Dokumentation

Carmine Street Guitars (2018)

Regie: Ron Mann
Original-Titel: Carmine Street Guitars
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation, Musikfilm
IMDB-Link: Carmine Street Guitars


Rick Kelly und seine Mitarbeiterin Cindy bauen Gitarren. Das tun sie in einem kleinen, vollgestopften Lokal mitten im Village in New York. Und weil sie gut sind in dem, was sie tun, und originellerweise diese Gitarren aus dem Holz von abgerissenen, alten New Yorker Häusern fertigen (eine Idee, die auf Jim Jarmusch zurückgeht, der im Film auch einen kleinen Auftritt hat), geben sich bei Carmine Street Guitars die Musikvirtuosen die Klinke in die Hand. Wenn sie im Laden sind, quatschen sie ein bisschen mit Rick über alte Zeiten und über die Gitarren, sie schauen Cindy dabei zu, wie sie unglaublich detailreiche und lebensnahe Motive in das Holz brennt, lauschen der alten Mutter von Rick, die immer noch jeden Tag in den Shop kommt, um am Telefon auszuhelfen („It’s good to be here. At my age it’s good to be anywhere“, kommentiert sie staubtrocken), und probieren vor allen Dingen Ricks neueste Gitarren aus. Sie zupfen, sie jammen, sie interpretieren – das Publikum besteht dabei nur aus Rick Kelly selbst und der Kamera von Ron Mann. Und dadurch aus dem ganzen Kinosaal, der einfach nur fröhlich mit den Füßen wippt und sich diese tiefenentspannte Doku ansieht über einen wortkargen Handwerksmeister, der lieber seine Werke als Worte sprechen lässt. Sowohl der Shop Carmine Street Guitars als auch der Film, der darüber entstanden ist, sind fast schon als Anachronismus in unserer schnelllebigen Zeit zu betrachten. Es geht hier um nichts Anderes als den Klang von Gitarren. Und das Bewahren von einem Stück New York, wie es früher war, und wie es in Rick Kellys Gitarren weiterlebt. Ist der Film bedeutend, gibt er eine Message mit, über die man lange nachdenken kann? Nein, das nicht. Aber er würdigt auf eine unspektakuläre (und vielleicht manchmal etwas repetitive Weise) etwas Wahres und Echtes. Und das reicht jedenfalls aus, um ihn in guter Erinnerung zu behalten.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Young Solitude (2018)

Regie: Claire Simon
Original-Titel: Premières Solitudes
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Premières Solitudes


Das Lycée Romain Rolland ist ein Gymnasium in einer kleinen Stadt außerhalb von Paris. Dorthin hat sich die Filmemacherin Claire Simon begeben, um im Rahmen eines Schulprojekts einen Kurzfilm mit den Schülern zu drehen. Während dieser Arbeit stellte sie allerdings fest, dass sie die persönlichen Geschichten der Schülerinnen und Schüler mehr interessierten als das Filmprojekt selbst. Und so ließ sie ihre Schützlinge in Zweier- und Dreiergruppen über ihre familiären Hintergründe reden. Sie mischte sich nicht ein, sondern ließ lediglich die Kamera laufen – und die Gesprächsführung übernahmen die Gefilmten selbst. Was Claire Simon auf diese Weise sichtbar werden lässt: Die fragilen Familienbeziehungen, die oft in grenzenlose Einsamkeit münden. Altklug, aber dennoch sehr authentisch und persönlich kommentieren die Jugendlichen diese seelischen Verwundungen. Sie spenden einander Trost, sie respektieren einander. All das ist wirklich schön anzusehen und gibt auch Hoffnung in all der Tristesse, die in den Gesprächen zutage gefördert wird. Man spürt: Hier wachsen Menschen heran, die nicht gänzlich heil aus ihrer Jugend herauskommen, aber die ihren Weg gehen werden. Gleichzeitig wirkt aber auch einiges an den Gesprächen durch das spezielle Setting durchaus artifiziell. Es entsteht der Eindruck, dass es kein anderes Thema gibt als jenes der familiären Probleme. Die Jugendlichen selbst setzen dieser Schwere einen guten Kontrapunkt, wenn sie im Anschluss an das tiefsinnige Gespräch lachend die Treppen hinunterhüpfen, und so die Schwere abschütteln. Das tut dem Film gut. Allerdings fragt man sich am Ende dann schon auch, warum das Ganze. Ja, es wird klar, dass es in nahezu jeder Familie Probleme gibt, dass Scheidungen, den Nachwuchs ignorierende Eltern, Lieblosigkeit und materielle Probleme die Kinder belasten. Aber das ist nicht unbedingt etwas bahnbrechend Neues. Und nichts, was den Anspruch einer Ausschließlichkeit erheben kann. Denn Jugendliche haben darüber hinaus auch andere Themen, die sie beschäftigen und/oder belasten. Darauf wird aber überhaupt nicht eingegangen.

