Biopic

Don’t worry, weglaufen geht nicht (2018)

Regie: Gus Van Sant
Original-Titel: Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Biopic
IMDB-Link: Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot


An Gus Van Sants neuesten Film vergebe ich gleich mal einen Preis: Jenen für den dämlichsten deutschen Verleihtitel seit „Vergiss mein nicht!“ für „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“. Ehrlich: Wer zum Geier ist auf die Idee gekommen, aus dem herrlich-zynischen „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ ein englisch-deutsch-verhatschtes „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ zu machen? Wer auch immer dafür verantwortlich zeichnet, sollte lebenslang mit einem Berufsverbot belegt werden. Der wirklich dumme Titel wird dem Film in keiner Weise gerecht. Gus Van Sant hat ja schon öfter gezeigt, dass er ein Herz für Außenseitern mit Problemen hat. „Good Will Hunting“ ist ein Paradebeispiel dafür. In „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ erzählt Van Sant nun die (wahre) Geschichte von John Callahan (der grandiose Joaquin Phoenix), der ein schweres Alkoholproblem hat, das nicht unbedingt besser wird, als er in einen folgenschweren Autounfall verwickelt wird und seitdem querschnittgelähmt ist. Nach einigen Tiefpunkten und Selbstmitleidstouren landet er schließlich bei den Anonymen Alkoholikern unter der Leitung von Donnie (Jonah Hill). Er stellt sich seinen Dämonen, vor allem jenem seiner abwesenden Mutter, die ihn als Kind weggegeben hat. Was John dabei hilft: Sein humoristisches Talent, das ihn Cartoons zeichnen lässt, die – nun ja – aufgrund ihres derben, offensiven Humors nicht von allen Mitmenschen gleichermaßen wohlwollend aufgenommen werden. Doch im Zeichnen findet John allmählich zu sich und zu einer Möglichkeit, mit seinem Schicksal umzugehen. Auch die Schwedin Annu (bitte verratet mir: Wie ist es möglich, sich nicht in Rooney Maras strahlende Augen zu verlieben?) ist ihm dabei eine Stütze. „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ ist klassisches Feelgood-Kino über einen Mann, der seine Schwierigkeiten bekämpft und trotz aller Rückschläge schließlich zu sich selbst findet. Das kann schnell mal zu erbaulichem No-na-net-Kino werden – fad und vorhersehbar. Dass „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ nicht in diese Falle tappt, ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Zum Einen auf die nicht-lineare Erzählung, die mehr um die Figur des John Callahan kreist als darum bemüht ist, chronologisch die Fakten aufzutischen. Zum Anderen auf den durch die Bank überragenden Cast, angeführt von Joaquin Phoenix, der einmal mehr eine oscarreife Leistung abliefert – so wie auch Jonah Hill, dessen Vielseitigkeit immer wieder positiv überrascht. So geht man tatsächlich mit einem richtig guten Gefühl aus dem Kino heraus.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 55 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) 2018 AMAZON CONTENT SERVICES LLC / Scott Patrick Green)

 

3 Tage in Quiberon (2018)

Regie: Emily Atef
Original-Titel: 3 Tage in Quiberon
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: 3 Tage in Quiberon


