Thriller

Black 47 (2018)

Regie: Lance Daly
Original-Titel: Black 47
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Thriller, Western
IMDB-Link: Black 47


Irland 1847. Die Kartoffelfäule und die Kolonialmacht Großbritannien saugen das Land fürchterlich aus. Über eine Million Menschen sind bereits an Hunger gestorben – wer kann, wandert aus. Einer wandert ein: Martin Feeney (James Frecheville), der in Afghanistan gekämpft hat, kehrt als Deserteur nach Hause zurück. Dort muss er feststellen, dass seine Familie nicht mehr am Leben ist. Der unbarmherzige Landbesitzer Lord Kilmichael (Jim Broadbent) hat diese delougiert, um Steuern zu sparen, was bei klirrender Kälte und grassierender Hungersnot ein sicheres Todesurteil ist. Der als Soldat bestens ausgebildete Feeney startet einen Rachefeldzug, den ausgerechnet sein mittlerweile in Ungnade gefallener Kriegskamerad Hannah (Hugo Weaving) stoppen soll. Für diesen ist die Ergreifung Feeneys der einzige Ausweg aus einer misslichen Lage – hat er doch als Inspektor einen Verdächtigen, der nicht reden wollte, zu Tode gewürgt. Die Aussichten sind klar: Feeney oder er – am Ende baumelt einer. Und so zieht Hannah widerwillig los in Begleitung eines dienstbeflissenen Leutnants, eines Grünschnabels und des Einheimischen Conneely (Stephen Rea). Schon bald kommt es zu einer ersten Konfrontation. „Black 47“ spielt während eines der finstersten Kapitel der europäischen Geschichte – der irischen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts. Filme wie „Gangs of New York“ von Martin Scorsese berichten von den Auswirkungen dieser Not, doch kaum ein Film hat bislang auf so drastische und intensive Weise von der Episode selbst erzählt. Das Land ist karg und unwirtlich, und wer kein Dach über dem Kopf hat, stirbt. Doch als wäre eine Geißel nicht genug, zieht auch noch England das letzte bisschen an Ernte aus dem Land heraus. Und in diesem politischen, sozialen Kälteklima ist der Film von Lance Daly angesiedelt. Westernmotive werden ausgiebig bedient, und selten haben diese außerhalb des Wilden Westens selbst so gut gepasst wie hier. „Black 47“ erzählt von Outlaws, deren einziger Überlebenswille sich aus dem Hass auf jene zieht, die ihnen alles genommen haben. Die Wut wird in der zerklüfteten Landschaft genauso spür- und erfahrbar wie der Hunger. So gesehen ist „Black 47“ ein zutiefst pessimistischer Film, der sich auch einer versöhnlichen Schlussbotschaft verschließt, aber gleichzeitig menschelt es hier gewaltig. Vielleicht hat er ein paar Längen und ist an manchen Stellen etwas unrhythmisch erzählt, und auch nicht immer sind alle Handlungen nachvollziehbar, aber dennoch ein Film, den man sich durchaus mal ansehen kann, auch wenn man danach nicht unbedingt gut gelaunt aus dem Kino kommt.


7,0
von 10 Kürbissen

The Killing of a Sacred Deer (2017)

Regie: Giorgos Lanthimos
Original-Titel: The Killing of a Sacred Deer
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller
IMDB-Link: The Killing of a Sacred Deer


