1001 Filme

The Favourite – Intrigen und Irrsinn (2018)

Regie: Giorgos Lanthimos
Original-Titel: The Favourite
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Historienfilm, Biopic
IMDB-Link: The Favourite


Giorgos Lanthimos hat es mit Tieren. In „Dogtooth“ redet ein Vater seinen Kindern ein, dass das gefährlichste Tier der Welt die Katze sei. In „The Lobster“ verwandelt er gleich paarungsunfähige Zeitgenossen in Tiere. Und in „The Favourite“ gibt es Entenrennen zu bestaunen und Kaninchen, die stellvertretend für die toten Kinder der Königin herhalten müssen. Im Gegensatz zu seinen früheren Werken gibt sich Lanthimos in seinem neuesten Werk allerdings erstaunlich zugänglich. Vordergründig ist „The Favourite“ ein Kostümfilm über die unfähige Queen Anne (zum Niederknien gespielt von Olivia Colman) und den Intrigen an ihrem Hof, befeuert durch ihre enge Vertraute und Ratgeberin Lady Marlborough (Rachel Weisz, smells like Oscar spirit) und der tief gefallenen Adeligen Abigail (Emma Stone, die ihren Kolleginnen um nichts nachsteht), die sich wieder nach oben arbeiten möchte in der Gesellschaft. Und die mit ihren Ambitionen naturgemäß die Stellung von Lady Marlborough bedroht, was diese nicht auf sich sitzen lassen möchte. Zwischen diesen beiden intriganten Damen und der Königin förmlich zermalmt werden die männlichen Figuren, die hier definitiv nichts zu melden haben. Frauenpower ist angesagt in Lanthimos‘ Werk, und das auf eine so schauerlich bitterböse Weise, dass einem schier die Luft wegbleibt und man eigentlich nur noch Mitleid mit den Figuren hat – mit allen nämlich. Genüsslich seziert Lanthimos Machtgefälle und Abhängigkeiten und kommt am Ende zu einem konsequenten Schluss: Intrigen gehen nie gut aus, am Ende sind alle verletzt. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist dekadent ausgestattet, hinreißend gespielt, mit scharfzüngigen Dialogen und herrlich unkonventionellen Szenen gespickt – und immer wieder für eine Überraschung gut, in der Lanthimos zeigt, dass Authentizität nicht sein Ding ist, sondern vielmehr die innere Logik und Dramaturgie der Welt, die er filmisch vermisst. Und die ist immer stimmig, selbst wenn sie für die seltsamste und denkwürdigste Tanzeinlage seit „Pulp Fiction“ sorgt.


8,5
von 10 Kürbissen

Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922)

Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Original-Titel: Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens
Erscheinungsjahr: 1922
Genre: Horror, Fantasy
IMDB-Link: Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens


Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ gilt als einer der ersten großen Horrorklassiker. Max Schreck als Nosferatu, die Adaption von Bram Stokers Klassiker „Dracula“, macht auch heute noch seinem Namen alle Ehre. Wenn er mit starrem Blick in der Tür steht, die Finger mit den ewig langen Nägeln von sich gespreizt und das Lippen zu einem Lächeln hochgezogen, bei dem jeder Zahnarzt sofort in Ohnmacht fällt, dann gruselt es einen heute noch. (Zumindest eben jeden Dentalhygieniker.) Über die Story an sich muss nicht viel erzählt werden, denn kaum ein anderer Klassiker der Literaturgeschichte wurde so oft auf Celluloid gebannt wie „Dracula“. Und auch wenn die Namen hier aufgrund fehlender Rechte der Produktionsfirma ausgetauscht werden mussten, so sind die Bezüge klar ersichtlich und der Handlungsverlauf folgt auch in groben Zügen der literarischen Vorlage. Einen größeren Raum nimmt dabei die Fahrt der Demeter, das Schiff, das Dracula/Nosferatu nach England bringt, ein. Und an dieser Stelle erinnere ich mich mit Bedauern daran, dass die Verfilmung der letzten Fahrt der Demeter durch Stefan Ruzowitzky nie etwas geworden ist. Denn ein einsames Schiff mitten im Ozean, das nach und nach entvölkert wird durch einen Vampir an Bord – ja, das hätte etwas. Der Teil, der in England spielt, fällt bei „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ hingegen überraschend kurz aus. Und hier ist auch eine interessante Abweichung von der Vorlage zu entdecken: Nicht die Herren nämlich entledigen sich des Blutsaugers, sondern die Dame bringt das Viech durch ihre Opferbereitschaft zur Strecke. Eine nette feministische Variation des Themas, die dem Film gut zu Gesicht steht. Natürlich ist der Film altersbedingt heute nicht mehr State of the Art, und manche Szenen sind aus heutiger Sicht eher unfreiwillig komisch. Auch Dramaturgie und Erzähltempo haben sich in den vergangenen 100 Jahren deutlich geändert. Dennoch ist der Film immer noch für eine Sichtung und einen kurzweiligen Filmabend gut und zurecht einer der Klassiker, die in dem Schinken „1001 Filme, die Sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist“ aufgelistet sind.


