Alexander Payne

The Holdovers (2023)

Regie: Alexander Payne
Original-Titel: The Holdovers
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Komödie, Drama, Weihnachtsfilm
IMDB-Link: The Holdovers


Eine Elite-High School für die Kinder von Reich & Schön im Jahr 1970. Ein grantiger, zynischer Geschichtsprofessor, der zum Aufsichtsdienst während der Weihnachtsferien verdonnert wird. Vier arme zurückgelassene Seelen plus die Köchin der Schule, die ihren Sohn vor kurzem in Vietnam verloren hat. Das ist die Mixtur für Alexander Paynes vielleicht bestem Film überhaupt. In „The Holdovers“ erzählt er von Menschen, die sich alleingelassen fühlen, deren Vergangenheit als großer Schatten über ihnen hängt, und die aber nach und nach erkennen, dass sie sich davon nicht definieren müssen. Vor allem, als ein Teil der Jugendlichen dann doch zum Skifahren abgeholt wird, und Lehrer Paul Hunham mit der Köchin Mary Lamb und dem Schüler Angus Tully zurückgelassen wird, entwickelt der Film, der sich im Grunde in drei Teile unterteilen lässt und damit trotz seiner Laufzeit von über 2 Stunden ungemein kurzweilig wirkt, eine herzerwärmende Dynamik, und die eigentliche Reise zur Erkenntnis beginnt. Die Besetzung spielt diese verlorenen Figuren überragend: Paul Giamatti wurde geboren, um diesen zynischen Grantler zu spielen, Da’Vine Joy Randolph verleiht ihrer fast gebrochenen Figur Grazie und Würde, und Newcomer Dominic Sessa lässt hinter der aufsässigen Fassade immer wieder die tiefen Verwundungen seiner Figur durchblitzen. Ich prognostiziere, dass man zumindest Giamatti und Randolph in der kommenden Award-Season wieder öfter zu Gesicht bekommen wird. Oscarverdächtig spielen beide jedenfalls. Und dank Giamattis Figur habe ich nun eine ganze Reihe kreativer Beleidigungen im Repertoire, die darauf warten, in der Praxis zur Anwendung zu kommen. „The Holdovers“ ist ein fast perfekter Film: Er ist technisch hervorragend gemacht mit Bild und Ton, die direkt den 70ern entstammen könnten, er ist saukomisch, sodass ich vor Lachen geweint habe, dabei aber auch unglaublich tragisch, wenn sich die Hintergrundgeschichten dieser Misfits nach und nach entfalten, er ist unterhaltsam, bietet am Ende eine versöhnliche Botschaft und eine tiefere Erkenntnis, und als Weihnachtsfilm geht er auch noch durch. Danke, Mr. Payne, für diesen Film!


9,0 Kürbisse

(Foto: Seacia Pavao (c) 2023 Focus Features LLC. All Rights Reserved)

Downsizing (2017)

Regie: Alexander Payne
Original-Titel: Downsizing
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Komödie, Science Fiction
IMDB-Link: Downsizing


Überbevölkerung ist ein Problem. Ein großes sogar. Das sieht auch Alexander Payne so und bietet in seinem neuesten Film „Downsizing“ eine ungewöhnliche Lösung dafür an: Schrumpfen. So lässt sich der amerikanische Durchschnittsbürger Paul Safranek (Matt Damon) auch schrumpfen – denn nicht nur der Körper der Mutigen, die diesen unumkehrbaren Schritt wagen, schrumpfen, sondern auch die Preise, und so eröffnet sich plötzlich auch für den Bürger mit mäßigem Einkommen die Möglichkeit eines Lebens in Luxus. Blöd nur, wenn sich dann die Dinge doch anders entwickeln als geplant. Aber vielleicht kann der exzentrische und etwas windige Nachbar Dusan (herrlich: Christoph Waltz als Lebemann und Partytiger) helfen. Und als Paul dann noch die Bekanntschaft mit der zwangsgeschrumpften vietnamesischen Aktivistin Ngoc Lan (Hong Chau) macht, zeigt sich allmählich, dass man mit Downsizing zwar einige Probleme verkleinern kann, aber ganz weg bekommt man sie halt auch nicht.

Die Filmidee ist nicht unbedingt neu. „Liebling, wir haben die Kinder geschrumpft“ ist einer meiner liebsten Kindheitsfilme – und die perspektivische Änderung und dieses Nebeneinander von Groß und Klein, auf dem der Humor der 80er-Jahre-Komödie aufbaut, sorgt auch in „Downsizing“ für gelungene Komik-Einlagen. Hier bekommt die Idee aber einen gesellschaftlich relevanten Anstrich, und auch wenn Paynes Film dann eine andere Richtung einschlägt als man es ursprünglich erwartet, nämlich ins Private, so bietet er dennoch an vielen Stellen und über das bloße Betrachten hinaus spannende Gedankenansätze, die man dann gerne weiterverfolgt. „Downsizing“ macht vielleicht nicht alles richtig, so verfolgt er vielleicht gleichzeitig auch zu viele Storylines für einen einzigen Film, aber er ist richtig gut gemachte, intelligente Unterhaltung, die trittsicher zwischen Situationskomik und Anspruch wandelt. Die Idee, wie gesagt, ist großartig und regt zum Weiterdenken an. Auch die Welt im Kleinen, die Alexander Payne zeigt, ist konsequent durchgedacht und irrsinnig gut aufgebaut. Ich wittere – neben der Nominierung für das beste Drehbuch und vielleicht auch bester Film, beste Regie, Christoph Waltz und Hong Chau – eine Oscar-Nominierung für das Bühnenbild. So ist der Film auch über eine Laufzeit von deutlich über zwei Stunden immer interessant und reiht sich nahtlos ein in die Liste toller Filme von Alexander Payne, bei dem man, wie sich auch hier zeigt, jederzeit bedenkenlos zugreifen kann.


 

7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)

Nebraska (2013)

Regie: Alexander Payne
Original-Titel: Nebraska
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Roadmovie, Komödie
IMDB-Link: Nebraska


Wenn sich der starrköpfige und wohl schon zu Demenz neigende Vater in den Kopf gesetzt hat, dass er einen Lottogewinn gemacht hat, den er in seiner alten Heimat in Nebraska persönlich abholen muss, dann muss der erfolglose und mit vielerlei privaten Problemen geplagte Sohn halt ins Auto steigen und den alten Herrn dorthin kutschieren. Da nützen auch die schärfsten Proteste der pragmatischen Angetrauten des Millionärs in spe nichts, die, wie alle weiteren Protagonisten, nicht an den großen Gewinn glauben will. Was sich daraufhin entspinnt, ist eine wunderbar tragikomische, von allen Beteiligten herausragend gespielte Reise in die stille Weite Nebraskas und die traurigen Erinnerungen an die längst verflogene Jugend. Bruce Dern ist fantastisch als alter Starrkopf, der mal gerne das eine oder andere Bierchen über den Durst trinkt. Will Forte brilliert als sein stoischer Widerpart und überforderter Sohn, und immer, wenn June Squibb als Ehefrau und Mutter im Bild ist, stiehlt sie allen die Show (zurecht nominiert für den Oscar als beste Nebendarstellerin). Wie fast alle Filme von Alexander Payne weist auch „Nebraska“ den für ihn typischen lakonischen Humor auf, der die Abgründe und den Schmerz der Seele gekonnt bedeckt. Gefilmt in wunderschönen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist „Nebraska“ wohl sein ruhigster, vielleicht aber auch sein eindrücklichster Film.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)