 


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=uawohDlwHg8

Ute Bock Superstar (2018)

Regie: Houchang Allahyari
Original-Titel: Ute Bock Superstar
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Ute Bock Superstar


Ute Bock war wohl eine der wichtigsten Österreicherinnen der letzten fünfzig Jahre. Ihre Arbeit verlief still und unspektakulär, zeigte aber große Wirkung. Sie wurde von rechten Idioten angefeindet – Youtube-Videos von Interviews kann man sich aufgrund der grässlichen Kommentare darunter kaum ansehen. Selbst nach ihrem Tod wird noch nachgetreten. Auch das zeigt aber, wie wichtig sie für unser Land war. Für alle, die von Ute Bock noch nicht gehört haben: Sie war eine Menschenhelferin, die in den späten Jahren sehr stark auf die Flüchtlingshilfe reduziert wurde. Aber eigentlich war es ihr egal, woher die Menschen gekommen sind und welchen Hintergrund sie hatten. Wenn einer in Not zu ihr kam, half sie. Ganz einfach. Mit ihrem Verein organisierte sie Schlafplätze für obdachlose Familien, sie half bei Behördenwegen, brachte Menschen, die auf die schiefe Bahn geraten waren, wieder zurück auf den richtigen Weg – und das alles mit einem liebevollen Grant und immer einem schlagfertigen Spruch auf den Lippen. Ute Bock war eine typische Wienerin – und in ihrem Handeln gleichzeitig einzigartig und untypisch. Denn sie sah nicht weg. Sie verstand die Menschen, ihre Nöte, ihre Ängste, und sie beschloss, nicht tatenlos zuzusehen, wenn Ungerechtigkeit an Menschen begangen wurden. Houchang Allahyari, der Ex-Schwager von Ute Bock, setzte ihr mit diesem insgesamt dritten Film, der um ihr Leben und Wirken kreist, einen filmischen Nachruf. In Interviews mit Familienangehörigen, Mitarbeitern und Menschen, denen die im Jänner 2018 Verstorbene geholfen hat, sowie mit Archivaufnahmen und Aufnahmen aus früheren Filmen zeichnet er ein Porträt dieser grandiosen Frau, das natürlich sehr subjektiv gefärbt ist. Aber es wird dennoch deutlich, was für eine eindrucksvolle Frau Ute Bock war. Die filmische Umsetzung der Dokumentation ihres Lebens mag durchschnittlich sein, Ute Bock selbst war es aber nicht. Ab Jänner 2019 kann man sich davon im Stadtkino im Künstlerhaus überzeugen.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

https://www.youtube.com/watch?v=9Lam0uBSO5s

Cassandro the Exotico! (2018)

Regie: Marie Losier
Original-Titel: Cassandro the Exotico!
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Cassandro the Exotico!


