Drama

The Old Oak (2023)

Regie: Ken Loach
Original-Titel: The Old Oak
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama
IMDB-Link: The Old Oak


2016. Syrische Flüchtlinge kommen in einem Dorf nahe der ehemaligen nordenglischen Industriestadt Durham an. Dieses hat auch schon weitaus bessere Zeiten gesehen. Die trostlosen Reihenhäuser werden für 8.000 Pfund verscherbelt, was die lokale Bevölkerung, die diese Ziegelblöcke einst um 50.000 Pfund gekauft haben, verärgert. Bis in die 80er Jahre hinein war Durham und seine Umgebung belebt – die örtliche Kohlemine sorgte für Arbeit. Doch diese Zeit ist längst vorbei. Die letzten vier Stammgäste sitzen im Pub „The Old Oak“ und kommentieren die Ankunft der Fremden mit Misstrauen und Vorurteilen. Das Leid der Flüchtlinge trifft auf die Tristesse der Zurückgelassenen. Ken Loachs neuester Film könnte eine Blaupause für tragisches Kino sein, das den Zuseher in eine tiefe Depression rutschen lässt. Doch Ken Loach, dieser große Humanist unserer Zeit, verfolgt einen komplett anderen Ansatz. Mit dem Pubbesitzer TJ Ballantyne schafft er eine mitfühlende Figur, die beiden Welten zusammenführt. Dieser von Dave Turner mit viel Zärtlichkeit gespielte Figur ist ein stoischer Bär, der selbst mehr als genug Leid in seinem Leben erfahren hat und sich kaum über Wasser halten kann. Dennoch ist seine Essenz das Mitgefühl, die Mitmenschlichkeit. Er hat keinen Helferkomplex, doch einen offenen Blick und man spürt sein ehrliches Bemühen, ein anständiger Mensch zu sein. Als durch einen Übergriff bei Ankunft der Syrer die Fotokamera von Yara (Ebla Mari) beschädigt wird, hilft er der jungen Frau ohne Hintergedanken. Schon bald entwickelt sich eine lose Freundschaft zwischen den beiden. Schließlich trägt Yara zusammen mit einer befreundeten Sozialarbeiterin die Idee an TJ heran, Syrer wie Engländer an einen Tisch zu setzen und kostenlose Mahlzeiten für alle anzubieten. Die ganz große Stärke in Ken Loachs Film ist, dass er nicht nur ausschließlich das Schicksal der Geflüchteten im Auge behält, sondern dieses zusammenführt mit der prekären Situation der Dorfbewohner. Auf diese Weise zeigt er auf: Ein Mensch ist ein Mensch. Unabhängig von Herkunft, Rasse, Religion, Geschlecht sind wir alle den Widrigkeiten und Zufällen des Lebens ausgesetzt, die uns mal mehr, mal weniger treffen. Hinter jeder Tür verbirgt sich eine Geschichte, die es wert ist, dass man sie anhört. Ein schöner, stimmiger und in seiner Kernaussage auch unglaublich positiver Film, den es gerade in Zeiten wie heute wohl mehr denn je braucht.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Lakeside Camping (2023)

Regie: Éléonore Santaignan
Original-Titel: Camping du lac
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama
IMDB-Link: Camping du lac


