Weitere Filmfestivals

Endless Night (2019)

Regie: Eloy Enciso
Original-Titel: Longa noite
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Longa noite


Haben Sie Schlafstörungen oder Probleme beim Einschlafen? Liegen Sie manchmal abends mit offenen Augen im Bett und nichts hilft? Kein Schäfchen zählen, keine warme Milch mit Honig, keine leise gesummten Schlaflieder? Dann empfehlen wir „Longanoite forte“, das neue Wundermittel aus Spanien. Ganz einfach einzunehmen, nämlich visuell, und der Schlaf stellt sich binnen Minuten ein. Probieren Sie es aus. Jetzt mit Geld-zurück-Garantie. – Leute, ich sage euch, wenn ich das professionell aufziehe, werde ich reich. Denn Eloy Encisos Drama über einen Heimkehrer, der während der Franco-Diktatur inhaftiert war, gehört zum Langweiligsten, was ich in diesem Jahr im Kino gesehen habe. Zu Beginn kann der Film noch einigermaßen bei der Stange halten. Man kennt sich nicht wirklich aus, die Bilder sind langsam und schön gefilmt, ein interessanter Dialog zwischen Anxo, dem Heimkehrer, und einem auswanderungswilligen Geschäftsmann im Bus entfaltet sich, ein bedrückender Monolog einer jungen Frau, die ihre Geliebte (oder vielleicht doch Kusine) an die Diktaktur verloren hat, wird auch sehr intensiv vorgetragen, das alles ist zwar auch fürchterlich langatmig, aber von gewissem Interesse. Doch dann verliert mich Eloy Enciso mit seinem Film im Wald. Die letzte halbe Stunde folgen wir Anxo, wie er durch den nächtlichen Wald schleicht, Bäume betatscht, gelegentlich Radio hört, und aus dem Off liest jemand einen Brief eines Häftlings, vielleicht Anxo selbst, vor. Ein Kernproblem des Films liegt wohl darin, dass Enciso vom Publikum zu viel erwartet, zu viel Wissen um die Franco-Diktatur und die Geschehnisse darin, zu viel Geduld mit Geschichten, deren Hintergründe es nicht kennt über Personen, die im Film kaum bis gar nicht präsent sind. Das Ergebnis lässt nicht lange auf sich warten: Leises Schnarchen erhebt sich im Kinosaal. Und so heißt es für die Zuseher nicht mehr „Longa noite“, sondern „Boa noite“. Gute Nacht.


2,5
von 10 Kürbissen

 

Space Dogs (2019)

Regie: Elsa Kremser und Levin Peter
Original-Titel: Space Dogs
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Space Dogs


Gleich vorweg: Vor keinem anderen Film musste ich bislang eine so deutliche Warnung aussprechen wie vor dem Dokumentarfilm „Space Dogs“ von Elsa Kremser und Levin Peter. Tierliebhaber und alle Menschen, die keine empathielosen Arschlöcher sind, werden diesen Film stellenweise nur schwer ertragen. (Was jetzt keine Empfehlung für empathielose Arschlöcher ist, diesen Film zu sehen.) Es gibt Szenen zu sehen, in denen zum Einen die Grausamkeit des Menschen am Tier unter dem Deckmantel der Wissenschaft sichtbar wird, und zum Anderen die Grausamkeit des Tieres gegenüber eines anderen Tieres. Lose folgt der Film zwei Moskauer Straßenhunden, während aus dem Off die Geschichte von Laika, der ersten Hündin im Weltall, und den Straßenhunden, die ihr ins All folgten, erzählt wird. Die Analogie ist klar: Die aus eindrücklicher Nähe dokumentierten Straßenhunde bilden die Brücke in die Vergangenheit, wenn sich die Geschichte Laikas als alternative Realität, die sie hätte haben können, im Herumstreunen der Hunde andeutet. Zwischendurch sind auch Archivaufnahmen zu sehen, wie die Hunde nach Laika für ihre Weltraummission vorbereitet werden. Diese Aufnahmen gehören zu jenen, die sich auf den Magen schlagen. „Space Dogs“ bringt so einen Gedankenprozess in Gang: Wie stehen wir zu den Tieren, was bedeutet unser Interesse an ihnen für sie, was unser Desinteresse? Hier setzt eine andere, sich auf den Magen schlagende Szene einen Kontrapunkt: Denn die Vorstellung, dass alle Tiere friedlich und im Einklang mit der Natur leben könnten, wenn wir sie nur ließen, erweist sich als Illusion. Denn auch die Natur ist grausam. Das muss man sich unbedingt ins Gedächtnis rufen, wenn man sich diesen Film ansieht. Denn ansonsten übersteht man ihn nicht. In diesem Fall dann lieber Aurel Klimts liebevoll gemachten Animationsfilm Laika aus dem Jahr 2017, der eine alternative und hoffnungsvollere Geschichte erzählt.


