Weitere Filmfestivals

Transnistra (2019)

Regie: Anna Eborn
Original-Titel: Transnistra
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Transnistra


Transnistrien ist eine sehr stark russisch geprägte Region in Moldawien, die auf eine sehr wechselhafte und problembehaftete Geschichte zurückblickt Anfang der 90er Jahre kam es im Zuge des Unabhängigkeitsstrebens von Transnistrien zu einem kriegerischen Konflikt zwischen der Region und dem Staat Moldawien. Etwa 500 Menschen starben damals. Und so richtig leiwand haben es die Leute auch heute nicht. Das alles wäre zwar spannend für eine filmische Aufarbeitung, aber daran ist Regisseurin Anna Eborn nicht interessiert. Vielmehr geht es ihr um eine Gruppe von Jugendlichen und ihren Träumen von einem besseren Leben. Im Mittelpunkt stehen dabei Tanja und Tolya. Tanja weiß nicht so recht, was sie will – so hüpft sie von einem Typen zum nächsten – und doch ist es sie, die am Ende die konkreteste Veränderung durchmacht. Tolya wirkt einfältig und ebenso ziellos, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Diese Ziellosigkeit, die man anfangs an ihm wahrnimmt, entpuppt sich aber im Laufe der Erzählung als Desillusionierung. Die wohl größte Stärke des Films ist es, dass er das alles nicht plakativ aufrollt, sondern sich diese Aspekte erst nach und nach in den Gesprächen der Jugendlichen untereinander entfalten. Anna Eborn zeigt hauptsächlich die Freundschaften, wie sie sich entwickeln und verändern, wie man die Zeit miteinander totschlägt, wie neue Allianzen geschmiedet werden und alte Freundschaften in die Brüche gehen – das normale Leben von Jugendlichen eben. Über diesen Zugang findet sie schließlich zum Blick auf die Zukunft dieser jungen Menschen und damit den Kern ihres FIlms – und der ist wahrlich nicht rosig. Trotzdem ist „Transnistra“ kein Feel-Bad-Movie, sondern hauptsächlich ein intimes Porträt von Freundschaften in prekären Verhältnissen. Allerdings tröpfelt die Erzählung manchmal etwas zu langatmig vor sich her. Und gerade die komplette Auslassung der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und vor allem geschichtlichen Hintergründe zu der Region, in der der Film spielt, lassen den Zuseher nur schwer ins Geschehen finden und erschweren das Verständnis. Wer etwas über Transnistrien wissen möchte, um eine Vorstellung davon zu bekommen, warum diese Jugendlichen so desillusioniert auf ihre Zukunft blicken, muss anschließend Google und Wikipedia bemühen – so wie ich.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Schwimmen (2018)

Regie: Luzie Loose
Original-Titel: Schwimmen
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Schwimmen


Der Ursulinensaal in Linz, eine der größten Spielstätten des Crossing Europe Filmfestivals. Ein ausverkauftes Haus – und das an einem Montagvormittag. Der Grund dafür ist rasch ersichtlich: Mehrere Schulklassen werden von ihren Lehrern in Luzie Looses Debütfilm „Schwimmen“ gelotst. Oder sagen wir eher: Der Saal wird von Hunderten Schülern überrannt. Die paar Lehrer und ein Filmkürbis haben Panik in den Augen. Aber trotz des anfänglichen Aufruhrs, der sich noch mal verstärkt, als vor der Vorführung vom Moderator noch Schokolade in den Saal geworfen wird, ist es bei der Sichtung von „Schwimmen“ mucksmäuschenstill. Die Schüler sehen der 15jährigen Elisa zu, wie sie zunächst aufgrund ihrer plötzlichen Blackouts von den Mitschülern gemobbt wird, dann Freundschaft mit der hübschen Möchtegernschauspielerin Anthea schließt und sich durch geheime Videoaufzeichnungen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler in prekären Situationen rächt. Das Rad der Rache dreht sich aber bald zu weit. So weit, so gut. Ein ambitionierter Film über ein wichtiges Thema, keine Frage. Im Mittelpunkt steht zwar eher die freundschaftliche Beziehung zwischen Elisa und Anthea, aber der Film bietet den anwesenden Lehrerinnen und Lehrern genügend Stoff, um anschließend erschöpfend über die Themen Mobbing, Drogenmissbrauch und Social Media-Missbrauch zu diskutieren. Das große Problem des Films bringt aber im anschließenden Q&A ein Schüler auf den Punkt: Gerade das Mobbing-Thema ist überzeichnet dargestellt. Als Elisa beginnt, sich zu rächen, indem sie die verfänglichen Videos teilt, springt sofort die ganze Schule darauf auf und mobbt sofort die gezeigten Schüler, egal, wie beliebt diese vorher waren. Auch folgen die Figuren weniger einer inneren Logik, sondern den Vorgaben des Drehbuchs, was zu Überzeichnungen und nicht nachvollziehbaren Handlungen und Reaktionen führt. Es ist immer ein Problem, wenn Figuren etwas tun, weil es das Drehbuch so will. Dann verliert ein Film nämlich seine Glaubwürdigkeit. Und genau das ist meiner Meinung nach Luzie Loose bei „Schwimmen“ passiert. So bleiben auf der Habenseite allein ein ambitioniertes und wichtiges Thema und eine gut aufspielende Hauptdarstellerin Stephanie Amarell sowie eine wirklich schön gefilmte Drogenmissbrauchsszene, die Lust auf mehr macht (was vielleicht aber nicht so ganz in der Absicht der Filmemacherin liegen dürfte).


