2016

Hell or High Water (2016)

Regie: David Mackenzie
Original-Titel: Hell or High Water
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Krimi, Western
IMDB-Link: Hell or High Water


Der Süden der USA ist knochentrockenes Land. Die Landschaft ist trocken, die Menschen haben tiefere Falten als der Grand Canyon, Sitten und Leben sind rau. In diesem Setting spielt der Krimi / Neo-Western von David Mackenzie. Zwei Brüder (Ben Foster und Chris Pine) rauben Banken aus, um ihr Land zu retten, ein Polizist kurz vor dem Ruhestand (Jeff Bridges, für diese Rolle erneut oscarnominiert) folgt ihnen. Das alles ist nicht wirklich neu – es werden berechtigte Erinnerungen an beispielsweise „No Country for Old Men“ wach, der aber sicherlich der radikalere Film war. Dennoch ist „Hell or High Water“ dank ausgezeichneter Schauspieler, einer starken Kamera-Arbeit und einem guten Drehbuch, das langsam, aber mit sicherem Gespür für Timing die Schrauben festzieht, ein guter Film. Die Stärke von „Hell or High Water“ ist tatsächlich, dass er sich Zeit nimmt, um die Figuren auszuarbeiten. Wer schnelle Action sucht, ist hier definitiv falsch. Wenn die Gewalt allerdings ausbricht, dann unvermittelt und brachial, dann stellt sie eine echte Zäsur dar. Insgesamt ist „Hell or High Water“ kein Genre definierendes Meisterwerk, und er hat auch ein paar Längen, aber dass man diesen Film als Best Picture für den Oscar nominiert hat, kann ich jedenfalls nachvollziehen. Er ist einfach verdammt gut gemachtes, sehr solides und staubtrockenes amerikanisches Erzählkino. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt. Übrigens: Für die musikalische Hintergrundbeschallung zeichnen Nick Cave und sein alter Weggenosse Warren Ellis verantwortlich. Der großartige Soundtrack passt zum Film wie die Faust aufs Auge.


7,0
von 10 Kürbissen

Mein Leben als Zucchini (2016)

Regie: Claude Barras
Original-Titel: Ma vie de Courgette
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Animation
IMDB-Link: Ma vie de Courgette


Der Oscar-nominierte französisch-schweizerische Animationsfilm „Mein Leben als Zucchini“ erzählt im Stop-Motion-Verfahren vor liebevoll gestalteten Kulissen eine tragische Geschichte, die an die Nieren geht. Der 9jährige Icare, genannt „Zucchini“, wächst in einem vaterlosen Umfeld mit seiner alkoholkranken und jähzornigen Mutter auf. Eines Tages verursacht er einen Unfall, bei dem seine Mutter stirbt, und er kommt in ein Waisenhaus. Dort trifft er auf Leidensgenossen, mit denen er sich erst einmal zusammenraufen muss, denn die traumatisierten Kinder sind nicht unbedingt leicht zugänglich, und auch Zucchini selbst ist schwer traumatisiert. Allmählich aber findet er hier unter den Ausgestoßenen seinen Platz. „Mein Leben als Zucchini“ ist ein großartig erzählter Film über das bisschen Liebe, das uns allen zusteht, über die Kindheit, über Freundschaften und den Versuch, sich in einem widrigen Umfeld zu behaupten. Es ist ein Film über die kleinen Gesten, die ein Leben erträglich machen. Und alles ist konsequent erzählt aus der Sicht der Kinder, unsentimental, aber gerade durch diese Echtheit der Gefühle so niederschmetternd und ergreifend. Kinder werden hier nicht idealisiert, sie können böse und gemein und unfair sein, sind aber auch zu großer Güte und Herzenswärme fähig. Selten wurde die Widersprüchlichkeit, die jedem Kind innewohnt, so konsequent und empathisch dargestellt wie in diesem Film. Visuell findet der Film eine sehr eigene und individuelle Ausdrucksmöglichkeit. „Mein Leben als Zucchini“ ist sicherlich nicht einfach anzusehen ob der harten Thematik und des unsentimentalen Blicks, aber gerade das lässt ihn emotional lange nachhallen. Für den Oscar wird es wohl nicht reichen, dazu ist der Film zu „klein“ und auch zu unangepasst, er wird gegen die Marketingmaschinerie von „Zootopia“ nichts ausrichten können, aber ich freue mich, dass er durch die Nominierung nun zumindest ein bisschen Aufmerksamkeit bekommt.