Jene, die zum ersten Mal in einem Lanthimos-Film sitzen, erkennt man am unentwegten Aufstöhnen, gefolgt von ungläubigem Gelächter. Wenn dann die Lichter des Kinosaals wieder angehen, blickt man in ratlose Gesichter, in denen zu Grimassen verzogene Münder versuchen, das Gesehene in ganzen deutschen Sätzen zu kommentieren – woran sie aber gnadenlos scheitern, da sie über ein „Also, ich weiß ja nicht, das ist irgendwie …“ nicht hinauskommen. „Das war … interessant“, lautet meistens die abschließende Bewertung. Und dann, nach einigen Tagen Pause, in der das Geschehen auf der Leinwand einigermaßen eingeordnet und verarbeitet werden konnte, ist man entweder großer Lanthimos-Fan oder geht nie wieder in einen Film dieses Regisseurs. Ich gehöre zur ersten Gruppe. „The Killing of a Sacred Deer“, mein insgesamt dritter Lanthimos nach den überragenden „Dogtooth“ und „The Lobster“, kann auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz mit der Genialität der beiden erwähnten Meisterwerke mithalten, entfaltet aber auch eine große Wucht, die bei Lanthimos-Filmen immer überraschend in den Magen schlägt, da die Filme im Grunde sehr lakonisch erzählt werden. „The Killing of a Sacred Deer“ ist eine Geschichte rund um Abrechnungen/Gerechtigkeit/Balance und basiert lose auf dem Iphigenie-Mythos. Agamemnon, der antike Schlingel, tötete einen heiligen Hirsch und musste daraufhin Artemis, der Göttin der Jagd, seine eigene Tochter Iphigenie opfern, um diese zu besänftigen. Steven (Colin Farrell), dem Herzchirurgen, geht es nicht viel besser. Er macht die Bekanntschaft mit Martin (Barry Keoghan), dem Sohn eines ehemaligen Patienten, der auf Stevens OP-Tisch verstarb. Was zunächst nach einer Reue-Geschichte aussieht, entwickelt sich bald dank eines bösen Twists zu einem waschechten Thriller. Der Thrill wird dabei durch die Lakonie der Charaktere und dadurch, dass er sich fast ausschließlich im Haus der Familie abspielt und in nur geringen Dosierungen in den Alltag eingreift, virtuos unterlaufen. Lanthimos ist ein Zyniker, doch gerade durch die kalte Distanz, die er wahrt, gelingt es ihm, wirklich große menschliche Fragen zu Moral und Ethik an das Publikum zurückzuwerfen. Die zwischenmenschliche Zwickmühle, in die Steven im Laufe des Films gerät, hätte man vielleicht noch etwas mehr auskosten können – da hebelt der lakonisch-distanzierte Blick von Lanthimos doch die eine oder andere Situation aus, aus der man mehr hätte machen können – aber auch „The Killing of a Sacred Deer“ ist ein Film, der lange im Gedächtnis bleibt. Lanthimos-Filme vergisst man nicht so schnell, ob im Guten oder Schlechten.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Thimfilm)

Colossal (2016)

Regie: Nacho Vigalondo
Original-Titel: Colossal
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Fantasy, Science Fiction, Thriller
IMDB-Link: Colossal


Meine Kinokomplizin, die den Film vorgeschlagen hat, hat mir im Vorfeld eingeschärft: „Versuch, nichts über den Film zu lesen, keine Kritiken, schau keinen Trailer dazu an.“ (Jo, was haben wir hier unten? Genau – einen Trailer. Allerdings möchte ich niemanden bevormunden – die Willensstarken unter euch werden es schaffen, das Youtube-Video nicht anzuklicken, und für das schwache Gewürm unter euch, har har, – oder einfach jene, denen Spoiler egal sind – möchte ich nicht auf den gewohnten Service verzichten.) Jedenfalls wertet es „Colossal“ auf, wenn man nicht genau weiß, worum es geht. So viel sei vorab verraten: Die arbeitslose Alkoholikerin Gloria (eine wie immer entzückende Anne Hathaway) fliegt aus der Wohnung ihres Verlobten und stattet daraufhin ihrem Heimatdorf einen Besuch ab. Währenddessen legt ein Monster Seoul, die Hauptstadt Südkoreas, in Schutt und Asche. Was eine Mischung aus Selbstfindung und Godzilla-Variation beginnt, formt sich allmählich zu einem Kampf gegen die inneren Dämonen.  Jede weitere Information zur Handlung des Films wäre schon eine Information zu viel. Jetzt kommt mein „Aber“: Aber leider ist die Umsetzung dieser an sich interessanten Grundidee bestenfalls mittelprächtig. Der Regisseur, Nacho Vigalondo, ist bei mir bereits einmal durchgefallen mit einer ähnlichen Ausgangsbasis: Gute Idee, schlecht umgesetzt. „Open Windows“ hieß das Werkl, das ich nicht unbedingt hymnisch besprochen habe. „Colossal“ ist jedenfalls ein Schritt nach vorne. Denn unterhaltsam ist der Film und durch die Fokussierung auf das Kleinstadt-Setting und deren Bewohner auch prinzipiell interessant. Allerdings geht „Colossal“ einigen sehr spannenden moralischen und ethischen Fragen aus dem Weg (wie auch „Open Windows“) und konzentriert sich stattdessen lieber auf den Thriller-Aspekt und auf Schauwerte (die allerdings nicht immer befriedigend ausfallen – da ist man heutzutage einfach an Besseres in Sachen CGI gewöhnt). In Summe ist es leider nur ein besseres B-Movie, das von einer tollen Anne Hathaway und einer interessanten Ausgangsbasis lebt, aber dann auf dem Weg viel Potential liegen lässt.


5,5
von 10 Kürbissen

Detroit (2017)

Regie: Kathryn Bigelow
Original-Titel: Detroit
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Thriller, Politfilm
IMDB-Link: Detroit


Detroit 1967. Motor City leidet unter Arbeitslosigkeit und der Abwanderung der Menschen in die Suburbs. Die schwarze Bevölkerung ist in engen Vierteln zusammengepfercht. Wut über die soziale Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit führen dazu, dass es in diesem Kochtopf gewaltig zu brodeln beginnt. Die Polizei begegnet der Bevölkerung mit zunehmender Härte. Als schließlich eine Razzia eskaliert, kommt es zu gewalttätigen Aufständen der Schwarzen, die kurzerhand ein ganzes Viertel zerlegen und abfackeln. Es herrschen bürgerkriegsartige Zustände. Mitten in die Klimax hinein erlaubt sich ein junger Schwarzer im Algier-Motel, eine Mischung aus Partyzone und Refugium, einen folgenschweren Scherz. Die Polizei vermutet einen Heckenschützen im Motel und stürmt dieses ohne Rücksicht auf Verluste.

Die letzten beiden Filme von Kathryn Bigelow, „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“, kann man als politische Kriegsfilme bezeichnen. „Detroit“, obwohl es um die Bürgerrechtsbewegung geht und der Film ausschließlich in der US-amerikanischen Stadt spielt, reiht sich da nahtlos ein. Bigelow ist eine Regisseurin, die wie keine zweite das Chaos des Krieges und die Traumata, die daraus entstehen, festhalten kann. Umso erschreckender, dass die Handlungen, die sie in „Detroit“ zeigt, nicht aus einem fernen Kriegsgebiet stammen, sondern sich tatsächlich in den 60ern in der fünftgrößten Stadt der USA zugetragen haben. Kathryn Bigelow bleibt, auch dank der nervös zuckenden Handkamera von Barry Ackroyd (oscarnominiert für „The Hurt Locker“), stets nah am Geschehen. Die ersten zwei Stunden des Films sind ein permanenter Schlag in die Magengrube. Selten habe ich das Ungleichgewicht von Macht und Ohnmacht so überzeugend und physisch spürbar auf Film gebannt gesehen. Leider fällt das Ende dann ein bisschen ab. Die Aufarbeitung der Geschehnisse bräuchte nämlich im Grunde einen eigenen Film und wird hier etwas lieblos und fast zu schnell abgespult, sodass der Film am Ende trotz 2,5 Stunden Laufzeit etwas gehetzt wirkt. Trotzdem: Die ersten 1,5 bis 2 Stunden gehören zum Besten, was ich in diesem Filmjahr gesehen habe. Unglaublich eindringlich und mitreißend.

Eine Anmerkung am Rande noch: Nach „Licht“ ist das der zweite Film in jüngerer Zeit, in dem mir die Abmischung des Tons extrem positiv aufgefallen ist. Auch das trägt zu der beklemmenden Stimmung von „Detroit“ bei.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin Filmverleih)

Thousand Cuts (2017)

Regie: Eric Valette
Original-Titel: Le Serpent Aux Mille Coupures
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller
IMDB-Link: Le Serpent Aux Milles Coupures


Manche Menschen haben es echt nicht leicht im Leben. Wie beispielsweise der farbige Farmer Omar. Der lebt mit seiner Frau und seiner entzückenden Tochter in einem Dorf in Südfrankreich und könnte sich dort seines Lebens erfreuen, wären da nicht die fremdenfeindlichen Nachbarn, die ihm rassistische Botschaften an die Stalltür schreiben und das Vieh abschlachten, und wäre da nicht der Fremde, der eines Tages verletzt in ihr Haus kommt und die Familie als Geiseln nimmt. Ja, es gibt so Tage im Leben, da denkt man sich: Warum bin ich überhaupt aufgestanden. Aber noch blöder, wenn das noch nicht alles ist, sondern der grimmige und schlecht gelaunte Geiselnehmer auch noch finstere Gestalten der südamerikanischen Drogenmafia an seiner Ferse heften hat, am finstersten von allen der völlig irre Auftragskiller aus Asien, der seine Opfer am liebsten mit der Methode der „Tausend Schnitte“ foltert und tötet – sehr zum Missfallen des Magens seines (unfreiwilligen) Mitarbeiters, der sich einige Male im Laufe des Films entleert (und mancher Zuseher kann angesichts der drastischen Bildhaftigkeit einiger Folter- und Tötungsszenen da durchaus nachempfinden, wie’s dem Kerl geht). So richtig was los im Dorf ist aber erst, wenn auch noch die Farmer zu ihrer persönlichen Vendetta ausreiten. Dann hat man bald mal ein prächtiges Durcheinander. „Thousand Cuts“ ist ein durchaus spannender und plastischer Thriller, der sich nicht lange mit Vorgeplänkel aufhält, sondern gleich mal aufs Gas steigt. Nachteil der Sache: Über die Figuren und deren Hintergründe und Motivationen erfährt man als Zuseher fast nichts. „Handlungsgetrieben“ nennt man das im Fachjargon. Leider ist das auch die große Schwachstelle des Films, denn auch wenn er gut zu unterhalten weiß, bleibt er unterm Strich dann doch ein recht gewöhnlicher Thriller, dem auch noch die Nähe zu seinen Figuren fehlt. Eh ganz okay, aber das war’s dann auch schon.


5,5
von 10 Kürbissen

Mr. Long (2017)

Regie: SABU
Original-Titel: Ryu San
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Komödie, Thriller
IMDB-Link: Ryu San


Manchmal geht auch beim besten Auftragskiller etwas schief – und das bedeutet halt gleich mal Gefahr für Leib und Leben. So kann sich der stoische taiwanesische Killer Mr. Long bei einem missglückten Auftrag in Tokio nur knapp vor der japanischen Yakuza in Sicherheit bringen und landet verletzt in einem verlassenen Haus in einer Kleinstadt. Japanisch sprechen kann er nicht, doch unverhofft kommt oft – und so greift ihm bald ein kleiner Junge, der Sohn einer drogensüchtigen Ex-Prostituierten, unter die Arme. Und dann die ganze Nachbarschaft, als sie entdeckt, dass in Mr. Long ein begnadeter Koch schlummert. So verschiebt sich der Fokus des schweigsamen Helden allmählich von der Aufgabe weg, möglichst schnell genügend Geld zusammenzubekommen, um zurück nach Taiwan zu gelangen, und hin zur Frage, ob man hier nicht ein bisschen Ruhe und Frieden finden kann. Doch der Teufel schläft bekanntlich nicht, und das tun auch nicht die japanische Yakuza oder unerfreuliche Bekanntschaften der Mutter des Jungen aus der Vergangenheit. Die – an sich recht klischeehafte – Geschichte erzählt „Mr. Long“ als Mix diverser Genres, die fließend ineinandergreifen. Da ist am Anfang der blutige Thriller mit schwarzhumorigem Einschlag, der durchaus aus der Feder von Tarantino stammen könnte. Dann ist da die Andeutung eines Buddy-Movies zwischen Mr. Long und dem kleinen Jungen. Die Nachbarn sorgen für Slapstick-Humor. Und schließlich wird noch eine zarte, gefühlvolle Liebesgeschichte reingepackt, bevor es am Ende wieder blutig wird. Und das funktioniert überraschenderweise richtig gut. Denn in allen Aspekten entwickelt „Mr. Long“ einen unglaublichen Sog und teils eine große, emotionale Wucht im Kleinen – in den Gesten, wenn sich der eiskalte Killer Mr. Long beispielsweise über einen gelungenen Home-Run seines jungen Freunds beim Baseballspiel freut, sich dies aber, weil er ja als dieser knallharte, schweigsame Typ wirken will, nicht anmerken möchte. Auch ist der Film konsequent – in dem, was er seinen Figuren antut und auch in dem, was er ihnen vorenthält. Phasenweise wirkt „Mr. Long“ dennoch nicht ganz ausbalanciert, und die Genreklischees, auf die der Film aufbaut, sind manchmal auch ein bisschen gar überstrapaziert. Aber sei’s drum, auch mein zweiter Viennale-Film 2017 kann jedenfalls weiterempfohlen werden.


7,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=Kx-0VNUuT88

The Bad Batch (2016)

Regie: Ana Lily Amirpour
Original-Titel: The Bad Batch
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Horror, Thriller, Science Fiction
IMDB-Link: The Bad Batch


Ana Lily Amirpours erster Langfilm, „A Girl Walks Home Alone At Night“, eine feministische Schwarz-Weiß-Coming-of-Age-Vampir-Romanze, war eine Sensation. So war ich auch schon extrem gespannt auf ihr nächstes Werk, „The Bad Batch“, zumal sie dafür einige sehr namhafte Schauspieler gewinnen konnte (für zum Teil wirklich winzige Rollen): Jason Momoa. Keanu Reeves. Jim Carrey. Giovanni Ribisi. Diego Luna. Der Fokus liegt aber auf der von Suki Waterhouse gespielten Arlen. Der Film erzählt die Geschichte einer dystopischen Wüstenwelt, in der Menschen in zwei Kategorien fallen: Du frisst oder du wirst gefressen. Arlen hat zu Beginn das Pech, die Bekanntschaft mit der ersten Gruppe zu machen. Ein Arm und ein Bein müssen dran glauben, doch dann gelingt ihr die Flucht, und sie wird aufgenommen von einer Gemeinschaft in einer Stadt namens „Comfort“. Doch die beiden Welten vermischen sich bald wieder, als Arlen ein junges Kannibalen-Mädchen aufnimmt, deren Mutter sie erschossen hat. Und Papa macht sich bald auf den Weg.

„The Bad Batch“ ist vor allem eines: Seltsam. Die Welt, in der sich Arlen und der Zuseher wiederfindet, wird nicht näher erklärt. Die Motivationen der Menschen, ihre Handlungen, sind oft eine Zuspitzung unserer bestehenden Welt ins Degenerierte. Moral und Ethik scheinen auf unseren Werten aufzubauen, aber in manchen Punkten drastisch verschoben worden zu sein. Es wirkt, als hätte Ana Lily Amirpour den ganzen Dreck unserer Gesellschaft eingesammelt und daraus eine neue Welt gebastelt. Vergleiche mit „Mad Max“ sind durchaus zulässig. Im Grunde wirkt „The Bad Batch“ so, als wäre sie der Welt von „Mad Max“ entsprungen, quasi ein Seitenstrang der gleichen Geschichte, nur viel langsamer und noch rätselhafter. Oder aber man sehe sich einfach das Musikvideo „Sometimes I Feel So Deserted“ von den Chemical Brothers an – auch das spielt atmosphärisch im gleichen Umfeld. Da sich der Film aber nicht um Erklärungen bemüht, sondern ständig nur Fragen an den Zuseher zurückwirft, wirkt „The Bad Batch“ nicht ganz so stringent wie Amirpours Erstling „A Girl Walks Home Alone At Night“. Die Geschichte hat Längen, sie ist manchmal nicht einzuordnen und verstörend, manche Handlungsstränge sind – im Gesamten betrachtet – einfach nicht zwingend. Aber eine interessante Erfahrung ist „The Bad Batch“ aber allemal. Ein Film, der im Gedächtnis hängenbleibt.


6,5
von 10 Kürbissen

Mother! (2017)

Regie: Darren Aronofsky
Original-Titel: Mother!
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Horror, Thriller
IMDB-Link: Mother!


Subtilität ist Darren Aronofskys Sache nicht. Auch sein neuestes Werk, der Horrorthriller „Mother!“, hämmert ordentlich auf sein Publikum ein. Das ist gespalten. In Venedig gab’s Buhrufe, aber auch Begeisterung. „Mother!“ ist ein Film, der seinem Zuseher ins Gesicht schlägt und auf die Reaktion wartet. Über den Inhalt kann man nicht allzu viel verraten, ohne die persönliche Sichtweise des Films einzubringen und gleichzeitig massiv zu spoilern. Die Eckdaten: Ein erfolgreicher Schriftsteller (Javier Bardem) und seine junge Frau (Jennifer Lawrence) leben in einem viel zu großen, sehr einsamen und leicht gespenstisch anmutenden Haus im Nirgendwo. Der Schriftsteller sucht nach Inspiration, seine Frau renoviert einstweilen das Haus. Dabei hat sie immer wieder seltsame Visionen. Eines Tages steht ein Arzt (Ed Harris, wunderbar undurchschaubar), der das Haus offensichtlich mit einem Bed & Breakfast verwechselt hat, vor der Tür, und kurze Zeit später auch seine Frau (Michelle Pfeiffer – zum Fürchten). Der Schriftsteller bietet den beiden über den Kopf seiner Frau hinweg die Gastfreundschaft an, doch die Frau fühlt sich nicht wohl, und alsbald sollten sich ihre Befürchtungen bestätigen – und mehr. Schon bald läuft alles ziemlich aus dem Ruder. „Mother!“ legt viele Fährten und bedient sich dabei bekannter Horrorsujets. Allerdings ist „Mother!“ kein konventioneller Horrorfilm, da er mit den gängigen Klischees spielt, sie teilweise bricht und teilweise überzeichnet und dadurch ad absurdum führt. Und das ist wohl auch ein Grund, warum der Film so stark polarisiert. Denn wie man ihn wahrnimmt, hängt von der eigenen Erwartungshaltung des Zusehers ab. Als Horrorfilm taugt „Mother!“ wohl tatsächlich nur bedingt, als Psychothriller auch, als philosophischer Diskurs schon gar nicht, aber wenn man den Film nicht allzu ernst nimmt und sich auf den grimmigen, schwarzen Humor seiner Überzeichnungen einlässt, wird man richtig gut unterhalten. Dann heißt es: Fasten your seatbelts – it’s gonna be a bumpy ride!


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin Film)

Baby Driver (2017)

Regie: Edgar Wright
Original-Titel: Baby Driver
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Action, Thriller
IMDB-Link: Baby Driver


Edgar Wright ist einer meiner cineastischen Helden. Seine Blood-and-Ice-Cream-Trilogie („Shaun of the Dead“, „Hot Fuzz“ und „The World’s End“) sind großartige, augenzwinkernde Genre-Parodien mit trockenem britischem Humor, und auch „Scott Pilgrim vs. the World“ habe ich sehr gefeiert – das ist ein Film, den ich mir jederzeit ansehen kann, danach habe ich einfach gute Laune. „Baby Driver“ ist das neueste … nun ja … Baby von Edgar Wright. Zwei filmische Assoziationen werden beim Ansehen sofort geweckt: „Drive“ von Nicolas Winding Refn (einer meiner Lieblingsfilme der letzten Jahre) und „Kingsman“ von Matthew Vaughn, auch ein toller mit wunderbar selbstironischem Humor. So gesehen waren die Erwartungen, die ich an „Baby Driver“ hatte, sehr hoch. Nur wurden die leider nicht ganz erfüllt. Der Film macht durchaus Spaß, ist unterhaltsam und actionreich und damit auch sehr kurzweilig, und doch entpuppt sich – jedenfalls für mich – gerade die Besonderheit des Films, die ihn hervorheben soll aus der Masse der Standard-08/15-Actionkracher als größte Schwäche: nämlich der Kniff, dass Baby, der jugendliche Fluchtfahrer, aufgrund eines Unfalls in seiner Kindheit an Tinnitus leidet und daher stets Musik hören muss – die Musik ist dann auch der Soundtrack zum Geschehen und zum Teil sehr asynchron zur Handlung. Da fetzt dann durchaus einmal Queens ausgelassener „Brighton Rock“ beim dramatischen Showdown in die Ohren und das nervenzerfetzende nächtliche Treffen mit gefährlichen Schurken in einer Lagerhalle wird fröhlich mit „Tequila“ eingeleitet. Das ist alles ganz witzig, wird aber an manchen Stellen einfach too much. Im Grunde degradiert der permanente Soundtrack „Baby Driver“ zu einem actionreichen, zwei Stunden dauernden Musikvideo. Das ist durchaus sehens- und hörenswert, aber „Baby Driver“ zeigt auch unfreiwillig auf, wie wichtig klug und sparsam eingesetzter Soundtrack für das Gelingen eines Films ist. Permanente Beschallung kratzt einfach am Spannungsbogen.


6,0
von 10 Kürbissen

Die Verführten (2017)

Regie: Sofia Coppola
Original-Titel: The Beguiled
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Thriller
IMDB-Link: The Beguiled


Virginia. Der amerikanische Bürgerkrieg. Schwüle und Nebel legen sich abwechselnd um das imposante Herrenhaus, das aufgrund des Krieges und der damit verbundenen Beschäftigung der Herren, sich gegenseitig abzuschlachten, zum Damenhaus geworden ist. Mrs. Martha (Nicole Kidman) kümmert sich zusammen mit der Lehrerin Edwinna (Kirsten Dunst) um fünf junge Schülerinnen. Man arbeitet im Garten, spielt Musik, betet, hat Unterrichtsstunden und bemüht sich um die Aufrechthaltung eines zivilisierten, südstaatlichen Lebensstils. Bis die junge Jane vom Pilze pflücken im Wald nicht nur mit schmackhaften Schwammerln, sondern auch mit einem verwundeten Yankee-Soldaten (Colin Farrell) zurückkommt. Schnell wird der höfliche Mann, der einfach nur froh ist, am Leben zu sein und sich von daher gerne in Feindeshand begibt, zu einer Attraktion unter den unbemannten Damen. Ein sehr subtiles Spiel der Verführung beginnt – wobei nicht klar ist, wer wen verführt. Ein nächtlicher Zwischenfall lässt dieses Spiel jedoch eskalieren.

Zu allererst muss man sagen, dass „The Beguiled“ von Sofia Coppola herausragend gefilmt ist. Immer wieder zeigt die Kamera die imposanten Säulen des Hauses und den verwilderten Garten davor, und jede Einstellung lässt Haus und Garten ein wenig anders wirken – mal einsam, mal bedrohlich, mal friedlich, mal häuslich. Am Haus vorbeiziehende Soldaten verschwinden im Nebel, die Schwüle der Südstaaten wird optisch greifbar. Ganz große Kamerakunst! Was das Timing betrifft, so hat der Film jedoch seine Schwächen. Während die ersten zwei Drittel sehr langsam und mit äußerst subtilen Andeutungen aufgebaut werden, wirkt der Film ab der Eskalation plötzlich gehetzt, als wäre er ab diesem Moment draufgekommen, eigentlich ein Thriller sein zu wollen und müsse die Versäumnisse der ersten Stunde nachholen, nur um wieder gemächlich auszuklingen – nach einem fiesen Showdown zwar, aber auch der ist wieder so ruhig und mit gewollten Understatement inszeniert wie die erste Stunde des Films. Eine interessante Botschaft, über die es sich länger nachzudenken lohnt, wird nicht vermittelt. Ich ging etwas unschlüssig aus dem Film. Ja, eh ganz gut, aber irgendwie auch ein bisserl obsolet. Eine große Geschichte hat der Film nicht zu bieten, aber dafür packt er das Wenige, was er hat, in beeindruckende Bilder.


6,0
von 10 Kürbissen