Camping klingt in der Theorie ja wunderbar: Man entspannt in der freien Natur, vorzugsweise an den Ufern eines hübsch gelegenen Sees, man ist eins mit der Umgebung, nichts stresst und am Abend gibt’s Marshmallows am Lagerfeuer und irgendeiner holt die Gitarre heraus und singt Kumbaya. So friedlich, so idyllisch. In der Praxis läuft es aber eher darauf hinaus, dass die Hygiene leidet, es sowieso immer regnet und in der Nacht fressen einen die Mücken. Und fad ist es auch. Jedenfalls das Hygieneproblem hat Éléonore Santaignan, die in ihrem Debütfilm „Camping du lac“ gleich auch die Hauptrolle übernimmt, nicht, denn die aufgrund einer Autopanne am Campingplatz Gestrandete kriegt dort eine komfortable Hütte zugewiesen. Außer ihr sind nicht viele andere Menschen an diesem entlegenen See, von dem es heißt, dass der beste Buddy des Heiligen Corentin, ein Fisch, immer noch seine Kreise durch das Wasser zieht, ohne dass man ihn jemals zu Gesicht bekommen hätte. Quasi die Nessy der Bretagne. Die Dauercamper (allesamt Laiendarsteller:innen), zu denen auch bald Éléonore gehört (wohl die längste Autoreparatur der Filmgeschichte), züchten und schlachten Hühner, singen Countrysongs und fadisieren sich gemeinsam durch den Tag. Auch Éléonore entdeckt bald einen Zeitvertreib für sich: Mittels Richtmikrofon lauscht sie dem Gesang von Vögeln und nebenbei auch den banalen Gesprächen der Nachbarn. Nichts passiert, bis eines Tages dann doch eine Sichtung des mythologischen Fisches vermeldet wird und die Touristenhorden einfallen. In der wohl stärksten Sequenz des Films singt der alte, ausgewanderte Amerikaner einen Song mit seiner Tochter, von der er sich entfremdet hat und die in den USA zurückgeblieben ist, doch mit anderen Touristen angeschwemmt wird. Diese Szene ist emotional stark und geht unter die Haut, schafft es Santaignan doch mit nur einem Lied, ein Fundament für eine fragile Beziehung zu schaffen. Darüber hinaus gelingt es aber Santaignan leider nicht, das Interesse des Publikums zu gewinnen und zu halten. Es passiert einfach nichts, die Hauptfigur ist im Grunde nur eine Erzählerin aus dem Off ohne eigene Persönlichkeit, und auch die anderen Figuren bekommen, mit Ausnahme des Amerikaners, nicht genügend Raum, um interessant zu werden. Wie schon gesagt: Camping ist fad.


4,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Europa (2023)

Regie: Sudabeh Mortezai
Original-Titel: Europa
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Europa


Die fiktive Organisation EUROPA verteilt in Albanien großzügig Stipendien an Studierende aus sozial schwächeren Schichten und bietet Dorfbewohnern in entlegenen Gegenden viel Geld für ihr Grundstück, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Willkommen in Sudabeh Mortezais Europa, das die europäische Gemeinschaft heraufbeschwört und unter diesem Mäntelchen neoliberale, kapitalistische Interessen verbirgt. Verkörpert wird dieses doppelte Spiel von der deutschen Managerin Beate Winter (Lilith Stangenberg), die den albanischen Dorfbewohnern ihr Land abknöpfen soll. Sie versucht dies mit viel Zureden, mit freundlich-aufgesetzter Mimik, mit dem einen oder anderen Schluck Raki, den sie aus gutem Willen mit ihren Gesprächspartnern trinkt, doch stoßen hier zwei Welten aufeinander: Eine sehr traditionelle, auf religiösen und familiären Werten fußende, die nur die eigenen Nöte des Überlebens kennt, und die großkapitalistische, in der man meint, mit Geld oder Gewalt oder beidem alles erreichen zu können. Das Machtgefälle ist groß, und doch entspinnt sich zunächst ein zähes Ringen um Land und Boden. „Europa“ ist Kapitalismuskritik und ein zutiefst politischer Film, der sein Anliegen aber im Kleinen verarbeitet und sichtbar macht. Hier wird ein Stellvertreterkrieg geführt. Mortezais Arbeitsweise ist eine gesonderte Erwähnung wert: Auf die renommierte Darstellerin Stangenberg trafen fast ausschließlich Laiendarsteller:innen aus der Region, die nicht einmal das Drehbuch zu lesen bekamen, sondern in den Szenen improvisierten. Diese Kluft aus der Arbeitsweise heraus überträgt sich auf die Figuren, wobei es Stangenberg gelingt, ihrer starren Figur, die so sichtbar eine Rolle spielt, in der sie sich auch immer wieder mal unwohl fühlt, eine Brüchigkeit zu verleihen, die das Spiel mit den Rollen umso deutlicher hervortreten lässt. In diesem Sinne betrachtet „Europa“ auch die Zwänge, die in führenden Positionen großer Unternehmen oder Organisationen existieren. Ein spröder, aber ungemein genau beobachteter und stringent erzählter Film.