4,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Arctic (2018)

Regie: Joe Penna
Original-Titel: Arctic
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Thriller, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Arctic


Hollywood on Ice. Mit diesen drei Worten ist Joe Pennas Survival-Drama „Arctic“ ausreichend beschrieben. Mads Mikkelsen spielt darin einen Mann namens Overgard, der ein klitzekleines Problem hat: Er ist mit seinem Flugzeug gecrasht. In der Arktis. Ohne Hoffnung, gesucht und gefunden zu werden. Alles in allem eine doch etwas missliche Lage. Aber weil man ja so etwas wie eine Routine braucht, hat er es sich im Flugzeugwrack häuslich eingerichtet, angelt Fische aus dem Eis, die er dann als Sushi verspeist, und sucht die Umgebung nach Radiofrequenzen ab in der Hoffnung, auf sich aufmerksam machen zu können. Und dann geschieht das Wunder: Ein Hubschrauber kommt vorbei. Leider inmitten eines üblen Eissturms. Das Resultat: Ein zweites gecrashtes Luftfahrzeug. Mit einer schwerverletzten Co-Pilotin. Plötzlich hat Overgard eine Verantwortung, die über jene für sein eigenes Leben hinausgeht. Also packt er seine Siebensachen und die verletzte Pilotin ein und macht sich auf dem Weg zu einem mehrere Tage entfernten Camp, das er auf einer Karte im abgestürzten Hubschrauber ausfindig gemacht hat. Was nun folgt, ist ein Survival-Drama, das alle Klischees Punkt für Punkt abhakt. Immer dann, wenn man sich denkt: „An dieser Stelle müsste nun das und das passieren, um im Klischee-Bingo weiterzukommen“, passiert mit Sicherheit genau das Erwartete. Und da kann sich Mads Mikkelsen, den ich sehr schätze und der auch wieder gekonnt aufspielt, noch so sehr abmühen, aber den Film über den Durchschnitt hinausheben kann auch er nicht. Immerhin gibt es dank Islands Naturgewalt, wo der Film gedreht wurde, schöne Landschaftsaufnahmen zu sehen.


5,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

The Souvenir (2019)

Regie: Joanna Hogg
Original-Titel: The Souvenir
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: The Souvenir


