Thriller

Queen & Slim (2019)

Regie: Melina Matsoukas
Original-Titel: Queen & Slim
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller, Drama, Roadmovie, Liebesfilm
IMDB-Link: Queen & Slim


Als Mensch mit dunkler Hautfarbe, der in einem Staat, in dem noch die Todesstrafe vollzogen wird, gerade einen Polizisten erschossen hat, kann man sich gleich drei Sekunden nach der Verübung der Tat ausrechnen, welche Chancen man noch hat. Da ist es dann auch egal, dass man den Herrn in Uniform versehentlich und aus Notwehr ins Jenseits befördert hat. Und da ist es dann auch egal, dass das von der Kamera des Polizisten im Auto mitgefilmt wurde. Ab diesem Moment bist du einfach eine arme Sau auf der Flucht. So geht es Ernest (Daniel Kaluuya). Und mit ihm auf der Flucht befindet sich sein Tinder-Date und nunmehrige Komplizin Angela (Jodie Turner-Smith). Ganz grob zusammengefasst ist „Queen & Slim“ von Melina Matsoukas eine Art Mash-Up aus „Thelma & Louise“ und Nächster Halt: Fruitvale Station. Die himmelsschreiende Ungerechtigkeit gegen die schwarze Bevölkerung in den USA wird verpackt in eine Flucht-Roadmovie quer durch die Staaten auf den Weg nach Florida, von wo aus sich das Paar wider Willen Richtung Kuba absetzen möchte. In den besten Momenten ist „Queen & Slim“ tatsächlich aufwühlend und bringt die Hoffnungslosigkeit seiner Figuren glaubhaft rüber. In den weniger guten Momenten – und davon gibt es leider so einige – trägt der Film zu dick auf und hämmert seine Botschaft auf den Zuseher ein, der ein bisschen mehr Subtilität durchaus vertragen würde. In den schlechtesten Momenten rutscht das Geschehen ins moralisch Fragwürdige ab. Definitiv gehört „Queen & Slim“ zu jenen Filmen, die einen Problematiken, die man am eigenen Leib nicht erleben kann (zum Glück), besser nachvollziehen lassen. Aber es wäre schön gewesen, wenn man diese Erfahrung in einen besseren Film verpackt hätte.


5,5
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: (c) 2019 Universal Pictures, Quelle imdb.com)

Parasite (2019)

Regie: Bong Joon-ho
Original-Titel: Gisaengchung
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Komödie, Thriller
IMDB-Link: Gisaengchung


Der erste südkoreanische Film, der in Cannes die Goldene Palme für den besten Film gewinnen konnte. Begeisterte Kritiken. Golden Globe-Nominierungen. „Parasite“ von Bong Joon-ho, der schon mit früheren Werken wie „Snowpiercer“ und „Okja“ für Furore gesorgt hat, ist ein Film, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Gekonnt setzt sich Bong Joon-ho zwischen alle Stühle. Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen, geht es um eine Familie (Vater, Mutter, Sohn, Tochter, beide schon erwachsen) in ärmlichen Verhältnissen, deren Schicksal sich zu wenden beginnt, als der Sohn eine Stelle als Nachhilfelehrer für ein Mädchen aus einer reichen Familie findet. Beziehungsweise fällt ihm diese Stelle eher in den Schoß. Aber schon bald zeigt sich, dass Chuzpe, ein bisschen Frechheit und Mut die eigenen Karten, die man vom Leben zugeteilt bekommen hat, deutlich verbessern können. Doch dann wendet sich das Blatt erneut – auf eine völlig überraschende Weise, die man so nicht kommen sieht. Bong Joon-ho gelingt mit dem Film Erstaunliches: Er schafft beinahe mühelos den Spagat zwischen Komödie, Sozialdrama und Thriller, ohne dass einer der Aspekte zu kurz kommt oder sich fehl am Platz anfühlt. „Parasite“ ist das pure Leben selbst: Mal witzig, mal tragisch, mal aufregend und immer voller Überraschungen. „Mein Plan ist der Nicht-Plan. Denn das ist der einzige Plan, der immer funktioniert. Bei allen anderen Plänen, die man macht, passieren dann doch unvorhergesehene Dinge, die den Plan vereiteln. Nur wenn man keinen Plan hat, kann man auch nicht überrascht werden“. So sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert eine der Schlüsselstellen des Films. Hier zeigt sich der Fatalismus, der einen befallen kann, wenn man nicht zu den wenigen Privilegierten gehört. Gleichzeitig liegt darin auch die ganze Komik des Films. „Parasite“ ist unterhaltsam, konsequent, voller schwarzem Humor und klug geschrieben. Zurecht einer der am meisten gefeierten Filme des Jahres 2019.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen Filmverleih)