Lucha Libre ist die mexikanische Form des Wrestlings, und Cassandro ist einer der großen Stars dieses Show-Ringens. Das Besondere an ihm: Er ist bekennend schwul, wirft sich für seine Kämpfe in Glitter und Make-Up und mischt als Exotico die maskierten Muskelprotze auf. Cassandro ist auch ein großer Entertainer, der sich zu inszenieren weiß. Das merkt man auch jeder Minute von Marie Losiers Porträt an. Gleichzeitig werden auch die Verletzungen sichtbar, und zwar nicht nur die äußerlichen, die in Narben kumulieren. Sondern auch der Kampf gegen die inneren Dämonen und jener um Akzeptanz. Wenn Cassandro beispielsweise begeistert erzählt, welch großartiges Verhältnis er jetzt zu seinem Vater hat, nachdem sie jahrelang nicht miteinander gesprochen haben, schwingt im Hintergrund durchaus diese lange Zeit der Ablehnung und familiären Einsamkeit mit. Cassandro gehört zu jenen Menschen, die solche Niederschläge mit einem Lachen und einem Scherz wegzuwischen versuchen. Er ist ein unglaublich charismatischer Typ, der auch viel zu erzählen hat, und dessen positive Art das Negative in seinem Leben überstrahlt. Man könnte ihm stundenlang zuhören. Und allein das macht aus „Cassandro the Exotico!“ einen wirklich sehenswerten Film. Allerdings hat der Film auch drei Probleme, die nicht von der Hand zu weisen sind. Das erste Problem ist die Kamera bzw. das Bild. Gefilmt wurde auf körnigen 16mm. Das Bild ist manchmal zerkratzt, hat einen argen Rotstich, mal werden die Bilder beschleunigt – all das führt zu fiebrigen Aufnahmen, die Cassandros innere Rastlosigkeit sichtbar machen. Das ist durchaus gut gemacht. Allerdings wirkt das Bild oft so, als hätte man die Kamera auf dem Kopf eines Wackeldackels montiert. Da dürfte der eine oder andere Zuseher seekrank werden. Das zweite Problem ist, dass der interessante Werdegang von Cassandro, wie er als schwuler Luchador zu Ruhm und Anerkennung kam, nicht näher beleuchtet wird. Weder Cassandro noch Marie Losier interessieren sich sonderlich dafür. So ist das Porträt nur eine Momentaufnahme, viele Fragen zu Cassandro bleiben offen. Das dritte Problem ist schließlich Cassandro selbst. Wie gesagt, er ist ein Entertainer, und er weiß auch, dass er performen muss vor der Kamera. Und so lässt sich im Grunde nichts dazu sagen, ob der Film die reale Person hinter der Figur porträtieren kann. Denn Cassandro selbst kontrolliert das Geschehen. Und er zeigt sich natürlich so, wie er gern gesehen werden möchte. Aber das macht immerhin Spaß, ist unterhaltsam, und er selbst ist eben ein leiwander Typ.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Galileo’s Thermometer (2018)

Regie: Teresa Villaverde
Original-Titel: O Termómetro de Galileu
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: O Termómetro de Galileu


Sie leiden an Schlafstörungen? Das Gefühl kommt Ihnen bekannt vor: Sie liegen spätabends im Bett, möchten rasch einschlafen, denn am nächsten Morgen müssen Sie früh aufstehen, doch Sie kriegen kein Auge zu? Für dieses Problem gibt es nun die Lösung: Villaverde Forte! Von prämierten Filmschaffenden entwickelt, von Cineasten getestet – eine geringe Dosis reicht bereits aus, um Sie in Morpheus‘ Arme sinken zu lassen! Testen Sie jetzt – mit Geld-Zurück-Garantie! Wir versprechen Ihnen: Wenn Sie nicht binnen fünfzehn Minuten nach Einnahme von Villaverde Forte sanft einschlummern, zahlen wir Ihnen die Kosten für das Kinoticket zurück! Kein Risiko! Endlich mal wieder durchschlafen. Villaverde Forte! Jetzt in Ihren Kinos oder Apotheken.

Um dem Ganzen vielleicht doch noch einen etwas seriöseren Anstrich zu geben: Teresa Villaverdes Dokumentarfilm „Galileo’s Thermometer“ behandelt einen Besuch der Filmschaffenden bei ihrem Freund, dem Regisseur Tonino De Bernardi, und dessen Frau. Die Kamera lässt sie dabei immer laufen, auch wenn sie gerade mal nur auf den Pullover von De Benardi gerichtet ist. In grobkörnigen und größtenteils verwackelten Bildern werden hier Alltagssituationen eingefangen, Gespräche, Bewegungen, mal wird auch nur der Bildschirm abgefilmt, auf dem ein Film läuft, den sich De Bernardi und seine Frau ansehen. Grundsätzlich kann so etwas ja auch interessant sein, wenn nämlich das Ungewöhnliche und Tiefsinnige im Alltäglichen sichtbar gemacht werden kann. Und in vereinzelten Momenten, wenn sich beispielsweise De Bernardi (der im Übrigen tatsächlich eine interessante und tiefsinnige Persönlichkeit zu sein scheint) in einem intensiven Monolog an den Selbstmord seines Großvaters erinnert, gelingt dies auch. Doch das ist leider viel zu selten der Fall. Und so ist der Film eine unglaublich zähe und größtenteils banale Anhäufung von Alltagsmomenten, die noch dazu durch die verwackelte Kamera noch mühsamer anzusehen sind als sie dies ohnehin wären. Es geht um Erinnerungen, um das, was von uns bleibt, was wir vielleicht auch künftigen Generationen weitergeben können – doch leider ist das filmisch gar allzu schwach umgesetzt. Wenn man bei der ersten Vorstellung des Tages zu Mittag mehrmals Gefahr läuft, einzunicken, dann spricht dies nicht unbedingt für den Film. Und so hat nach dem grandiosen Viennale-Auftakt „Lazzaro Felice“ der zweite Film leider das Feld in die andere Richtung hin abgesteckt.


