln, die Converse und Adidas übrig lassen. Genannter Sonny Vaccaro will genau das ändern. Er sieht in dem Rookie Michael Jordan das vielleicht größte Talent aller Zeiten und darin die große Chance für Nike. Alleiniges Problem: Michael Jordan will nicht mit Nike reden und trägt lieber Adidas. Der größte Clou von „Air: Der große Wurf“ ist es, das eigentliche Zentrum des Films, den kommenden Superstar Michael Jordan, komplett außen vor zu lassen. Er ist höchstens mal eine Silhouette im Hintergrund, verdeckt durch seine eigene Mutter (Viola Davis), die alleinige Ansprechpartnerin für Vaccaro und sein Team (darunter Ben Affleck als CEO Phil Knight, Jason Bateman als Marketingchef Rob Strasser sowie Chris Tucker als Howard White). „Air: Der große Wurf“ bietet in jeglicher Hinsicht deutlich weniger Heldenverehrung, als man erwarten würde – eine sehr emotionale, aber dramaturgisch großartig begleitete Rede von Vaccaro ausgenommen. Vielmehr erzählt der Film davon, wie man mit Mut, Witz und einer klaren Vision das scheinbar Unmögliche möglich machen kann, wenn man an sich selbst glaubt. Dazu gelingt es Affleck, die Zeit, in der der Film spielt, für den Zuseher wieder greifbar und erlebbar zu machen – ein Talent, das er schon in Argo unter Beweis stellen konnte. Er begnügt sich nicht damit, ein paar Gimmicks aus den 80er Jahren und einen entsprechenden Soundtrack aufzuwarten, sondern jede Kameraeinstellung, jedes Produktionsdesignelement atmet den Geist dieser Epoche. Allein diese Hingabe zum Detail macht „Air: Der große Wurf“ schon sehenswert. Alles in allem eine positive Überraschung und weitaus mehr als das erwartbare Marken-Pleasing. Ich bin nun schon gespannt auf die filmische Umsetzung der dramatischen Geschichte, wie aus Raider Twix wurde.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von ANACARBALLOSA/Ana Carballosa/Amazon Studios – © ANA CARBALLOSA, Quelle http://www.imdb.com)

Boston Strangler (2023)

Regie: Matt Ruskin
Original-Titel: Boston Strangler
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Boston Strangler


In den 60er Jahren ermordete ein Unbekannter in Boston 13 Frauen durch Strangulieren. Wenig überraschend bezeichneten die Medien den Mörder als „Boston Strangler“. Schon eher überraschend ist die Tatsache, dass sowohl die Bezeichnung als auch die Berichterstattung auf zwei weibliche Journalistinnen zurückgeht, die einfach die Schnauze voll davon hatten, Produkttests von Toastern in ihrer Zeitung zu veröffentlichen. Die Ermittlungen rund um den Serienkiller markierten den Beginn des Ruhms der beiden Investigativjournalistinnen Loretta McLaughlin und Jean Cole, verkörpert von Keira Knightley und Carrie Coon. Sie haben es natürlich nicht leicht, stoßen sie doch nicht nur auf alltäglichen Sexismus und Rollenklischees, sondern auch auf wenig kooperative Ermittler bei der Polizei. Einzig Detective Conley (Alessandro Nivola) erweist sich als Hilfe, doch ist der Fall schwerer zu knacken als eine Walnuss mit Wattestäbchen. „Boston Strangler“ fokussiert trotz seines reißerischen Titels auf die Ermittlungsarbeit der beiden Journalistinnen und degradiert die Verdächtigen und mutmaßlichen Täter zu Randfiguren. Das ist schon okay so – nichts gegen ordentlich gemachte Journalistenarbeit, die auch sehr spannend sein kann, wie das jüngste Beispiel She Said beweist. Doch anders als der schlau inszenierte Thriller rund um den Weinstein-Skandal plätschert „Boston Strangler“ leider etwas unmotiviert und langsam vor sich hin. Ein wenig mehr Tempo hätte dem Film gut getan. Einzelne bedrohliche Szenarien bauen nur kurz Spannung auf, die dann nicht gehalten werden kann. So ist „Boston Strangler“ zwar kein schlechter Film, aber kaum einer, der lange im Gedächtnis bleiben wird.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