Eine Swinton fällt nicht weit vom Stamm. Es ist keine Überraschung, dass Tilda Swintons Tochter Honor Swinton Byrne ebenfalls mit dem Talent zum Schauspiel gesegnet ist. Das kommt Joanna Hogg für ihren Film „The Souvenir“ sehr entgegen, denn sie weiß, dass sie sich darauf verlassen kann, dass Swinton Byrne zusammen mit Tom Burke trägt. Die beiden spielen ein eher ungleiches Paar: Sie, Anfang zwanzig, studiert an der Filmhochschule und wirkt zunächst mal schüchtern und naiv (ein Alter Ego der Regisseurin selbst, die mit diesem Film ihre künstlerischen Anfänge auf die Leinwand bringt). Er, deutlich älter, arbeitet für ein Ministerium und hat neben polierten Manieren, einen erlesenen Musikgeschmack und viel zu viel Geld auch ein Drogenproblem. Da findet zusammen, was nicht zusammen gehört – und doch scheint es irgendwie zu funktionieren. Genauso wie Hoggs Film: Man weiß gar nicht so recht, woran es liegt, dass der Film funktioniert, aber er tut es. Und das, obwohl die Story selbst recht dünn ist, obwohl die Dialoge manchmal etwas artifiziell wirken, obwohl der Film da wegschneidet, wo es für den Zuseher interessant zu werden beginnt. Andererseits ist gerade diese Beiläufigkeit die wohl größte Stärke von Joanna Hogg. Wenn sie von einer Venedig-Reise erzählen will, dann reicht es ihr aus, einmal kurz das Panorama der Lagunenstadt zu zeigen und dann eine kurze Sequenz in einem mondänen Hotel in einem Palazzo, und man weiß eigentlich alles über die Reise, was man wissen muss. Venedig halt, eine Reise mit Höhen und Tiefen, nicht die versprochene Verheißung, aber eh okay. Und so geht Hogg mit fast allen Situationen um. Selbst das Drogenproblem des Geliebten wird mit Ausnahme von einer einzigen (dafür sehr bedrückenden) Szene nur indirekt erzählt. Zugegeben, ich bin nur noch unschlüssig, ob ich diese Art und Weise zu erzählen mag. Über die Laufzeit von zwei Stunden hat sich auch die eine oder andere Phase der Fadesse eingestellt, die dann wieder durchbrochen wurde von einer plötzlich auftauchenden genialen Szene. Eines ist aber klar: Joanna Hogg hat für sich eine sehr außergewöhnliche filmische Sprache mit hohem Wiedererkennungswert gefunden. Und wenn die geplante Fortsetzung des Films in die Kinos kommt, werde ich mir diesen Film mit Sicherheit ansehen, um mein Bild von dieser Regisseurin zu schärfen.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Normal (2019)

Regie: Adele Tulli
Original-Titel: Normal
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Normal


Was ist normal? Eine einfache Frage mit einer schwierigen Antwort. Fragt hundert Menschen auf der Straße, was für sie Normalität bedeutet, und ihr werdet hundert verschiedene Antworten und Sichtweisen bekommen. Normal ist für den Einen, dass zwei Menschen, die sich lieben, den Bund der Ehe eingehen können. Normal ist für den Anderen, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich ist. Und für einen Dritten ist ein Zusammenleben ohne ehelichem Bund normal. Um nur ein Beispiel zu nennen. Adele Tulli findet in ihrem dokumentarischen Essay-Film einige sehr einprägsame Beispiele für in unserer Gesellschaft auf breiter Basis wahrgenommene Normalität, die sich bei genauerem Blick aber als Absurdität entlarvt. Wenn beispielsweise in einer Fabrik am Fließband rosa gefärbte Spielzeug-Bügelbretter für Mädchen gefertigt werden während daneben die blau gefärbten Spielzeuge für Burschen verpackt stehen, dann wird jedem, der das sieht, die Absurdität dieser gesellschaftlichen Norm bewusst. Oder wenn Tulli bei einem Junggesellinnenabschied kreischende Mädchen und eine peinliche berührte Braut in spe zeigt, wie sie Kuchen in der Form eines Penisses anschneiden und lasziv verspeisen. Oder bei der Gruppe von Müttern im Park, die mit ihren Kinderwägen Gymnastikübungen aufführen. Oder bei dem Sohn, der von seinem Vater noch martialische Anfeuerungen vor einem Motorrad-Rennen für Kinder mitbekommt. Das alles wirkt lächerlich und absurd und zeigt allzu deutlich die Geschlechterrollen auf, in die sich unsere Gesellschaft hineinmanövriert hat. All das ist sichtbar im Alltag – nur wird es dort nicht wahrgenommen. Im Gegenteil: Allzu selbstverständlich unterwerfen wir uns diesem Diktus der Normalität, denn wir kennen es nicht anders. Und ich frage mich, wie lange es wohl dauern wird, bis das glückliche schwule Paar bei der Hochzeit zur Normalität wird. Wohl erst dann, wenn wir uns nicht mehr bewusst sind, dass es ein schwules Paar ist, dass da heiratet, sondern einfach nur zwei Liebende. Adele Tulli ist mit „Normal“ ein unaufgeregter und unspektakulärer Film geglückt, der uns vor einfache und gut bekannte Situationen stellt und uns damit vor Augen führt, wie absurd diese eigentlich sind, wenn man genau hinschaut. Sie schärft damit den Blick, und das tut uns allen gut.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Home Games (2018)

