Viennale

Du bist nicht allein – Die Roy Black Story (1996)

Regie: Peter Keglevic
Original-Titel: Du bist nicht allein – Die Roy Black Story
Erscheinungsjahr: 1996
Genre: Biopic, Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Du bist nicht allein – Die Roy Black Story


Roy Black war tatsächlich ein Held meiner Kindheit. „Ein Schloss am Wörthersee“, dieser Straßenfeger, lief auch bei uns im Fernsehen rauf und runter. Meine allererste Schallplatte, die ich mir als Knirps von meinem eigenen Taschengeld gekauft habe, war eine von Roy Black. Das hat sich mittlerweile ausgewachsen, zum Glück, aber ja, das waren meine musikalischen Anfänge. Und Roy Black war gewissermaßen auch Christoph Waltz‘ Anfang, jedenfalls war das eine der ersten Rollen, für die er vielfach beachtet wurde. Und ich muss sagen: Waltz spielt nicht Roy Black, er ist Roy Black. Seine darstellerische Leistung in diesem Biopic von Peter Keglevic ist schlicht herausragend. Die Qualität seiner Arbeit wird nur noch sichtbarer, wenn man den Rest des Casts durch den Film stümpern sieht. Ganz schlimm ist Wolfgang Bathke als Roy Blacks Manager Bertram. Ich weiß ja nicht, was Bathke hauptberuflich so gemacht hat, aber mit Schauspiel hatte das jedenfalls nichts zu tun. Und dieser Dilettantismus, dieses Überdrüber-Pathos im Spiel, im Drehbuch, in der Musik, zieht sich durch den ganzen Film. Er hat auch seine Momente, keine Frage, so bemüht sich der Film, ein ungeschöntes Bild des Schlagerhelden zu zeichnen und gewinnt dabei gegen Ende hin, als es in Richtung Absturz geht, auch eine gewisse Dringlichkeit, aber da ist der Karren schon längst an die Wand gefahren. Wäre da nicht eben der mittlerweile zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz, der mit seinem Charisma und seinem feinen, nuancierten Spiel so ziemlich jede schlechte Szene rettet und die guten Szenen zur Denkwürdigkeit führt. So gibt’s höchstens (und auch nur dank des recht eindringlichen letzten Drittels) vier Punkte für den Film selbst, aber mindestens einen Waltz-Punkt obendrauf.


5,0
von 10 Kürbissen

A Ghost Story (2017)

Regie: David Lowery
Original-Titel: A Ghost Story
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Fantasy
IMDB-Link: A Ghost Story