8,0
von 10 Kürbissen

Fences (2016)

Regie: Denzel Washington
Original-Titel: Fences
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Fences


„Fences“ ist ein Theaterstück. Das sollte man wissen, ehe man sich in den Kinosessel schwingt und das Popcorn auf den Nachbarssitzen verteilt, denn Denzel Washington, Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion, nimmt die Vorlage von August Wilson so ernst, dass er eigentlich gänzlich auf eine Kulisse hätte verzichten können. „Fences“ spielt zu 90% im Haus von Troy Maxson und seiner Frau Rosie, und davon wiederum spielen gefühlte 80% im Vorgarten. Und wie es beim Theater halt so ist: Die Handlung konstruiert sich durch die Dialoge. Wem das also nicht genügt, sollte vielleicht einen Bogen um „Fences“ machen. Alle anderen Zuseher erleben ein unglaublich stark gespieltes Familiendrama im Pittsburgh der 50er Jahre, das auf eine sehr gemächliche, aber letztlich zwingende Weise Rollen- und Rollenklischees aufbricht – jene der hart arbeitenden schwarzen Bevölkerung, der Familienväter und -söhne, der treuen und devoten Ehefrau (unfassbar gut: Viola Davies), und wo sich allmählich zur zweiten Hälfte des Films hin Abgründe auftun, die dem klassischen Verständnis eben jener Rollen geschuldet sind. „Fences“ ist ein Film über scheinbare Zwänge, über die Nöte der einfachen Menschen, über Barrieren und Grenzen, die scheinbar nie übersprungen werden können, über Erziehung, über die Beispiele, die wir Anderen geben, über die Schuld, die wir dabei vielleicht auch auf uns laden. Der fast 140 Minuten lange Dialogfilm ohne großer Variation im Setting hat auch so seine Längen, und auch das Ende ist in meinen Augen nicht so ganz geglückt, weil manches, das vorher noch schön dekonstruiert wird, am Ende dann doch wieder ein wenig relativiert wird, aber in Summe ist „Fences“ ein exzellent gespieltes Drama mit leichten dramaturgischen Schwächen, das aber niemanden, der sich darauf einlässt, komplett kalt zurücklassen wird. Und: Smells like Oscar für Viola Davies. Wäre so etwas von verdient!


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)

Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen (2016)

Regie: Theodore Melfi
Original-Titel: Hidden Figures
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Biopic
IMDB-Link: Hidden Figures


„Hidden Figures“ erzählt die kaum bekannte Geschichte einer Gruppe von afroamerikanischen Mathematikerinnen, die in den 60ern der NASA mit ihren Berechnungen den Arsch gerettet und so das Rennen auf den Mond mitentschieden haben. Diese Geschichte wird mit viel Schwung und Witz erzählt und lebt vor allem vom guten Spiel der drei Hauptprotagonistinnen (gespielt von Taraji P. Henson, Janelle Monáe und der oscarnominierten Octavia Spencer). Kevin Costner, Kirsten Dunst und Jim Parsons in Nebenrollen spielen routiniert ihren Stiefel runter, fallen also weder besonders positiv noch negativ auf. Was dem Film gut tut, ist ein sehr unaufgeregter Blick auf die Ereignisse und die Heldinnen, ohne aber die Probleme jener Zeit der Segregation, als Schwarze im Bus immer noch hinten sitzen mussten und es eigene Toiletten für sie gab, klein zu reden. Gleichzeitig wird aber durch diese Unaufgeregtheit auch eine kleine Schwäche des Films sichtbar: Er fließt locker dahin. Gut gemacht, kein Zweifel, aber den ganz großen Konflikten geht Theodore Melfi mit seinem Film aus dem Weg. Hier hätte ich mir ein wenig mehr Tiefe gewünscht. Auch Nebenhandlungen und deren potentielle Konflikte werden bloß kurz angerissen, aber nie wirklich ausgebreitet. So müssen auf die Rassentrennung wütende Ehemänner, durch die langen Arbeitszeiten vernachlässigten Kinder und der alltägliche Umgang mit Rassismus als Kulisse herhalten, vor der das Heldenepos der brillanten Mathematiker erzählt wird. So ist „Hidden Figures“ ein schöner, guter (und auf jeden Fall empfehlenswerter) Feelgood-Film zu einem interessanten Thema, aber leider nicht außergewöhnlich.