7,0
von 10 Kürbissen

 

Camille (2019)

Regie: Boris Lojkine
Original-Titel: Camille
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Biopic, Anti-Kriegsfilm
IMDB-Link: Camille


Mit den Leidenschaften ist es so eine Sache. Einerseits treiben sie uns zu Leistungen und Taten an, die unser Umfeld kaum für möglich gehalten hätte. Andererseits sind sie auch gefährlich, wenn man es damit übertreibt. Camille Leparge (Nina Meurisse) ist eine junge, leidenschaftliche Fotojournalistin. Auf eigene Faust fährt sie 2013 in die Zentralafrikanische Republik, um über den dort ausgebrochenen Bürgerkrieg zwischen Christen und Moslems zu berichten. Schon bald feiert sie erste Erfolge. Sie knüpft Kontakt zu Studenten, die im Widerstand aktiv sind, sie findet Anschluss an andere Journalisten vor Ort, und sie verkauft ihre ersten Foto-Stories an renommierte französische Zeitschriften. Doch gleich mit der allerersten Szene macht Regisseur Boris Lojkine klar, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird. Camille Leparge lebte tatsächlich, und sie wurde nicht alt. Sie starb während ihrer Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik, als sie und die Soldaten, mit denen sie unterwegs war, in einen Hinterhalt gerieten. Lojkine zeigt in seinem Film, worin die Stärken, aber auch die Gefahren und Schwächen von Idealismus liegen. Camille Leparge ist bewundernswert für ihr Engagement und ihren Mut, den Krieg, den in Europa beziehungsweise der westlichen Welt kaum jemanden interessiert hat, zu zeigen und die Menschen, ihren Kampf und ihr Leid sichtbar zu machen. Gleichzeitig aber wird ein Stück Besessenheit in Camilles Handeln sichtbar, eine Irrationalität, die sie auch Grenzen überschreiten lässt. Und dadurch wird ihr Handeln gefährlich. Boris Lojkine stellt dem Zuseher die Frage, ob Camille Leparge heute noch leben könnte – ohne sie selbst zu beantworten. Sein Film ist nüchtern gehalten, von dokumentarischer Anmutung und damit leicht zugänglich. Die moralischen Fragen, die er aufwirft, sind jedoch diffizil und kaum zu beantworten.


7,0
von 10 Kürbissen

Ivana the Terrible (2019)

Regie: Ivana Mladenovic
Original-Titel: Ivana cea Groaznica
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Ivana cea Groaznica