Regie: Alisa Kovalenko
Original-Titel: Domashni Igri
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Domashni Igri


Die 20jährige Alina möchte eine der besten Fußballspielerinnen der Ukraine werden und es bis ins Nationalteam schaffen. Das Talent und den Willen dazu hat sie. Was sie aber auch hat: Eine alkoholkranke Mutter, einen so gut wie immer abwesenden Vater, der keinen Cent von dem Geld, das er verdient, nach Hause bringt, zwei deutlich jüngere Geschwister und eine Großmutter, die zwar mit Ratschlägen, aber nicht mit Taten weiterhelfen kann. Und dann stirbt auch noch die Mutter. Alisa Kovalenko, die Regisseurin von „Home Games“ ist mit ihrer Kamera immer dabei: Auf dem Feld, wenn Alina ihre Wut auf das Leben in Energie im Spiel ummünzt, beim Begräbnis der Mutter, bei der Konfrontation mit dem Vater (dessen Charakter am deutlichsten sichtbar wird, als er sich nach einem Streit mit seiner Tochter aus dem Staub macht, sich dabei aber noch Zeit nimmt, sich an der Tür umzudrehen, in die Kamera zu blicken und der dahinter befindlichen jungen und hübschen Filmemacherin zuzwinkert), vor allem aber bei den Versuchen, die beiden Geschwister aufzuziehen. Die Familie lebt deutlich unter der Armutsgrenze. Hilfe gibt es keine. Der Tod der Mutter, die zumindest einen Teil der Verantwortung getragen hat, führt dazu, dass Alina alle Hände voll hat, den Alltag zu organisieren. Für Fußball bleibt da kaum mehr Platz. Stirbt damit ihr großer Traum und vielleicht die einzige Chance, der Armut zu entfliehen? Alisa Kovalenko hat einen sehr intimen Film gedreht. Das Vertrauen, das ihr Alina und ihre Familie entgegenbringen, ist enorm. Dadurch ist die Regisseurin immer und überall hautnah dran, ist dabei aber unsichtbar. Man könnte dem Film vielleicht zum Vorwurf machen, einen voyeuristischen Blick auf eine Familie in Armut zu werfen. Man könnte aber auch einfach ein respektvolles Porträt einer starken jungen Frau sehen, die zwar versucht, ihren Traum zu leben, gleichzeitig aber Verantwortung übernimmt, als es nötig ist, so schwer das manchmal auch fällt.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Tomka and His Friends (1977)

Regie: Xhanfise Keko
Original-Titel: Tomka dhe shokët e tij
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Drama, Kriegsfilm
IMDB-Link: Tomka dhe shokët e tij


Spannend an Filmfestivals sind auch die Retrospektiven und Tributes, bei denen man Filmemacher und Filmemacherinnen entdecken kann, von denen man noch nie etwas gehört hat und von denen man sonst auch nie etwas gehört hätte. Die albanische Regisseurin Xhanfise Keko gehört zu dieser Kategorie. Ihr Film „Tomka and His Friends“ aus dem Jahr 1977 gilt als ein Meisterwerk des albanischen Films. Erzählt wird darin eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, als die deutsche Wehrmacht in der pittoresken Stadt Berut einmarschiert und dort ein Lager errichtet. Der junge Tomka und seine Freunde (darunter der treue Hund Luli, der im Grunde alle Szenen stiehlt, in denen er zu sehen ist) sind davon wenig begeistert. Denn zum Einen verachten sie die Faschisten ohnehin – viele ihrer Angehörigen sind auch im Untergrund bei den Partisanen tätig. Und zum Anderen fällt diesen immer nur im Befehlston herumschreienden Soldaten nichts Besseres ein, als ihr Lager auf dem einzigen Spielplatz der Stadt zu errichten. Also leistet man subversiven Widerstand, indem man vor dem Lager Fußball spielt und auf das rauf und runter gespielte Lied „In der Heimat“ mit lautem Gesang von Partisanenliedern antwortet. Einzig der schwarze Wachhund Gof (der eine entzückend gespielte Sterbeszene hinlegen darf) bereitet den Burschen Kopfzerbrechen. Dann ergibt sich auf einmal die Chance, für die Partisanen tätig zu werden und ihnen zu helfen, die Deutschen zu bekämpfen. „Tomka and His Friends“ ist charmant erzählt, ohne aber die Brisanz seiner Geschichte zu verleugnen. Dennoch blickt der Film mit viel Optimismus (und Patriotismus) auf diese Zeit zurück. Tomka dient dabei prächtig als Identifikationsfigur. Vielleicht mag man diese Art von Filmen als Geschichtsverklärung bezeichnen. Die albanische Filmexpertin Iris Elezi, die dieses Special kuratierte, verschwieg diese Problematik in ihrer Einleitung nicht. Denn natürlich gab es auch in Albanien Kollaborateure, die mit den Nazis zusammenarbeiteten. Natürlich gab es unmenschliche Verbrechen und viele Tote auf beiden Seiten. Aber vielleicht tut es einfach auch mal gut, einem jungen Helden wie Tomka auf der Leinwand zusehen zu dürfen, wie er mit seinen Freunden den Schergen mit Humor und Gewitztheit entgegentritt.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Messer im Herz (2018)