7,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=sk70lSUqaM8

Projekt „1001 Filme“ – ab 2019

Vor einiger Zeit habe ich das Buch „1001 Filme, die Sie sehen sollte, bevor das Leben vorbei ist“ geschenkt bekommen (in der 12. Neuausgabe von 2017). Für einen cineastisch Interessierten wie mich natürlich eine Goldgrube – und die bittere Konfrontation mit einer erbarmungslosen Realität, wenn man nämlich feststellt, dass man im fortgeschrittenen Alter von 36 Jahren erst 248 der dort gelisteten Filme gesehen hat. Zum Glück habe ich ja noch ein bisschen Zeit (hoffe ich). Und die Rechnung ist einfach: Wenn ich nun jedes Jahr 30 Filme sehe, die in diesem Buch aufgelistet sind, bin ich in genau einem Vierteljahrhundert damit fertig und kann mich dann rechtzeitig zur Pension auf Wichtigeres konzentrieren. Oder so ähnlich.

Also, ab nun rufe ich das Projekt „1001 Filme“ aus. Jedes Jahr versuche ich, mindestens 30 davon zu sehen, und die sind hier dann auch in ein einer eigenen Kategorie festgehalten. Jene Filme, die auf der Liste der 1001 Filme stehen und die ich schon gesehen habe, werden dort auch hinzugefügt. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass ich 25 Jahre lang durchhalte.

Madame Beudets sonniges Lächeln (1923)

Regie: Germaine Dulac
Original-Titel: La souriante Madame Beudet
Erscheinungsjahr: 1923
Genre: Drama, Kurzfilm
IMDB-Link: La souriante Madame Beudet


Nach der Sichtung meiner ersten beiden Filme von Germaine Dulac hege ich nun den größten Wunsch, alles von ihr zu sehen – jedenfalls alles, was heute noch erhalten ist. Nach „Die Zigarette“ nun also „Madame Beudets sonniges Lächeln“ (Alternativtitel: „Das Lächeln der Madame Beudet“). Und wenn mich „Die Zigarette“ schon sehr angesprochen hat, so begeistert mich nun die „Madame Beudet“. Schonungsloser und deutlicher ist eine eheliche Depression selten gezeigt worden. „Madame Beudets sonniges Lächeln“ hat gar nicht viel Handlung, sondern konzentriert sich auf die Psychologie der Hauptfigur, ihre Tagträumereien, in denen sie dem ehelichen Gefängnis, verkörpert von ihrem völlig gleichgültigen, empathielosen und gefühllosen Trampel von Ehemann, zu entkommen versucht. Mal träumt sie sich in eine Romanze mit einem athletischen Tennisspieler, mal träumt sie davon, ihren Ehemann zu beseitigen, hat aber Angst vor den Konsequenzen (Zuchthaus, Schande). Dennoch steckt sie eines Tages eine Patrone in die Kammer des Revolvers ihres Mannes – mit dem er sie regelmäßig zu erschrecken versucht, indem er sich die Waffe an die Stirn hält und so tut, als würde er Selbstmord begehen. Doch wird es ihr gelingen, ihrem trostlosen Leben auf diese Weise zu entfliehen, auch wenn das bedeuten würde, ein Gefängnis gegen ein anderes einzutauschen? „Madame Beudets sonniges Lächeln“ ist ein frühes Avantgarde-Kino, das sich sehen lassen kann. Mit Zeitlupeneinstellungen, Überblendungen, Beleuchtungseffekten, Weichzeichnern und vor allem Germaine Dermoz‘ Mimik als depressive Ehefrau wird ein ganzes Seelenleben offen gelegt. Besser kann man dies mit der heutigen Technik auch nicht hinbekommen. Mein Rat (nicht „Mein Rad“): Die 39 Minuten, die der Film dauert, sollte jeder, der sich für Filme und Filmgeschichte interessiert, investieren, es lohnt sich!