3,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Die 727 Tage ohne Karamo (2013)

Regie: Anja Salomonowitz
Original-Titel: Die 727 Tage ohne Karamo
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Die 727 Tage ohne Karamo


Liebe kennt keine Nationalitäten. Und wenn sich ein Afghane in eine Österreicherin, eine Ägypterin in einen US-Amerikaner, ein Ghanaer in einen Australier, eine Türkin in eine Brasilianerin verliebt – wer soll da etwas dagegen sagen? Okay. Der österreichische Staat mit seinem Fremdenrecht. Der sagt etwas dagegen. Wenn nämlich der Aufenthalt eines Partner gekoppelt ist an Auflagen, Formulare, Deutschkurse und Mindestverdienste. Und das kann nicht nur furchtbar nerven, sondern auch das Familienglück vollends zerstören. Dem geht Anja Salomonowitz in ihrer Dokumentation „Die 727 Tage ohne Karamo“ nach, wenn sie Betroffene erzählen lässt von ihrem Irrlauf durch die österreichischen Behörden. Man fühlt sich teils ein wenig an die berühmte Szene in „Asterix erobert Rom“ erinnert, als Asterix und Obelix im Irrenhaus versuchen, den Passierschein A-38 zu bekommen. Und das lässt den Zuseher durchaus nachdenklich zurück, denn, wie gesagt, hier steht das Glück von Menschen auf dem Spiel, die sich nach bestem Wissen und Gewissen bemühen, den Vorschriften zu entsprechen – und dennoch daran scheitern. Natürlich, Rechtsnormen sind wichtig, und solche Regelungen braucht jeder Staat. Doch sind es dann die Härtefälle, die betroffen machen. Ohne jetzt eine Diskussion anzetteln zu wollen über das Spannungsfeld zwischen notwendiger Rechtssicherheit und Mitmenschlichkeit, die leider immer wieder im Widerspruch zueinander stehen, aber man wird dann doch traurig darüber, dass Nationalitäten und Grenzen unser Leben dermaßen diktieren können. Allerdings ist, das muss man auch sagen, „Die 737 Tage ohne Karamo“ zwar ein interessanter, aber nicht unbedingt besonders gelungener Film. Denn Salomonowitz hat es wohl ein bisschen zu gut gemeint, indem sie möglichst viele Stimmen einfangen wollte. So wird aus der Dokumentation eine Art Collage, in der die Hintergründe zu den einzelnen Geschichten größtenteils im Dunkeln bleiben. Doch gerade die hätten mich besonders interessiert. So werden die tragischen Geschichten aber austauschbar – vielleicht gerade ein Effekt, den Salomonowitz beabsichtigt hat, der mich jedoch nicht überzeugen kann.


5,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Waldheims Walzer (2018)

Regie: Ruth Beckermann
Original-Titel: Waldheims Walzer
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Waldheims Walzer


