2016

Orphan (2016)

Regie: Arnaud de Pallières
Original-Titel: Orpheline
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Orpheline


„Orpheline“ von Arnaud de Pallières beginnt ziemlich französisch: Schöne, viel zu stark geschminkte Frauen, viel Genuschel und Geflüster, nackte Brüste, wohin das Auge reicht, Sexszenen, und die erste halbe Stunde hat man keinen Dunst, worum es geht. Was sich dann aber nach und nach entfaltet, ist die Geschichte einer verlorenen Jugend. Vieles davon ist sehr klischeehaft – ein gewalttätiger, unberechenbarer Vater, der die Tochter aus dem Haus und in die Arme zweifelhafter Lover treibt, das junge Mädchen sucht Bestätigung durch Sex mit älteren Männern, lernt Leute kennen, die man besser nicht kennenlernen sollte und so weiter. Das alles ist nicht unbedingt neu, aber erfrischend ist dann doch, dass zum Einen die Geschichte mehr oder weniger rückwärts erzählt wird von der jungen Erwachsenen bis hin zum Kind, das Verstecken spielt, und zum Anderen gleich vier Darstellerinnen für die Rolle der Karine gecastet wurden, die sie in unterschiedlichem Alter verkörpern, unter anderem Adèle Haenel, die ich dieses Jahr schon in „La Fille Inconnue“ von den Dardenne-Brüdern sehr bewundert habe, und die aus „Blau ist eine warme Farbe“ bekannte Adèle Exarchopoulos. Big Surprise: Auch Gemma Arterton schwingt ihre wohlgeformten Hüften durch den Film, feuert laszive Blicke auf alle Geschlechter ab und parliert auf Französisch. Manchmal hat auch Hollywood Bock auf europäisches Arthouse-Kino. Insgesamt also eine eher interessante Erfahrung, wenngleich der Film nicht frei von Schwächen ist (die schon angesprochenen Klischees und die Tatsache, dass das Überangebot an blanken Frauenkörpern und Sexszenen in der ersten Hälfte des Films fast schon für Langeweile, auch beim männlichen Zuseher, sorgt – „Ah? Nippel? Gähn.“).


6,5
von 10 Kürbissen

The Last Family (2016)

Regie: Jan P. Matuszynski
Original-Titel: Ostatnia Rodzina
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: Ostatnia Rodzina


Zdzisław Beksiński war ein bedeutender polnischer Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war Ehemann und Vater. Er war ein durchschnittlicher Mensch mit Fehlern. Seine Frau bemühte sich, die liebevolle Seele der Familie zu sein. Sein Sohn hatte psychische Probleme, wurde aber dennoch ein bekannter Radiomoderator und DJ. All das klingt nicht so wirklich bedeutsam, und das ist es wohl auch nicht. Aber dass man dennoch der Geschichte einer Familie über mehr als 20 Jahre hinweg gebannt zwei Stunden lang folgt, zeigt, dass ein Film nicht bedeutsam sein muss, um uns zu berühren. Das einfache Leben kann manchmal kompliziert genug sein. Jan P. Matuszynski, der erstaunlich junge Regisseur, wirft immer wieder vereinzelte Schlaglichter auf die Familie, die sich wie ein Mosaik allmählich zu einem Ganzen formen. Die Handlungsorte sind immer die gleichen – die Wohnung von Beksiński, die von seinem Sohn, der in einem Wohnblock gegenüber lebt, der Aufzug zu dieser Wohnung, der Friedhof. Mehr braucht Matuszynski nicht, um ein ganzes Leben nachzuzeichnen. Natürlich fragt man sich bei manchen Szenen, manchen Sequenzen, ob es nun tatsächlich nötig ist, diese zu zeigen, aber nach einigem Nachdenken stellt man fest: vielleicht nicht unbedingt nötig, aber erhellend. Das Ende hallt lange nach.