9,0
von 10 Kürbissen

Die Sammler und die Sammlerin (2000)

Regie: Agnès Varda
Original-Titel: Les Glaneurs et la Glaneuse
Erscheinungsjahr: 2000
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Les Glaneurs et la Glaneuse


Kritiker lieben Agnès Vardas selbstreflexive Dokumentation über Sammler. Ausgehend von jenen Sammlern, die in Frankreich legal nach der Ernte durch die Felder gehen und nicht abgeerntete Früchte auflesen dürfen, beleuchtet sie in ihrem Film schon bald verschiedene Aspekte des Sammelns: Sammeln als Lebensgrundlage, wenn man sonst nichts hat, Sammeln als Wertschätzung für alte Dinge, Sammeln als Wiederverwertung, Sammeln als Akt des Widerstands (so wie die Episode des Studenten, der von weggeworfenen, aber noch genießbaren Lebensmitteln lebt, um ein Zeichen gegen Verschwendung zu setzen) und schließlich – auf einer Meta-Ebene – das Sammeln von Erfahrungen. Dafür bringt Varda sich selbst ins Spiel mit einer kindlichen Freude an der kleinen Kompaktkamera, die sie erstmalig für einen Film verwendet. Immer wieder hält sie mit naiver Unschuld drauf, mit dem gleichen neugierigen Blick, der auch beispielsweise in ihrem späteren Werk Augenblicke: Gesichter einer Reise zu bemerken ist. Sie ist ganz nah dran – bei jenen, die sie filmt, und bei sich selbst. Immer dokumentiert sie auch, was das Dokumentierte mit ihr macht. Wenn man so will, kann man Varda als humanistische Filmemacherin bezeichnen – es wäre nicht falsch. Und das macht auch „Die Sammler und die Sammlerin“ zu einem interessanten und sehenswerten Film. Ich kann verstehen, warum sich die Kritiker dafür dermaßen begeistern. In einer Umfrage des Filmmagazins „Sight and Sound“ im Jahre 2014 wurde „Die Sammler und die Sammlerin“ als achtbeste Dokumentation der Geschichte ausgezeichnet, und auch die BBC setzte den Film 2016 auf die Liste der besten 100 Filme des 21. Jahrhunderts. So weit würde ich selbst nun nicht gehen. Denn für meinen persönlichen Geschmack mäanderte der Film dann doch ein bisschen zu sehr vor sich hin, und so sympathisch er auch jeden Moment lang anzusehen ist, am Ende fehlte mir ein wenig die Relevanz. Man kann natürlich nun argumentieren, dass sich diese Relevanz aus der Wertschätzung für das wenig Beachtete und Weggeworfene ergibt und der Film somit durchaus als Kommentar auf die heutige Lebensweise zu verstehen ist, aber sehr bewegt hat mich „Die Sammler und die Sammlerin“, anders als „Augenblicke: Gesichter einer Reise“, nicht.


6,5
von 10 Kürbissen

Ringo (1939)

Regie: John Ford
Original-Titel: Stagecoach
Erscheinungsjahr: 1939
Genre: Western
IMDB-Link: Stagecoach