Zack and Miri Make a Porno (2008)

Regie: Kevin Smith
Original-Titel: Zack and Miri Make a Porno
Erscheinungsjahr: 2008
Genre: Rom-Com, Komödie
IMDB-Link: Zack and Miri Make a Porno


Wenn ein Film zu „Wynona’s Big Brown Beaver“ von Primus beginnt, weiß man gleich einmal, wie hoch bzw. tief die Niveaulatte für die folgenden 1,5 Stunden hängt. Ein kurzer Blick auf den Regisseur, und der versierte Film-Aficionado kennt sich aus: Kevin Smith. König der herzhaft-zotigen Slacker-Komödien. „Dogma“ war so etwas wie ein stilistischer Ausreißer, aber auch dort wurde nicht immer mit Engelszungen gesprochen. Der Autor der New Jersey-Filme, in denen er als Silent Bob neben dem von Jason Mewes gespielten Jay wiederkehrende Auftritte pflegt, hat eben ein Herz für das Derbe. Mit Seth Rogen in einer der beiden Hauptrollen in „Zack and Miri Make a Porno“ findet er einen kongenialen Weggefährten, dem nichts fremd ist, was unter der Gürtellinie liegt. Überraschender ist da schon die Beteiligung von Elizabeth Banks in der zweiten Hauptrolle, aber auch die zeigt keine Berührungsängste mit dem Smith’schen Humor. Die Ausgangslage: Zack und Miri sind seit Jahren gut befreundet und wohnen zusammen, haben aber gröbere Geldnöte. Als ihnen Strom und Wasser abgedreht wird und ihnen zweiteres sprichwörtlich bis zum Hals steht, gehen sie den Weg aller Verzweifelten: Sie schütteln ihre Würde ab, die sich ohnehin nicht monetarisieren lässt, und entschließen sich, für Geld Sex zu haben. Ein Porno soll die Finanzmisere beenden. Mit einer rasch engagierten Chaos-Truppe in einem gemieteten, leider baufälligen Schuppen werden die ersten Takes zu „Star Whores“ gedreht, doch es kommt, man kann es schon erahnen, alles natürlich ganz anders als erhofft. Das Schlimmstmögliche passiert ihnen: Sie entdecken ihre Gefühle füreinander. „Zack and Miri Make a Porno“ ist, wenn man es genau betrachtet, eine klassische Rom-Com und folgt penibel den in diesem Genre üblichen Mustern. Durch den groben Humor ist das vielleicht kein Film, den man mit seiner Großmutter ansehen sollte, aber subtrahiert man alle Witze über Sex und Körperausscheidungen, bekommt man eine klassische Screwball-Komödie serviert. (Allerdings als Kurzfilm.) Man muss schon in der richtigen Stimmung sein, um mit den Zoten mitzugehen, aber dann ist der Film überraschend warmherzig und ein durchaus solider Genre-Vertreter.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

Die Fabelmans (2022)

Regie: Steven Spielberg
Original-Titel: The Fabelmans
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: The Fabelmans


