2018

Joy (2018)

Regie: Sudabeh Mortezai
Original-Titel: Joy
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Joy


Man hat’s nicht leicht mit dem österreichischen Film. Wenn man versehentlich ein Werk wie „Joy“ von Sudabeh Mortezai in der falschen Stimmung ansieht, schlittert man ungebremst in eine veritable Existenzkrise. Die richtige Stimmung für einen solchen Film: Euphorisch, aufgekratzt, wie auf Wolken schwebend. Denn der Film zieht einen unweigerlich hinunter, sodass man Ende wie ein begossener Pudel aus dem Kino schleicht. Und jetzt stellt euch mal vor, was passieren würde, ginge man bereits mit einer depressiven Grundstimmung da hinein. Ich will es mir lieber nicht ausmalen. Jedenfalls ist „Joy“ ein interessanter Beitrag, aber schwere Kost. Der Film zeigt in seinem dokumentarisch wirkenden Ansatz (der leider dramaturgisch auch zu Verschleppungen und Redundanzen führt) das Leben der Wiener Prostituierten Joy, die über einen Schlepperring von Nigeria nach Österreich kam und nun die Schulden bei ihrer Zuhälterin abstottern muss. Das System ist fies. Jungen Mädchen werden in Nigeria Versprechungen von hochbezahlten und guten Jobs als Dienstmädchen, Köchinnen und Reinigungskräften in Aussicht gestellt, dann verlangt man für den Transfer nach Europa mehr, als sie sich jemals leisten können, also stehen sie bei ihren künftigen Zuhältern von Anfang an in der Kreide. Damit die Mädels nicht auf dumme Gedanken kommen, belegt sie eine Art Voodoo-Priester noch mit einem Fluch, der dafür sorgt, dass es ihrer Familie an den Kragen geht, wenn sie vor Rückzahlung des letzten Cents abhauen. Joy, die schon lange Jahre anschafft, ist ein alter Hase und weiß sich mittlerweile zu wehren. Sie bekommt die junge Precious unter ihre Obhut gestellt, um die sie sich fortan kümmern muss. Der Film zeigt dabei so ziemlich alle Widrigkeiten, die einer afrikanischen Prostituierten am Wiener Straßenstrich widerfahren können. Nichts wird ausgespart. Und trifft immer wieder die Magengrube des Zusehers. All das wirkt gut recherchiert und glaubhaft – und damit umso erschreckender. Leider aber schleppt sich der Film dramaturgisch mit einem Hinken durch seine Laufzeit. Viele einzelne Szenen greifen nicht wirklich ineinander, vieles hätte man auch einfach aussparen können. Aber dennoch ein durchaus sehenswerter Film – wenn man ihn eben, siehe oben, in einer gefestigten Stimmung sieht.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Green Book – Eine besondere Freundschaft (2018)

Regie: Peter Farrelly
Original-Titel: Green Book
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Roadmovie, Biopic
IMDB-Link: Green Book