7,0
von 10 Kürbissen

Personal Shopper (2016)

Regie: Olivier Assayas
Original-Titel: Personal Shopper
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Horror, Thriller
IMDB-Link: Personal Shopper


Beim Ansehen von Olivier Assayas‘ Film „Clouds of Sils Maria“ habe ich begriffen, dass Kristen Stewart eine Schauspielerin ist, eine großartige noch dazu. Wenn man sie lässt, dann können sich auf ihrem Resting Bitch Face wirklich viele Emotionen abspielen, dann ist da plötzlich eine Verletzlichkeit zu sehen, die ich erstaunen lässt. Also musste ich nach „Clouds of Sils Maria“ Abbitte leisten und war schon gespannt wie ein Gummiringerl auf die neueste Zusammenarbeit mit Assayas. Diese ist leider nicht ganz so geglückt wie der Vorgänger, so viel sei gleich gesagt. „Personal Shopper“ weiß nicht so recht, ob er ein Gruselfilm sein soll, ein Film über die Verarbeitung von Trauer und Verlust, ein Thriller, ein Krimi vielleicht, eine Selbstfindungsgeschichte, irgendwie ist er von allem ein bisschen was und damit etwas unentschlossen. Die Geschichte erzählt von der jungen Maureen (Kristen Stewart), die in Frankreich als Personal Shopper, eine Art Einkaufsassistentin für ein Supermodel (Nora von Waldstätten), arbeitet und gleichzeitig ihrem toten Zwillingsbruder nachspürt, denn sie haben einst einen Pakt geschlossen: Wer zuerst stirbt, gibt dem überlebenden Geschwisterteil ein Zeichen aus dem Jenseits. Maureen, die am gleichen Herzfehler leidet wie ihr toter Bruder, wartet also auf dieses Zeichen. Währenddessen bekommt sie seltsame Nachrichten von einer unbekannten Nummer, die sie dazu einladen, ein seltsames Spiel zu spielen. Das alles ist sehr gut anzusehen, ist stimmungsvoll aufgebaut und gut gespielt, allerdings fehlt mir manchmal der Fokus auf den Aspekt der Geschichte, um den es Assayas tatsächlich geht. Auch wenn sich am Ende irgendwie alles zusammenfügt, so bleibt der Weg dahin dennoch Stückwerk. Das Ende lässt viele Interpretationsmöglichkeiten offen (was ich ja sehr mag), wird aber viele Zuseher unbefriedigt zurücklassen. So ist „Personal Shopper“ zwar ein interessanter Film, aber kein großer Wurf.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Die rote Schildkröte (2016)

Regie: Michael Dudok de Wit
Original-Titel: La Tortue Rouge
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Animation
IMDB-Link: La Tortue Rogue