Ein junges Paar (Rooney Mara und Casey Affleck) im Glück. Er stirbt bei einem Unfall, kehrt zurück als Geist und sieht der trauernden Frau dabei zu, wie sie versucht, ihr Leben weiterzuleben. Was zunächst wie eine Arthouse-Version von „Ghost – Nachricht von Sam“ klingt, entpuppt sich als interessante und ungewöhnliche Abhandlung über die Vergänglichkeit. Schon allein die Idee, den Toten als klassisches Kinder-Gespenst in einem Laken spuken zu lassen, ist großartig, denn dadurch bekommt der Geist etwas Naives, Unschuldiges – und dabei gleichzeitig auch etwas Erhabenes und Unpersönliches, wenn er langsam durch die Zimmer schreitet oder einfach nur in einer Ecke steht und aus den tiefen, schwarzen Höhlen seiner ausgeschnittenen Augen dem Alltag zusieht. Diese Entkörperung ist ein zentrales Element des Films, denn losgelöst von Casey Afflecks Figur sehen wir den Geist, wie er nach und nach sich selbst und sein Verständnis von Zeit verliert. Er hat keine Aufgabe mehr, er ist einfach nur da und beobachtet teilnahmslos, während die Zeit vergeht. Und so stellt der Film nach und nach eine zweite Frage neben der, wie wir mit Verlust und Trauer umgehen, nämlich: Was bedeutet es, vergessen zu werden? „A Ghost Story“ dreht nämlich die Frage im Grunde um und nähert sich so einer Antwort, indem die Figur von Casey Affleck im Geist aufgeht, dieser aber selbst beginnt, alles zu vergessen und einfach nur noch zu sein – ohne Bedeutung, ohne Ziel. Eine Existenz in Bedeutungslosigkeit ist eine Nicht-Existenz – womit der Bogen gespannt wäre zum kollektiven Vergessen nach dem Ableben. Toll in diesem Zusammenhang die Szene, als der Geist selbst eine Geistererscheinung hat, im Nebenhaus nämlich ebenfalls ein Lakengespenst sieht, das ihm erklärt, es warte auf jemanden, aber es habe vergessen, auf wen. Dass „A Ghost Story“ dennoch nicht in allen Belangen als Film gut funktioniert, liegt an dem sehr langsamen Erzähltempo und einer vielleicht etwas unnötig komplexen Struktur, die im letzten Drittel einen Dreh hinlegt, der ein bisschen nach gewolltem Mindfuck aussieht. Ich hatte das Gefühl, dass der Film in dem Moment mehr sein möchte als er ist. Dennoch eine lohnenswerte Erfahrung, und selten wurde Trauer so adäquat und herzzerreißend dargestellt wie durch Rooney Mara, die einfach nur einen Kuchen isst.


6,5
von 10 Kürbissen

The Workshop (2017)

Regie: Laurent Cantet
Original-Titel: L’Atelier
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama
IMDB-Link: L’Atelier


Eine Schriftstellerin kommt in die Hafenstadt La Ciotat in Südfrankreich, um in einem Sozialprojekt mit den Jugendlichen der Kleinstadt einen Roman, einen Thriller, zu schreiben. Früher war La Ciotat eine wichtige Industriestadt – in der Werft wurden gewaltige Schiffe gebaut. Heute ist die Lage prekärer, auch wenn im Hafen immer noch einige imposante Yachten liegen, nur hat die hiesige Bevölkerung nicht viel davon. Diese Bevölkerung ist durchaus durchmischt, wie sich an der Gruppe der Jugendlichen zeigt. Hier treffen Franzosen mit verschiedenen ethnischen und religiösen Wurzeln aufeinander – und das funktioniert ganz gut, denn einerseits verbindet das gemeinsame Projekt und andererseits sind eben alle Franzosen und definieren sich auch so. Nur Antoine tanzt aus der Reihe. Der schweigsame Junge bleibt lieber allein, geht schwimmen und schaut Youtube-Videos, und er möchte zum Militär. Wenn er mal mit seinem Cousin und dessen Freunden unterwegs ist, tauchen sie ihr Gesicht als Camouflage in Dreck und schießen mit einem Pistole Blechdosen von Zäunen. Und stellen sich dabei vor, die Dosen wären Araber – oder andere Menschen, von denen sie nicht viel halten. Aber sie sind nicht böse. Sie sind einsam und verwirrt und überfordert. „L’Atelier“ zeigt die Welt von Antoine nicht grausam und hasserfüllt, im Gegenteil: In einer wunderbaren Szene nimmt Antoine seinen kleinen Neffen auf den Arm, der sich in eine Party der Jugendlichen eingeschlichen hat, und tanzt mit ihm durch den Raum. Antoine ist ein junger Mann, der mit seinen Emotionen nicht viel anfangen kann, der sie nicht einordnen und kanalisieren kann. Der Film erklärt, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu heben, wie die Lebenswelt der Menschen aussieht, die anfällig sind für die einfachen, marktschreierischen Lösungen der Populisten, jene Menschen, die sich nicht verstanden fühlen, denen man nicht zuhört, und die vielleicht auch überfordert sind, wenn man ihnen mal Gehör schenkt. So kann auch Antoine mit der Aufmerksamkeit der Schriftstellerin nicht viel anfangen, und seine Reaktion darauf ist unangemessen und hilflos gleichermaßen. Aber der Weg zur Erkenntnis ist oft beschwerlich, und hierzu sendet der Film ein positives Signal. Es sind die kleinen Schritte, die zählen. Es sind die Momente, wenn man begreift, dass es andere Lösungen gibt als die, die einem von den populistischen Schreihälsen in den Kopf gehämmert werden. Ein sehr sehenswerter und ausgewogener Film, der ein Problem und einen Ausweg daraus bezeichnet, ohne dabei parteiisch zu sein.


