Anora (2024)

Regie: Sean Baker
Original-Titel: Anora
Erscheinungsjahr: 2024
Genre: Drama, Liebesfilm, Komödie
IMDB-Link: Anora


Dass ich den Cannes-Gewinner „Anora“ krankheitsbedingt auf der Viennale verpasst habe, war schon Pech, bin ich doch großer Fan von Sean Bakers bisherigen Arbeiten. Ich hatte schon das Gefühl, dass mir da ein Film des Jahres durch die Lappen ging. Aber glücklicherweise mahlen die Mühlen in Österreich bekanntermaßen langsam, und so kann man sich auch zwei Monate nach Ende der Viennale und ein halbes Jahr nach dem Cannes-Sieg in einen gut gefüllten Kinosaal setzen, um den bisherigen Höhepunkt des Baker’schen Schaffens zu sichten. „Anora“ beginnt als klassische Cinderella-Geschichte: Die Erotiktänzerin Anora, die nur Ani genannt werden möchte, lernt im Club den russischen Milliardärsohn Wanja kennen. Es wird Party gemacht, getanzt, gevögelt, und es kommt, was kommen muss: Der infantile, aber humorvolle und gutherzige Wanja verfällt der lebenslustigen Ani, was in einem spontanen Hochzeitsantrag in Las Vegas mündet, und wenn man schon mal da ist, können diesem Antrag auch gleich Taten folgen. Das Problem ist allerdings: Wanjas Eltern in Russland sind nicht unbedingt glücklich darüber, dass die Ehe ihres Sohns mit einer Sexarbeiterin in Russlands Klatschmagazinen auftaucht und schicken daher ihre Schergen, um die Sache geradezubiegen. Was als erotisch aufgeladene Liebesgeschichte beginnt, wechselt bald zu einem Krimi mit Screwball-Elementen, aber Baker wäre nicht Baker, wenn er es bei der leichten Unterhaltung belassen würde. Baker ist ein Humanist mit einem großen Herzen für die Figuren am Rand der Gesellschaft, denen nicht alles in den Schoß fällt. Gleichzeitig hat er aber auch einen ehrlichen, ungeschönten Blick auf die Verhältnisse und führt daher seine Geschichten zu einem konsequenten Ende. „Anora“ vereint alle Vorzüge seines bisherigen Schaffens und fügt diesen noch einmal neue Facetten hinzu. Lustiger und tragischer war noch keiner seiner Filme. Und auch wenn Baker bislang ein fantastisches Händchen für Casting gezeigt hat, ist die Besetzung von Mikey Madison als Titelheldin ebenfalls sein bisheriges Glanzstück. Madison spielt ihre Figur mit einer Hingabe und Energie, die lange im Gedächtnis bleibt. Doch auch Juri Borissow in der denkwürdigsten vieler denkwürdigen Nebenrollen verleiht seinem Handlanger Igor eine Tiefe und menschliche Größe, die man in vielen Filmen vergeblich sucht. Das ist überragend geschrieben und kongenial gespielt. Kein Wunder, dass sowohl Madison als auch Borissow für ihre Leistungen für einen Golden Globe nominiert wurden, eben Sean Baker für Film, Regie und Drehbuch selbst. „Anora“ ist ein ganz großer Wurf, der alle Facetten der cineastischen Emotionen abdeckt, extrem gut unterhält und dabei auch noch lange nachwirkt. Er wäre wohl mein Film des Jahres 2024 geworden. So wird er halt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mein Film des Jahres 2025.


9,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of Neon – © Neo, Quelle: http://www.imdb.com)

Hinterlasse einen Kommentar