Fahren ein Outlaw, ein Sheriff, eine anständige Dame, eine Hure, ein Glücksspieler, ein Handelsvertreter für Whiskey, ein Banker und ein permanent besoffener Arzt in einer Postkutsche. Was wie ein Witz beginnt, ist eigentlich einer der großen Western-Klassiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem gut gelaunten John Wayne in der Hauptrolle. Die Story ist so simpel, das sie selbst fast als Witz durchgeht: Diese bunt zusammengewürfelte Reisetruppe möchte von A nach B, hat aber das Problem, das die Apachen unter ihrem legendären Häuptling Geronimo gerade auf Kriegspfad sind, weshalb sie weiter müssen nach C und D, ehe es dann doch zum finalen Showdown mit den grimmigen Ureinwohnern kommt. Die Gründe für die Reise sind unterschiedlich, aber alle zwingender Natur, weshalb ein Aussteigen unterdessen nicht in Frage kommt. Und am Ende, wenn die Apachen wild heulend ihre Pfeile in die Postkutsche nageln, zeigt sich, wer im Angesicht der Gefahr seine Murmeln beisammen hält und wer sich als Aufschneider entpuppt, der in einer solchen Situation nicht zu gebrauchen ist. (Überraschungsfreier) Spoiler: John Wayne als Outlaw Ringo mit großem Herz und noch größeren Eiern ist natürlich am Ende der Held des Tages. Man kann an „Ringo“ so einiges kritisieren aus heutiger Perspektive: Die eindimensionale Darstellung der Apachen, die nur als gesichtslose Antagonisten herhalten müssen. Die dünne Story. Das Happy End. Aber geschenkt. „Ringo“ ist trotz seiner mittlerweile fast 80 Lenze auf dem Buckel immer noch ein erstaunliches Stück Kinogeschichte, mitreißend erzählt und gefilmt mit zum Teil abenteuerlichen Stunts. Der Überfall der Apachen auf die Postkutsche weiß auch im Jahre 2018 noch zu überzeugen. Im Höllenritt reiten die Angreifer neben der Kutsche her, werden von den Pferden geschossen, fallen spektakulär in den Staub und zwischen die Pferdebeine – das bekommt man heute auch nicht viel sehenswerter hin. Schön ist auch, dass sich der Film Zeit nimmt für seine Charaktere und die auch interessant und vielschichtig ausgestaltet. Eigentlich ist „Ringo“ ein Kammerspiel mit Pferden mit einem fulminanten Showdown. Und zu Recht ein Meilenstein der Filmgeschichte.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 43 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


8,0
von 10 Kürbissen

Suspiria (1977)

Regie: Dario Argento
Original-Titel: Suspiria
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Horror
IMDB-Link: Suspiria


Für viele Filmfans gilt Dario Argentos „Suspiria“ als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten. Da mein Verhältnis zu Horrorfilmen bestenfalls als kollegial distanziert zu bezeichnen ist, lief ich diesem Klassiker bislang nicht über den Weg. Nun aber ergab sich im Zuge des Remakes von Luca Guadagnino die Möglichkeit, diese Sichtung im Rahmen eines Double Features im Filmcasino nachzuholen. Und eines gleich vorweg: Gefürchtet hat sich der Kürbis eures Vertrauens nicht so sehr, aber er ist prächtig unterhalten worden. Denn Argentos Film ist ein Fiebertraum in Rot, Grün und Laut. Der Soundtrack der Progressive-Rock-Band Goblin quietscht und wummert und kreischt zu grell beleuchteten Bildern, auf denen sich ein eineinhalbstündiger Albtraum entfaltet. Die amerikanische Ballett-Tänzerin Suzie Bannion (Jessica Harper mit einer kühlen und doch verletzlichen Ausstrahlung) wird in Freiburg an einer der besten Tanzakademien Europas aufgenommen. Dort geht es nicht mit rechten Dingen zu, wie man recht bald und auch recht drastisch mit viel Kunstblut ausgemalt erfährt. Nachdem auch ihre Freundin und Kollegin Sara unauffindbar verschwindet, beschließt sie, auf eigene Faust im verwinkelten Haus zu ermitteln – und stößt dort auf Dinge, die besser im Verborgenen geblieben wären. Was ich an Suspiria mag, ist die grandios aufgebaute Atmosphäre. Schon von der ersten Szene an, der Ankunft von Suzie am Flughafen, wirken die farblich famos ausgeleuchteten Bilder mit dem passenden Ton dazu bedrohlich und unheimlich. Dabei ist der Film keinesfalls auf die von mir so verhassten Jumpscares aus. Nein, das Böse wird hier mit Fanfaren angekündigt, was seinen Griff aber nicht weniger schmerzlich macht, wenn es dann mal um die Ecke biegt. Was man allerdings bemängeln muss, das ist das Drehbuch selbst, das sich keinen Deut um inhärente Logik und konsistentes Verhalten der Protagonisten schert. „Suspiria“ lebt allein von seiner Atmosphäre, die Story selbst gehört eher in die Kategorie „gut gemeint“ als „gut gemacht“. Allerdings reicht das aus für einen spannenden und wahnsinnig unterhaltsamen (und teils aus heutiger Sicht wundervoll trashigen) Film.