Hollywood liebt Filme über Hollywood. Und wenn dann noch einer der angesehensten Regisseure der Geschichte einen autobiographischen Film über seine Anfänge als Filmemacher dreht, verwundert es kaum, dass es Oscarnominierungen regnet. Nicht weniger als 7 Nominierungen heimste „Die Fabelmans“ bei der diesjährigen Verleihung ein. Zu einer Auszeichnung reichte es dann am Ende doch nicht, auch wenn man sich langsam die Frage stellt, was Michelle Williams noch alles tun muss, um endlich mal den verdienten Oscar in ihren Händen zu halten. Vielleicht hilft es, wenn sie sich in ein Bärenfell einwickelt und rohes Fleisch isst. Aber eigentlich müssen wir ja über Gabriel LaBelle reden, der als Spielbergs Alter Ego Sammy Fabelman in einem familiären Spannungsfeld zwischen Künstlern/Träumern (seine Mutter) und Wissenschaft (sein Vater) aufwächst. Schon früh entdeckt er seine Leidenschaft für den Film und kommt damit eindeutig nach der Mutter. Doch er stellt auch fest, dass der Film auch Wahrheiten aufdecken kann, die sonst vielleicht im Verborgenen geblieben wären. Sieht man von der übergeordneten autobiographischen Ebene ab, ist „Die Fabelmans“ in erster Linie ein Familiendrama und Coming-of-Age-Film, in dessen Zentrum ein zwischen zwei Welten hin- und hergerissener Jugendlicher steht, der seinen Platz erst finden muss. Die sensible Inszenierung fügt diesem vielbearbeiteten Thema allerdings eine gefühlvolle, fast nostalgische Note hinzu, die die doch recht ambitionierte Dauer von 2,5 Stunden gut trägt. Dazu bekommen die Zuseher einen Einblick in die originellen ersten handwerklichen Schritte des Jungregisseurs und so einen Blick hinter die Kulissen Hollywoods gestattet – wenn auch nur im Kleinen. Für einen ganz großen Wurf fehlen mir persönlich am Ende ein Gefühl von Dringlichkeit und Relevanz. Stattdessen gleitet der Film wie auf den Schienen, die zu Beginn den jungen Sammy inspirieren, dahin, was durchaus Spielbergs Meisterschaft aufzeigt, und doch fehlen die Kanten und die scharfen Stellen, an denen man sich verletzen kann.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

King Richard (2021)

Regie: Reinaldo Marcus Green
Original-Titel: King Richard
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Biopic, Sportfilm, Drama
IMDB-Link: King Richard


Man hat es nicht leicht mit den Geschwistern, vor allem, wenn diese älter sind und damit zu Würden kommen, die man selbst gerne für sich beansprucht hätte. Richard von Gloucester, in William Shakespeares Drama „Richard III.“ verewigt, kann ein Lied davon singen, ist er doch in der Thronfolge hinter seinem älteren Bruder gereiht, der als König Edward IV. über England herrscht. Missgunst herrscht über sein Denken, und so schmiedet er böse Ränke, um seinen Bruder vom Thron zu stoßen. Allein: Es geht nicht gut für ihn aus. Aber Moment – es geht in Reinaldo Marcus Greens‘ Film gar nicht um diesen historischen Bruderzwist? Es handelt sich nicht um eine Adaption des Shakespeare-Stücks? Was ist da los? Noch dazu, wenn von zwei Geschwistern die Rede ist, auch wenn es sich hier um Schwestern handelt? Verwirrend, verwirrend. Und dann betoniert Will Smith auch noch vor Millionen Zusehern dem verdatterten Chris Rock eine nach einem missglückten Scherz? Doch, das ist doch Stoff shakespeare’schen Ausmaßes! Trotzdem führt der Filmtitel ein wenig in die Irre, denn King Richard ist hier Richard Williams (gespielt vom Watschenmann), seines Zeichens Vater von zwei begnadeten Nachwuchstennisspielerinnen namens Venus und Serena (wer sich für Sport interessiert, hat diese Namen möglicherweise schon einmal gehört), und der Mann hat einen Plan, an dem er stur wie ein Esel festhält: Die beiden werden Profispielerinnen und sie werden die besten Spielerinnen der Welt. Basta! Immerhin lächeln und nicken sie gnädig zu diesem Spiel und dreschen auf die Filzkugeln ein, was die muskulösen Oberarme hergeben. Und so unbeirrt, wie sie die Bälle schlagen, geht der schon bald als schwieriger Charakter berüchtigte Vater den Weg, den er für seine Tochter auf dem Reißbrett entworfen hat. Da kann kommen, wer will, und möge es der Trainer von Tennislegende Pete Sampras sein – wer nicht mitzieht, dem furzt King Richard ins Gesicht. „King Richard“ ist ein Biopic der eher ungewöhnlichen Sorte, denn es stehen nicht die künftigen Stars und ihr Werdegang im Vordergrund, sondern der fanatische Vater, der alles seinem Plan unterordnet. Der Erfolg soll ihm am Ende recht geben, doch wie schmal der Grat ist zwischen Sieg und vernichtender Niederlage, nach der man nicht mehr aufsteht, deutet der Film mehr als einmal an. Dennoch bleibt der Film auf ausgetretenen Pfaden und damit recht zahm. Die Eckpunkte jedes Biopics (Traum, Schwierigkeiten, Aufstieg, weitere und noch größere Schwierigkeiten, beinahe der Fall und schließlich doch noch der Triumph über alle Widrigkeiten) werden routiniert abgearbeitet. Unter den besten Filmen des Jahres 2021 sehe ich „King Richard“ – anders als die Oscar Academy – nicht. Dass man Will Smith für seine seriöse Darstellung für einen Oscar nominieren kann, schon eher. Am Ende wäre es wohl besser gewesen, hätte ein anderer diesen gewonnen, auch für Will Smith selbst. Es hätte jedenfalls ausreichend starke Konkurrenz gegeben.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Corsage (2022)