Die in Bukarest lebende serbische Filmemacherin und Schauspielerin Ivana kommt in ihre Heimatstadt an Grenze zwischen Rumänien und Serbien an der Donau. Die Stadt ist gerade dabei, ein Festival zu Ehren der rumänisch-serbischen Freundschaft auszurichten und hätte Ivana gerne als Botschafterin des Festivals. Doch die hat andere Probleme: unerklärliche Kopfschmerzen, einen Wickel mit der Großmutter, einen dreizehn Jahre jüngeren Geliebten und die Angst davor, dass diese Liaison auffliegt, denn man ist hier noch recht konservativ unterwegs, und dass eine Frau einen jüngeren Lover haben kann, der noch dazu schmutzige Dinge mit ihr beim Sex tut, das ist quasi unvorstellbar. Und auch auf das Festival hat sie keine Lust, auch wenn ihr Ex Andrei, mit dem sie sich noch immer gut versteht, und dessen neue Freundin Anca als Musiker gebucht sind. So weit, so gewöhnlich. Nun zum Ungewöhnlichen, was sich hier auch als Problem herausstellt: Ivana ist Ivana Mladenovic, Andrei ist Andrei Dinescu. Anca ist Anca Pop. Die ganze Familie Mladenovic spielt sich selbst. Dieser ungewöhnliche Ansatz führt zwar zum Einen zu einem dokumentarischen Feeling, das von der Regisseurin durchaus so beabsichtigt ist. Der Film scheint nur in geringen Dosen mit Fiktion angereichert zu sein. Aber genau in dieser Dosierung liegt auch das Problem: Denn so wird „Ivana the Terrible“, was als selbstironische Reflexion über das Leben als Berühmtheit in der Heimatstadt gedacht sein mag, zu einer Nabelschau, in der gerade das Bemühen von Ivana Mladenovic, unsympathisch zu wirken, einen bitteren Beigeschmack hat. Denn klar ist, dass sie sich so für den Film inszeniert und so ihre eigenen Befindlichkeiten thematisiert. Die gerade eben verstorbene Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison meinte einst, dass sie Literatur von Schriftstellern, die nur über sich selbst und ihre Welt schreiben, fadisiert. Und so geht es mir auch mit Filmemachern, die von sich selbst erzählen. Denn immer liegt ein Filter darüber, der die Befindlichkeiten überhöht und damit – für mich – uninteressant machen. Am Film berührt hat mich eigentlich nur die Widmung am Ende: Anca Pop ist nämlich kurz nach Fertigstellung des Films tödlich verunglückt.


4,0
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=3AW96zQDE3A

The Last Black Man in San Francisco (2019)

Regie: Joe Talbot
Original-Titel: The Last Black Man in San Francisco
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: The Last Black Man in San Francisco


Da ist es nun, das erste absolute Glanzlicht des Locarno Filmfestivals: Joe Talbots eindringliches Debüt „The Last Black Man in San Francisco“. Ein poetischer, stellenweise witziger und (mir fällt kein anderes Wort ein) herzlicher Film über eine Freundschaft und dem Versuch, die eigenen Wurzeln zu bewahren, in dem aber zwischen den Zeilen noch so viel mehr gepackt ist. Jimmy Fails (auch im richtigen Leben Jimmy Fails) spielt dabei einen jungen Schwarzen, der mangels Alternativen bei seinem besten Freund Montgomery (Jonathan Majors) und dessen Großvater (Danny Glover) lebt. Regelmäßig fährt er vom Vorort in die Innenstadt, um ein altes Haus zu reparieren und auszubessern – sehr zum Missfallen der Besitzerin. Was die jedoch nicht weiß: Das Haus ist jenes, in dem Jimmy seine Kindheit verbracht hat und das von seinem Großvater selbst gebaut wurde. Eines Tages muss die Besitzerin aufgrund eines Erbschaftsstreits ausziehen, und Jimmy packt die Gelegenheit beim Schopf und zieht mit Montgomery in das leerstehende Haus ein. „The Last Black Man in San Francisco“ ist ein zutiefst berührender Film über die Freundschaft zwischen Jimmy und Montgomery und über den Traum von Heimat. Es ist aber auch ein Film über die schleichende Gentrifizierung, über Alltagsrassismus, über den Verlust von Identität, indem man mehr und mehr nach den Vorurteilen der Anderen lebt. Das alles erzählt Joe Talbot aber nicht rational-kühl, sondern mit den Mitteln der Poesie. Seine Kompositionen in warmen Farben, in denen Bild und Musik ineinandergreifen, lassen den Zuseher den Film sinnlich erfassen. In dieser Beziehung ähnelt „The Last Black Man in San Francisco“ dem von mir so heiß geliebten „Beasts of the Southern Wild“ oder auch If Beale Street Could Talk. Vor allem beim Soundtrack musste ich sehr an „Beale Street“ denken.) Dabei geht Talbot mit seinem Film allerdings ganz eigene Wege und schafft etwas sehr Eigenständiges, Individuelles. Für mich schon ein klarer Kandidat für einige Oscarnominierungen nächstes Jahr. Ich würde es dem Film von Herzen gönnen.


8,5
von 10 Kürbissen

Aus dem Osten (1993)

Regie: Chantal Akerman
Original-Titel: D’Est
Erscheinungsjahr: 1993
Genre: Dokumentation, Experimentalfilm
IMDB-Link: D’Est


Anfang der 90er fährt Chantal Akerman nach Russland, um Leute anzuschauen. Und das ist dann auch schon der ganze Film. Seitwärts patrouilliert die Kamera Straßen entlang, um Menschen, die (zumeist mit ausdruckslosem Gesicht) herumstehen, abzufilmen. Kaum jemand spricht, kaum jemand geht – es wirkt so, als hätte Akerman in Moskau die frühe Version von Flashmobs gefunden, zu denen sich an beliebigen Orten im Winter Leute zusammenfinden, um pelzmützenbewehrt auf etwas zu warten, was dann doch nicht kommt. Das Ganze ist ja für eine Weile recht lustig anzusehen, und man beginnt darüber zu sinnieren, dass irgendeine Firma in Russland wohl den großen Reibach mit Pelzmützen gemacht hat, denn die sehen tatsächlich alle gleich aus. Aber dann wandern die Gedanken langsam ab, von Pelzmützen zu Einkaufslisten, zu der Freundin, die zuhause in Wien sitzt, während man selbst in Locarno auf Pelzmützen im Moskauer Winter starrt, zu der Frage, ob man sich zu Abend eine Pizza gönnen soll oder lieber nicht, um irgendwann doch wieder zum Film zurückzukehren – nämlich der spannenden Frage, ob die Damen und Herren, die da abgefilmt wurden, ihre eigenen Pelzmützen mitgebracht haben oder ob die von der Produktionsfirma gestellt wurden – quasi der Obolus für das Mitwirken am Film. Ein paar Reihen weiter hinten schnarcht ein Zuseher friedlich vor sich hin, wer noch die Kraft hat, hievt sich aus dem Sessel und schleppt sich aus dem Saal, und nein, ich hatte zu Abend keine Pizza mehr, sondern eine Minestrone und danach ein Glas Montepulciano d’Abbruzzo. Und im Gegensatz zum Film war dieser vorzüglich.


2,0
von 10 Kürbissen

Instinct (2019)

Regie: Halina Reijn
Original-Titel: Instinct
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller, Drama
IMDB-Link: Instinct


Instinkte sind schon etwas Nützliches. Man sollte nur darauf hören. Diese Erfahrung macht Psychologin Nicoline (Carice van Houten, die Zauberkünste aus Game of Thrones hätte ihre Figur brauchen können), die sich um die Wiedereingliederung verurteilter Sexualstraftäter kümmert und in dem manipulativen Idris (Marwan Kenzari) einen interessanten Fall hat. Und natürlich – der charismatische junge Mann erregt nicht nur ihre Aufmerksamkeit, sondern auch bald schon ihre Libido. Ein gefährliches Spiel beginnt, wobei nicht immer klar ist, wer mit wem spielt. Das Thema selbst ist natürlich ein alter Hut. Und dem kann „Instinct“ von Halina Reijn auf nichts Neues hinzufügen, auch wenn er knackig inszeniert ist und in keinem Moment langweilt. Allerdings kann Reijn einer starken Besetzung, jedenfalls in den Hauptrollen, vertrauen. Carice van Houten legt sowohl Stärke als auch Verletzlichkeit (und gelegentliche Hinweise auf frühere Verwundungen) in ihre Figur. Doch auch wenn ihre Nicoline das emotionale Zentrum des Films ist, so ist es doch Marwan Kenzari zu verdanken, dass er funktioniert. Sein Idris ist betörend, sexy, geheimnisvoll, vieldimensional und dabei doch zutiefst nachvollziehbar. Es gibt sie schließlich wirklich da draußen, die Menschen, bei denen die Instinkte versagen, da sie sich nicht greifen lassen. Oder bei denen man wider besserer Instinkte handelt. So ist aus „Instinct“ zwar ein relativ gewöhnlicher, nicht sonderlich origineller Thriller geworden, aber sehenswert ist der Film allemal.


6,5
von 10 Kürbissen

The Tree House (2019)

Regie: Minh Quy Truong
Original-Titel: Nhà Cây
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Nhà Cây


Im Jahr 2045 befindet sich ein einsamer Vietnamese auf dem Mars. Als Erinnerung an die Erde hat er eine Kamera und Kassetten dabei. Damit versucht er, die Einsamkeit zu überbrücken und das Gedächtnis an die Menschen, mit denen er gelebt hat, zu pflegen. Soweit die nicht uninteressante Ausgangsbasis von Minh Quy Truongs inszeniertem Dokumentarfilm, denn ums Erinnern geht es. Und um das Ursprüngliche im Menschen und im Leben. In losen Monologen erzählen Menschen von ihrer Kindheit. Diese Erzählungen werden mit grobkörnigen Bildern unterlegt. Das Aufwachsen fern von jeglicher Zivilisation ist schließlich das, was Minh Quy Truong interessiert. Die Frau, die ihre ersten Lebensjahre mit ihrer Familie in einer Steinhöhle gelebt hat. Der Mann, der 45 Jahre lang allein mit seinem Vater bis zu dessen Tod im Wald gelebt hat. Außenseiter von Außenseitervölkern, deren Erzählungen uns so fremd sind und in denen doch das Urmenschliche durchklingt, was wir selbst vielleicht schon zur Gänze verloren haben, aber an das wir uns erinnern als kollektiver Bestandteil unserer Herkunft. Allerdings hat „The Tree House“ ein gewaltiges Problem: Er ist zäh wie Strudelteig, denn die Erinnerungen und Sequenzen und Montagen mögen – auch wenn sie per se interessant sind – nicht zueinander finden. Und so bekommt man Stück für Stück für Stück vorgesetzt, und alles sieht irgendwie gleich aus, keinerlei Entwicklung ist zu spüren. Der Film läuft ins Leere. Und vielleicht ist das ja auch so mit den Erinnerungen – auch sie haben keinen Anfang und kein Ende. Formal mag Minh Quy Truongs Film damit durchaus gut gemacht sein, aber wenn man bereits nach einer halben Stunde die Aufmerksamkeit seines Publikums verliert, die dann nur gelegentlich bei einzelnen gelungenen Sequenzen aufploppt, dann hat man halt nicht alles richtig gemacht. Sondern einen faden Film gedreht.


3,5
von 10 Kürbissen

Wonders in the Suburbs (2019)

Regie: Jeanne Balibar
Original-Titel: Merveilles à Montfermeil
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Satire, Politfilm, Komödie
IMDB-Link: Merveilles à Montfermeil


Wow! Da hat man so einen Cast beisammen (neben Regisseurin und Darstellerin Jeanne Balibar selbst Emmanuelle Béart, Mathieu Amalric, Ramzy Bedia uvm.) und fährt das Ding dermaßen an die Wand, dass nicht einmal verwertbare Brösel übrigbleiben. Voilà, Mesdames et Messieurs, das ist „Merveilles á Montfermeil“ oder was die Franzosen unter politischer Satire verstehen. Hysterie. Gekreische. Völlig unlustiges Massensummen. Noch unlustigere Gags mit der Garderobe. Hektik. Noch mehr Hysterie und Gekreische. Second Live-Avatare, die miteinander kopulieren. Frauen in Marshmallowman-Kostümen. HYSTERIE! GEKREISCHE! Die Story ist eigentlich wurscht, denn sie ist quasi nichtexistent. Jede Menge Trubel um die Bürgermeisterin (Emmanuelle Béart) und ihr Team in der Kleinstadt. Jeder will mit jedem ins Bett (womit der geneigte Cineast sofort erkennt, ah, er befindet sich in einem französischen Film), aber wenn es dann mal ernst werden könnte, fangen sie lieber an zu reden oder zu tanzen. Kaum ein anderer Film auf den diversen Festivals, die ich in den letzten Jahren besucht habe, hat so konsequent den Saal leergespielt wie dieser. Und auch ich war mehrmals knapp dran, mich aus dem Kinosaal zu extrahieren und in eine hübsche Wiese mit Blick auf den Lago Maggiore zu pflanzen. Arg verschwendete Lebenszeit.


1,5
von 10 Kürbissen

Twelve Thousand (2019)

Regie: Nadège Trebal
Original-Titel: Douze mille
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Douze mille


Zugegeben, so einiges an „Douze mille“ von Nadège Trebal kann einem ziemlich auf die Nerven gehen. Zwei Wörter beschreiben den Film aber meiner Meinung nach sehr gut: Originell und lebendig. Das Thema klingt zunächst nach sozialpolitischem Drama. Ein arbeitsloser, sich mit Gaunereien über Wasser haltender Mann zieht los, um so schnell wie möglich 12.000 Euro zu verdienen, um damit gleich viel Geld zu haben wie seine Freundin. Dann nämlich sind sie sich ebenbürtig, und sie können endlich ihr gemeinsames Leben aufnehmen. Ich sehe schon, wie die Dardenne-Brüder bei dieser Synopsis zu sabbern beginnen. Tatsächlich schlägt aber Nadège Trebal, die auch eine der Hauptrollen, nämlich jene von Maroussia, der Frau, übernommen hat, einen gänzlich anderen Weg ein. Passend zu den linkischen Ambitionen des Pleitegeiers Franck (Arieh Worthalter) kommt auch der Film linkisch und mit doppelten Böden daher. Plötzlich wird die Frage der Treue verknüpft mit ökonomischen Überlegungen, der Dieb ruft bei der Firma, die er bestohlen hat, an und fragt nach einem Job, die resche, nihilistische Blondine mit dem rauchenden Sexappeal entpuppt sich als gewitzte Räuberin – Menschen und ihre Taten sind in diesem Film kaum zu durchschauen. Und genau das macht seinen Reiz aus. Selbst die absurdesten Szenen wirken so, als würden sie tatsächlich so aus den Figuren herauskommen, die mit einem Male ein Eigenleben entwickeln. (Was auch der grandiosen Leistung der Darsteller zu verdanken ist.) Dazu passt, dass gleich zu Beginn eine der ehrlichsten Sexszenen der jüngeren Filmgeschichte zu sehen ist – einfach pures Verlangen, das aber auch irgendwie besprochen und koordiniert werden muss. Ehrlich ist auch, dass die Beziehung zwischen Franck und Maroussia auf Sex basiert. Die Liebe ist ja trotzdem da. Insofern bietet der Film ein echtes Abenteuer mit vielen denkwürdigen Szenen, wenn man sich darauf einlässt. Dass nicht jede Idee aufgeht und Vieles auch unverständlich bleibt und nach menschlicher Logik nicht nachvollziehbar ist, ist dabei ein Risiko, dass Nadège Trebal in Kauf genommen hat und mit dem ich selbst auch gut leben kann.


6,5
von 10 Kürbissen