Romy Schneider (Marie Bäumer), 42 Jahre alt, alkoholkrank und depressiv, macht eine Kur in einem französischen Hotel. Ihre Freundin Hilde Fritsch (Birgit Minichmayr, wie immer großartig) besucht sie. Und zwei Journalisten vom Stern, der Fotograf Robert Lebeck (Charly Hübner), mit dem sie eine langjährige Freundschaft verbindet, und der schmierige Reporter Michael Jürgs (Robert Gwisdek). Romy Schneider hat eingewilligt, während der drei Tage ihres Aufenthalts ein exklusives Interview zu geben. In dieser Viererkonstellation bauen sich in weiterer Folge allerlei Spannungen auf, denn Hilde durchschaut den manipulativen Jürgs recht schnell, während sich Lebeck darum bemüht, Romy, für die er offensichtlich mehr als nur Freundschaft verspürt, ein wenig Halt zu geben. Denn die ist mit der Situation des Interviews völlig überfordert. Alte Wunden werden wieder aufgerissen, und verletzlich und unbedacht stülpt sie vor laufendem Aufnahmegerät ihr Innerstes nach außen – sehr zur Freude von Jürgs, der die Gelegenheit seines Lebens wittert und Romy weiter zusetzt. „3 Tage in Quiberon“ ist bemüht, eine private Romy Schneider zu zeigen, eine Frau mit Verletzungen und Ängsten und schweren Depressionen. Romy Schneider macht sich hier vor allem Gedanken um ihre Mutterrolle, die sie nie so richtig ausfüllen konnte. Gleichzeitig ist sie diese öffentliche Person und sich ihrer Rolle auch sehr bewusst, sie spielt auch damit. Gefilmt in eleganten Schwarz-Weiß-Bildern, die die Exklusivität des Kurhotels noch einmal unterstreichen, während sie gleichzeitig kollektive Bilder von Romy Schneider heraufbeschwören, ist „3 Tage in Quiberon“ durchaus sehenswert. Die Dialoge sind gut und scharfsinnig, und auch die Schauspieler/innen machen durch die Bank einen guten Job. Jetzt kommt das Aber. Aber man hat dennoch nicht das Gefühl, der Person Romy Schneider, trotz aller Bemühungen von Marie Bäumer, sie lebensecht darzustellen, nach dem Film ein wenig nähergekommen zu sein. Es werden Romy Schneider-Klischees bestätigt, die Theatralik in den Dialogen, in den Szenen, ist zwar dramaturgisch interessant, aber unterstreicht nur das Bild, das man in der Regel von Romy Schneider schon hat. Und das ist schade. Ich hatte das Gefühl, dass hier eine große Chance liegengelassen wurde, nämlich die Erdung der Filmgöttin, die auch mal Mensch sein darf. „3 Tage in Quiberon“ versucht zwar genau das, scheitert aber (auf hohem Niveau) daran. Romy Schneider bleibt mystisch verklärt.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 57 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) 2018 PROKINO Filmverleih GmbH)

 

Die dunkelste Stunde (2017)

Regie: Joe Wright
Original-Titel: Darkest Hour
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Kriegsfilm, Biopic
IMDB-Link: Darkest Hour


Gary Oldman ist unbestritten einer der besten und wandlungsfähigsten Schauspieler der Gegenwart. Dass er bislang noch nicht zu Oscar-Meriten gekommen ist, verwundert doch sehr. Das wird sich aber mit dem 4. März 2018 ändern. Denn dann wird Gary Oldman für seine Rolle als Winston Churchill in „Darkest Hour“ ausgezeichnet werden. Alles Andere wäre absurd bis grob fahrlässig von der Academy. Der Film selbst ist ein klassisches Biopic-Drama mit allen diesem Genre zuordenbaren Stärken und Schwächen. Will man halbwegs seriös bleiben in diesem Genre, lassen sich halt nur wenige dramaturgische Veränderungen der Handlung vornehmen, was dieser – neben der Tatsache, dass sie den meisten Zusehern ohnehin geläufig ist – fast immer etwas an Spannung kostet und die Möglichkeiten, die Geschichte interessant und frisch zu erzählen, drastisch reduziert. Gleichzeitig aber lebt das Genre vom Bezug auf die historisch realen Personen und lässt und diese besser kennenlernen. Auch das kann interessant sein bzw. ist es auch im Fall von „Darkest Hour“. Womit wir wieder beim überragenden Gary Oldman wären, der Churchill nicht nur spielt, sondern ihn wieder lebendig werden lässt. Ähnliches ist Daniel Day-Lewis vor einigen Jahren in „Lincoln“ gelungen. Es braucht aber Ausnahmekapazunder wie eben Daniel Day-Lewis, Gary Oldman oder Helen Mirren (als Queen Elizabeth II.), damit diese Unternehmung gelingt und der Film nicht zu spannungsarmer Dutzendware verkommt. Denn an sich ist die Geschichte in „Darkest Hour“ trotz der historischen Relevanz und inhärenten Dramatik nur bedingt dazu geeignet, das Publikum in die Sitze zu kleben: Es geht um die ersten Wochen der Regierungszeit von Winston Churchill, der die undankbare Aufgabe übertragen bekommt, im Kriegsjahr 1940 die Kohlen für Großbritannien, das im Krieg gegen das Deutsche Reich schon verloren aussieht, doch noch aus dem Feuer zu holen, und das gegen innere Widerstände, denn die meisten seiner Parteifreunde bevorzugen die Kapitulation in Form von Friedensgesprächen mit Hitler. Joe Wright, der Regisseur, zeichnet dabei ein durchaus privates und intimes Porträt von Winston Churchill, konzentriert sich dabei im Großen und Ganzen aber dennoch auf seine Funktion als Staatsmann und auf das politische Hickhack seiner Zeit. Wie gesagt, das alles ist historisch relevant, aber für die Dramaturgie eines Films nicht ganz ideal. So bleibt Joe Wright auch auf sicheren konventionellen Pfaden. Allerdings wird der Film veredelt durch die schauspielerische Glanzleistung von Gary Oldman. Und allein deshalb schon funktioniert „Darkest Hour“ wirklich gut und bleibt jeden Augenblick interessant.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 51 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