10 Cloverfield Lane (2016)

Regie: Dan Trachtenberg
Original-Titel: 10 Cloverfield Lane
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Thriller, Horror, Science Fiction
IMDB-Link: 10 Cloverfield Lane


Eine junge Frau (Mary Elizabeth Winstead). Ein junger Mann (John Gallagher Jr.). Ein Gastgeber (John Goodman). Eine nette, gemütliche Wohnung mit einer Jukebox, jede Menge Gesellschaftsspiele, Puzzles – so kann man die Zeit verbringen. Muss man auch, denn nach Ansicht von Howard (Goodman) ist die Erde aktuell nach einer Attacke nicht bewohnbar. Die Wohnung befindet sich daher in einem Bunker unter der Erde. Und während Emmett (Gallagher Jr.) freiwillig die Gastfreundschaft von Howard angenommen hat, ist Michelle (Winstead) nicht aus freien Stücken hier. Und sie zweifelt an Howards Aussagen über die Luftqualität da draußen. „10 Cloverfield Lane“ baut sehr lose auf dem Horror-Sci Fi-Film „Cloverfield“ von Matt Reeves auf, geht aber komplett eigene Wege, indem er als Kammerspiel-Thriller inszeniert ist. Die Besetzung besteht so gut wie ausschließlich aus den drei genannten Darstellern, und 90 Prozent des Films spielen in der Bunkerwohnung. Als Zuseher darf man mit Michelle fröhlich mitraten, ob sie nun in die Fänge eines Psychopathen geraten ist oder Howard tatsächlich Recht hat und da draußen seltsame Dinge vor sich gehen. Lange lässt der Film diese Frage unbeantwortet. Daraus bezieht er seine Spannung. Wie befriedigend man nun das tatsächliche Ende empfindet, bleibt den persönlichen Präferenzen überlassen – ich selbst fand es gut und stimmig. Aber das ist wohl jener Aspekt des Films, an dem sich die Geister am meisten scheiden. Am besten macht man sich selbst ein Bild und bildet sich sein Urteil.


7,0
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Quelle imdb.com)

Casablanca (1942)

Regie: Michael Curtiz
Original-Titel: Casablanca
Erscheinungsjahr: 1942
Genre: Drama, Liebesfilm, Thriller
IMDB-Link: Casablanca


„Here’s looking at you, kid!“ Eines der berühmtesten Filmzitate aller Zeiten. Bogey sieht der Bergman tief in die Augen, sie schmilzt sichtlich dahin, dann kommt staubtrocken dieser Spruch und Millionen Herzen entschweben auf rosaroten Wölkchen. Dabei war Humphrey Bogart gar nicht mal so ein fescher Kampel. Er war eher der Typ Buchhalter/Alltagstrinker. Aber hey, wenn man solche Sprüche aufsagen kann, ohne mit den Mundwinkeln zu zucken, hat das unbestritten Qualität. Und so verwundert es dann doch wieder nicht, dass Humphrey Bogart einer der größten Filmstars seiner Zeit war und dass „Casablanca“ von Michael Curtiz als einer der relevantesten Filmklassiker aller Zeiten gilt. Und ganz ehrlich: Der Film ist perfekt. Der Plot ist im  Grunde recht simpel, aber überzeugend konstruiert. Als McGuffin dienen zwei Ausreisepapiere, die der windige Ugarte (Peter Lorre) vor seiner Verhaftung in der Bar des neutralen (bis opportunistischen) Rick (Humphrey Bogart) versteckt. Mit diesen Papieren kommt man aus Casablanca heraus, um über Lissabon vor den Wirren des Weltkrieges in die Staaten zu flüchten. Der aus dem KZ geflohene Widerstandskämpfer Victor László (Paul Henreid) und dessen Gattin Ilsa (Ingrid Bergman), die eine Vergangenheit mit Rick in Paris teilt, haben naturgemäß Interesse daran, an die Papiere zu kommen, um vor den Deutschen (verkörpert durch den von Conrad Veidt gespielten Major Strasser) und dessen französischem Erfüllungsgehilfen Capitaine Renault (Claude Rains) zu flüchten. Kein einfaches Unterfangen, denn im Schmelztiegel von Casablanca und vor allem in Ricks Bar verschieben sich Allianzen und Machtverhältnisse nahezu stündlich. Und Rick muss sich entscheiden, auf welche Seite er sich schlägt.