Regie: Marie Kreutzer
Original-Titel: Corsage
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Biopic, Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Corsage


In den vergangenen Jahren ist es offenbar in Mode gekommen, heroisch verklärte Frauenfiguren aus der Geschichte zu sezieren und in ein neues (nicht immer vorteilhaftes) Licht zu rücken. Pablo Larraín hat es in dieser Kunstform zu erklärter Meisterschaft gebracht und uns originelle Filme wie Spencer beschert, und zuletzt hat Andrew Dominik aufhorchen lassen, indem er Marilyn Monroe in Blond durch die sieben Kreise der Hölle geschickt hat. Marie Kreutzer reiht sich nahtlos in diese Riege ein. Ihre Kaiserin Elisabeth, romantisch mit kiloweise rosa Kitschpulver in den Sissi-Filmen bestäubt, wird hier als sehr eigenständige, eigensinnige, vom Hofzeremoniell angeödete und des Lebens verdrossene Melancholikerin dargestellt. Die Parallelen zu Prinzessin Diana in „Spencer“ sind unübersehbar – beide Filme zielen in die gleiche Richtung: Das scheinbar glamouröse Leben der Monarchinnen wird Schicht für Schicht abgetragen, bis der innerste, verwundbare und auch schon schwer verwundete Kern der Seele übrigbleibt. Sisi- und Romy Schneider-Fans mögen Schnappatmung bei diesem Vorgang finden, und ja, Vicky Krieps bringt nichts von dieser unschuldig-zärtlichen Anmut einer Romy Schneider in die Rolle ein, aber nichtsdestotrotz (oder gerade deshalb) funktioniert sie als Kaiserin Elisabeth hervorragend – wenn man sich von dem Gedanken verabschiedet, ein klassisches Biopic zu sehen. Denn das ist „Corsage“ nicht, das will der Film auch gar nicht sein. Einsprengsel von modernen Elementen, die fast so wirken, als hätte das Produktionsteam schlicht vergessen, diese aus dem Bild zu nehmen (ein modern wirkender Traktor, ein im Gang herumstehender Wischmop aus türkisem Plastik, oder aber auch ein Song aus den 60ern, der auf einer Geige gezupft wird oder etwas gar verfrühte Filmaufnahmen), deuten auf eine Metaebene hin. Kaiserin Elisabeth ist hier sinnbildlich zu nehmen für den Kampf aller Frauen, sich von ihrem zu eng geschnürten gesellschaftlichen Korsett zu befreien. So ist der Film vielleicht etwas anstrengend und manchmal auch irritierend, bleibt aber aufgrund seiner Doppelbödigkeit stets interessant. Ich glaube, auch Romy Schneider hätte er gut gefallen.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Blond (2022)