 

Battle of the Sexes – Gegen jede Regel (2017)

Regie: Jonathan Dayton und Valerie Faris
Original-Titel: Battle of the Sexes
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Komödie, Sportfilm, Biopic
IMDB-Link: Battle of the Sexes


Der diesjährige Viennale-Überraschungsfilm war „Battle of the Sexes“, was mich sehr gefreut hat, denn diesen Film wollte ich definitiv sehen. Steve Carell und Emma Stone kommen ja, wie man im Vorfeld vor der Veröffentlichung des Films gehört hat, durchaus wieder für Oscarnominierungen in Frage mit ihren Darstellungen von Billie Jean King und Bobby Riggs, die Anfang der 70er im Tennis-Schaukampf „Battle of the Sexes“ gegeneinander angetreten sind. Mitten hinein also in den Kampf um Gleichberechtigung. Gerade sind die weltbeste Tennisspielerin Billie Jean King und einige ihrer Kolleginnen mehr oder weniger unfreiwillig aus der USLTA, der United States Lawn Tennis Association, ausgetreten und haben die WTA, die Women’s Tennis Association, gegründet, da sie für eine Gleichbezahlung von Männern und Frauen im Tennis eingetreten sind, was ihnen vom Verband schlicht verweigert wurde. Mitten in diesen gesellschaftlichen Wandel hinein platzt Bobby Riggs, ehemaliger Tennisprofi, der Wimbledon und die US Open gewonnen hat, allerdings nun im Alter von 55 Jahren schwer spielsüchtig ist und eine ungewöhnliche Wette vorschlägt: Ein Tennismatch Mann gegen Frau, oder, wie er es bezeichnet, männliches Chauvinisten-Schwein gegen weibliche Emanze. Bobby Riggs ist vor allem eins: Ein Show-Man, der seine Chance auf ein großes Publikum und das ganz große Geld wittert. Zunächst steigt Billie Jean King, die gerade auch persönlich einiges an verwirrender Veränderung durchläuft, als sie die attraktive Friseurin Marilyn kennenlernt, zu der sie sich – Ehemann Larry hin oder her – sehr hingezogen fühlt, auf Bobbys Vorschlag nicht ein. Sie weiß, dass die Öffentlichkeit, wenn sie verliert, ihren Kampf um Gleichberechtigung ins Lächerliche ziehen wird. Ihre Kollegin Margaret Court hingegen, die sie als Nummer 1 der Tenniswelt ablöst, hat hier allerdings keine Berührungsängste und stellt sich Bobby Riggs – mit fatalen Folgen, als er sie vernichtend schlägt. Nun ist doch Billie Jean King wieder gefordert, und sie nimmt den Kampf an.

„Battle of the Sexes“ ist unglaublicherweise heute fast relevanter denn je. Der Kampf um Gleichberechtigung, sei es um die Gleichberechtigung der Geschlechter, der sexuellen Ausrichtung, der ethnischen Herkunft, des Glaubens – all das wird in den Zeiten, in denen Populisten das Steuer übernehmen, neu ausgefochten. Der Film von Jonathan Dayton und Valerie Faris, der in anderen Zeiten vielleicht nicht mehr gewesen wäre als eine nette, harmlose Sportkomödie, die halt auf wahren Begebenheiten beruht, erhält so plötzlich eine große gesellschaftliche Relevanz und ist auch als Kommentar auf die Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu sehen. Wenn man allerdings nur den Film für sich betrachtet, dann ist „Battle of the Sexes“ halt eben nur diese routinierte, solide Sportkomödie, gut gemacht und sehenswert, allerdings abgesehen von den darstellerischen Leistungen von Emma Stone und Steve Carell nirgends wirklich überdurchschnittlich. Vielleicht hätte dem wichtigen Thema ein etwas seriöserer Film gut getan – allerdings hat natürlich die Figur des Bobby Riggs, der sich selbst nicht ernst genommen hat, dazu eingeladen, eine leichte Komödie daraus zu basteln.


6,5
von 10 Kürbissen

Du bist nicht allein – Die Roy Black Story (1996)

Regie: Peter Keglevic
Original-Titel: Du bist nicht allein – Die Roy Black Story
Erscheinungsjahr: 1996
Genre: Biopic, Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Du bist nicht allein – Die Roy Black Story


Roy Black war tatsächlich ein Held meiner Kindheit. „Ein Schloss am Wörthersee“, dieser Straßenfeger, lief auch bei uns im Fernsehen rauf und runter. Meine allererste Schallplatte, die ich mir als Knirps von meinem eigenen Taschengeld gekauft habe, war eine von Roy Black. Das hat sich mittlerweile ausgewachsen, zum Glück, aber ja, das waren meine musikalischen Anfänge. Und Roy Black war gewissermaßen auch Christoph Waltz‘ Anfang, jedenfalls war das eine der ersten Rollen, für die er vielfach beachtet wurde. Und ich muss sagen: Waltz spielt nicht Roy Black, er ist Roy Black. Seine darstellerische Leistung in diesem Biopic von Peter Keglevic ist schlicht herausragend. Die Qualität seiner Arbeit wird nur noch sichtbarer, wenn man den Rest des Casts durch den Film stümpern sieht. Ganz schlimm ist Wolfgang Bathke als Roy Blacks Manager Bertram. Ich weiß ja nicht, was Bathke hauptberuflich so gemacht hat, aber mit Schauspiel hatte das jedenfalls nichts zu tun. Und dieser Dilettantismus, dieses Überdrüber-Pathos im Spiel, im Drehbuch, in der Musik, zieht sich durch den ganzen Film. Er hat auch seine Momente, keine Frage, so bemüht sich der Film, ein ungeschöntes Bild des Schlagerhelden zu zeichnen und gewinnt dabei gegen Ende hin, als es in Richtung Absturz geht, auch eine gewisse Dringlichkeit, aber da ist der Karren schon längst an die Wand gefahren. Wäre da nicht eben der mittlerweile zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz, der mit seinem Charisma und seinem feinen, nuancierten Spiel so ziemlich jede schlechte Szene rettet und die guten Szenen zur Denkwürdigkeit führt. So gibt’s höchstens (und auch nur dank des recht eindringlichen letzten Drittels) vier Punkte für den Film selbst, aber mindestens einen Waltz-Punkt obendrauf.


5,0
von 10 Kürbissen

Borg/McEnroe (2017)

Regie: Janus Metz
Original-Titel: Borg/McEnroe
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Biopic, Sportfilm
IMDB-Link: Borg/McEnroe


Stellan Skarsgård, nicht zu verwechseln mit Bill Skarsgård, der gerade Pennywise in „Es“ spielt, nicht zu verwechseln mit Miss Moneypenny aus den Bond-Filmen, nicht zu verwechseln mit Borg, dem Björn Borg nämlich, nicht zu verwechseln mit dem Borg-Kollektiv, spielt den Trainer des schon erwähnten Björn Borg (Sverrir Guðnason), nicht zu verwechseln mit Brant Bjork, dem Sänger von Kyuss, nicht zu verwechseln mit KISS, der Band von Gene Simmons, nicht zu verwechseln mit Paul Simon von Simon & Garfunkel, auch wenn Art Garfunkel eine ähnliche Frisur hatte wie der junge John McEnroe (Shia LaBeouf), womit sich dieser Kreis wieder schließt. Doch manchmal können die kompliziertesten Dinge auf einen einfachen Nenner heruntergebrochen werden, und das gilt vor allem fürs Tennis, wo es einfach zwei Männer auf einem Feld gibt, die beide den letzten Punkt des Turniers für sich entscheiden möchten – it’s as easy as that. Der Weg dahin kann aber recht interessant und sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Da ist zum Einen der vierfache Wimbledon-Champion Björn Borg, die Nummer 1 der Welt, der „Ice-Borg“, der stoisch Gegner für Gegner vom Platz schießt und mit 24 Jahren auf dem Zenit seines Könnens angekommen zu sein scheint. Da ist zum Anderen der Herausforderer, der junge Heißsport John McEnroe, die Nummer 2 der Welt, ein Rüpel auf dem Platz, der trotz unbestrittenen Talents immer das Publikum gegen sich hat. Es macht sich halt nicht gut, wenn man ständig auf den Platz rotzt und nicht FSK12-freie Nettigkeiten mit dem Stuhlschiedsrichter austauscht. Unaufhaltsam steuern die beiden aufeinander zu – man wird sich im Finale begegnen.

Eine klassische Heldensaga hätte sich wohl auf den emotionalen, aufstrebenden Widersacher konzentriert, der sein Temperament nicht unter Kontrolle hat, aber so viel Talent besitzt, dass man es ihm zutraut, den eiskalten, vierfachen Champion aus Schweden in die Knie zu zwingen, wenn er nur den Kampf gegen sich selbst gewinnt. Und da geht „Borg/McEnroe“ einen überraschenden, aber interessanten Weg: Der Film konzentriert sich nämlich auf Borg und den immensen Druck, den er, der Liebling der Nation, als vierfacher Titelträger verspürt. Alle erwarten den fünften Titel in Serie von ihm, und unter der stoischen Oberfläche brodelt es. Er ist der tragische Held, der fast nur verlieren kann, denn selbst, wenn er gewinnt, hat er nur das Minimum erreicht. In Rückblenden zeigt Janus Metz, der Regisseur, einen impulsiven, heißblütigen Borg und erzählt, wie er überhaupt zu diesem stoischen Siegertypen werden konnte. Sein Gegenüber, John McEnroe, muss sich daher mit der zweiten Reihe begnügen. Darüber hinaus ist „Borg/McEnroe“ aber ein klassischer Sportfilm, der in einem epischen Finale gipfelt, das auch heute noch als eines der besten Tennisspiele der Geschichte bezeichnet wird. Was ein wenig seltsam wirkt (und wo der Film für mich etwas unglaubwürdig ist): Die meiste Zeit agieren Borg und McEnroe völlig losgelöst voneinander, als würden sie sich gar nicht kennen. Faktisch war aber das Wimbledon-Finale nur eines von vielen Spielen, das sie gegeneinander bestritten haben. Hier wurde der Dramaturgie willen die Realität ein wenig arg verborgen. Trotzdem ist „Borg/McEnroe“ dank guter Darstellerleistungen und eines interessanten Einblicks in die Psychologie einer lebenden Legende ein sehenswerter Film, auch für Nicht-Tennis-Fans.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Carlos – Der Schakal (2010)

Regie: Olivier Assayas
Original-Titel: Carlos / Le Prix du Chacal
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Biopic, Drama, Thriller
IMDB-Link: Carlos / Le Prix du Chacal


Vorab die Info: Diese Rezension bezieht sich auf die Kurzfassung von Olivier Assayas‘ „Carlos – Der Schakal“, mit nur 3 Stunden quasi der Appetizer für die 5-Stunden-Langfassung.