„Casablanca“ ist zeitlos. Der Film ist dermaßen gut geschrieben, dass gleich sechs Zitate den Einzug in die Liste der 100 berühmtesten Filmzitate aller Zeiten geschafft haben. Dazu kommen geniale Kameraeinstellungen, die kammerspielartige Ausstattung (der Großteil der Handlung spielt in Ricks Bar), der großartige Claude Rains als zynischer Capitaine Renault, die Chemie zwischen Bogart und Bergman, die bis in die kleinsten Nebenrollen großartig besetzten Schauspieler, die witzigen Dialoge (beispielhaft das ältere deutsche Paar, das in die USA ausreisen möchte und daher nur noch Englisch spricht: „Liebchen … äh … Darling, what watch?“ – „Ten watch!“ – „Ah, such watch!“), das alles ist zum Niederknien. Ein Film für die Ewigkeit. Wer ihn noch nicht kennt: Unbedingt nachholen. Weil: „I think this is the beginning of a beautiful friendship.“


9,5
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Photo by Michael Ochs Archives, Quelle: imdb.com)

 

Saw (2004)

Regie: James Wan
Original-Titel: Saw
Erscheinungsjahr: 2004
Genre: Thriller, Horror
IMDB-Link: Saw


Es gibt Filme, die ein ganzes Genre prägen oder gar begründen. „Saw“ von James Wan ist so ein Fall. Mit dem Erfolg des Films erlebte das Genre des Torture Horror seinen Aufschwung. Worum es in diesem Filmgenre geht? Blut und Beuschel und das altbekannte „homo homini lupus“ – der Mensch ist des Menschen Wolf. Das müssen auch der Arzt Lawrence (Cary Elwes) und der Fotograf Adam (Leigh Whannell) feststellen, die an Eisenrohre angekettet in einem ziemlich grindigen Raum erwachen und dort zum ultimativen Escape Room-Spiel eingeladen werden. Zu gewinnen gibt es immerhin das eigene Leben, das ist förderlich für die Motivation der Spieler. Lawrence weiß auch schon bald, woher der Wind kommt. Er hat nämlich bereits vom „Jigsaw-Killer“ gehört. Diesem wiederum ist der Polizist David Tapp (Danny Glover) auf den Fersen. Der Killer spielt nämlich seine Spielchen schon eine ganze Weile. Wir als Zuseher werden also einerseits Zeugen davon, wie Lawrence und Adam versuchen, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien (und gleichzeitig zu eruieren, wie und warum sie überhaupt da hineingeraten sind), und andererseits von der Jagd nach dem Mastermind hinter dem blutigen Rätselraten. Das alles ist spannend inszeniert – und tatsächlich hält sich der Splatter-Faktor in Grenzen. Den Magen umgedreht hat es mir jedenfalls nicht, aber vielleicht habe ich auch einfach schon einen cineastischen Saumagen. Allerdings kann man dem Film nicht attestieren, wahnsinnig gut gealtert zu sein. Handwerklich ist er nicht auf dem allerhöchsten Niveau angesiedelt – seien es das teils hölzerne Schauspiel oder Details wie die Beleuchtung, die schon arg nach 90er-Videos aussieht (auch wenn der Film tatsächlich in den 0er-Jahren gedreht wurde). Ein Film, den man aus filmhistorischer Perspektive durchaus einmal ansehen kann. Aber die vielen Fortsetzungen danach braucht es meines Erachtens dann nicht mehr unbedingt.


6,0
von 10 Kürbissen

Knives and Skin (2019)

Regie: Jennifer Reeder
Original-Titel: Knives and Skin
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller, Drama, Fantasy
IMDB-Link: Knives and Skin


Der Film beginnt damit, dass ein Teenager-Mädel von ihrem Boyfriend nächtens ins Gemüse an einen beschaulichen See gekarrt wird. Dort findet man rasch zueinander, doch auf das Drängen des jungen Beaus, der sichtlich mehr will, reagiert die junge Dame nicht so positiv. Das wiederum lässt der hormongesteuerte Heißsporn nicht auf sich sitzen. Er stößt das Mädchen weg, das sich den Kopf blutig schlägt, und rast panisch davon. Und das ist das letzte Mal, dass Carolyn Harper lebendig gesehen wurde. Was Jennifer Reeder in „Knives and Skin“ dann aus dieser Prämisse macht, ist außergewöhnlich. Denn sie wählt nicht die einfachen, naheliegenden Verarbeitungsmöglichkeiten im Rahmen eines Verlust-Dramas oder eines Thrillers, sondern sie mischt die Zutaten dieser Genres wild zusammen mit Coming of Age-Themen, mit Popkultur, Mystery-Elementen und 80er-Chic. Eine derart arg zusammengewürfelte Melange kann auch rasch schiefgehen, zumal es hier keine klar definierten Hauptfiguren gibt. Eine groß aufspielende Marika Engelhardt als Mutter der Vermissten, die die Tragödie nicht so recht wahrhaben, geschweige denn verarbeiten kann, ist vielleicht noch das emotionale Zentrum des Films. Aber Reeder geht es um andere Aspekte: Um Beziehungsgeflechte, um das alte Thema des Erwachsenwerdens, um Emanzipation und Liebe, um Lust, um das ständige Beobachtenwerden in der Kleinstadt. Und wie die Balance ins Wanken gerät, wenn von außen eine Tragödie in die fragilen Beziehungen getragen wird. Das alles ist recht plakativ und zuweilen schrill in Szene gesetzt – und das ist vielleicht nichts für jedermann oder jederfrau. Mir hat „Knives and Skin“ aber gefallen. Jennifer Reeder versucht mit dem Film, sehr eigene und persönliche Wege zu gehen, und auch wenn der Film zuweilen ein bisschen wirkt, als wären die einzelnen Teile darin interessant, während das große Ganze aber undifferenziert und vage bleibt, als wäre es nicht ganz zu Ende gedacht worden, so bin ich diese Reise sehr gerne mitgegangen.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=dyEjmnkCM8w

Little Joe (2019)

Regie: Jessica Hausner
Original-Titel: Little Joe
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller
IMDB-Link: Little Joe


Bleampal (= Blümchen auf Wienerisch) sind doch was Feines. Sie sehen hübsch aus, riechen gut und helfen manch stammelndem Liebenden, der daran scheitert, seine Gefühle auf die Zunge zu legen, auf einfache Weise aus der Patsche. In Jessica Hausners „Little Joe“ können sie sogar noch mehr: Ihre Botanikerin Alice (Emily Beechum) hat nämlich ein zartes Pflänzchen entwickelt, das durch den Ausstoß ihres Duftes die Menschen glücklich macht. Mit ihrem Kollegen Chris (Ben Whishaw) arbeitet sie daran, die neu gezüchtete Blume für die große Blumenmesse fertigzumachen. Währenddessen lassen die Blümchen ihres Chefs im Trog nebenan die Köpfe hängen. Und da sind wir schon mittendrin in den unerwarteten Nebenwirkungen, die eben auftreten können, wenn sich die Wissenschaft mal wieder was Tolles ausdenkt. Schlag nach bei Frankenstein, auf den von Jessica Hausner im anschließenden Q&A auch verwiesen wird. „Die Natur findet ihren Weg.“ Das wusste schon Jeff Goldblums Dr. Ian Malcolm. Es ist nun mal keine gute Idee, wenn man einem Lebewesen die Möglichkeit der Reproduktion verweigert. Darauf reagiert Mutter Natur sauer bzw. – wie in diesem Fall – mit kreativen Mitteln der Umgehung. Und so entspinnt sich allmählich ein langsamer Thriller, eine Mischung aus „Jurassic Park“ meets “Die Körperfresser kommen“, aber vegan und auf Beruhigungsmitteln. Die Kernfrage ist interessant: Was sind „echte“ Gefühle vs. „falsche“ Gefühle? Nur leider weist der Film Schwächen im Drehbuch auf, das zu viel erzählt bzw. erzählen lässt. Ein Film voller Ambivalenz, von einem Soundtrack, bei dem höchste Tinnitus-Gefahr herrscht, stimmig begleitet. Wenn doch nur das ganze Drehbuch so subtil gewesen wäre wie die Veränderungen, die im Film postuliert werden, dann hätte das ein großer Wurf werden können. Ganz reicht es dafür nicht aus, aber interessant ist der Film allemal.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Joker (2019)

Regie: Todd Phillips
Original-Titel: Joker
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller, Drama
IMDB-Link: Joker


Wenn der Goldene Löwe in Venedig an einen Film über eine Comic-Figur geht, ist das schon mal eine Ansage. Wenn der Film ausgerechnet die Genese des Oberschurken im DC-Universum zum Thema hat, auch. Und wenn der Oberschurke noch dazu von einem der großartigsten Charakterdarsteller unserer Zeit, Joaquin Phoenix, gespielt wird, steigert sich die Erwartungshaltung fast ins Unermessliche. Doch ist der Hype gerechtfertigt? Großer Spoiler: JA! Denn „Joker“ von Todd Phillips steht abseits der üblichen Comic-Verfilmungen, ist ein ganz eigenes Ding, erinnert in seiner Düsternis an Nolans Dark Knight-Trilogie, für mich immer noch die Benchmark für intelligentes und forderndes Unterhaltungskino, ist aber ausschließlich eine Charakterstudie und hat nichts gemein mit dem üblichen Actionfeuerwerk, das von einer Comic-Verfilmung zu erwarten wäre. Die Geschichte von Arthur Fleck, dem erfolglosen Clown-Darsteller und Comedian, der vom Leben so viele Faustschläge in die Magengrube erhält, bis etwas Essentielles, der Glaube an die Menschheit, in ihm unrettbar zerbricht, ist fesselnd erzählt und vielleicht das glaubhafteste Psychogramm, das ich in den letzten Jahren im Kino sehen konnte. Das liegt an einem intelligenten und in jeder Hinsicht stimmigen Drehbuch, an einer handwerklich großartigen Inszenierung (man achte auf das düstere, flackernde Licht, an die Farbgestaltung, die hervorragende Kameraarbeit) und vor allem an Joaquin Phoenix. Dessen Joker ist eine Offenbarung. Jede Bewegung passt, jede Geste, alles an ihm stimmt zu diesem vom Leben gebeutelten Clown. Weil es immer wieder Diskussionen im Netz gibt, wer nun der bessere Joker sei – Heath Ledger oder Joaquin Phoenix: Ich sage, die beiden ergänzen sich. Der Wahnsinn, den Heath Ledger so gut zum Ausdruck brachte, bekommt durch Joaquin Phoenix‘ Darstellung ein Fundament. Ich ziehe meinen Hut vor Phoenix – und möglicherweise sehen wir schon bald einen zweiten Oscar für die Darstellung desselben Comic-Bösewichts.


9,0
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=-_DJEzZk2pc

Inside Man (2006)

Regie: Spike Lee
Original-Titel: Inside Man
Erscheinungsjahr: 2006
Genre: Krimi, Thriller
IMDB-Link: Inside Man


Clive Owen ist eine coole Socke. Denzel Washington ist eine coole Socke. Jodie Foster ist eine coole Socke. Willem Dafoe ist eine coole Socke. Aber die coolste Socke von allen ist Spike Lee. Und wenn ein Spike Lee so viele coole Socken um sich schart, um einen ausgefuchsten Heist-Krimi zu drehen, dann kann schon nicht mehr viel schiefgehen. Und genau so ist es dann auch. Clive Owen als Bankräuber mit einem genialen Plan, Denzel Washington als Polizist und Verhandler bei Geiselnahmen mit extra viel Style, Jodie Foster als eiskalte Anwältin für delikate Angelegenheiten – lasst einfach die drei aufeinander los und schaut, was passiert. Wobei man „Inside Man“ allerdings eine Schwäche bescheinigen kann: Jodie Fosters Figur ist zwar cool, aber für die Handlung im Grunde recht unnötig. Was der Film allerdings richtig gut macht, ist das Verteilen der Sympathien. Bis zum Schluss weiß man nicht so recht, wem man nun die Daumen drücken soll: Dem Geiselnehmer mit sehr menschlichen Zügen, dessen Plan so perfekt wird, auch wenn man keinen Dunst hat, worauf das alles hinauslaufen soll, oder dem Good Cop mit den lockeren Sprüchen auf den Lippen, der seine Arbeit aber hoch seriös angeht. Denn das in der Bank des Industriellen Arthur Case (Christopher Plummer) etwas ganz gewaltig nicht stimmt, liegt schon bald auf der Hand. Die Auflösung des Geheimnisses mag dann vielleicht angesichts des Brimboriums davor etwas zu banal wirken und ein wenig zu enttäuschen, aber der Weg dahin ist wortwörtlich ganz großes Kino mit toll aufgelegten Stars und dem Extrafaktor Coolness, der fast beiläufig für Spike Lee typische Themen wie Alltagsrassismus und Klassenverhältnisse bearbeitet.


7,5
von 10 Kürbissen

Ad Astra – Zu den Sternen (2019)

Regie: James Gray
Original-Titel: Ad Astra
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Science Fiction, Thriller
IMDB-Link: Ad Astra


Es gibt Filme, für die sich eine IMAX-Leinwand definitiv auszahlt. „Ad Astra“ von James Gray gehört zu diesen Filmen. Wenn man mit Brad Pitt durch die unendliche Weite des Weltraums schwebt, möchte man das nicht auf einem unscharfen Röhrenfernseherbild aus den 80ern tun. Das Weltall ist ein furchteinflößend leerer Ort, das darf man als Zuseher auch spüren. Die Geschichte von „Ad Astra“ ist relativ simpel aufgebaut: Der stoische Weltraumtechniker Roy McBride (Brad Pitt) wird auf eine streng geheime Mission via Mond zum Mars geschickt, um eine Botschaft an seinen lang verschollen geglaubten Vater (Tommy Lee Jones) zu schicken. Dieser hockt mutmaßlich auf dem Neptun herum, Jahre, nachdem der Kontakt zur Mission, die er geleitet hat, abgebrochen ist. Und nun gehen vom Neptun Energiewellen aus, die die ganze Galaxis bedrohen. Was nach einem Michael Bay-Actionfilm mit viel Tschimmbumm und mächtigen Explosionen klingt, stellt sich als sehr leises, langsames Drama im All heraus. Denn James Gray ist nicht so sehr an Weltraumabenteuern interessiert, sondern an dieser gefühlskalten, gut funktionierenden Figur Roy McBride. Dessen glatte Oberfläche, an der alle Katastrophen abzuperlen scheinen, bekommt allmählich Risse. Es schält sich ein Mensch heraus, der vom Schatten des Vaters schier erdrückt wird. Was wir in „Ad Astra“ sehen, ist die filmische Bearbeitung der vielleicht ältesten Fragen überhaupt: Wer sind wir? Worüber definieren wir uns? Action gibt es dennoch, allerdings ist sie sparsam und prägnant umgesetzt. Was James Gray mit „Ad Astra“ beispielsweise richtig gut macht und in dieser Form bislang auch kaum im Kino zu sehen war: Katastrophen bahnen sich nicht mit großem Gedöns an. Sie passieren einfach. Gerade noch war die Welt in Ordnung, doch plötzlich ist alles Chaos, alles konfus, man versucht zu funktionieren und irgendwie einen Ausweg zu finden, und erst am Ende, wenn man diese Katastrophe tatsächlich überlebt hat, kann man rekonstruieren, was eigentlich passiert ist. Diese Erfahrung setzt James Gray brillant um. Und apropos Brillanz: Brad Pitt ist gesondert zu erwähnen. Der liefert einmal mehr eine mehr als tadellose Leistung ab. Seine Darstellung des Roy McBride ist ein Meisterstück an kontrollierten Emotionen. „Ad Astra“ ist ein ungewöhnlicher Film, der eine gewöhnliche, aber universell adaptierbare Geschichte erzählt. Wenn man sich darauf einlässt, versetzt einen der Film fast in Trance.


8,0
von 10 Kürbissen