7,5
von 10 Kürbissen

Mittwoch zwischen 5 und 7 (1962)

Regie: Agnès Varda
Original-Titel: Cléo de 5 à 7
Erscheinungsjahr: 1962
Genre: Drama
IMDB-Link: Cléo de 5 à 7


Die Sängerin Cléo (die eigentlich Florence heißt) hat schwere Stunden vor sich. Gerade noch war sie bei einer Wahrsagerin. Die Tarotkarten haben ihr Übles prophezeit, Krankheit und Tod. Und nun ist es fünf Uhr nachmittags, und am Abend soll sie vom Arzt das Ergebnis ihrer Biopsie erfahren. Sie schlendert durch die Stadt, geht mit ihrer Vertrauten Angèle Kaffee trinken und shoppen, trifft in der Wohnung auf den Lover, der ihre Sorgen nicht ernst nimmt, übt mit ihrem Komponisten ein neues Lied ein, trifft sich mit der Freundin Dorothée und lernt schließlich im Park den Fremdenlegionär Antoine kennen. Überall sieht das Publikum Todesboten, sei es der schwarze Hut, den Cléo kauft, oder der Text des Chansons, den sie einstudieren soll. Es passiert aber nicht viel – man weiß nicht, ob Cléos Ängste begründet sind oder einem Hirngespinst entstammen – einer eingebildeten Todessehnsucht der jungen, sensiblen Seele, die damit einen ansonsten eher hohlen Geist zu überhöhen versucht. Doch je länger wie Cléo folgen, desto größer werden auch unsere eigenen Zweifel, vor allem, was Cléo und unsere Einschätzung ihres Charakters selbst betrifft. So hält Agnès Varda dem Publikum mit dem Film einen Spiegel hin. „Mittwoch zwischen 5 und 7“ war eines der ersten Werke der Nouvelle Vague. Ich persönlich tue mir mit dieser Art des Kinos ziemlich schwer, zu geschwätzig und pseudo-intellektuell erscheinen mir viele der bislang gesichteten Werke. „Mittwoch zwischen 5 und 7“ ist hierbei eine wohltuende Ausnahme. Geschwätzig? Ja, vielleicht ein wenig. Aber dennoch ist die Kamera hauptsächlich neugierig auf Cléo gerichtet und versucht, diese junge Frau in vielen Facetten zu zeigen, ohne sie als reine Fassade für intellektuelle Gedankenspiele zu missbrauchen. So ist Agnès Vardas Frühwerk ein Nouvelle Vague-Film, der mir tatsächlich gut gefallen hat.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 20 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,0
von 10 Kürbissen

Aufstieg (1977)

Regie: Larisa Shepitko
Original-Titel: Voskhozhdeniye
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Drama, Kriegsfilm
IMDB-Link: Voskhozhdeniye


„Aufstieg“, der letzte Film von Larisa Shepitko aus dem Jahr 1977, ist ein Film wie ein unliebsame Bekanntschaft mit einem Vorschlaghammer. Der mit voller Wucht von „The Mountain“ aus Game of Thrones durchgezogen wird. Und der direkt auf die Magengrube zielt. Man taumelt aus dem Kinosaal und ist erst einmal durch mit der Welt. Danach braucht man Gummibärchen. Und Schokolade. Und eine warme Decke. Und viele Umarmungen. Wirklich viele. (Und ja, das ist ein Hilfeschrei. Kommt und umarmt mich. Bitte!) Kaum ein anderer Film hatte jemals eine solche Wirkung auf mich. Kaum sonst ging eine Regisseurin oder ein Regisseur so unbarmherzig mit seinem Publikum um. Ja, es gibt sie, die genialen Filme, die, wie schon erwähnt, genau die Magengrube treffen, und die man, so großartig man sie auch findet, wohl kein zweites Mal sehen möchte – oder erst dann, wenn man zumindest die Wirkung der ersten Sichtung vergessen hat. „Aufstieg“ gehört zu diesen seltenen Filmen. Er erzählt die Geschichte zweier Partisanen in Weißrussland, die mit dem Sonderauftrag, Proviant zu beschaffen, durch die eisige und verschneite Landschaft geschickt werden. Diese ist unwirtlich genug, und noch dazu wimmelt es hier von Deutschen. Was wie ein (eisiger) Kriegsfilm beginnt, entwickelt sich aber in weiterer Folge zu einem Gewissensdrama, als die beiden gefangen genommen werden. Kollaborieren oder Widerstand leisten, um die eigenen Truppen nicht zu verraten? Was nach einer simplen Frage klingt, die jeder für sich selbst beantworten muss, wird in Larisa Shepitkos Händen aber viel mehr. Sie macht daraus einen spirituell anmutenden Film über die Conditio Humana, sie verarbeitet die christliche Erlösungsgeschichte darin, sie öffnet die Pforten zur schlimmsten inneren Hölle, die man sich vorstellen kann – und setzt damit dem Publikum gnadenlos zu. Musik, Bilder, die Nahaufnahmen der Gesichter der Menschen, der Augen (erschrocken, verängstigt, verletzlich), all das brennt sich unlöschbar ein. Ein wahres Monster von einem Film. Für mich gehört „Aufstieg“ zu den beeindruckendsten Werken, die ich jemals gesehen habe. Empfehlen kann ich den Film aber nicht. Ob man sich das antut, muss jeder für sich selbst entscheiden. Wer sich aber diesem Wagnis aussetzt, wird eine Erfahrung machen, die noch lange im Gedächtnis bleiben wird. So viel kann ich versprechen.