7,5
von 10 Kürbissen

Donkeyote (2017)

Regie: Chico Pereira
Original-Titel: Donkeyote
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Donkeyote


„Donkeyote“ ist in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher Film: Erzählt wird die Geschichte des pensionierten Manolo, der seine Zeit damit verbringt, mit seinen Hunden und seinem Esel Gorrión Wanderungen zu unternehmen. Nun hat er sich in den Kopf gesetzt, die Route der Cherokee-Indianer in den USA nachzugehen, die diese eingeschlagen haben, als sie vertrieben wurden. Das Problem dabei: Manolo lebt in Andalusien, Spanien, also nicht gerade ums Eck. Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass es sich hierbei um einen Dokumentarfilm handelt. Und auch bemerkenswert ist die Nähe des Filmers zu Manolo, er ist nämlich dessen Neffen, und zeichnet so das sehr intime Porträt eines Menschen, der seinen eigenen Weg geht. Dabei wird auch angedeutet, dass es in der Familie nicht immer harmonisch zugeht, dass der störrische Manolo da vielleicht auch die eine oder andere Brücke hinter sich abgerissen hat. Der Film lebt aber weniger von den Beziehungen der Menschen untereinander, sondern von der Beziehung zwischen Manolo und seinen Tieren. Er macht sich tatsächlich mit Gorrión und seinem Hund Zafrana auf den Weg nach Sevilla, um dort sich selbst und seine Tiere einzuschiffen. Das Problem bei der Geschichte: Er weiß weder, wie er die teure Überfahrt finanzieren soll, noch, was er alles an Behördenkram zu erledigen hat. Und während der Wanderung nach Sevilla kommen ihm, dem Unbeirrbaren, allmählich Zweifel.

„Donkeyote“ ist ein sehr stiller, bedächtiger Film, in dem nicht viel passiert. Chico Pereira zeigt seinen Onkel und die beiden Tiere auf der Wanderung – mal in der Sonne, mal im Regen. Sie campieren, sie gehen, sie machen flüchtige Bekanntschaften, sie gehen weiter. Währenddessen versucht Manolo, Englisch zu lernen. So gesehen ist der Film inhaltlich ein wenig dürftig, aber was ihn dann doch wieder heraushebt aus der Belanglosigkeit und zu einem Vergnügen macht, ist, dass sowohl Manolo selbst als auch seine tierischen Begleiter, vor allem Gorrión, echte Persönlichkeiten sind, denen man gerne zusieht. Ja, dieser Esel hat Charisma, und die liebevolle Beziehung zwischen den drei Wanderern zeigt ein blindes Verständnis füreinander, das gleichzeitig ein Plädoyer für einen freundlicheren und respektvolleren Umgang mit uns selbst, mit unserem Umfeld und auch mit der Natur und den Geschöpfen darin ist. Ein warmherziger Film über einen modernen Don Quijote und seinen vierbeinigen Sancho Pansa.