Kritiker und die Oscar-Academy lieben den Film. Meine gute Freundin Elke, unerreichtes Vorbild cineastischer Expertise, hasst ihn. Wie so oft liegt die Qualität des Films wohl irgendwo dazwischen. Jedenfalls war ich arg neugierig auf den Film, der Peter Farrelly, dem lustigen Krachmacher, plötzlich so etwas wie eine ernst zu nehmende Reputation beschert hat. Erzählt wird die Geschichte von Tony Lip (Viggo Mortensen), einem ungehobelten italoamerikanischen Türsteher mit rassistischen Vorurteilen, und seinem Boss für zwei Monate: Dr. Don Shirley (Mahershala Ali), ein brillanter Pianist, der sich einbildet, eine Konzerttour durch den Süden der USA zu machen. Also engagiert er Tony Lip als Fahrer. Das Problem bei der Sache ist die Jahreszahl. 1962. Und so sehr Dr. Shirley auch hofiert wird, Konzerte zu geben, vor Ort kommt auch er nicht gegen rassistische Ressentiments an. Dazu gehört beispielsweise, dass er nicht die Toilette im Haus benutzen darf, sondern mit dem Plumpsklo im Garten vorlieb nehmen muss. Diese Vorurteile stehen im krassen Kontrast zum kultivierten Auftritt des Musikers, der selbst aufgrund seiner Hautfarbe einige gröbere Identitätsprobleme mit sich herumschleppen muss. „Green Book“ bezieht seinen Humor wie auch seine Tragik aus dem gekonnt inszenierten Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren. Gerade das Zusammenspiel der beiden und das Unterlaufen von Erwartungshaltungen, was die Figurenkonstellation betrifft, führt dazu, dass der Rassismus, dem sich beide gegenüber sehen, umso wirkungsvoller zur Geltung kommt. Allerdings schafft es der Film nicht, gröbere Klischeefallen zu vermeiden. Und das Ende ist hollywoodtauglich zuckersüß. Das Problem bei der Sache: Man geht danach mit einem guten Gefühl aus dem Kino und vergisst dabei auf das Leid, das Minderheiten zur damaligen Zeit erfahren haben und auch heute noch erfahren. Dieses Leid kleistert der Film einfach zu. So gesehen ist „Green Book“ zwar ein nett anzusehender Feelgood-Film mit ernstem Thema, aber zu leichtgewichtig, um als großer Wurf durchzugehen. Hollywood liebt den Film dennoch (oder vielleicht auch gerade deshalb). Und immerhin: Die schauspielerischen Leistungen sind in der Tat oscarwürdig.


6,5
von 10 Kürbissen

Fahrenheit 11/9 (2018)

Regie: Michael Moore
Original-Titel: Fahrenheit 11/9
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Fahrenheit 11/9


Der Titel eines berühmten Films von Sidney Lumet mit Henry Fonda lautet „12 Angry Men“. Nun, manchmal braucht es gar keine zwölf wütende Männer, sondern es reicht einer. In diesem Fall Michael Moore. Der hat nämlich mal wieder die Schnauze voll von der politischen Welt, die er rund um sich herum antrifft. Und er stellt sich eine Frage: Wie zur Hölle konnte es passieren, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden konnte? Allerdings bleibt er nicht bei dieser Frage und deren Beantwortung. Er geht weiter. Die zweite Frage, die sich nämlich daran anschließend aufdrängt, lautet: Wie geht es nun weiter? Rutschen die Staaten tatsächlich in die Nähe einer Diktatur? Die Bilder, die Moore zeichnet, sind erschreckend. Erschreckend, weil sie konsequent sind. Weil da nicht nur einer mit billigen Polemik herumwirft (das auch, und das ist immer ja einer der Hauptkritikpunkte an Michael Moores Filmen gewesen), sondern weil zwischen dieser Überzeichnung immer wieder die brillante Analyse steckt, die Michael Moore eben auch auszeichnet. Vom Kleinen, vom Einzelfall ausgehend (hier am Beispiel seiner Heimatstadt Flint, Michigan, das aufgrund der Profit- und Machtgier der Regierenden nach und nach mit bleiverseuchtem Trinkwasser vergiftet wird), macht Moore Verbindungen und Strukturen sichtbar, die sonst kaum jemandem auffallen, die aber, wenn man sie einmal gesehen hat, absolut logisch nachvollziehbar sind. Und so ist „Fahrenheit 11/9“ nicht nur eine Abrechnung mit Donald Trump und seinen Verbündeten, sondern vor allem auch die schmerzhafte Obduktion eines kranken Systems, das vielleicht, wenn wir das nicht zu verhindern wissen, noch ärgere Blüten treiben wird, die demokratische Grundwerte zersetzen können. Bei aller Polemik – das, was Michael Moore hier zeigt, ist wichtig und sollte gesehen werden.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Roma (2018)

Regie: Alfonso Cuarón
Original-Titel: Roma
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Roma