Wir Österreicher sind anständige Leute. Dass man uns aus dem bisschen Antisemitismus und den paar Massenmorden und Kriegsverbrechen einen Strick drehen will, ist eine ungeheuerliche Ungerechtigkeit. Wir waren ja Hitlers erstes Opfer. Das haben wir bis 1992 in der Schule gelernt. Und klar muss man mitlaufen und mitmachen, wenn es die Oberbefehlshaber verlangen. Es ist schließlich Krieg. Das ist immer eine scheußliche Sache. Da werden schon mal 2.000 Partisanen feige gemeuchelt, aber wir hatten ja schließlich auch Verluste zu beklagen. Die tapferen, anständigen Soldaten, die nur ihre Pflicht getan haben wie jeder Andere auch. Kurt Waldheim, Österreichs Bundespräsident von 1986 bis 1992 und davor langjähriger UN-Generalsekretär, war so ein anständiger Soldat. Kurz nach seinem Einzug ins Heer wurde er verwundet und konnte sich dadurch Gott sei Dank wieder seinem Studium widmen. Sein Pferd war halt noch in der SS, aber so ein Pferd hat manchmal eben auch seltsame Neigungen. Dafür kann man beim besten Willen nicht verantwortlich gemacht werden. Man kennt das ja aus der aktuellen Zeit: Da entwickeln diese Gäule plötzlich den unverständlichen Drang, für das Innenministerium zu arbeiten und auf Österreichs Straßen scharfe Patrouillen zu traben. Paramilitärische, waffennarrische, rassistische Mistviecher, aber wirklich! Auf manches kann man sich tatsächlich einfach keinen Reim machen, selbst wenn man mit einem solch begnadeten Dichtertalent gesegnet ist wie unser Herr Innenminister, der Gaulleiter. Das Pferd war es also. Nicht Waldheim. Dass der zufälligerweise auf dem Balkan herumturnt, als eben diese Tausende von Partisanen ermordet werden und noch mehr Juden aus Thessaloniki deportiert werden, ist nur ein seltsamer Zufall. Muss wohl ein anderer Waldheim gewesen sein. Oder eben das Pferd, verkleidet als Waldheim. Man weiß ja nie. Und dass diese Dokumente und Fotos gerade zur Zeit des Wahlkampfes für die Bundespräsidentschaft auftauchen, kann nur eine böse Verleumdungskampagne dieser hakennasigen Juden sein, die ja, wie man immer noch brav auf Knopfdruck vor sich her skandiert, das Geld und die Welt regieren. Nein, Waldheim war nur ein braver Soldat, ein christlicher Pazifist, schließlich der wichtigste Verfechter der Menschenrechte als UN-Generalsekretär, nicht wahr? Diese Juden! Und Moslems! Und Sozis! Und Bartträger! Und Hutträger! Und Vegetarier! Und Katzenliebhaber! Und Frauen! Und überhaupt! Und dann tummeln sich auch noch diese linksversifften, gottlosen Vaterlandsverräter auf dem Stephansplatz und demonstrieren ganz ungeniert und filmen das auch noch! Und die böse internationale Presse, Teil der zionistischen Weltverschwörung, greift diese Bagatelle, diese Nicht-News, auch noch auf und berichtet darüber und stellt komische Fragen. Da muss einem ja doch das Geimpfte aufgehen. Wir Österreicher lassen uns nicht vorschreiben, wen wir wählen und wen wir nicht wählen! Da könnte doch jeder kommen! Wir waren und sind ja immer die armen Opfer mit den kleinen Grenzen, und jetzt hat sich sogar die ganze Welt gegen uns verschworen! Skandalös. Da will man aus den Nazis plötzlich Nazis machen. Ungeheuerlich! Nein, der Kurtl, der war immer anständig. Und die Ruth Beckermann zeigt, wie anständig er wirklich war. Dazu braucht es nicht mehr als einen Zusammenschnitt diverser Nachrichtensendungen, Interviews und ihrer eigenen Aufnahmen aus dem Jahr 1986. Keine weiteren Fragen, Euer Ehren. Und wenn man dann aus dem Kinosaal kommt, hat man das dringende Bedürfnis, ein Plakat zu malen und demonstrieren zu gehen. Denn der Teufel schläft nie. Der Österreicher aber schon. Und das ist das Problem.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

 

Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr (2017)

Regie: Alexandra Dean
Original-Titel: Bombshell: The Hedy Lamarr Story
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Bombshell: The Hedy Lamarr Story


Dem Dokumentarfilm „Geniale Göttin – Die Geschichte der Hedy Lamarr“ wird ein bekanntes Zitat eben jener Leinwandgöttin der 40er- und 50er-Jahre vorangestellt: „Any girl can be glamorous. All you have to do is stand still and look stupid.“ Mit diesem ironischen Spruch brachte sie damals ihr eigenes Dilemma auf den Punkt. Denn die in Wien geborene Hedwig Kiesler, die als Hedy Lamarr eine Weltkarriere hinlegte, wurde vergöttert, galt als schönste Schauspielerin ihrer Zeit, als Sexsymbol und Glamour-Girl. Oft genug war sie der Aufputz ihrer reichen Ehemänner, von denen sie nicht weniger als sechs an der Zahl hatte im Laufe ihres Lebens, darunter ein Wirtschaftsmagnat, ein Drehbuchautor, ein Waffenproduzent. Doch schon als Kind konnte sie sich für Technik und Wissenschaft begeistern. Und was viele heute nicht wissen: Eben jene Frau, die nur auf ihr Aussehen reduziert wurde, sorgte während des Zweiten Weltkriegs für eine geniale, damals nicht gewürdigte Erfindung, auf der heute sämtliche moderne Kommunikationssysteme wie Wi-Fi, Bluetooth oder GSM-Netze beruhen. Ihr „frequency-hopping“ war dazu gedacht, die Funkverbindung zu funkgesteuerten Torpedos für den Feind, die Nazis, unentschlüsselbar zu machen, die sonst mit einfacher Störung der Funkfrequenz dafür sorgen konnte, dass diese Torpedos ins Leere liefen. Alexandra Deans Porträt zeigt Hedy Lamarr in allen Facetten, ihren Werdegang (erzählt von Zeitgenossen, Freunden und ihren Kindern) und lässt sie auch selbst zu Wort kommen – denn 1997 gab sie einem Reporter des Forbes Magazine ein ausführliches telefonisches Interview. Das zeigt sie als charmante, eloquente und starke Frau mit einem trockenen Sinn für Humor und einem scharfen Verstand. Alexandra Deans Film lässt dieser so lange unterschätzten Frau, die für eine der bahnbrechendsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts verantwortlich zeichnet und dafür bis kurz vor ihrem Tod nicht gewürdigt wurde, Gerechtigkeit widerfahren. Am Ende des Films zitiert sie ein Gedicht von Kent M. Keith, und man weiß, dass das keine leeren Worte sind, sondern dass sie danach gelebt hat: „People are illogical, unreasonable, and self-centered. Love them anyway. If you do good, people will accuse you of selfish ulterior motives. Do good anyway. If you are successful, you will win false friends and true enemies. Succeed anyway. The good you do today will be forgotten tomorrow. Do good anyway. Honesty and frankness make you vulnerable. Be honest and frank anyway. The biggest men and women with the biggest ideas can be shot down by the smallest men and women with the smallest minds. Think big anyway. People favor underdogs but follow only top dogs. Fight for a few underdogs anyway. What you spend years building may be destroyed overnight. Build anyway. People really need help but may attack you if you do help them. Help people anyway. Give the world the best you have and you’ll get kicked in the teeth. Give the world the best you have anyway.

 


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Zechmeister (1981)

Regie: Angela Summereder
Original-Titel: Zechmeister
Erscheinungsjahr: 1981
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Zechmeister


Der inszenierte, mit Schauspielern umgesetzte Dokumentarfilm „Zechmeister“ von Angela Summereder ist eine durchaus mühsame Angelegenheit, in die man als Zuseher etwas Aufwand hineinstecken muss. Denn die Nacherzählung eines Justizdramas aus dem Jahr 1948, als Maria Zechmeister beschuldigt wurde, ihren Mann, den Kriegsheimkehrer Toni Zechmeister, mit Rattengift ums Eck gebracht zu haben, bedient sich allerlei formaler Kniffe, die hart am Rande der der Unschaubarkeit manövrieren. Hier werden stolpernd aus dem Off Sätze gesprochen, die so klingen, als würde sie ein Erstklässler vom Blatt ablesen. Oder die Kamera hält mal minutenlang auf das dahinfließende Wasser eines Flusses, während aus dem pathologischen Bericht vorgelesen wird. Maria Zechmeister, die Hauptfigur, ist erst gar nicht zu sehen, nur ihre Stimme hört man gelegentlich, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Und die hat es in sich: Denn sie wird wegen Mordes angeklagt und verurteilt, ohne dass das Gericht tatsächlich Beweise vorlegen könnte für ihre Schuld. Und je tiefer Angela Summereder bohrt, desto unklarer wird das Bild. Die formalen Spielereien, die eben auch manchmal nerven können, v.a. wenn man nicht konzentriert bei der Sache bleibt, unterstreichen die Farce, die dieser Justizfall anno dazumals abgegeben hat. Man fühlt sich stellenweise an Kafkas „Prozess“ erinnert. Das ist durchaus beabsichtigt und verfehlt seine Wirkung nicht – vorausgesetzt, man lässt sich auf diese surreale Weise, die Geschichte zu erzählen, als Zuseher tatsächlich ein. So gesehen ist „Zechmeister“ definitiv kein Film für ein besonders breites Publikum, und ich kann auch verstehen, wenn man nach zehn Minuten die Kiste abdreht, aber wenn man dranbleibt und diese surrealen Kapriolen akzeptiert, wird man die Mühe mit einem wirklich interessanten Dokumentarfilm belohnt, der viel über Macht und Ohnmacht im Österreich der Nachkriegsjahre aussagt.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino Filmverleih)

