2015

The Lobster (2015)

Regie: Giorgos Lanthimos
Original-Titel: The Lobster
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Drama, Fantasy, Satire
IMDB-Link: The Lobster


Vorweg: Der griechische Regisseur Giorgios Lanthimos hat einen an der Waffel. Definitiv. Oder gute Drogen. Oder beides. Aber das ist gut so. Denn nur deshalb kommen wohl solch außergewöhnlichen Filme wie „Dogtooth“ oder eben „The Lobster“ zustande, die verstören, aufwühlen und lange nachhallen. Worum geht es in „The Lobster“? In einer dystopischen Nah-Zukunfts-Welt oder einer alternativen Gegenwart (so ganz klar wird das nicht) müssen alleinstehende Erwachsene für 45 Tage in ein Hotel mit Rundum-Betreuung ziehen und innerhalb dieser 45 Tage einen Partner bzw. eine Partnerin finden. Gelingt ihnen das nicht, werden sie nach Ablauf der Frist in ein Tier ihrer Wahl transformiert und im Wald ausgesetzt. Sie können die Aufenthaltsdauer im Hotel verlängern, indem sie „Loners“ betäuben und einfangen – Menschen, die sich gegen ein Leben in Partnerschaft entschieden haben und in Grüppchen als Outsider durch die Wälder streifen. Und als wäre das alles nicht schon bizarr genug, finden sich die Paare über gemeinsame Merkmale wie ein hinkendes Bein oder Nasenbluten. Daraus resultiert dann ein lakonisches Kunstwerk, das zwischen bitter-zynischer Komödie, verstörender Dystopie und schwarzhumoriger Parabel über Beziehungssuche und das menschliche Bedürfnis nach Bindung changiert. Colin Farrell in der Hauptrolle spielt so gut wie noch nie zuvor, aber auch der Rest des Casts kann mit zurückhaltendem, nuanciertem Spiel überzeugen. Einige Szenen gehen massiv an die Nieren, und das Lachen bleibt dem Zuseher des Öfteren auch im Hals stecken. Ein Meisterwerk.


9,0
von 10 Kürbissen

Manifesto (2017)

Regie: Julian Rosefeldt
Original-Titel: Manifesto
Erscheinungsjahr: 2015/2017
Genre: Episodenfilm, Experimentalfilm
IMDB-Link: Manifesto


Gleich vorweg: „Manifesto“ ist ein sperriges Ding. Hochgradig interessant – allein schon durch die Beteiligung der faszinierend wandelbaren Cate Blanchett – aber eben nichts, was man mal eben im Vorbeigehen konsumiert. Denn „Manifesto“ vom deutschen Filmkünstler Julian Rosefeldt basiert auf seiner gleichnamigen Videoinstallation aus dem Jahr 2015 und macht nichts Anderes, als Cate Blanchett in gleich zwölf unterschiedlichen Rollen (ob als Punkerin, als trauernde Witwe, Obdachloser, konservative Mutter, Nachrichtensprecherin etc.) Manifeste zu diversen Kunstströmungen rezitieren zu lassen. Mit dabei: Auszüge aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels, aus Dogma 95 von Thomas Vinterberg und Lars von Trier, Texte zu Futurismus, Dadaismus, Performance-Kunst usw. Das ist natürlich alles sehr anstrengend zu beobachten, vor allem, wenn die Bild-Text-Schere ein Stück weit aufgeht und hochkomplexe Gedanken in einem dafür unpassenden Setting wiedergegeben werden, zum Beispiel eben als Traueransprache oder über einen Lautsprecher in einer Fabrikhalle. Gerade diese Brechung zwischen Text und Bild ist allerdings jener Faktor, der den Film einerseits faszinierend und anders macht, andererseits aber auch bei mir die größten Probleme aufgeworfen hat – denn nie wird ganz klar, ob Rosefeldt seine Manifeste ernst nimmt oder ironisch bricht. Die Intention hinter dem Ganzen wird – mir zumindest – nicht ganz klar. Rosefeldt selbst hat sein Projekt als „Hommage an die Schönheit von Künstlermanifesten“ genannt, doch auch diese Aussage könnte wieder mit ironischem Unterton gelesen werden in Anbetracht der verschwurbelten, teilweise auch absurden Gedanken, die in diesen Manifesten niedergeschrieben sind. Worüber allerdings kein Zweifel besteht, ist die Schönheit der Bilder. Dank sensationeller Kamerafahrten und hochinteressanter, teils futuristisch anmutender Settings prägen sich die Bilder von „Manifesto“ ein. Oft kreist die Kamera von oben wie das Auge Gottes über den Schauplätzen, überall entdeckt die Kamera Symmetrie und Ordnung, die dann wiederum gebrochen wird – durch verfallene Gebäude oder auch mal einen überraschenden Blick ins Nebenzimmer, der Unerwartetes preisgibt. Allein dafür lohnt es sich bereits, „Manifesto“ anzusehen. Allerdings sei noch einmal gewarnt: Es ist kein Film im herkömmlichen Sinne. „Manifesto“ hat keine Handlung, keine Figuren (nur Rollen), und lässt die meisten Zuseher wohl erst einmal ratlos zurück.