Mein erster Film des Studios Ghibli ist, so meine Ghibli-erfahrenen Freunde, ein sehr untypisches Werk für dieses Studio, das den Niederländer Michael Dudok de Wit eingeladen hat, seine Geschichte, eine Parabel auf das Leben am Beispiel eines Schiffbrüchigen, zu erzählen. „Die rote Schildkröte“ ist voller Symbole, die auf das Leben und den Tod verweisen, und trägt die Geschichte völlig ohne Dialoge und in einem langsamen, meditativen Tempo vor. Erzählt wird von einem Schiffbrüchigen, der auf einer einsamen Insel strandet. All seine Versuche, mit einem selbstgebastelten Floß der Insel zu entkommen, schlagen fehl, denn wieder und wieder wird sein Floß von einer geheimnisvollen, roten Schildkröte beschädigt. Als die Schildkröte eines Tages auf den Strand kriecht, beginnt damit eine neue Geschichte, die vom Leben, vom Tod, von Schuld, von Reue und von Liebe und Geborgenheit erzählt – und davon, wie fragil alles ist, was uns Menschen definiert. Die Animationen sind sehr schlicht gehalten und unterstreichen die Einsamkeit des Schiffbrüchigen und das Gefühl von Verlorenheit. Der Film ist beileibe keine einfache Kost – zu träge mag er vielen erscheinen, zu still auch, zu symbolhaft, und für Kinder ist er meiner Meinung nach kaum geeignet. Wenn der zuvor noch so süße Seelöwe plötzlich tot am Strand liegt, und der Schiffbrüchige öffnet ihm den Bauch, um aus dem Fell Kleidung zu machen, wirft dieses beiläufige Nebeneinander von Leben und Tod viele Fragen auf, mit denen die Kleinsten wohl hoffnungslos überfordert sind. Auch ist der Film äußerst handlungsarm und damit für junge Zuseher wohl auch recht langweilig. „Die rote Schildkröte“ ist das Gegenstück zu einem actiongeladenen „Findet Dorie“ oder einem zuckersüßen „Pets“ – „Die rote Schildkröte“ ist erwachsenes Animationskino, das die ganz großen Themen des Lebens angeht. Der Film findet sicherlich nicht bei jedem Zustimmung, aber er pflanzt Keime für weitere Gedanken und Betrachtungen. Für mich eine verdiente Oscar-Nominierung, auch wenn es mich wundern würde, könnte der Film den Goldmann am Ende tatsächlich einheimsen. Dazu ist er zu anders, zu eigen.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

https://www.youtube.com/watch?v=Y1JrdvxLIIg

Hacksaw Ridge – Die Entscheidung (2016)

Regie: Mel Gibson
Original-Titel: Hacksaw Ridge
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Kriegsfilm / Anti-Kriegsfilm
IMDB-Link: Hacksaw Ridge


Standing Ovations in Venedig. Das gefeierte Regie-Comeback von Mel Gibson. Ein harter, düsterer Kriegsfilm über einen Soldaten, der zum Helden wurde, ohne einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben. Das ist „Hacksaw Ridge“. Zumindest für viele Zuseher, die unter der zentimeterdicken Schicht Pathos und Religionsfanatismus, die Mel Gibson auf die Filmrollen gekleistert hat, noch etwas erkennen können. Ich konnte es nicht. Im Gegenteil. Viele pathetische Stellen offenbarten für mich eine sehr unfreiwillige Komik, und mir sind beim Ansehen mindestens drei Trinkspiele zu diesem Film eingefallen. Zum Beispiel jedes Mal, wenn Gott erwähnt wird oder der Glaube, einen Kurzen. Oder einen Doppelten für jedes „Just one more!“ von Andrew Garfield (der sich mit zwei Gesichtsausdrücken, grinsend und betroffen, in die Riege der Oscarnominierten gemogelt hat), wenn er einen weiteren blutenden Kollegen vom Schlachtfeld zieht. Wenn man eines dieser Trinkspiele wirklich durchzieht, geht’s einem so wie den meisten Soldaten im blutigen Gemetzel auf Okinawa: Man erlebt das Ende des Films nicht mehr. Was mir ebenfalls missfallen hat, waren die rassistischen Untertöne (irgendwann während des Films hat sich meine Oscar-Gefährtin, die das Leid mit mir durchgestanden hat, zu mir gedreht und gemeint: „Ist dir eigentlich aufgefallen, dass es keinen einzigen schwarzen Soldaten in der Truppe gibt? Nicht mal einen Quoten-Schwarzen, nichts.“), so sind auch die Japaner einfach nur gesichtslose, fanatische Schlächter, und der Film zeigt keine einzige originelle Szene – alles läuft schön nach Klischee ab, als wäre „Hacksaw Ridge“ eine Best-Of-Compilation aller bisher gedrehter Kriegsfilme – von „Full Metal Jacket“ über „Die Akte Jane“ und „Forrest Gump“ bis hin zu „Der Soldat James Ryan“. Alles da. Vom erbarmungslosen Drill Sergeant über das Robben durch Schlamm bis hin zum theatralischen Abtransport des verwundeten Kampfgenossen auf den Schultern. Habe ich alles schon dutzendfach gesehen, muss ich nicht noch mal sehen.