7,5
von 10 Kürbissen

Paterson (2016)

Regie: Jim Jarmusch
Original-Titel: Paterson
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Paterson


Der von mir so geschätzte Ray Bradbury hat einst einen Schreibratgeber mit dem wundervollen Namen „Zen in the Art of Writing“ geschrieben. Ich weiß nicht, ob Jim Jarmusch einen Filmkurs abhält, aber falls doch, wäre es wohl angemessen und richtig, diesen „Zen in the Art of Film-Making“ zu nennen. In Jim Jarmusch-Filmen passiert erstaunlich wenig für die Fülle der Zeit, die sie in Anspruch nehmen. Noch erstaunlicher: Sie sind in den seltensten Fällen langweilig. Die Geschichte von „Paterson“ ist rasch erzählt: Der stoische Busfahrer Paterson lebt in einer harmonischen Liebesbeziehung mit der rastlosen Laura und ihrer Bulldogge Marvin und schreibt nebenbei Gedichte. Inspiration holt er sich aus dem Alltag, aus den Gesprächen der Fahrgäste beispielsweise. Sein Leben findet aber in geordneten, fast schon pedantischen Routinehandlungen statt. Was für ein gewaltiges Talent er tatsächlich ist, kann man bestenfalls erahnen. „Paterson“ ist eine Hymne für Unsong Heroes. Es ist gleichzeitig eine Hymne an die Liebe und das Miteinander und an den Alltag. Phasenweise hat der Film durch sein Stilmittel der Repetition durchaus seine (kleineren) Längen. Und ich hätte mir gewünscht, dass Paterson, der stille Held, am Ende einen kleinen Triumpf erfährt oder eine Wandlung, aber all das wäre wohl nicht konsequent zu Ende gedacht gewesen. Jim Jarmusch hingegen ist konsequent. Ein schöner, in sich ruhender Film. Nicht der beste Jarmusch (das wird für mich wohl immer „Only Lovers Left Alive“ bleiben), bei weitem auch nicht der zwingendste und sicherlich nicht der massentauglichste, aber einer von den vielen guten.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

The Apple of My Eye (2016)

Regie: Axelle Ropert
Original-Titel: La Prunelle de Mes Yeux
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Komödie, Rom-Com
IMDB-Link: La Prunelle de Mes Yeux


Wenn man eine 1,5stündige Komödie ansieht und kein einziges Mal schmunzelt, ist das eher kein ermutigendes Zeichen. „La Prunelle de Mes Yeux“ aus Frankreich ist ein völlig verunglücktes Rom-Com-Vehikel, das so wirklich jede Figur, die darin vorkommt, dumm aussehen lässt. Erzählt wird die Geschichte, wie sich die blinde Elise und der erfolglose und talentbefreite Musiker Théo im Aufzug kennenlernen, wie sie sich fürchterlich unsympathisch finden und gegenseitig auf die Nerven gehen und sich Théo schließlich, ein schlechter Scherz, ebenfalls als blind ausgibt, wodurch sie dann doch zueinander finden. Darüber hinaus gibt es eine kokainsüchtige Schwester der blinden Elise, eine Ärztin, die wie eine High-Society-Schnepfe aussieht, die sich in den falschen Film verirrt hat, einen Beamten, der so schlecht gespielt ist, dass man Mitleid mit dem armen Menschen hat, der ihn darstellt, denn ein professioneller Schauspieler kann das nicht sein, einen Label-Boss, der zu oft „Der Pate“ geschaut hat, und den Bruder von Théo, der lauter Blödsinn redet, aber irgendwie noch der sympathischste der ganzen Nebenfigurenriege ist. Die wahren Probleme werden einfach bagatellisiert. So ist die Drogensucht der Schwester eine nie bestätigte Behauptung, die als billiger Running Gag herhalten muss, und die Sicht des Films auf blinde Menschen und ihren Umgang mit dem Alltag ist mehr als fragwürdig. Die Synopsis des Films: Schöne Menschen fahren im Aufzug und reden Mist. Ärgerlich.


2,5
von 10 Kürbissen

Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind (2016)

Regie: David Yates
Original-Titel: Fantastic Beasts and Where to Find Them
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Fantasy, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Fantastic Beasts and Where to Find Them


Gleich vorweg: Ich bin kein ausgewiesener Harry Potter-Kenner und -Fan. Ich gehöre zu den wenigen Menschen meiner Generation, die nicht mit den Büchern aufgewachsen sind und habe sie bislang auch noch nicht gelesen, und auch die Filme habe ich erst vor zwei oder drei Jahren zum ersten Mal gesehen. Ich mag die Filmreihe sehr, finde die Geschichte toll erzählt und kann absolut nachvollziehen, warum Harry Potter zu einem solchen weltweiten Phänomen wurde. Und ich habe natürlich auf Anregung meiner Freunde das berühmte Sorting durchgeführt. (Lange Zeit war ich ein Ravenclaw, bis ein weiterer, genauerer Test ergeben hat, dass ich eigentlich zu Hufflepuff gehöre, bin daher also ein Ravenpuff, was ziemlich schmutzig klingt.) Aber ich kann eben nicht behaupten, dass bei mir Harry Potter über alles geht. Dies gesagt, kann ich mich nun hinstellen und das sagen, was ich zu sagen habe: „Fantastic Beasts and Where to Find Them“ ist vielleicht der beste Fantasy-Film, den ich je gesehen habe.