6,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Club Zero (2023)

Regie: Jessica Hausner
Original-Titel: Club Zero
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Satire
IMDB-Link: Club Zero


So, der Kürbis eures Vertrauens haut jetzt mal ein Statement heraus, an dem ihr euch reiben könnt: Die Fachkritik in Cannes kennt sich nicht aus. Die mochte nämlich Jessica Hausners neusten Film „Club Zero“, der immerhin in den offiziellen Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes eingeladen wurde, so überhaupt nicht. Ich sage ja nicht, dass der Film den Wettbewerb hätte gewinnen sollen, aber die miesen Kritiken scheinen, so deucht es mir nach einigem Überlegen, einen wesentlichen Aspekt des Films zu missverstehen. Es geht darin nämlich gar nicht um einen Diskurs über Essstörungen von Jugendlichen, es geht nicht um eine realistische Bearbeitung dieses schwierigen Themas, sondern „Club Zero“ ist vielmehr eine bitterböse, schwarzhumorige Satire über Manipulation, Gruppenzwang, Leichtgläubigkeit und Obrigkeitshörigkeit, wobei die Obrigkeit nicht unbedingt im Gewand einer staatlichen Autorität gekleidet sein muss, sondern viele Erscheinungsbilder haben kann – es können auch Werte, die man mal wo aufgeschnappt hat, sein. Und wenn man das alles weiterdenkt, landet man bei dem Wort „Zeitgeist“, den Hausner mit ihrem Film kritisch und grimmig betrachtet. Sie nutzt die Geschichte einer etwas esoterisch angehauchten Lehrerin für Ernährung (Mia Wasikowska) an einer Elite-Schule, die den Schülerinnen und Schülern achtsames Essen beibringen möchte und das in immer extremere Gefilde führt, für einen formalistisch streng durchkomponierten Meta-Film über Dogmatismus und dessen Auswüchse. In diesem Film bleibt einem nicht nur das Essen, sondern auch das Lachen im Hals stecken. Und apropos Essen: Wer einen schwachen Magen hat, sollte vielleicht mit Vorsicht an „Club Zero“ herangehen und sich mit einem dieser unauffälligen Papiertütchen, die immer noch in Flugzeugen verteilt werden, für den Kinobesuch ausstatten. Zum Schutz der Kapuze des Vordermanns warat’s.


7,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Three Sad Tigers (1968)

Regie: Raúl Ruiz
Original-Titel: Tres tristes tigres
Erscheinungsjahr: 1968
Genre: Drama
IMDB-Link: Tres tristes tigres


Die diesjährige Retrospektive der Viennale ist dem chilenischen Filmemacher Raúl Ruiz gewidmet. Und da ich bislang noch keinen einzigen Film aus seinem doch recht umfangreichen Schaffen gesehen habe, steht nun auch Ruiz in meinem persönlichen Festivalprogramm. Sein Debütfilm, „Tres tristes tigres“, konnte 1969 gleich mal den Goldenen Löwen in Locarno gewinnen. Der Titel bezieht sich auf einen spanischsprachigen Zungenbrecher, und so unaussprechlich wie dieser ist es für mich auch unmöglich, eine kohärente Inhaltsangabe zu geben. Ein Typ namens Tito arbeitet für einen Rodolfo, den alle Rudi nennen, und zieht mit seiner Schwester Amanda und einem Don Lucho um die Häuser, ehe er Amanda, eine Nachtclubtänzerin, an Rudi verscherbeln will, weil der unzufrieden mit seiner Arbeit ist. Dass Rudi eigentlich Autos verkauft, habe ich erst nach dem Film kapiert, ich hielt ihn für einen Unterwelt-Boss, doch vielleicht war er das ja auch. Alles denkbar in diesem Film, in dem Leute einfach nur in Bars sitzen und über alles Mögliche reden, nur nicht über das, was eventuell Licht auf die Handlung werfen könnte. Dass „Tres tristes tigres“ trotz dieses inhaltlichen Unverständnisses meinerseits nicht zum Totalausfall gerät, liegt am dann doch faszinierenden Blick, den Ruiz auf die Schattenwelt von Santiago Ende der 60er Jahre und die mit Machogehabe ihre eigenen Unsicherheiten überdeckenden Männer wirft. Man versteht seine Figuren nicht, man findet sie wohl nicht einmal sympathisch, und doch folgt man ihnen neugierig, wenn sie durch die Nacht wandeln und sich hemmungslos betrinken. Ein Film wie ein Fiebertraum – unverständlich (jedenfalls für mich aus heutiger Sicht), mit harten Schnitten, die die Handlung springen lässt und Figuren, die man immer wieder mal durcheinanderbringt, und doch kehrt man, nachdem das Licht wieder an ist, immer wieder dorthin zurück, wenn auch nur in der (vergeblichen) Hoffnung, doch mehr als zwei Puzzleteile zu finden, die zueinander passen.