In den 70ern und 80ern verbreitet der Terrorist Carlos Angst und Schrecken auf der Welt. Höhepunkt ist die Geiselnahme der an einer OPEC-Konferenz in Wien teilnehmenden Minister. Doch während Carlos zunächst noch für die palästinische Sache kämpft, verwirrt er sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten allmählich im Geflecht der internationalen diplomatischen Beziehungen, und aus den Freiheitskämpfern werden Attentäter ohne Ziel. Olivier Assayas erzählt das Leben des berühmt-berüchtigten Terroristen auf eine sehr nüchterne und zurückhaltende Weise. Carlos, eindrucksvoll gespielt von Edgar Ramirez, ist unglaublich charismatisch, wird dabei aber nie glorifiziert. Assayas lässt die Taten sprechen und zeigt so schonungslos auf, wie der einstige Idealist mit moralisch verachtenswerten Methoden in eine Spirale der Gewalt gerät, die fortan sein Leben bestimmen soll und aus der er nie wieder hinausfinden wird.

Die erste Hälfte des Films mit den Höhepunkten des Verrats eines Vertrauten und der OPEC-Geiselnahme (beides ist extrem spannend und dramaturgisch perfekt inszeniert, ohne vom dokumentarischen Stil abzuweichen) ist herausragend. Die zweite Hälfte, die sich mit dem allmählichen Niedergang Carlos‘ beschäftigt, wirkt trotz der langen Spielzeit etwas gehetzt. Ich könnte mir vorstellen, dass hier die Langfassung eine bessere Figur abgeben würde, denn in der dreistündigen Fassung springt der Film gegen Ende ziemlich schnell zwischen den Handlungsorten umher und muss sich damit den Vorwurf gefallen lassen, beliebig zu werden. Dennoch funktioniert der Film auch in der Kurzfassung sehr gut und ist durchaus einen Blick wert.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen (2016)

Regie: Theodore Melfi
Original-Titel: Hidden Figures
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Biopic
IMDB-Link: Hidden Figures


„Hidden Figures“ erzählt die kaum bekannte Geschichte einer Gruppe von afroamerikanischen Mathematikerinnen, die in den 60ern der NASA mit ihren Berechnungen den Arsch gerettet und so das Rennen auf den Mond mitentschieden haben. Diese Geschichte wird mit viel Schwung und Witz erzählt und lebt vor allem vom guten Spiel der drei Hauptprotagonistinnen (gespielt von Taraji P. Henson, Janelle Monáe und der oscarnominierten Octavia Spencer). Kevin Costner, Kirsten Dunst und Jim Parsons in Nebenrollen spielen routiniert ihren Stiefel runter, fallen also weder besonders positiv noch negativ auf. Was dem Film gut tut, ist ein sehr unaufgeregter Blick auf die Ereignisse und die Heldinnen, ohne aber die Probleme jener Zeit der Segregation, als Schwarze im Bus immer noch hinten sitzen mussten und es eigene Toiletten für sie gab, klein zu reden. Gleichzeitig wird aber durch diese Unaufgeregtheit auch eine kleine Schwäche des Films sichtbar: Er fließt locker dahin. Gut gemacht, kein Zweifel, aber den ganz großen Konflikten geht Theodore Melfi mit seinem Film aus dem Weg. Hier hätte ich mir ein wenig mehr Tiefe gewünscht. Auch Nebenhandlungen und deren potentielle Konflikte werden bloß kurz angerissen, aber nie wirklich ausgebreitet. So müssen auf die Rassentrennung wütende Ehemänner, durch die langen Arbeitszeiten vernachlässigten Kinder und der alltägliche Umgang mit Rassismus als Kulisse herhalten, vor der das Heldenepos der brillanten Mathematiker erzählt wird. So ist „Hidden Figures“ ein schöner, guter (und auf jeden Fall empfehlenswerter) Feelgood-Film zu einem interessanten Thema, aber leider nicht außergewöhnlich.