Warum ist das so? Ich könnte nun auf den grandiosen Cast verweisen, angeführt von einem wie immer großartigen Eddie Redmayne, einer wunderbar fragilen und zugeknöpften Katherine Waterston (unglaublich, wenn man sich an ihre laszive Verführerin in „Inherent Vice“ erinnert), einer herzerwärmend charmanten Alison Sudol und dem heimlichen Star des Films (neben den liebevoll animierten Fabelwesen), Dan Fogler, der seinen Muggle Jacob, der unversehens in die magische Welt hineingezogen wird und mit staunenden Augen von einer ihn überfordernden Situation in die nächste stolpert, sich aber mit großem Herz und einer Portion Tapferkeit allem stellt, zum Niederknien spielt. Daneben trumpfen Colin Farrell als aalglatter und undurchsichtiger Gegenspieler sowie Ezra Miller und die junge Faith Wood-Blagrove als unheimliches Geschwisterpaar auf. Ich könnte auch die herausragenden Animationen als Grund für meine Begeisterung nennen. Vor allem die schon erwähnten Tierwesen sind extrem gut animiert. Oder die Atmosphäre des Films, die dunkel, aber nicht bedrohlich ein New York der 20er-Jahre zeigt, das sich fremd und vertraut gleichermaßen anfühlt. Ich könnte natürlich auch auf die Story hinweisen, das gut geschriebene Drehbuch, das fast immer die richtige Balance aus Action und Ruhe findet und die Geschichte gut vorantreibt und kaum einmal langatmig werden lässt (trotz einer Laufzeit von deutlich mehr als zwei Stunden). Was aber die eigentliche große Stärke des Films ist: Obwohl „Fantastic Beasts“ einer der größten Blockbuster des Jahres ist, merkt man in jeder Einstellung, jeder Szene und jedem Blick der Darsteller, wie viel Liebe, Hingabe, Herzblut und überbordende Fantasie darin steckt.


9,0
von 10 Kürbissen

Baden Baden (2016)

Regie: Rachel Lang
Original-Titel: Baden Baden
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: Baden Baden


Die Geschichte einer Badezimmerrenovierung. Oder aber auch die Geschichte einer jungen verpeilten Französin, die ihren Job verschusselt und daher erst einmal im von ihrer Firma gemieteten Sportwagen nach Hause zur Großmutter düst (wenn man schon mal so ausgerüstet ist, gibt man diesen Komfort auch ungern wieder auf – und das Auto wird eh niemand vermissen, oder?). Die betagte Dame, mit der sie eine enge Beziehung verbindet (anders als zu ihren Eltern) ist nicht mehr so gut zu Fuß, dann kommt sie auch noch ins Krankenhaus, was die junge Ana einerseits ein wenig aus dem Gleichgewicht wirft und sie andererseits (und als Folge von Ersterem) voller Tatendrang mit dem Hammer auf die Badezimmerfliesen losgehen lässt – das Badezimmer gehört seniorenfreundlich renoviert. Dabei hilft ihr ein schüchterner Baumarktverkäufer und eher nicht ihr Bruder, ihr Ex-Lover I, ihr Ex-Lover II und der Typ, den sie auf einer Baustelle aufgabelt. Das alles ist recht sympathisch und französisch und gut gespielt, aber leider bleibt der Film belanglos und weiß auch nicht so recht, was er nun eigentlich erzählen möchte – jedenfalls habe ich diesen Eindruck gewonnen. Ein tieferer Sinn hat sich mir nicht erschlossen. Eine junge Frau auf der Suche nach … na ja … was eigentlich? Wohlwollend kann man den Film als Kommentar auf die heutige ziel- und wurzellose Generation der jungen Erwachsenen sehen, aber dafür war’s mir auch nicht stringent genug. Ein Film, der niemandem weh tut, aber wohl auch nicht länger im Gedächtnis bleiben wird. Daher sei mir am Ende ein schlechtes Wortspiel (in Kleinbuchstaben) erlaubt: leider geht baden baden baden.