Regie: Yann Gonzalez
Original-Titel: Un couteau dans le coeur
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Thriller
IMDB-Link: Un couteau dans le coeur


„Messer im Herz“ von Yann Gonzalez ist eine mutige und farbenfrohe Angelegenheit. Denn der Film vereint das Genre des Giallo (in dem in den 70ern vorzugsweise junge, leicht bekleidete Mädchen von irren Serienmördern so farbenprächtig abgemurkst wurden, dass man eigentlich eine neue Bezeichnung für das strahlende Rot des Kunstblutes, das verwendet wurde, erfinden müsste) mit dem des Schwulenpornos. Hier sind es nun sinnliche junge Männer (manche davon mit beeindruckendem 70er-Jahre-Pornoschnauzer), die um ihr Leben bangen müssen. Diese Männer spielen allesamt in Annes (Vanessa Paradis) neuester Produktion mit. Anne hatte eine Beziehung zu ihrer Cutterin Lois (Kate Moran), die aber in die Binsen gegangen ist. Anne möchte nun das große Meisterwerk der drittklassigen Schwulenpornos drehen und damit Lois so beeindrucken, dass sie wieder zurückkehrt zu ihr. Blöd nur, dass ihr da der irre Serienmörder dazwischenkommt, der ihre Darsteller meuchelt. Da muss es eine biografische Verbindung geben, also beginnt Anne zu ermitteln. „Messer im Herz“ ist ein kompromissloser Film – völlig überdreht, stellenweise sehr komisch und bunt wie ein Papagei im Fasching. Man merkt an, wie viel Spaß es dem Regisseur bereitet hat, diesen Film zu drehen. Und er möchte – wie üblich beim Giallo – gar keine tiefgreifenden Botschaften vermitteln. Gonzalez möchte mit seinem Film nur zwei Dinge: Gut unterhalten und Vanessa Paradis abfeiern, die als Femme Fatale Anne eine gute Figur macht und heroisch gegen ihre miese Perücke anspielt. Ist das alles relevant? Nein. Ist das gut erzählt? Grundsätzlich schon, allerdings ist die Story selbst so konstruiert und unglaubwürdig, wie es sich für einen Giallo gehört (was ja durchaus ein Grund ist, warum ich mit dem Genre an sich nicht so viel anfangen kann). Aber macht das alles Spaß? Ja, das auf jeden Fall.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

The Announcement (2018)

Regie: Mahmut Fazıl Coşkun
Original-Titel: Anons
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Politfilm, Drama, Komödie, Satire
IMDB-Link: Anons


Istanbul 1963. Vier Militäroffiziere versuchen, die Radiostation von Radio Istanbul in ihre Gewalt zu bringen, um einen Staatsstreich zu verkünden. Dabei stoßen sie auf unerwartete Probleme wie beispielsweise einen Fahrer, der die Gelegenheit nutzen möchte, seine Brötchen in der Nacht auszuliefern, da die Lieferung eh am Weg zu Radio Istanbul liegt. Oder einen Manager der Radiostation, der leider keine Ahnung von Technik hat, weshalb er den Senderaum nicht bedienen kann. Da muss erst der Techniker her, nur der ist gerade unterwegs. Stoisch nehmen die Putschenden jede neue Komplikation zur Kenntnis. Dagegen wirken Figuren von Kaurismäki wie geschwätzige Tratschtanten. Und ja, das ist teils auch sehr amüsant anzusehen. Allerdings übertreibt es Mahmut Fazıl Coşkun in meinen Augen mit der Lakonie. Denn man erfährt so gut wie nichts über diese Hanseln, die da eine Revolution anführen wollen. Nichts Persönliches, keine politischen Beweggründe, gar nichts. Erstaunlich ist, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruht, insofern wäre es für einen Laien, was die türkische Geschichte der 60er Jahre betrifft, durchaus interessant gewesen, zu erfahren, warum es überhaupt zu diesem versuchten Staatsstreich gekommen ist. Aber diesen Gefallen tut uns Coşkun nicht. Seine Figuren bleiben sperrig und distanziert. Und damit verfolge ich auch das Geschehen distanziert – und am Ende ist es mir egal, ob diese Würstel ihr Ziel erreichen oder nicht. Auch ist diese extrem reduzierte Erzählweise, in der sich die Figuren nur in statischen Kamera-Tableaus bewegen, auf Dauer recht ermüdend. So ist der Film zwar gelegentlich unterhaltsam, insgesamt aber eher eine anstrengende Sache. Ein Kaurismäki kann das besser.


4,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

https://www.youtube.com/watch?v=1hPWgdcA0bU

Oray (2019)

Regie: Mehmet Akif Büyükatalay
Original-Titel: Oray
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Oray


Shit happens. Da kann es schon mal passieren, dass man im Streit mit der geliebten Ehefrau ein falsches Wort sagt. Man kennt das ja. Aber doppelt blöd, wenn man Muslim ist, streng nach den Gesetzen des Islam lebt und dann das Wort „talaq“ ausspricht. Das ist so etwas wie der Joker beim Schluss machen. Denn das heißt: Drei Monate Beziehungspause, du musst von deiner Frau getrennt leben und danach wird entschieden, ob man sich final scheiden lässt. Burcu, Orays Frau, ist modern und weltoffen, hat mit dem Islam jetzt nicht so viel am Hut wie Oray und findet das naturgemäß nicht so witzig, dass ihr Ehemann, so reuig wie er auch ist, nach einem Streit die Koffer packt und von der Kleinstadt Hagen nach Köln zieht. Aber wenn Allah das so will, was soll man da auch groß machen? Oray hat früher öfter schon mal Mist gebaut. Dabei war in der Regel das Eigentum anderer Leute involviert. Im Gefängnis hatte er dann seine Epiphanie. Seitdem ist er streng gläubig und versucht, seine inneren Dämonen mit Hilfe des Islams im Zaum zu halten. Für ihn geht es (scheinbar) um mehr als um seine Ehe: Es geht ihm um den Frieden seiner Seele. Also ab nach Köln. Dort wird erst mal in einer türkisch-deutschen Studenten-WG gepennt, dann findet er mit Hilfe der türkischen Community eine eigene Wohnung. Was diese Gemeinschaft vereint, ist die Hingabe zum Islam. Man trifft sich zum gemeinsamen Beten, Kaffeetrinken und FIFA Soccer-Spielen. Es sind allesamt junge Männer im Alter von 20 bis 30, die sich in dieser Gemeinschaft versammeln. Alle sind ein bisschen orientierungslos, und der Islam hilft ihnen dabei, Halt zu finden und an ihrer eigenen Identität zu basteln. Radikal sind sie nicht, aber als westlicher Zuseher wundert man sich manchmal schon ein wenig über diese Kritiklosigkeit, mit der Regeln wie jene des „talaq“ angenommen und gelebt werden. Und dann denkt man plötzlich an das Läuten von Kirchenglocken am Sonntag um 9 Uhr in der Früh, an die Beichte, nach der alles wieder gut ist, an das Kruzifix, das man noch aus der eigenen Schulklasse kannte – und ja, irgendwie ist das unterm Strich alles immer dasselbe, nur die äußere Form unterscheidet sich. So ist „Oray“ des Deutschtürken Mehmet Akif Büyükatalay ein Film, über den man sehr viel über Religiosität, Spiritualität und die konkreten Auswirkungen dieser Konzepte auf das Leben auf einer sehr allgemeinen Ebene nachsinnen kann. Und nebenbei erfährt man viel über die türkische Gemeinschaft in Deutschland (was sich sicherlich auf Österreich und andere Länder übertragen lässt). Allerdings braucht man für den Film etwas Geduld, denn gelegentlich plätschert die Handlung ein wenig vor sich hin. Und er spart die Sicht der Frau fast komplett aus. Was wirklich schade ist und Abzüge in der B-Note bringt.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)