6,5
von 10 Kürbissen

Kopfstand (1981)

Regie: Ernst Josef Lauscher
Original-Titel: Kopfstand
Erscheinungsjahr: 1981
Genre: Drama
IMDB-Link: Kopfstand


Das erste, was an „Kopfstand“ auffällt, ist die unglaubliche Matte des blutjungen Christoph Waltz. Aber gut, wir alle waren mal jung – manche von uns sind es sogar noch, andere, so wie ich, immerhin nur noch mitteljung. Wenn man sich erst einmal an die wallende Löwenmähne gewöhnt hat und das markante Kinn darunter dem erfolgreichsten österreichischen Schauspieler seit Karlheinz Grasser korrekt zugeordnet hat, kann man sich auf die Geschichte konzentrieren – und die hat es in sich. Der junge Markus wird nämlich aufgrund eines familiären Auszuckers und eines Missverständnisses in die Psychiatrie eingewiesen, wo man den unkooperativen Rebellen mit Pulverchen und Elektroschocks bearbeitet. „Einer flog über das Kuckucksnest“ lässt grüßen. Und wie auch in dem Hollywood-Klassiker mit Jack Nicholson wird hier kein allzu erbauliches Bild gezeichnet. Drinnen findet man Verbündete, vielleicht sogar Freundschaften, das schon, aber der Weg nach draußen ist verbaut durch Bürokratie und seelenlose, selbstherrliche Ärzte. Aber gut – wenn man erst mal raus kommt, was dann? Sind nicht außerhalb der Zäune der psychiatrischen Anstalt die eigentlich Wahnsinnigen zu finden? Der gewaltbereite, ignorante Stiefvater zum Beispiel? Die völlig überforderte Mutter, die Markus die Misere eigentlich erst eingebrockt hat? Der Film gibt darauf eine überraschende Antwort voller Zärtlichkeit, und es sind die Momente von echter Zuneigung und Freundschaft, die bleiben. Wenn Markus am Ende als besserer Mensch aussteigt, dann ist das kein Verdienst der Anstalt und auch nicht seiner Außenwelt, seiner Familie und Freunde, sondern ganz allein seiner – der Wille, der Grausamkeit der Welt, die er soeben kennengelernt hat, ein wenig Freundlichkeit entgegenzusetzen. Christoph Waltz verkörpert diesen anfänglich rebellischen Jugendlichen, der durch Selbsterkenntnis eine Läuterung erfährt, sehr zurückhaltend und nuanciert. Er zeigt hier eine große Wandlungsfähigkeit und Verletzlichkeit (an alle gerichtet, die nicht glauben können, dass Waltz auch anders spielen kann als in seinen oscarprämierten Paraderollen in „Inglorious Basterds“ und „Django Unchained“). Zwar hat der Film seine Längen und er wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen, aber das Grundthema und die guten schauspielerischen Leistungen fesseln auch heute noch. Humanistisches Kino, nüchtern und ohne Sentimentalitäten erzählt, aber deshalb nicht weniger dringlich.


7,0
von 10 Kürbissen

Before We Vanish (2017)

Regie: Kiyoshi Kurosawa
Original-Titel: Sanpo Suru Shinryakusha
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Science Fiction
IMDB-Link: Sanpo Suru Shinryakusha