5,0
von 10 Kürbissen

The Accountant (2016)

Regie: Gavin O’Connor
Original-Titel: The Accountant
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Thriller, Action
IMDB-Link: The Accountant


Ich geb’s ja zu: Ich mag Ben Affleck. Solange er nicht in irgendwelchen Schmachtfetzen mitwirkt, in denen seine Mimik immer an eine Mischung aus eingefrorenem Schlafzimmerblick und eingerauchtem Roboter erinnert, sehe ich ihn gerne auf der Leinwand. Von „The Accountant“, in dem er einen autistischen Buchhalter spielt (der gleichzeitig eine Kampfmaschine ist), habe ich mir viel erwartet. Der Trailer sah fetzig aus, Ben Affleck kann sich als Autist ganz auf seinen eingerauchten Roboter konzentrieren – möge die Show beginnen! Und der gut aufgelegte Cast treibt die Geschichte auch gleich mal solide voran. Ben Affleck spielt den schon erwähnten autistischen Buchhalter, der von seinem Vater (gegen den der Drill Sergeant aus „Full Metal Jacket“ wie eine Kaffeekränzchen-Tante wirkt) dazu abgerichtet wird, sich dieser feindlichen Welt da draußen mit aller Härte zu stellen, und der nun ein abwechslungsreiches, nur an der Oberfläche friedliches Leben als Berater der kriminellsten Subjekte dieses Erdballens gefunden hat. Und wenn ihm einer blöd kommt, na, dann kriegt er halt zwei Kugeln in den Kopf. Sein neuester Auftrag bringt ihn aber an seine Grenzen, denn einen Kürbis (oder Kopf) auf eine Meile in Fetzen zu zerschießen, ist ja kein Problem, aber die zaghaften Flirtversuche der Buchhalterin der Firma, die er überprüfen soll (und die natürlich jede Menge Dreck am Stecken hat, was in fröhliche Schießereien mündet), hebeln den guten Mann nachhaltig aus. „The Accountant“ ist ein sehr geradliniger Actionthriller mit einem nuanciert spielenden Ben Affleck, einer entzückenden Anna Kendrick, einem wie immer guten J.K. Simmons und vielen zerplatzenden Schädeln. Die Story weist trotz aller Geradlinigkeit einige ganz gute Twists auf, wenngleich sich der Mittelteil dann doch recht arg zieht und der Film seine faden Momente hat. Der Showdown hingegen ist wieder herrlich trocken und entschädigt für die Längen davor.


6,5
von 10 Kürbissen

Girl on the Train (2016)

Regie: Tate Taylor
Original-Titel: The Girl on the Train
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Thriller
IMDB-Link: The Girl on the Train


Gleich vorweg: Nein, ich habe das Buch nicht gelesen. Also bin ich unvoreingenommen an den Thriller herangegangen in der Hoffnung, so etwas Ähnliches wie „Gone Girl“ zu sehen. Bekommen habe ich eine großartige Emily Blunt (Hand aufs Herz: Wann ist sie nicht großartig?) und einen aus einer Abfolge von Genre-Klischees lieblos zusammengekleisterten Film, der sich groß „Thriller“ auf die Stirn pappen muss, da man ansonsten nicht auf die Idee käme, dass er Spannung enthalten könnte. Thriller sind nun wirklich nicht mein allerliebstes Genre, und als Experte dafür gehe ich nicht einmal mit zwei zugedrückten Augen durch. Dennoch war’s mir bereits bei der Hälfte des Films völlig klar, wer nun der Bösewicht ist – nämlich der größte Langeweiler mit dem fadesten Auge. Jo eh. Prinzipiell blieben mir auch alle Figuren, selbst jene der wunderbaren Emily Blunt, völlig wurscht. Ein gut gemeinter Ratschlag an die Filmemacher: Wenn ihr wollt, dass die Zuseher mit euren Protagonisten mitfiebern, dann müssen diese etwas mehr zu bieten haben als die Persönlichkeitsstruktur eines Gürteltiers. Insgesamt also ein Film, den man sich an einem lauen Abend, wenn gerade nichts Vernünftiges im Fernsehen läuft, ansehen kann, ohne dafür allzu viele Gehirnzellen zu verbrauchen (Popcorn nicht vergessen, damit zumindest etwas während des Kinobesuchs knistert), aber wenn man ihn verpasst, ist es auch egal. Wertung: 4,0 für einen arg konventionellen Fließbandfilm. Einen Sonderpunkt gibt es für Emily Blunt.


5,0
von 10 Kürbissen

Swiss Army Man (2016)

Regie: Dan Kwan und Daniel Scheinert
Original-Titel: Swiss Army Man
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Komödie, Fantasy, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Swiss Army Man


Ein junger Mann (Paul Dano), schiffbrüchig und gestrandet auf einer winzigen Insel, halb wahnsinnig vor Einsamkeit, will seinen Qualen ein Ende setzen und sich erhängen. Davon abgehalten wird er von einer Leiche (Daniel Radcliffe), die just in diesem Moment an den Strand gespült wird. Und diese Leiche erweist sich recht rasch als äußerst nützlich (so erzeugen beispielsweise die durch die Verwesung entstehenden Flatulenzen einen ziemlichen Antrieb, durch den die Leiche mal schnell zum Jet Ski umfunktioniert werden kann, wodurch der Gestrandete nun doch von seiner Insel entkommen kann) und mit der Zeit auch gesprächig. Gemeinsam schlägt sich das seltsame Paar nun durch einen Wald auf der Suche nach dem Heimweg und durch die Vergangenheit des Verschiedenen, der auch sonst noch allerhand Überraschungen bereithält. Was nach dem schrägsten Film des Jahres klingt … ist der schrägste Film des Jahres. Allerdings sind diese herrlichen Absurditäten kein Selbstzweck. Vielmehr entfaltet sich allmählich eine wunderbar zarte, poetische Geschichte über Einsamkeit, über Begehren, über Ängste, Schüchternheit und verpasste Gelegenheit. Das Ende ist konsequent, logisch und gleichermaßen zum Heulen schön. Vielleicht hätte man ein paar Fürze und die eine oder andere Derbheit auf dem Weg zu diesem wundervollen Ende auslassen können, aber sei’s drum – „Swiss Army Man“ ist mutiges, gefühlvolles und gehaltvolles Kino.


8,5
von 10 Kürbissen

Der Ornithologe (2016)

Regie: João Pedro Rodrigues
Original-Titel: O Ornitólogo
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: O Ornitólogo


Fernando, ein Ornithologe, paddelt in einem Kajak durch eine wundervolle Wald- und Flusslandschaft und beobachtet Vögel. Durch eine Unachtsamkeit gelangt er in Stromschnellen und ertrinkt beinahe. Gerettet wird er von zwei chinesischen Pilgerinnen, die eigentlich auf dem Jakobsweg sein möchten, sich aber verirrt haben. Ab hier wird’s krude. Die Chinesinnen, die ihn zunächst so freundlich versorgt haben, fesseln Fernando nun halbnackt, hängen ihn an einen Ast und drohen mit seiner Kastration, er entkommt, stößt auf einen stummen Ziegenhirten, der Milch aus den Zitzen seiner Ziegen trinkt, und hat mit ihm eine homoerotische Szene, die nicht gut ausgeht, er versorgt eine weiße Taube mit gebrochenem Flügel, die dann doch wieder fliegen kann und ihm nun unentwegt folgt und zu guter Letzt schwatzt er noch ein wenig mit barbusigen Amazonen, die im Wald mit Gewehren jagen. Laut diverser Quellen ist der Film eine Annäherung oder auch nur Anspielung auf das Leben des Heiligen Antonius von Padua.

Schwierig, schwierig. Einerseits sind schöne Naturaufnahmen zu betrachten (sicherlich eine ganz große Stärke des Films, phasenweise habe ich mich da an „Into the Wild“ von Sean Penn erinnert gefühlt), andererseits  wirkt das Spiel der Darsteller teilweise hölzern, und der  Film ist für mich in all seinen Anspielungen und Absurditäten eigentlich nicht entschlüsselbar. Die Parallelen zu und Anspielungen auf Antonius von Padua habe ich nicht gesehen, aber gut, dazu benötigt es wohl auch einen kirchengeschichtlich versierteren Zuseher als mich. Insgesamt fand ich die erste Hälfte des Films zwar schön anzusehen, aber auch ziemlich fad, wohingegen durch die immer absurderen Situationen und Bilder für mich der Film mit der zweiten Hälfte noch mal deutlich zugelegt hat. Da habe ich mich zum Teil auch an Andrei Tarkowskis Meisterwerk „Stalker“ erinnert gefühlt, wobei „Stalker“ für mich der deutlich bessere und stringentere Film ist. Viel mehr als eine durchschnittliche Wertung für den vögelnden Ornithologen ist für mich daher nicht drin, dazu bleibt mir der Film zu distanziert und fremd.


5,5
von 10 Kürbissen