Dieser Film ist als Reiseetappe # 70 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen Filmverleih)

A Very Murray Christmas (2015)

Regie: Sofia Coppola
Original-Titel: A Very Murray Christmas
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Komödie, Musikfilm, Weihnachtsfilm
IMDB-Link: A Very Murray Christmas


Ich habe Netflix. Seit heute. Was gleichbedeutend ist mit: Ich habe kein Leben mehr. Jedenfalls nicht außerhalb von Netflix. Den Auftakt meines Netflix-Lebens hat nun jener Film gemacht, der mich vor zwei Jahren schon fast dazu bewogen hätte, einen Netflix-Account einzurichten: „A Very Murray Christmas“ von – man lese und staune – Sofia Coppola. Dieser eigens produzierte Weihnachtsfilm handelt von einem schlecht gelaunten Bill Fucking Murray (Zitat Woody Harrelson in „Zombieland“), der in einem Hotel live eine Weihnachtsshow moderieren soll. Das Problem ist: Ganz New York ist eingeschneit, alles steht still – und die Gäste können nicht kommen. Kein George Clooney.  Keine Iggy Azalea. Kein Papst Franziskus. Lediglich Chris Rock verirrt sich in die Hotellobby und wird prompt zu einer Gesangsnummer eingeteilt. Als aber dann auch noch der Strom ausfällt, ist wirklich Feierabend, und Bill Murray zieht sich in die Hotelbar zurück, wo er mit den Angestellten Weihnachtslieder singt, bis der Sliwowitz einfährt.

„A Very Murray Christmas“ ist definitiv ein Weihnachtsfilm, den man gesehen haben sollte. Wenn Bill Murray und Sofia Coppola einfach auf alles pfeifen und die Szenen in puren Dadaismus abgleiten lassen, ist das gelebte cineastische Anarchie. Großartig! Nur leider hält der Film das nicht immer durch, und manche Passagen sind schlicht langweilig. Auch die Story ist nicht mehr als eine Entschuldigung dafür, Bill Murray und Gäste eine Stunde lang Weihnachtslieder singen zu lassen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt und ein ähnlicher großer Bill Murray-Fan ist wie Woody Harrelson, sollte einen Blick riskieren. Ein richtiger Film ist das eigentlich nicht. Aber es macht trotzdem Spaß.


6,0
von 10 Kürbissen

The Diary of a Teenage Girl (2015)

Regie: Marielle Heller
Original-Titel: The Diary of a Teenage Girl
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: The Diary of a Teenage Girl