9,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=-0WqJcmx8-E

Rocky (1976)

Regie: John G. Avildsen
Original-Titel: Rocky
Erscheinungsjahr: 1976
Genre: Sportfilm
IMDB-Link: Rocky


Nicht nur im Oktober hat ein Kürbis Lücken und Löcher, sondern auch unterjährig in cineastischen Belangen. Um eine davon zu schließen, habe ich mir also nun die gesamte Rocky-Filmreihe hineingezogen, wobei ich „Rocky Balboa“ und „Creed“ bereits kannte. Ich habe also das Pferd von hinten aufgesattelt. Nun also der erste Film, der zu den wohl einflussreichsten Filmen der Filmgeschichte gehört. Bei der Oscar-Verleihung schlug er „Taxi Driver“ von Martin Scorsese und wurde als bester Film ausgezeichnet. Und auch John G. Avildsen, der Regisseur, durfte sich, so wie seine Cutter, über einen Goldmann freuen. Der Mastermind von Rocky ist allerdings Sylvester Stallone, der nicht nur den Titelhelden auf eine Weise verkörpert, dass Filmfigur und Darsteller völlig miteinander verschmelzen, sondern auch das Drehbuch geschrieben hat. Für beide Leistungen wurde er (was vielleicht überraschend sein mag angesichts seiner späteren Filme) völlig zurecht für den Oscar nominiert. Sein Rocky ist eine fantastische Figur, das muss man einfach so sagen. Recht einfältig, aber mit dem Herz am rechten Fleck – ein Mann, der viel Gefühl und Empathie aufbringt, aber in den seltensten Fällen schafft, dies tatsächlich in Worte zu kleiden. Viel mehr drückt er über seine linkischen Bewegungen aus, sein Schulterzucken und dieses glückliche Lächeln, wenn er merkt, dass er verstanden wird. Gleichzeitig hat er ein Kämpferherz wie kein Anderer. Und dem ist es auch zu verdanken, dass er gegen den Weltmeister Apollo Creed (Carl Weathers) in den Ring steigen darf. Der Fokus des Films liegt allerdings weniger auf dem Boxkampf, sondern auf der Frage, was es bedeutet, eine einmalige Chance im Leben zu erhalten und was eine solche Chance aus einem Mann macht. Und vor allem auch, wie man Respekt vor sich selbst erarbeitet. Neben Stallone glänzen Talia Shire als Adrian, Burt Young als deren Bruder Paulie und Burgess Meredith als alter Boxtrainer Mickey. Alle drei wurden für ihre Leistungen mit einer Oscarnominierung belohnt. Ich halte es zwar nach wie vor für eine Sünde, „Taxi Driver“ nicht als besten Film ausgezeichnet zu haben, aber unabhängig davon, ob man mit dem Genre des Boxerfilms etwas anfangen kann, kann auch „Rocky“ sich sehen lassen – im Gegensatz zu den meisten Fortsetzungen dieser Filmreihe, aber darüber in den nächsten Tagen mehr.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 37 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen