Weitere Filmfestivals

Laika (2017)

Regie: Aurel Klimt
Original-Titel: Lajka
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Animation, Musical
IMDB-Link: Lajka


Aurel Klimts „Laika“ ist der Film, auf den ich mich im Vorfeld des Crossing Europe Festivals am meisten gefreut habe: Ein Stop-Motion-Musicalfilm über die Hündin Laika, das erste Lebewesen im Weltall. Traurigerweise ist die reale Laika wenige Stunden nach dem Start der Rakete, die sie ins Weltall geschossen hat, verstorben – vermutlich aufgrund des Stresses. Aurel Klimt erzählt die Geschichte ein wenig anders. Denn in seinem Film wird Laika durch ein schwarzes Loch in eine fremde Galaxie gesogen, wo sie auf einem fantastisch anmutenden Planeten neue Freunde trifft – und sich alten Widersachern stellen muss. Aurel Klimt ist mit diesem Film ein kleines Wunderwerk gelungen. Ich habe ja ein Herz für Stop-Motion-Animationsfilme. Die sind so eine gewaltige Fitzelarbeit, und nur wenige Filmemacher tun sich das wirklich an. Im Ergebnis sieht man das Herzblut, das da hineingesteckt wurde, jedoch immer, ob nun in Wes Anderson großartigen Tier-Abenteuern oder bei Charlie Kaufmans „Anomalisa“, um nur zwei Regisseure zu nennen, die auf diesem Gebiet Meisterwerke geschaffen haben. Aurel Klimt muss sich dahinter aber nicht im geringsten verstecken. So bunt, so ideenreich, so herzerfrischend anders und mit so viel lakonischem Humor erzählt ist sein „Laika“, dass jede Minute Freude macht. Ich wünschte nur, ich wäre nicht in der Spätvorstellung um 23 Uhr gesessen, denn ausgeschlafen und fit hätte ich den Film noch mehr genießen können. Aber das wird hoffentlich noch nachgeholt. In der Zwischenzeit singe ich den Titelsong vor mich hin und schunkele dazu mit: „Lai lai lai lai lai Laika, lai lai Laika!“


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

The Days to Come (2019)

Regie: Carlos Marques-Marcet
Original-Titel: Els dies que vindran
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Liebesfilm
IMDB-Link: Els dies que vindran


Dass ein Film davon erzählt, wie sich eine Schwangerschaft auf die Beziehung auswirkt und die werdenden Eltern dazu zwingt, sich damit auseinanderzusetzen, wer sie sind und was sie im Leben wollen, ist nicht unbedingt ein neues Thema. In dieser Konsequenz umgesetzt wie in Carlos Marques-Marcets „The Days to Come“ hat man es aber vielleicht noch nie. Als Kinopublikum ist man bei der Schwangerschaft und gleich bei zwei Geburten wirklich dabei. Hierin besitzt der Film dokumentarische Qualitäten. Carlos Marques-Marcet heuerte für „The Days to Come“ kurzerhand ein befreundetes Pärchen an, das tatsächlich ein Kind erwartete. Wie viel von den realen Konflikten in das Drehbuch schließlich einfloss, bleibt wohl ein Geheimnis, aber eines ist klar: Authentischer kann an einen Spielfilm eigentlich gar nicht drehen. Dass der Film aber dennoch einem klaren roten Faden folgt und dramaturgisch interessant aufgebaut ist, verdankt er wiederum der Strukturierung durch Carlos Marques-Marcet, der dann am Ende doch die Zügel fest in der Hand hielt. Das Resultat ist eine banale Geschichte, wie man sie dutzendfach im eigenen Umfeld erleben kann im Laufe des Lebens, die aber dank der gut aufspielenden Hauptdarsteller und eben des ungeschönten Blicks, den Carlos Marques-Marcet auf die Beziehung wirft, von Anfang bis Ende spannend bleibt. Die Frage ist weniger, ob das Paar die Probleme, die sich auftun, lösen kann, sondern wie, und wie viel davon einfach geschieht, weil sich die Perspektiven im Leben ändern und man durch die Elternschaft gewissermaßen neu adjustiert wird, was den persönlichen Fokus betrifft. In dieser Hinsicht ist „The Days to Come“ absolut gelungen. Dass vielleicht der eine oder andere dramaturgische Höhepunkt fehlt, ist für den Anspruch der Authentizität bewusst in Kauf genommen worden. Aber auch so ist „The Days to Come“ ein sehr sehenswerter Film geworden.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Das melancholische Mädchen (2019)

Regie: Susanne Heinrich
Original-Titel: Das melancholische Mädchen
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Experimentalfilm, Komödie, Episodenfilm
IMDB-Link: Das melancholische Mädchen


Es gibt Dinge, die einfach nicht zusammenpassen. Vegetarier und Schlachthäuser zum Beispiel. Oder Marillenlikör und Schweinsbraten. FPÖ-Politiker und die Menschenrechtskonvention. Mario Barth und Humor. Wiener und Tiroler. Und: Der Filmkürbis und nach Brecht’schen Stilmitteln verfremdete Essayfilme. Das musste ich bereits mit den Filmen von Helma Sanders-Brahms feststellen, die im Übrigen in Susanne Heinrichs Spielfilmdebüt „Das melancholische Mädchen“ auch erwähnt wird. Darin stolpert ein junges, melancholisches Mädchen (Marie Rathscheck mit wirklich wunderbar traurigen Augen) durch verschiedene Episoden, die allesamt vereint, dass das Mädchen auf der Suche nach einem Bett für eine Nacht ist und dabei mit ihren männlichen Gesprächs- (und teilweise) Bett-Gefährten kritische Gedanken über Feminismus und Neoliberalismus austauscht. Bekannte Sätze wie „Der Körper einer Frau ist ein Kriegsgebiet“ fallen. Vorgetragen wird alles stark verfremdet, ausdruckslos und abgehakt. Susanne Heinrich war es wichtig, wie sie im anschließenden (sehr interessanten) Q&A beschrieb, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler auf alles vergessen sollten, was man üblicherweise an Schauspielschulen so lernt. Sie sollten jede Verbindung zu ihren Figuren kappen und stattdessen die Sätze nach Brecht’schem Vorbild rezitieren. So weit, so gut. Ich mag es ja prinzipiell, wenn man beim Film die klare Sprache und Intention der Regisseurin erkennt. Nur mag ich abstrakte Brecht’sche Deklamation von intellektuellen Problemstellungen, die damit „in your face“ geschmissen werden und sich auf diese Weise dem Publikum gegenüber erhöhen, noch weniger als ich eine klare, identifizierbare Filmsprache mag. Das ist nun blöd für den Film und die Bewertung. Aber ehrlich. Für alle Helma Sanders-Brahms-Fans wird dieser Film ein Genuss sein, da kann ich auf jeden Fall eine Empfehlung aussprechen. Wer aber Wert auf konventionelles Storytelling legt (was Susanne Heinrich für sich und ihre Filme ablehnt – was ja auch wiederum voll okay ist) und wer gelegentlich bei einer Komödie auch mal lachen möchte, sitzt hier im falschen Film.


2,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Bait (2019)

Regie: Mark Jenkin
Original-Titel: Bait
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Bait


Man merkt Mark Jenkin an, dass er aus einem Fischerdorf kommt. So rau wie die See ist auch sein Film „Bait“, der auf 16mm in körnigem Schwarz-Weiß gedreht und von Jenkin per Hand entwickelt wurde. Der Ton wurde zur Gänze synchronisiert, was Jenkin erlaubte, ein interessantes Sounddesign zu entwickeln, in dem Stille eine ebenso große Rolle spielt wie der Sound selbst. Auch (repetitive) Close-Ups sind ein Stilmittel, zu dem Jenkin gerne greift. Zugegeben, es dauert eine Weile, bis man sich zurechtfindet in diesem Film. Denn zunächst ist man erst mal von der Machart fasziniert und damit ein wenig abgelenkt vom Inhalt. Die Geschichte selbst nimmt sich auch Zeit. Erzählt wird von Fischer Martin (Edward Rowe) und dessen Bruder Steven (Giles King), die in einem kleinen Dorf an der Küste Cornwalls kommen. Nach dem Tod des Vaters hat Steven den Kutter übernommen und fährt damit nun reiche Touristen die Küste entlang. Martin versucht, sein Leben noch wie früher als Fischer zu leben, nur was ist schon ein Fischer ohne Boot? Dazu kommen Konflikte mit den Dauergästen, die den Sommer in Cornwall verbringen und sich selbst als die eigentliche Community des Dorfes fühlen. Man spürt: Dieser Martin ist eine Figur, die viele Emotionen mit sich herumträgt, diese aber nicht zeigen kann oder will. Wie auch im Meer spielt sich das Relevante unter der Oberfläche ab. Mark Jenkins archaische Art, Filme zu drehen, passt hervorragend zu diesem griesgrämigen Fischer, der irgendwie den Kontakt zu allem verloren hat: zu seiner Familie, seiner Vergangenheit, seinem Lebenssinn, und dennoch stur weitermacht, einfach, weil es keine Alternative dazu gibt. „Bait“ ist damit ein fast schon existentialistisches Drama, das mit Mitteln der Entfremdung den Blick auf das Wesen des Menschen lenkt.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

https://www.youtube.com/watch?v=H5EqBKXhnB8

Hungary 2018 (2018)

Regie: Eszter Hajdú
Original-Titel: Hungary 2018
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Hungary 2018


„We’re fucked.“ So lautete das Fazit der Interview-Führerin nach dem Q&A mit Eszter Hajdú und Sándor Mester, die 2018 den Wahlkampf des ehemaligen ungarischen Premierministers und nunmehrigen Oppositionsführer Ferenc Gyurcsány begleitet hatten. Das Ergebnis ist bekannt: Die regierende Fidesz-Partei von Viktor Orbán landete einen Erdrutschsieg und zementierte Orbán noch fester im Sessel der Macht. Das „We’re fucked“ bezog sich auf die Einschätzung, die die beiden Filmmacher und Gyurcsány in „Hungary 2018“ treffen: Das war vielleicht die letzte Möglichkeit, Orbán mit demokratischen Mitteln aus dem Sessel zu hieven. Denn was der Film schonungslos und für wirklich jeden verständlich aufzeigt, ist, wie die Regierung über die Kontrolle der Medien und eine ganz klar abgestimmte (Des)Informationsstrategie die Bevölkerung in eine Art Psychose stürzt, in der Angst und Hass die Pfeiler für Wahlergebnisse wie eben jenes von 2018 sind. Wozu braucht man eine Diktatur, wenn man absolute Machtansprüche auch mit den Instrumenten der Demokratie realisieren kann? Für Orbán und seine Fidesz genügt es, der Bevölkerung über die von der Partei kontrollierten Medien (und das sind 90% aller ungarischen Medien) immer wieder mit rhetorisch einfachsten Mitteln die Trinität des Bösen zu präsentieren: Die Einwanderer. George Soros. Die EU. Damit ist in Orbáns Welt alles erklärt, und es wird nichts in Frage gestellt. An einem Punkt meint ein hochrangiger Fidesz-Minister zum Auditorium: „Ich kann mit Ihnen sofort nach Paris fahren und einen ganzen Nachmittag durch die Stadt gehen. Wir werden keinen einzigen Weißen auf der Straße sehen.“ Und die Bevölkerung? Sie glaubt diesen Lügen. Denn wenn alle Medien das Gleiche berichten, dann wird es wohl stimmen, oder? „Hungary 2018“ zeigt auf, wie eine Diktatur funktioniert. Gyurcsánys Kampf um eine Umkehr von diesem Irrsinn ist ehrlich geführt, aber hoffnungslos. Denn wie eine Wahl gewinnen, wenn man von der Bevölkerung nicht wahrgenommen wird außer auf den Plakaten der Gegenseite, wo man zum ultimativ Bösen und Verräter stilisiert wird? „Hungary 2018“ zeigt auch, wie „Austria 2022“ sein kann. Lassen wir das nicht zu. Denn sonst sind wir fucked.

Für den Film, um noch mal eine Bewertung einzubringen, vergebe ich 7 Punkte und keine noch höhere Wertung, da er sich vielleicht ein wenig zu sehr auf Gyurcsány konzentriert und die (mit Sicherheit hochinteressanten) Stimmen des Wahlvolks dabei zwar nicht ausklammert, aber nicht so zur Geltung bringt. Gerade die Stimmen von Fidesz-Wählern hätten mich aber auch sehr interessiert. Wie denken Menschen, die eine solche Gehirnwäsche erfahren haben? Und wo könnte man bei ihnen vielleicht ansetzen? Das sind dringliche Fragen unserer heutigen Zeit, die der Film dann leider nicht wirklich berücksichtigt – bzw. angesichts der schwierigen Verhältnisse bei der Produktion (so wollten einige Crew-Mitglieder namentlich im Abspann nicht genannt werden aus Angst vor Repressalien durch das Orbán-Regime) nicht berücksichtigen kann.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Sons of Denmark (2019)

Regie: Ulaa Salim
Original-Titel: Danmarks sønner
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Krimi, Thriller
IMDB-Link: Danmarks sønner


Der Auftakt zu meinem diesjährigen Crossing Europe Filmfestival-Besuch in Linz beginnt mit einem Knall. Eine Bombe geht hoch. 23 Menschen sterben. Die Täter? Islamisten. Die Lösung: Die Gründung einer neuen rechten Partei, die damit wirbt, alle Ausländer aus dem Land zu werfen. Auch wenn Ulaa Salims Polit-Thriller „Sons of Denmark“ sechs Jahre in der Zukunft angesiedelt ist, ist der Schrecken, der sich auf der Leinwand entfaltet, nur allzu gegenwärtig. Man merkt: Da hat sich einer Gedanken darüber gemacht, wie wenig per Stand heute noch fehlt, um eine Gesellschaft zu radikalisieren. Denn der Terror spielt sich erst einmal im Kleinen ab. Vor den Häusern muslimischer Mitbürger werden blutige Schweinsköpfe abgelegt, und die Wände werden mit ausländerfeindlichen Parolen beschmiert. Im Fernsehen ist es plötzlich in Ordnung, wenn der Spitzenkandidat der rechten Partei davon spricht, bei gewalttätigen Handlungen, die von Ausländern begangen werden, ohne groß zu fackeln Gegengewalt anzuwenden. Und die Polizei, die zuvor noch die Reihen der rechtsradikalen Gruppierung „Söhne Dänemarks“ infiltriert hat, mit der der Spitzenkandidat natürlich nichts zu tun haben möchte (Kommt euch das bekannt vor?), stellt plötzlich die Ermittlungen ein, um sich wieder dem islamischen Terror zuzuwenden. Der laut Insider Malik (Zaki Youssef) nicht mehr existent ist. Denn die Bedrohung kommt vielmehr von militanten, radikalen blonden Dänen, die das neue Klima nutzen, um Jagd auf Immigranten zu machen. Ulaa Salim, der selbst einen irakischen Hintergrund aufweist, erzählt das alles sehr subtil. Zu Beginn vielleicht sogar etwas zu subtil, denn der Fokus der Geschichte bleibt ganz klar auf dem Persönlichen – zunächst auf dem 19jährigen Zakaria (Mohammed Ismael Mohammed), der zu Beginn der Geschichte radikalisiert wird, dann auf Malik. Die Kamera hängt dabei stets über der Schulter, der Blick ist dementsprechend beengt. Die großen gesellschaftlichen Veränderungen werden damit erst nach und nach sichtbar, und auch sie werden nur punktuell im persönlichen Lebensumfeld der Protagonisten gezeigt. Vielleicht hätte man noch etwas mehr aus dem Thema herausholen können, wenn der Fokus etwas weiter gefasst worden wäre. Die Botschaft ist dennoch klar. Das Jahr 2025 ist näher als man denkt.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Crossing Europe Filmfestival Linz 25.-30. April 2019

Ich liebe den Geruch von Festivals am Morgen. Am 25. April reist der Kürbis eures Vertrauens gen Westen, um in der schönen Hauptstadt Oberösterreichs die dortigen Kinosäle des Crossing Europe Filmfestivals unsicher zu machen. Mit dem Crossing Europe habe ich letztes Jahr schon Bekanntschaft gemacht, und die Erfahrung war rundum positiv, sodass ich dieses Jahr gerne erneut Gast des Festivals bin. Was man dort zu sehen bekommt: Einen Querschnitt durch das europäische (vorzugsweise junge) Filmschaffen in gemütlicher und stressfreier Atmosphäre. Und wenn das Wetter auch wieder so mitspielt wie vergangenes Jahr, kommt tatsächlich Urlaubsfeeling auf. Ich bin gespannt, ob mich das diesjährige Programm wieder begeistern kann. Für Abwechslung scheint jedenfalls gesorgt zu sein: Ganze 19 Filme habe ich mir mal auf die Liste gesetzt. Schlaf und Essen sind überbewertet.

(Werbesujet/Grafik: d.signwerk.com / Foto: Gerhard Wasserbauer)

Berlinale 2019 – Ein Fazit

Seit Sonntag sind die 69. Internationalen Filmfestspiele Berlin auch wieder Geschichte. Dieter Kosslick tritt als Direktor ab, mit Spannung darf man die Programme in den nächsten Jahren erwarten. Ich selbst weiß jedenfalls nach meinem zweiten Berlinale-Besuch: Nächstes Jahr muss ich mir mehr Zeit nehmen. Vier Tage, zudem das letzte Wochenende, sind einfach nicht genug. Die Pressevorführungen waren an diesem Wochenende schon größtenteils durch, der Wettbewerb ist gelaufen – nächstes Jahr steige ich definitiv früher in die Action ein. So hat mein Besuch ein bisschen etwas von einer Party gehabt, zu der man erscheint, wenn schon die ersten Gäste gehen. Klar, eine coole Feier kann es ja trotzdem noch sein, und um besoffen zu werden, gibt es noch genügend Alkoholika im Kühlschrank, aber das gute Zeug ist größtenteils schon weg. Dennoch: Ein paar schöne Filme konnte ich noch mitnehmen. Und Charlotte Rampling aus zehn Metern Entfernung bewundern. Allein dafür hat sich der Besuch schon ausgezahlt.

Hier nun die 13 gesichteten Filme in meiner persönlichen Reihung:

Ausgezeichnet:
Die Kinder der Toten
Daniel

Sehenswert:
Der Boden unter den Füßen
Marighella
Der Nachtportier

Ganz gut:
Fukuoka
Leakage
Lampenfieber

Geht so:
Idol
Fern von uns

Nicht so prickelnd:
Das Wunder im Meer von Sargasso
Variety
MS Slavic 7

Berlin, wir sehen uns nächstes Jahr. Bis dahin: So long and thanks for all the films.

Der Boden unter den Füßen (2019)

Regie: Marie Kreutzer
Original-Titel: Der Boden unter den Füßen
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Der Boden unter den Füßen


Caroline, genannt Lola (Valerie Pachner), hat einiges um die Ohren. Der Job als Unternehmensberaterin in der Schlussphase eines wichtigen Projekts in Rostock fordert sie voll. Mit ihrer Chefin (Mavie Hörbiger) bahnt sich etwas an, was über das Berufliche weit hinaus geht, gleichzeitig aber kann sie ihrer Chefin nicht wirklich vertrauen. Und in Wien ist ihre Schwester (Pia Hierzegger) nach einem Suizidversuch in die psychiatrische Klinik eingewiesen worden und ruft nun ständig bei Lola an, um sie um Hilfe zu bitten. Ihr ginge es ganz schlecht, sie werde misshandelt – und Lola soll sie da bitte rausholen. Der Druck auf Lola nimmt zu. Versaut sie das Projekt, verbaut sie sich ihre beruflichen Chancen. Versaut sie es mit ihrer Chefin, dann ist es sowieso mit ihr vorbei. Und versaut sie es bei ihrer älteren Schwester, deren Vormund sie mittlerweile ist, werden die Schuldgefühle sie wohl nie wieder loslassen. Nun muss Lola abwägen, was ihr wirklich wichtig ist. Und dabei stellt sie fest, was für ein Mensch sie ist. Und wir, das Publikum, stellen das ebenfalls fest. Wir alle, Lola und wir im Kinosaal, werden vielleicht nicht mögen, was wir dabei herausfinden. „Der Boden unter den Füßen“ handelt, wie der Titel sagt, von eben jenem Boden, den wir verlieren können, wenn wir uns auf die falschen Dinge konzentrieren. Lolas Leben ist in einer sehr wackeligen Balance – und es genügt ein einziger Vorfall, um dieses Leben ins Kippen zu bringen. Wie eine Lawine prasseln dann die Probleme auf Lola ein, und sie, die immer auf sich allein gestellt war, weiß sich nicht zu helfen. Marie Kreutzer geht mit ihrer Heldin schonungslos um. Sie hat zwar unser Mitleid, aber nicht immer unser Verständnis. Dabei befindet sich der Film selbst in einer guten, stabilen Balance. Neu ist das alles zwar nicht, und vor allem der berufliche Part rutscht gelegentlich nah an die Abgründe der Klischee heran, aber dennoch ist „Der Boden unter den Füßen“ über seine gesamte Laufzeit interessant anzusehen und von Valerie Pachner stark gespielt. Ein erfreulicher Abschluss meines diesjährigen Berlinale-Besuchs.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Juhani Zebra / Novotnyfilm)

https://www.youtube.com/watch?v=SJo9ajewKxA

Fern von uns (2019)

Regie: Laura Bierbrauer und Verena Kuri
Original-Titel: Fern von uns
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: –


Laura Bierbrauer. Welchem Österreicher geht bei diesem Namen nicht das Herz auf? Gemeinsam mit Verena Kuri hat Bierbrauer einen Film gedreht, der in der deutschsprachigen Community Argentiniens spielt. Das Deutsch ist manchmal schon ein bisschen eingerostet, und die Sprache eine Mischung aus Deutsch und Spanisch, aber familiäre Probleme sind ja universell und zeitlos. In diesem Fall geht es um die junge Ramira, die nach längerer Zeit wieder auf die heimatliche Farm zurückkehrt. Dort zieht ihre Mutter mittlerweile Ramiras dreijährigen Sohn auf, der auch glaubt, dass Ramira nur eine Tante ist. Dem Vater geht es indessen finanziell nicht so gut, die Kühe sind krank, und er überlegt, die Farm zu verkaufen. Das übergeordnete Thema des Films könnte „Wurzeln und Entwurzelung“ lauten. Jedenfalls scheint Ramira entwurzelt zu sein, sie passt auch nicht so recht auf die Farm und in die Gemeinschaft. Auch ein altes Thema, das cineastisch bearbeitet wird, seit die Bilder zu laufen gelernt haben. Allerdings fügt „Fern von uns“ diesem Thema abgesehen vom hierzulande eher unbekannten Setting der deutschsprachigen Farmer in Südamerika wenig Neues hinzu. Vieles wird nur angedeutet, vieles muss man in langen Einstellungen von Menschen, die auf Bäume starren, zu interpretieren versuchen. Ein langsames Drama, das ein wenig ziellos vor sich her mäandert. Und damit ein klassischer Festival-Film: ungewöhnliches Setting, fade G’schicht. Wenn man nach dem Abspann den Kinosaal verlässt, zuckt man mit den Schultern und hofft darauf, dass der nächste Film einen bleibenden Eindruck hinterlässt.


5,0
von 10 Kürbissen