5,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Roter Himmel (2023)

Regie: Christian Petzold
Original-Titel: Roter Himmel
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Roter Himmel


Das zweite Werk nach einem erfolgreichen Debüt ist immer der künstlerische Endgegner. Das weiß auch der Schriftsteller Leon (Thomas Schubert), der mit seinem Kumpel Felix (Langston Uibel) in das abgelegene Ferienhaus von Felix‘ Mutter an die Ostsee fährt, um dort den stockenden Roman „Club Sandwich“ fertigzuschreiben. Während Felix das Meer und das Dolcefarniente genießt, zieht sich Leon in eine griesgrämige Altherren-Attitüde zurück. Spaß wird vermehrt mit den Worten „Die Arbeit lässt es nicht zu!“ Zugegeben, dass Thomas Schubert Wiener ist, hat ihm sicherlich bei der Charakterentwicklung von Leon geholfen – wir Wiener sind halt die Meister im Granteln. Und so grantelt sich Leon eben durch den Sommer, der gestört wird von Felix‘ Lebenslust, dem ungebetenen Gast Nadja (Paula Beer) und ihrem „Stecher“ Devid (Enno Trebs). Am Horizont aber braut sich ein Feuer zusammen. Waldbrände bringen die Sommeridylle ins Wanken, und rote Schicksalswolken hängen über Leons Haupt. Christian Petzold ist ein Lyriker unter den Filmemachern. „Roter Himmel“ ist inhaltlich schwer zu beschreiben. Es ist vielmehr ein sinnlicher Film, der seine poetische Kraft aus den Zwischenräumen, den Auslassungen schöpft. Die Charaktere umtanzen sich, sie werden selten explizit, und wenn das Ungesagte plötzlich einmal laut ausgesprochen wird, klingt es hart und fast deplatziert – ein Einbruch der Realität in eine Traumwelt. Thomas Schubert und Paula Beer, die schon in Das finstere Tal eine enge Beziehung zueinander hatten, spielen, so ehrlich muss man sein, ihre Kollegen an die Wand. Thomas Schubert entwickelt sich zu einer präsenten Leinwandgewalt a la Josef Bierbichler, der Typus von Schauspieler, der nicht viel sagen muss, sondern alles mit dem Heben seiner Augenbrauen auszudrücken vermag und so herrlich stoisch bleibt wie ein Felsen, an dem alle anderen Figuren zerschellen müssen. Allerdings hat er die undankbarere der beiden Hauptfiguren abbekommen, denn sein Leon ist zum Einen kein Sympathieträger und zum Anderen in seiner Griesgrämigkeit und Entrückung auch recht eindimensional im Vergleich zu Paula Beers geheimnisvoller Nadja, die gleichzeitig die Geschichte erden muss. Nicht alles an „Roter Himmel“ ist geglückt, doch sollte man diesen Film wohl nicht allzu analytisch zerpflücken, sondern am besten einfach auf sich wirken lassen.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Monster (2023)

Regie: Hirokazu Koreeda
Original-Titel: Kaibutsu
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama
IMDB-Link: Kaibutsu