Die Story ist irgendwo angesiedelt zwischen „Die Körperfresser kommen“ und „The Arrival“, dem 90er-Jahre Sci-Fi-Film mit Charlie Sheen. Irgendwie benimmt sich Shinji seltsam, findet Ehefrau Narumi. Was sie nicht weiß: Shinji ist nicht mehr wirklich Shinji, denn ein Alien hat Besitz von seinem Körper und Geist genommen, und es gibt noch zwei weitere solche Vögel, die durch Japan streifen und sich gegenseitig suchen. Wenn sie sich gefunden haben, beginnt die große Invasion. In der Zwischenzeit studiert man halt sein Invasionsobjekt, und die Besucher tun dies, indem sie Menschen verschiedene Konzepte (wie zB das Konzept „Arbeit“) imaginieren lassen und dann deren Bilder aus dem Kopf holen, indem sie den Menschen auf die Stirn tippen. Ein blöder Nebeneffekt ist, dass dadurch das Konzept vollständig aus dem Kopf des jeweiligen Menschen verschwindet, diese also immer ahnungsloser werden, bis sie nur noch mit einem seligen Grinsen vor dem Fernseher sitzen. Auch irgendwie nicht so schlecht, möchte man meinen. Aber gut, so ein bisschen mehr Persönlichkeit wäre schon ganz gut, so kennen und mögen wir das ja, und was die Eindringlinge ebenfalls vorhaben (und auch gar nicht verschweigen): Bis auf ein paar „Muster“ ist für die Menschheit nach der Invasion kein Platz mehr. Soweit also die eigentlich sehr interessante Grundidee, die viel Spannung hergäbe. Konjunktiv. Weil: Das tut der Film nicht. Stattdessen ist „Before We Vanish“ ein langweiliges und langatmiges B-Movie, dessen Special Effects direkt aus der Schmiede solcher seltsamen TV-Kanäle wie SyFy kommen dürften, und in denen im Grunde die ganze Handlung von den Protagonisten behauptet wird, ohne dass sie tatsächlich auch mal stattfindet. Extrem viel verschenktes Potential. Eher ärgerlich.


4,5
von 10 Kürbissen

3/4 (2017)

Regie: Ilian Metev
Original-Titel: 3/4
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama
IMDB-Link: 3/4


Ich mache für Ilian Metevs Film „3/4“ mal eine Ausnahme – und zwar erzähle ich in meiner Review den ganzen Plot und nehme dafür massive Spoiler in Kauf. Ich weiß, ich weiß, das macht man nicht, aber nachdem ich nun eine Nacht darüber geschlafen habe, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass man dem Film nur auf diese Weise gerecht werden kann. Hier also der Plot von „3/4“: Ein Professor kocht Essen, seine Tochter spielt Klavier, sein Sohn läuft mit einem Schulfreund durch die Gegend, manchmal sitzen alle drei herum oder gehen spazieren, und es werden viele Türen gefilmt. Nicht mal unsympathisch, das Ganze, aber im online-Lexikon steht neben „pointless“ der IMDB-Link zu diesem Film. Dieses Meisterwerk muss ich mir definitiv auf DVD besorgen, denn es ist die ultimative Einschlafhilfe. Selbst in der Nachmittagsvorstellung fiel es schwer, die Augen offen zu halten, und trotz ökonomischer Laufzeit schaffte es der Film, den Saal allmählich leer zu spielen. Geblieben sind diejenigen, die es eben nicht geschafft haben, sich rechtzeitig von den Sitzen zu erheben und stattdessen selig eingeschlummert sind.


2,5
von 10 Kürbissen

Downsizing (2017)

Regie: Alexander Payne
Original-Titel: Downsizing
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Komödie, Science Fiction
IMDB-Link: Downsizing


Überbevölkerung ist ein Problem. Ein großes sogar. Das sieht auch Alexander Payne so und bietet in seinem neuesten Film „Downsizing“ eine ungewöhnliche Lösung dafür an: Schrumpfen. So lässt sich der amerikanische Durchschnittsbürger Paul Safranek (Matt Damon) auch schrumpfen – denn nicht nur der Körper der Mutigen, die diesen unumkehrbaren Schritt wagen, schrumpfen, sondern auch die Preise, und so eröffnet sich plötzlich auch für den Bürger mit mäßigem Einkommen die Möglichkeit eines Lebens in Luxus. Blöd nur, wenn sich dann die Dinge doch anders entwickeln als geplant. Aber vielleicht kann der exzentrische und etwas windige Nachbar Dusan (herrlich: Christoph Waltz als Lebemann und Partytiger) helfen. Und als Paul dann noch die Bekanntschaft mit der zwangsgeschrumpften vietnamesischen Aktivistin Ngoc Lan (Hong Chau) macht, zeigt sich allmählich, dass man mit Downsizing zwar einige Probleme verkleinern kann, aber ganz weg bekommt man sie halt auch nicht.