Es sind die 70er. Die koksende, ständig Party machende Hippie-Mutter (Kristen Wiig) hat einen etwas jüngeren Lover in seinen Dreißigern (Alexander Skarsgaard), die 15jährige Tochter Minnie (herausragend und mit vollem Einsatz gespielt von Bel Powley) zeichnet Comics, versucht, die Welt zu verstehen und noch mehr das postpubertäre Gefühlschaos in ihr selbst. Der Lover der Mutter sieht ja eigentlich recht schnuckelig aus und plötzlich hat sie bei einem gemeinsamen Barbesuch seinen Finger im Mund und feuert laszive Blicke auf ihn ab, was ihn (und andere Teile seines Körpers) sichtlich … aufschreckt. Und da der junge Mann selbst irgendwie verloren wirkt, als wäre er noch ein Teenager, dem einfach zu schnell der Bart gewachsen ist, landen die beiden in der Kiste. Minnie erlebt ihr erstes Mal also mit dem Freund ihrer Mutter. Und ihr zweites Mal. Und drittes Mal. Und so weiter. Mit dem sexuellen Erwachen folgen interessante Experimente in den interdisziplinär verschränkten Fächern „Party machen“ und „Drogen konsumieren“, aber allmählich kippt das alles. Der Teenager ist mit der Situation zusehends überfordert (der Lover ist es schon längst), und dass es nicht ganz risikofrei ist, mit dem Freund der Mutter zu schlafen, sollte eigentlich auch klar sein. Die leichte Independent-Komödie kippt allmählich ins Dramatische, zwinkert aber auch da immer noch fröhlich mit den Augen – man ist ja schließlich in den 70ern, und da waren die Menschen lebenslustiger, gell? Und das ist auch mein Hauptkritikpunkt am Film. Zwar transportiert der Film ein bestimmtes Lebensgefühl sehr überzeugend und wirkt (dank großartiger Kameraarbeit, tollen Kostümen und einer bis ins kleinste Detail durchdachten Deko) tatsächlich aus der Zeit gefallen, aber die 70er werden mir dennoch zu stark auf Sex, Party und Drogen reduziert. Ich glaube, der einzige Protagonist, der kein mittelschweres Drogenproblem hatte, war die Katze. Und selbst die war wahrscheinlich massiv auf Katzenminze. Auch das Thema selbst, das hemmungslose Verhältnis einer 15jährigen mit einem 35jährigen, war für mich teils zu fröhlich dargestellt. Eigentlich hätte ich erwartet, dass die Protagonistin von der ganzen Geschichte einen massiven Knacks bekommt. Großartig hingegen das Spiel und die für Hollywood rotzfreche Umsetzung mit viel nackter Haut. Ja, es geht um Sex, also wird auch Sex gezeigt. Und da sind die Menschen nun mal nicht stets züchtig in weiße Bettlaken eingewickelt. Ich hätte dem Film gern eine höhere Wertung gegeben, aber unterm Strich blieb er für mich – trotz großartiger Umsetzung – zu leichtgewichtig, zu naiv. Aber gut, im Vergleich zu den Menschen in den 70ern sind wir heute wahrscheinlich ziemliche Spießer. Und als solcher Spießer bewerte ich eben auch den Film.


6,5
von 10 Kürbissen

Ein Mann namens Ove (2015)

Regie: Hannes Holm
Original-Titel: En man som heter Ove
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Drama
IMDB-Link: En man som heter Ove


Das für den besten fremdsprachigen Film nominierte Drama „Ein Mann namens Ove“ aus Schweden hat so seine Probleme. Es geht um den 59jährigen Ove, einen Pedanten allererster Güte, der in seiner Reihenhaussiedlung für Ordnung sorgt. Seine geliebte Frau Sonja ist bereits verstorben, und als er auch noch gekündigt wird, beschließt er, dass es an der Zeit ist, ihr nachzufolgen. Allerdings klappt das mit dem Abnippeln nicht so ganz nach Wunsch – immer kommt etwas dazwischen, wie zB die neue Nachbarsfamilie, bestehend aus einem leicht trotteligen schwedischen Vater, einer sehr freundlichen Mutter mit Migrationshintergrund und zwei entzückend unkomplizierten Töchtern. Und natürlich stellen die Neuankömmlinge Oves Leben bzw. dessen Rest davon erst einmal ordentlich auf den Kopf. Das alles ist sehr nett und kurzweilig anzusehen, auch wenn der Film seine Längen hat. Aber leider ist das, was rund um Ove und mit Ove geschieht, auch relativ vorhersehbar. „Ein Mann namens Ove“ ist daher ein Film, den man gerne mal an einem Sonntagabend mitnehmen kann, aber ob er lange im Gedächtnis bleiben wird, bezweifle ich stark. Ein wenig verwunderlich ist es schon, dass dieser zwar sympathische, aber eben nicht wirklich nachhallende Film eine Oscarnominierung einheimsen konnte, während zB „Neruda“ oder „Elle“, die wesentlich eigenständiger waren, leer ausgingen. Gut, die Academy mag offenbar Schweden. Ist ja auch ein schönes Land.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Unter dem Sand – Das Versprechen der Freiheit (2015)

Regie: Martin Zandvliet
Original-Titel: Under Sandet
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Drama, Anti-Kriegsfilm
IMDB-Link: Under Sandet