Hirokazu Koreeda ist ein scharfer Beobachter komplexer Beziehungsgeflechte. Das hat er in Shoplifters – Familienbande eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das gilt auch für seinen letztjährigen Film Broker und sein neuestes Werk „Monster“. Eine Qualität, die sich durchwegs in all seinen Arbeiten zeigt, ist das Fehlen einer Wertung. Koreeda ergreift nicht Partei, sondern zeigt Mitgefühl für all seine Figuren. Er erzählt und vertraut darauf, dass wir die Charaktere so nehmen, wie sie sind, mit all ihren Fehlern, Schwächen, aber auch ihrer Mitmenschlichkeit. Koreedas Figuren sind oft Menschen, denen es zunächst schwer fällt, sich zu öffnen und Gefühle zuzulassen, und doch suchen sie nach Zugehörigkeit, nach Freundschaft, nach Liebe. In „Monster“ folgt Koreeda zunächst der jungen Witwe Saori (Sakura Ando), deren verschlossener Sohn Minato immer wieder Verhaltensauffälligkeiten zeigt und schließlich angibt, von seinem Lehrer Mr. Hori (Eita Nagayama) gemobbt zu werden. Saori bringt den Vorfall vor die Schuldirektorin, doch stößt sie auf eine Mauer aus Unverständnis und Schweigen. Die Situation droht zu eskalieren. In dem Moment, als man das Gefühl hat, allmählich die ersten Hintergründe der Geschichte aufzudecken, wechselt Koreeda die Perspektive und erzählt die Geschichte neu, diesmal aus der Perspektive des Lehrers. Und siehe da: Die Dinge liegen in Koreedas Welt nie einfach, bestehen nie ausschließlich aus Schwarz und Weiß. Ein dritter Erzählstrang schließlich fügt das Puzzle zusammen und führt zu einem tiefen Verständnis für die Figuren. Das ist große Kunst, daran gibt es keinen Zweifel. Allerdings benötigt man viel Geduld für diesen schönen Film – diese mehrfache Wiederholung des gleichen Zeitstrangs kann ermüdend wirken. Für mich bleibt „Monster“ daher ein klein wenig hinter „Shoplifters“ und „Broker“ zurück, auch wenn der Film ein weiterer Beweis ist, welch sensibles Gespür dieser Ausnahmeregisseur für die Komplexität des zwischenmenschlichen Zusammenlebens hat.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Good Will Hunting – Der gute Will Hunting (1997)

Regie: Gus Van Sant
Original-Titel: Good Will Hunting
Erscheinungsjahr: 1997
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Good Will Hunting


Zwei Anfang 20jährige Schauspielschüler setzen sich gemeinsam hin und schreiben das Drehbuch für ihren ersten Film, der Jahre später von Gus Van Sant kongenial umgesetzt wird. Diese Ausgangslage muss man sich vor Augen halten, wenn man den Monolog von Robin Williams als Psychiater Sean Maguire anhört – vielleicht eine der besten Szenen der Filmgeschichte überhaupt (und hier anstelle des sonst üblichen Trailers verlinkt). Man kann es nicht anders sagen: Ben Affleck und Matt Damon haben mit „Good Will Hunting“ Geniales (und auch Oscar-prämiertes) geleistet. Ihre Geschichte über einen vorbestraften Dockarbeiter ohne akademischer Ausbildung, der als mathematisches Wunderkind sogar Fields-Medaillen-Träger (Stellan Skarsgård) in die Tasche steckt, aber an normalen Beziehungen scheitert, entfaltet nicht zuletzt dank des außergewöhnlichen Schauspiels (Oscar für Robin Williams, Oscarnominierungen für Matt Damon und Minnie Driver) eine unglaubliche Wucht, der man sich nicht entziehen kann. „Good Will Hunting“ ist eine emotionale Achterbahnfahrt, eine Außenseitergeschichte, die, wie manche Kritiken attestieren, gelegentlich zu dick aufzutragen scheint, aber für mich dennoch immer den richtigen Ton trifft. Es ist ein Film mit Tiefgang, der aber dennoch fast leichtfüßig wirkt, was er der Authentizität seiner Figuren verdankt. Die Gang rund um Will, der empathische Psychiater, der seine eigenen Dämonen mit sich schleppt, der ehrgeizige Mathematikprofessor, der erkennt, dass eine andere Sonne heller leuchtet als er selbst und sich nun ihrem Glanz baden möchte, der Love Interest mit Charakter, der nicht nur hübsch sein darf, sondern auch humorvoll – es ist schon erstaunlich, dass es Damon und Affleck in so jungen Jahren gelungen ist, ein derart breit aufgestelltes, vielschichtiges Personal für ihre Geschichte aufzubauen. „Good Will Hunting“ ist ein Klassiker und gehört in meinen Augen auf die Liste der besten Filme in einem an grandiosen Filmen wahrlich nicht armen Jahrzehnt.