7,0
von 10 Kürbissen

Jackie – Die First Lady (2016)

Regie: Pablo Larraín
Original-Titel: Jackie
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic, Historienfilm, Politfilm
IMDB-Link: Jackie


Alle Zutaten für einen Filmkürbis-Lieblingsfilm sind angerichtet: Natalie Portman, Jugend-Crush und immer noch hochgeschätzte Schauspielerin, spielt Jackie, die Ehefrau bzw. Witwe von JFK in einem Film von Pablo Larraín, der mich vor kurzem erst mit „Neruda“ begeistert hat. Der Trailer verspricht menschliche Abgründe, tolle Dialoge und große Schauspielkunst. Aber hält er diese Versprechen auch? Leider nur zum Teil. „Jackie“ ist großartig gespielt, keine Frage. Ob nun Natalie Portman mit einer Leistung, für die sie ihren zweiten Oscar bekommen müsste (wäre da nicht Emma Stone im Weg), oder Peter Sarsgaard als Bobby Kennedy, der selige John Hurt als zweifelnder, gedankenvoller Priester oder Billy Crudup als charismatischer Journalist – jede Rolle ist toll besetzt und gespielt. Und ja, die Dialoge sind (zumeist) intelligent und abgründig. Aber etwas Entscheidendes fehlt dem Film, um so richtig zu zünden: Und das ist bedauerlicherweise die Tiefe der Figuren. Man sieht eine verzweifelte Jackie, eine tapfere Jackie, eine ratlose Jackie, der Film kreist um sie und ihre Gefühlsausbrüche und auch die Versuche, eben jene zu kontrollieren, aber trotzdem bleibt Larraín mit seinem Film an der Oberfläche. Die Geschichte, die „Jackie“ erzählt, handelt von Verlust (vom privaten Verlust eines geliebten Menschen wie auch von einem Verlust von Anerkennung, von Bedeutung, von Lebenssinn), behandelt aber dieses Thema dermaßen zentral und ausführlich, dass kein Raum bleibt für die Figuren, andere Facetten von sich zu zeigen. Der Film wird somit bedrückend und wirkt teilweise langatmig. Absolut kein schlechter Film, aber nach dem Ansehen hatte ich das Gefühl, dass der Film mehr eine theoretische Abhandlung über Trauer ist als ein Stück Leben, das im Gleichklang mit seinen Protagonisten atmet. „Jackie“ ist gut gemachtes, aber trotz der Intimität seines Porträts ein wenig distanziertes Kino.


6,0
von 10 Kürbissen

Egon Schiele: Tod und Mädchen (2016)

Regie: Dieter Berner
Original-Titel: Egon Schiele: Tod und Mädchen
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Biopic, Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Egon Schiele: Tod und Mädchen


Mit Biopics ist es ja so eine Sache. Wie strukturiert man diese, damit nicht einfach nur chronologisch (und arschlangweilig) ein Leben nacherzählt wird? Viele Filmemacher greifen dann zu einem ganz wundervollen Trick: Sie beginnen mit dem Ende oder kurz vor dem Ende und erzählen dann die Geschichte in Rückblenden. Krass innovativ, ey! Dass darunter der Spannungsbogen leidet, geschenkt! Denn hey, dass der Typ, dessen Leben da gezeigt wird, längst tot ist, ist ja allgemein bekannt, da kann man also gar nicht spoilern. Stimmt. Nur kann man so eben auch kaum eine wirklich packende Geschichte erzählen. „Egon Schiele: Tod und Mädchen“ von Dieter Berner tappt in genau diese Falle. Eigentlich ist das Biopic rund um die Besessenheit des österreichischen Jugendstil-Meisters ja recht erbaulich. Noah Saavedra spielt sympathisch und bemüht sich nach Kräften, diesem Übergott der Kunst ein menschliches Antlitz zu verleihen (das oftmals zu profan ausfällt, sodass man als Zuseher langsam ins Grübeln kommt, worin denn nun das Genie des Künstlers liegen soll – aber das ist ein anderer Kritikpunkt), die Ausstattung ist durchaus gelungen, viele Rollen sind gut besetzt. Aber es wird eben keine runde Geschichte daraus. So mäandert der Film, ausgehend vom Endpunkt, einem schwer lungenkranken Egon Schiele in seinem Totenbett, zwischen den Brüsten der g’schmackigen Darstellerinnen, den Konflikten mit der Obrigkeit und den Familiendramen mit der Schwester hin und her, aber man weiß ja, was kommt (hustender Schiele), und irgendwie ergeben die Teile, so gut gemeint und so interessant sie für sich vielleicht auch sein mögen, kein Ganzes. Nicht schlecht, aber unterm Strich halt sehr konventionelles Futter.


5,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=Gx54mwtF77E