„Unter dem Sand“ von Martin Zandvliet ist Dänemarks diesjähriger Oscar-Beitrag und wurde tatsächlich auch nominiert. Der Film handelt von einer Geschichte, die heutzutage kaum jemand auf dem Schirm hat: Nach Kriegsende und dem Abzug der deutschen Wehrmacht aus dem besetzten Dänemark blieben an der Küste Dänemarks fast zwei Millionen Landminen zurück. Zum Aufspüren und Entschärfen wurden deutsche Kriegsgefangene herangezogen. Die meisten davon stammten aus Hitlers allerletztem Aufgebot und waren daher Jugendliche, fast noch Kinder. Diese mussten nun die Strandabschnitte nach den tödlichen Sprengfallen absuchen. Nur etwa die Hälfte der dabei eingesetzten Gefangenen überlebten diese Arbeit bis zum Ende. „Unter dem Sand“ zeigt die Soldaten der deutschen Wehrmacht als Opfer. Verschreckte Jungen, die eigentlich nur nach Hause zu ihren Eltern möchten und davon träumen, zum ersten Mal mit einem Mädchen zusammen zu sein, müssen nach Kriegsende immer noch ihr Leben aufs Spiel setzen für eine Sache, an der die allermeisten von ihnen gar nicht beteiligt waren. Durch die Perspektive, die der Film einnimmt, gibt er ein sehr starkes Plädoyer gegen die Sinnlosigkeit des Krieges ab – mehr als es zB Mel Gibsons in meinen Augen völlig überschätzte „Hacksaw Ridge“ mit seiner Brutalität und seinen drastischen Bildern tut. Stark ist auch die Wandlung des dänischen Feldmarschalls, dem eine Gruppe von Kriegsgefangenen zugeteilt ist, und der allmählich lernt, seinen Hass abzulegen und die Menschen, die er vor sich hat, als solche wahrzunehmen. Allerdings ist „Unter dem Sand“ kein Film, den man mehr als einmal sehen möchte. Er geht unter die Haut und ist zum Teil nervenzerfetzend, wenn die Jungs, die sich vor Angst ankotzen, im Sand nach Minen stochern. Auch ist manches dramaturgisch nicht ganz schlüssig (warum zB die Kriegsgefangenen laut Befehl des Kommandos keine Nahrung bekommen sollen). Trotzdem ist „Unter dem Sand“ aber ein guter und vor allem wichtiger Film.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Koch Media)

Remainder (2015)

Regie: Omer Fast
Original-Titel: Remainder
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Drama, Science Fiction, Thriller
IMDB-Link: Remainder


Der Beginn von „Remainder“ weiß gleich einmal zu fesseln: Ein junger Mann läuft durch eine Straße und wird von einem herabfallenden Gegenstand am Kopf getroffen. Nach einer langen Reha, in der er erst einmal alle seine Körperfunktionen wieder zu beherrschen lernen muss, bekommt er von der Versicherung ein Sümmchen von 8,5 Millionen Pfund zugesprochen, dass er über den Vorfall die Klappe hält und die Geschichte unter den Tisch kehrt. Mit so viel Geld lässt sich einiges anfangen. Zum Beispiel: Ein hübsches Häuschen bauen und das restliche Leben mit 10 Katzen und 20 Wellensittichen verbringen. Oder: Ein Boot kaufen und vor der Küste Dalmatiens herumschippern und dabei viel Fisch essen. Oder man kann es wie George Best, der berühmte Fußballer, halten: „Die Hälfte meines Geldes habe ich für Nutten, Alkohol und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“ Der Protagonist von „Remainder“ hat aber andere Ideen: Geplagt von  Erinnerungen, die er nicht sinnvoll zusammenbringt, heuert er einen diskreten und zuverlässigen Mitarbeiter an, der ihm ein ganz bestimmtes Haus sucht und kauft, nämlich jenes aus seinen Erinnerungen, und dort platziert er Schauspieler, die eben diese Erinnerungen nachspielen sollen in der Hoffnung, dass er dadurch mehr darüber erfährt, was er offenbar verdrängt hat. An dieser Stelle biegt der Film auch langsam in eine andere Richtung ab, als es der straighte Beginn hat vermuten lassen. Der Protagonist wird zusehends besessener von seiner Idee und damit auch unsympathischer. Zudem ist die Atmosphäre des Films eher kühl und abweisend. Der finale Twist ist interessant und lädt dazu ein, das bis dato Gesehene noch mal neu zu überdenken. Allerdings muss man auch sagen, dass „Remainder“ manchmal ein kleines Problem mit dem Timing hat und eben der Tatsache, dass Vieles sehr lange unklar und der Protagonist unnahbar bleibt und der Film dann eben auch recht verkopft wirkt.


6,0
von 10 Kürbissen