Die Filmidee ist nicht unbedingt neu. „Liebling, wir haben die Kinder geschrumpft“ ist einer meiner liebsten Kindheitsfilme – und die perspektivische Änderung und dieses Nebeneinander von Groß und Klein, auf dem der Humor der 80er-Jahre-Komödie aufbaut, sorgt auch in „Downsizing“ für gelungene Komik-Einlagen. Hier bekommt die Idee aber einen gesellschaftlich relevanten Anstrich, und auch wenn Paynes Film dann eine andere Richtung einschlägt als man es ursprünglich erwartet, nämlich ins Private, so bietet er dennoch an vielen Stellen und über das bloße Betrachten hinaus spannende Gedankenansätze, die man dann gerne weiterverfolgt. „Downsizing“ macht vielleicht nicht alles richtig, so verfolgt er vielleicht gleichzeitig auch zu viele Storylines für einen einzigen Film, aber er ist richtig gut gemachte, intelligente Unterhaltung, die trittsicher zwischen Situationskomik und Anspruch wandelt. Die Idee, wie gesagt, ist großartig und regt zum Weiterdenken an. Auch die Welt im Kleinen, die Alexander Payne zeigt, ist konsequent durchgedacht und irrsinnig gut aufgebaut. Ich wittere – neben der Nominierung für das beste Drehbuch und vielleicht auch bester Film, beste Regie, Christoph Waltz und Hong Chau – eine Oscar-Nominierung für das Bühnenbild. So ist der Film auch über eine Laufzeit von deutlich über zwei Stunden immer interessant und reiht sich nahtlos ein in die Liste toller Filme von Alexander Payne, bei dem man, wie sich auch hier zeigt, jederzeit bedenkenlos zugreifen kann.


 

7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)

Thousand Cuts (2017)

Regie: Eric Valette
Original-Titel: Le Serpent Aux Mille Coupures
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller
IMDB-Link: Le Serpent Aux Milles Coupures


Manche Menschen haben es echt nicht leicht im Leben. Wie beispielsweise der farbige Farmer Omar. Der lebt mit seiner Frau und seiner entzückenden Tochter in einem Dorf in Südfrankreich und könnte sich dort seines Lebens erfreuen, wären da nicht die fremdenfeindlichen Nachbarn, die ihm rassistische Botschaften an die Stalltür schreiben und das Vieh abschlachten, und wäre da nicht der Fremde, der eines Tages verletzt in ihr Haus kommt und die Familie als Geiseln nimmt. Ja, es gibt so Tage im Leben, da denkt man sich: Warum bin ich überhaupt aufgestanden. Aber noch blöder, wenn das noch nicht alles ist, sondern der grimmige und schlecht gelaunte Geiselnehmer auch noch finstere Gestalten der südamerikanischen Drogenmafia an seiner Ferse heften hat, am finstersten von allen der völlig irre Auftragskiller aus Asien, der seine Opfer am liebsten mit der Methode der „Tausend Schnitte“ foltert und tötet – sehr zum Missfallen des Magens seines (unfreiwilligen) Mitarbeiters, der sich einige Male im Laufe des Films entleert (und mancher Zuseher kann angesichts der drastischen Bildhaftigkeit einiger Folter- und Tötungsszenen da durchaus nachempfinden, wie’s dem Kerl geht). So richtig was los im Dorf ist aber erst, wenn auch noch die Farmer zu ihrer persönlichen Vendetta ausreiten. Dann hat man bald mal ein prächtiges Durcheinander. „Thousand Cuts“ ist ein durchaus spannender und plastischer Thriller, der sich nicht lange mit Vorgeplänkel aufhält, sondern gleich mal aufs Gas steigt. Nachteil der Sache: Über die Figuren und deren Hintergründe und Motivationen erfährt man als Zuseher fast nichts. „Handlungsgetrieben“ nennt man das im Fachjargon. Leider ist das auch die große Schwachstelle des Films, denn auch wenn er gut zu unterhalten weiß, bleibt er unterm Strich dann doch ein recht gewöhnlicher Thriller, dem auch noch die Nähe zu seinen Figuren fehlt. Eh ganz okay, aber das war’s dann auch schon.