Regie: Andrew Dominik
Original-Titel: Blonde
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Biopic, Drama
IMDB-Link: Blonde


„Sie wollte blond wie eine Semmel sein, blond, blonder als der Sonnenschein …“ Dieses hochlyrische Werk haben wir Rainhard Fendrich, Säulenheiliger des Austropops, zu verdanken. Ob er beim Texten dieser tiefsinnigen Zeilen an Marilyn Monroe gedacht hat, ist nicht überliefert. Möglich wär’s. Denn die war bekanntermaßen auch keine Naturblondine, sondern hat mit viel Wasserstoff nachgeholfen. So wie Ana de Armas, die auch eher dem Typ „glutäugige Latina“ entspricht, sich aber mutig in die ikonische Rolle stürzt. Und siehe da – es funktioniert! Gelegentlich blitzt ein wenig der lateinamerikanische Akzent durch, aber geschenkt. Ana de Armas macht einen herausragenden Job, ihre Marilyn Monroe ist zutiefst ge- und verstört, verletzlich, fast schon mythisch, jedenfalls ätherisch. Aber hoppla – wo bleiben die guten Seiten der Frau, die als Norma Jeane Mortenson geboren wurde, ehe sie zur Legende ihrer Zeit aufstieg? Ist dieses Biopic von Andrew Dominik nicht etwas einseitig, gar entwürdigend geworden? Ganz ehrlich – jeder Ulrich Seidl-Film erscheint dagegen wie ein Feelgood-Movie. Man muss jedoch erst einmal mit einem Missverständnis ausräumen. Andrew Dominik hat nämlich kein Biopic gedreht, auch wenn das Label draufsteht. „Blond“ ist vielmehr eine episodenhafte, kunstvoll verspielte und horrorartige Abrechnung mit dem Publikum selbst. Der Film greift alle Gerüchte und Klischees auf, die man von Marilyn Monroe zu kennen glaubt, und verzerrt sie ins Groteske. Das ist schmerzhaft anzusehen, denn der Film hält uns einen Spiegel vor. „Ihr wolltet in den Abgrund starren? Doch passt auf, der Abgrund starrt auf euch zurück“, ruft uns der Film zu, und Nietzsche kichert leise im Hintergrund, während sich Freud besorgt die Brille aufsetzt. Man muss schon viel Geduld mitbringen, denn „Blond“ ist gegen jede Sehgewohnheit gebürstet und auch mit seiner Länge von 166 Minuten nichts, was man mal nebenbei konsumiert. Ich könnte allerdings nicht einmal mit gutem Gewissen behaupten, dass der Film die volle Konzentration der Zuseher:innen erfordert, denn mehr als auf einer intellektuellen Ebene spielt er sich auf der Ebene der Sinne ab. Es ist ein Film, in den man sich einfach fallen lassen muss. Gelingt das, ist er großartig. Gelingt das nicht, ist er Mist und Zeitverschwendung. Und so kann ich auch die vielen negativen Stimmen nachvollziehen, aber mich hat er – nach einigen Startschwierigkeiten, bis ich mich eingefunden habe in diese ganz spezielle Stimmung, die es für die Sichtung braucht – dann trotz seiner Länge(n) gepackt.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Matt Kennedy/Matt Kennedy/NETFLIX – © 2022 © NETFLIX, Quelle http://www.imdb.com)