3,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)

Passengers (2016)

Regie: Morten Tyldum
Original-Titel: Passengers
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Science-Fiction, Thriller
IMDB-Link: Passengers


„Gravity“ meets „2001 – Odyssee im Weltraum“ meets „Moon“ meets „Titanic“ meets „Kramer gegen Kramer“ meets „Shining“. Damit ist das Grundproblem, das Morten Tyldums „Passengers“ aufweist, schon umrissen. Der Film geht kein Risiko ein und den Weg des geringsten Widerstands. Die Ausgangslage hätte Potential für einen weitaus interessanteren, gewagteren Film gehabt: Auf einer 120 Jahre dauernden Reise durchs All zu einem neuen bewohnbaren Planeten kommt es zu einem Defekt, wodurch einer der Passagiere (Chris Pratt) aus dem Tiefschlaf erwacht. Während er die ersten Stunden noch im Glauben verbringt, er nähere sich nun dem neuen Heimatplaneten an, muss er bald zu seinem Entsetzen feststellen, dass ihn noch 90 Jahre von der Ankunft trennen. Heißt: Vor ihm liegt ein ganzes Leben in Einsamkeit auf einem Raumschiff, als einzige Gesellschaft der von Michael Sheen gespielte Bar-Roboter. Natürlich kommt man dann mit der Zeit auf dumme Gedanken. Und der dümmste davon ist sicherlich, eine hübsche Mitpassagierin (Jennifer Lawrence) vorzeitig aus dem Tiefschlaf zu holen. Was also eine Geschichte über die großen moralischen Fragen des Lebens hätte sein können – inwieweit man in das Leben eines anderen Menschen eingreifen darf, wie wir mit Einsamkeit umgehen, was menschliche Kontakte für uns bedeuten – biegt etwa zur Hälfte des Films ab, um konventionellere Sci-Fi-Thriller-Katastrophen-Pfade zu bestreiten. Das Raumschiff spielt verrückt, es muss gegen die Zeit angerannt werden, um das Werkl doch noch irgendwie zusammenzuhalten, und moralische Fragen werden bei all der Rennerei natürlich beiseite geschoben. Aber hier wird aus „Moon“ meets „2001 – Odyssee im Weltraum“ meets „Shining“ meets „Kramer gegen Kramer“ nun leider ein (schlechtes) „Gravity“ meets „Titanic“. Die Action ist leider ziemlich lächerlich und over-the-top und versenkt gegen Ende hin den an sich guten Film in die Durchschnittlichkeit. Für ein passables Kinovergnügen reicht es aus, aber man ärgert sich halt dann doch ein bisschen ob der verschenkten Chancen. So wie im Fußball über den Ausgleich, den der bislang gegen den Titelanwärter führende Underdog in der 90. Minute doch noch hinnehmen muss.


6,0
von 10 Kürbissen

Jackie – Die First Lady (2016)

Regie: Pablo Larraín
Original-Titel: Jackie
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic, Historienfilm, Politfilm
IMDB-Link: Jackie