5,5
von 10 Kürbissen

I Am Not Madame Bovary (2016)

Regie: Feng Xiaogang
Original-Titel: Wo Bu Shi Pan Jin Liang
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Komödie, Drama, Krimi, Satire
IMDB-Link: Wo Bu Shi Pan Jin Liang


Li hat ein Problem: Sie ist rechtskräftig geschieden und möchte nun vor Gericht erwirken, dass die Scheidung aufgehoben wird, da sie und ihr Mann diese Scheidung nur vorgetäuscht haben, um an ein Apartment zu kommen, wovon der Mann nun nichts wissen will, da er mit seiner neuen Frau eigentlich ganz zufrieden lebt, während Li nun durch die Finger schaut. A blede G’schicht halt. Da der Weg durch die Instanzen zunächst nicht fruchtet, sucht sie nach anderen Lösungen für ihr Problem und vergisst dabei nicht auf jene Bürokraten, die ihr Steine in den Weg gelegt haben. Da jedoch aus ihren unorthodoxen Ansätzen auch nichts wird, beginnt sie damit, die Bürokratie mit deren eigenen Waffen zu schlagen und schafft es aus der Provinz bis nach Peking, wo sie nicht nur eine zehn Jahre währende Klage einbringt, sondern gleich die gesamte kommunistische Partei bloßstellt. Allmählich wird also Li zu einem grandiosen Ärgernis für die Bonzen, und mehr als ein mit der störrischen Frau überforderter Bezirksvorsteher hat wegen ihr und der Klage schon seinen Hut nehmen müssen. Während sich anfangs Li noch wie in Kafkas „Prozess“ fühlt, sehen sich die Bürokraten und Richter selbst bald in einem kafkaesken Albtraum gefangen. Das alles ist höchst vergnüglich und wahnsinnig bissig gegenüber der chinesischen Regierung. Allmählich empfindet man wirklich viel Mitleid für die geplagten Regierungsvertreter, im Grunde rechtschaffene Menschen, die einfach nur versuchen, ihren Job zu machen und diesen auch zu behalten, nicht ohne Mitgefühl für Lis Situation, aber aufgrund fehlender Möglichkeiten, die Lage unter Kontrolle zu bringen, schlicht heillos überfordert sind. Und dann kommen wieder Szenen, die das im Film angeprangerte Machtgefälle überdeutlich zeigen – auch jenes des Mannes gegenüber der Frau. Denn interessant ist, dass es nicht nur ein Kampf gegen die Unterdrückung der gewöhnlichen Bevölkerungsschichten durch die herrschende Klasse ist, den Li ausficht, sondern auch jener einer Frau gegen die Männerwelt, die die Frauen zu beherrschen und zu dominieren versucht. So gesehen ein kluger und wichtiger Film, der auch optisch mutige Ansätze wählt: Während die Szenen in der Provinz auf runden Tableaus präsentiert werden, sind die Szenen in Peking in quadratische Bilder eingefasst. Auch das unterstreicht noch einmal die Abgrenzung des Zentrums der Macht von der Bevölkerung am Land, von der sich die Herrschenden zu weit entfernt haben. Allerdings hat „I Am Not Madame Bovary“ bei einer Laufzeit von über zwei Stunden auch teils arge Längen. Nicht alle Szenen sind gleichermaßen geglückt, und manchmal wirkt der Film auch etwas unausgegoren, als wüsste er nicht so recht, ob er nun lieber eine Komödie oder eine Tragödie sein möchte. Für eine Komödie ist er eigentlich zu tragisch, für eine Tragödie zu komisch und zu absurd.


7,0
von 10 Kürbissen