Let’s Keep It (2018)

Regie: Burgl Czeitschner
Original-Titel: Let’s Keep It
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Let’s Keep It


Diese Woche im Stadtkino angelaufen ist die Dokumentation „Let’s Keep It“ von Burgl Czeitschner, die sich mit verschiedenen Beispielen der Restitution von Liegenschaften beschäftigt, die zwischen 1938 und 1945 arisiert wurden. Oder vielmehr beschäftigt sich der Film mit der Nicht-Restitution dieser Liegenschaften, denn die Republik Österreich schaffte in bestern Bürokraten-Tradition ein Gesetz, das es den Erben der enteigneten Häuser extrem schwer machte, diese Rückgabe zu beantragen. Bezeichnend ist, dass laut Gesetz eine „extreme Ungerechtigkeit“ bei der damaligen Enteignung vorliegen musste. Dass diese Enteignung ungerecht war, reicht nicht aus. So weit, so erschütternd. Das Thema der Restitution ist nach wie vor ein sehr wichtiges. Denn erst 1991 begann mit der Rede des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky vor dem Nationalrat die Abkehr von der „Ersten-Opfer-These“, und die Republik Österreich gestand die Mitschuld an den grauenhaften Verbrechen der NS-Zeit ein. Bis dahin konnte man sich hübsch bedeckt halten, und die netten Häuschen und Grundstücke, die man zwischenzeitlich so eingesackt hatte (zumeist von später ermordeten jüdischen Mitbürgern), eigneten sich ja auch hervorragend als Telekom-Ausbildungsstätte, Büros oder auch Naturparks. Man nimmt, was man kriegen kann. Und nachdem das fast vier Jahrzehnte so wunderbar funktioniert hatte, war die Begeisterung, diese Liegenschaften wieder zurückzugeben, natürlich gering. Man hätte dieses dringliche und noch immer nicht abgeschlossene Thema wirklich spannend aufbereiten können. Aber leider geht die Qualität von „Let’s Keep It“ nicht über jene von Schulfilmen hinaus. Burgl Czeitschner erzählt aus dem Off von der Geschichte der gerade gezeigten Liegenschaft, wer darin wohnte, wer sie letztlich übernahm und ob der Fall dann positiv oder negativ abgeschlossen wurde. (Die meisten waren negativ.) Die Hintergründe für die Entscheidungen der Behörde werden zumeist nur am Rande gestreift. Aber genau das wäre der spannende Aspekt des Themas gewesen: Wie und warum entscheidet die Behörde in vielen Fällen, wie ist das dubiose Gesetz zustande gekommen, das die Rückgaben verhindert, wie stellen sich die Juristen und Beamten, die den Schmarrn ausführen müssen, selbst zum Gesetzestext und der Lage der Betroffenen. Mit einer klugen Auswahl von Interviewpartnern und einem tieferen Bohren (weniger in die Geschichte der enteigneten Liegenschaftsbesitzern, so tragisch ihre Schicksale auch sind, sondern mehr in die Entscheidungsgrundlagen der Behörde) hätte man viel herausholen können. So wird aber ein an sich spannendes Thema leider langweilig und nichtssagend aufgearbeitet anhand von einer Vielzahl von Beispielen, die – jedes für sich – sehr oberflächlich abgehandelt werden. Schade drum.


4,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino Filmverleih)