Alle Zutaten für einen Filmkürbis-Lieblingsfilm sind angerichtet: Natalie Portman, Jugend-Crush und immer noch hochgeschätzte Schauspielerin, spielt Jackie, die Ehefrau bzw. Witwe von JFK in einem Film von Pablo Larraín, der mich vor kurzem erst mit „Neruda“ begeistert hat. Der Trailer verspricht menschliche Abgründe, tolle Dialoge und große Schauspielkunst. Aber hält er diese Versprechen auch? Leider nur zum Teil. „Jackie“ ist großartig gespielt, keine Frage. Ob nun Natalie Portman mit einer Leistung, für die sie ihren zweiten Oscar bekommen müsste (wäre da nicht Emma Stone im Weg), oder Peter Sarsgaard als Bobby Kennedy, der selige John Hurt als zweifelnder, gedankenvoller Priester oder Billy Crudup als charismatischer Journalist – jede Rolle ist toll besetzt und gespielt. Und ja, die Dialoge sind (zumeist) intelligent und abgründig. Aber etwas Entscheidendes fehlt dem Film, um so richtig zu zünden: Und das ist bedauerlicherweise die Tiefe der Figuren. Man sieht eine verzweifelte Jackie, eine tapfere Jackie, eine ratlose Jackie, der Film kreist um sie und ihre Gefühlsausbrüche und auch die Versuche, eben jene zu kontrollieren, aber trotzdem bleibt Larraín mit seinem Film an der Oberfläche. Die Geschichte, die „Jackie“ erzählt, handelt von Verlust (vom privaten Verlust eines geliebten Menschen wie auch von einem Verlust von Anerkennung, von Bedeutung, von Lebenssinn), behandelt aber dieses Thema dermaßen zentral und ausführlich, dass kein Raum bleibt für die Figuren, andere Facetten von sich zu zeigen. Der Film wird somit bedrückend und wirkt teilweise langatmig. Absolut kein schlechter Film, aber nach dem Ansehen hatte ich das Gefühl, dass der Film mehr eine theoretische Abhandlung über Trauer ist als ein Stück Leben, das im Gleichklang mit seinen Protagonisten atmet. „Jackie“ ist gut gemachtes, aber trotz der Intimität seines Porträts ein wenig distanziertes Kino.


6,0
von 10 Kürbissen

Ich, Daniel Blake (2016)

Regie: Ken Loach
Original-Titel: I, Daniel Blake
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: I, Daniel Blake


Der Gewinner der Goldenen Palme 2016 in Cannes. Jener Film, der u.a. den hochgelobten „Toni Erdmann“ hinter sich gelassen hat. Ein britisches Sozialdrama, das den Spuren eines einfachen Mannes in Newcastle auf dem Weg durch den Behördendschungel folgt, soll besser sein als die pompöse Neuerfindung des deutschen Films? Ja, sind die denn alle wahnsinnig dort unten in Cannes? Zu lange auf den Yachten unter der Sonne gebrutzelt? Zu viel Kokain geschnupft?

Nein.

„I, Daniel Blake“ von Altmeister Ken Loach ist der menschlichste, ehrlichste, wahrhaftigste Film, den ich seit langem gesehen habe. Er ist komisch und abgrundtief traurig, er ist zynisch und mitfühlend, er schnappt sich einfach das Leben, stopft es in die Kamera, wirft es auf die Zuseher hin und sagt: „Da. Hier habt ihr es. So ist es.“ Und man muss lachen und weinen, manchmal gleichzeitig. Daniel Blake, auf so wunderbar warmherzige Weise verkörpert von Dave Johns, ist der größte Held der jüngeren Filmgeschichte. Da können keine Superhelden mithalten mit so viel Herzenswärme und Courage. Ein Mann kämpft um seine Würde, um sein Recht in einem unerbittlichen, zynisch-kalten System, in dem jene am Rand einfach runterfallen und sich nicht dagegen wehren können. Das Wunderbare an dem Film ist, dass Daniel Blake auch für Andere kämpft, dass ihm Freundschaft wichtiger ist als das eigene Befinden, dass er treu und gut ist. Daniel Blake ist ein Mensch. Darum geht es in diesem Film. Um uns Menschen und um das, was uns definiert, und wie wir unsere Menschlichkeit bewahren in einem System, in dem diese unterdrückt zu werden droht. Schon jetzt ein absolutes Highlight des neuen Kinojahres, und es wird schwer werden, diesen Film noch zu toppen.


9,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Luna)