9,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 1997 Miramax Pictures- all rights reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Deep Impact (1998)

Regie: Mimi Leder
Original-Titel: Deep Impact
Erscheinungsjahr: 1998
Genre: Science Fiction, Drama
IMDB-Link: Deep Impact


Das Jahr 1998 brachte einen Wettlauf zweier zivilisationskillender Asteroiden: Während es die Menschheit in „Armageddon – Das jüngste Gericht“ für eine gute Ideen hielt, einen Haufen Machos von einer Ölbohrinsel ins All zu schicken, überließ man diese Aufgabe in „Deep Impact“ wenigstens den Profis, übte sich aber dennoch in Fatalismus und bereitete Plan B vor: Reich & Schön ziehen sich in gemütliche Bunker zurück, während der Pöbel einen Kreidezeit-Dinosaurier-Move hinlegt. Nicht jede Nebenfigur schafft es auch tatsächlich bis zum Ende des routiniert von Mimi Leder inszenierten Katastrophenfilms. Doch Personal gibt es immerhin reichlich: Morgan Freeman als US-Präsident, Téa Leoni als neugierige Journalistin, die mehr erfährt, als sie eigentlich erfahren möchte, Elijah Wood, der wieder einmal auf Hügeln herumkraxelt, Robert Duvall als alter Astronauten-Haudegen, auch wenn Bruce Willis die Feinripp-Leiberl besser getragen hat, und dazu noch viele weitere bekannte Gesichter wie Vanessa Redgrave, Maximilian Schell, Leelee Sobieski, Jon Favreau oder James Cromwell. So ist die Geschichte auch recht zersprargelt und hüpft von Schauplatz zu Schauplatz, von Figur zu Figur, und da müssen natürlich noch persönliche Dramen mit hinein wie etwa eine zerrüttete Vater-Tochter-Geschichte oder die junge, zerrissene Familie. All das zusammen ist aus heutiger Sicht vielleicht etwas too much, atmet aber in jeder Einstellung das 90er-Jahre-Genrekino. Heute würde man einen solchen Film vielleicht etwas subtiler gestalten, doch legt „Deep Impact“ immerhin den richtigen Fokus, wenn es sich auf die Auswirkungen einer solchen unausweichlich scheinenden Katastrophe auf die Menschheit am Beispiel einiger Einzelschicksale konzentriert. An den Kinokassen gewann „Armageddon“ das Rennen klar, qualitativ sehe ich hier aber leichte Vorteile für „Deep Impact“, das vielleicht nicht so skurril-unterhaltsam wie „Armageddon“ ist, das Thema des Weltenkillers aber immerhin ein bisschen seriöser angeht.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 1998 Paramount Pictures, Quelle http://www.imdb.com)

DogMan (2023)

Regie: Luc Besson
Original-Titel: DogMan
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Thriller, Drama
IMDB-Link: DogMan


Homo homini lupus. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Diesen Satz würde der Außenseiter Doug Munrow (Caleb Landry Jones) wohl unterschreiben. Wobei: Vielleicht hätte er auch Einwände. Denn mit den Nachkommen der Wölfe, den Hunden, kommt er bestens klar, sie sind seine Familie, nachdem sein soziopathischer und sadistischer Vater ihn in einen Hundezwinger geworfen und die Lähmung seiner Beine verschuldet hat. Mit Menschen jedenfalls kann Doug verständlicherweise später nicht mehr viel anfangen. Er lebt mit seinen Hunden in einem verwahrlosten Fabrikgebäude und verdient sein Geld als Mitglied einer Drag-Show. Viel mehr Außenseiter geht nicht. Eines Tages wird er mit seinen Hunden in einem Kleinlaster von der Polizei aufgegriffen. Er erzählt der Psychiaterin Evelyn (Marisa Berenson) seine tragische Geschichte. Mit „DogMan“ setzt sich Luc Besson in ein sehr unbequemes Feld und beackert dieses mit drastischen Mitteln. Subtilität kann man dem Film nicht vorwerfen, aber das passt schon so. Dougs Geschichte und die Entwicklung, die sie nimmt, verträgt den Holzhammer, sie bietet Caleb Landry Jones zudem die Möglichkeit, eine absolute Glanzleistung hinzulegen. Sein Doug ist eine ambivalente Figur, die Mitleid hervorruft und dabei gleichzeitig eine kühle Härte zeigt, wie ein verletzter Hund, der die Nackenhaare aufstellt und seine Zähne fletscht. Mehr Drama als Thriller ist Besson stets nah an seiner Figur dran und lotet dessen Sehnsüchte und Ängste aus. In dieser Hinsicht ist „DogMan“ vergleichbar mit Joker, ohne aber dessen Brillanz ganz zu erreichen. Dennoch zeigt Besson nach einigen schwächeren Filmen mit seinem neuesten Werk, dass er sich nicht vor Risiken scheut und immer noch imstande ist, eine Geschichte zu erzählen, die im Gedächtnis bleibt.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © EuroCopa, Quelle http://www.imdb.com)