Ein bisschen überraschend wirkt es auf den ersten Blick ja schon, dass neben The Favourite ein mexikanisches Schwarz-Weiß-Drama, das von Netflix produziert wurde, mit 10 Oscar-Nominierungen der große Favorit der diesjährigen Oscar-Verleihung ist. Donald Trump wird sich ärgern, dass er mit dem Shut-Down nicht nur die Pläne für seine schöne, große Mauer zurückstellen musste, sondern diese mexikanischen Gfraster auch noch den wichtigsten amerikanischen Filmpreis abstauben könnten. Überhaupt: Wenn das so weitergeht, hat bald jeder Mexikaner seinen eigenen Oscar. Iñárritu hat ihn schon. Del Toro hat ihn schon. Cuarón hat ihn auch schon – und jetzt vielleicht gleich noch mal. Und Donald Trump? Wird für die Goldene Himbeere nominiert. Das kann ja nicht mit rechten Dingen zugehen. Oder doch? Wenn man nämlich Cuaróns „Roma“ gesehen hat, wird man erneut darin bestätigt, dass Mexikaner einfach verflucht gute Filme machen. So unspektakulär und banal und gleichzeitig so mitreißend und zutiefst menschlich muss man eine Geschichte erst einmal erzählen können. Im Grunde passiert nicht viel: In atemberaubend komponierten Schwarz-Weiß-Tableaus folgt die Kamera der jungen mixtekischen Haushälterin Cleo (Yalitza Aparicio in ihrer ersten Filmrolle und dafür gleich für einen Oscar nominiert – was ich angesichts ihrer zurückhaltend nuancierten Leistung absolut verstehen kann), die in Zeiten des politischen Umbruchs Anfang der 70er Jahre in Mexiko-City für eine bürgerlichen Familie arbeitet, die es selbst gerade zerreißt, weil der Vater kaum noch zuhause anzutreffen ist und stattdessen lieber mit einer Anderen anbandelt. Die politischen Unruhen spiegeln sich im Privaten. Leidtragende ist die Ehefrau Sofia (Marina de Tavira, ebenfalls zu Recht für einen Oscar nominiert), die ihren drei Kindern eine heile Welt vorspielen muss. Cleo selbst hat bald ein weiteres Problem an der Backe: eine ungewollte Schwangerschaft durch den Kampfsportler Fermín, der nichts von ihr wissen will. Stoisch erträgt sie aber diesen und weitere Schicksalsschläge. „Roma“ ist ein sagenhaft gut ausbalancierter Film. Nichts wird explizit durchgekaut, nichts wird analysiert und interpretiert, weder im Privaten noch was die politische Tragödie betrifft. Cuarón folgt mit seiner Kamera einfach dem Geschehen und lässt die Handlungen der Protagonisten und ihre Gesichter für sich sprechen. Das Ergebnis wirkt organisch und wie aus einem Guss. Wie im wahren Leben kommen die großen Umwälzungen auf leisen Sohlen. Und auch wenn der Film am Ende zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt, so hat sich dennoch etwas verändert bei beiden Frauen, die im Zentrum der Geschichte stehen. Das ist große Kunst.

 


8,5
von 10 Kürbissen

Maria Stuart, Königin von Schottland (2018)

Regie: Josie Rourke
Original-Titel: Mary Queen of Scots
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Historienfilm, Biopic
IMDB-Link: Mary Queen of Scots


Schottland und England. Wenn die beiden aneinandergeraten, rollen in der Regel Köpfe. Davon kann William Wallace berichten. Oder Maria Stuart. Und auch im aktuellen Brexit-Theater, in dem Schottland und England ihren jüngsten Beef austragen, ist eine unwahrscheinliche, aber dennoch denkbare Möglichkeit gegeben, dass wieder mal ein Kopf vom Rumpf getrennt wird – wobei diesmal ausnahmsweise Schottland zum Beil greifen könnte, um sich selbst von diesem seltsam unentschlossenen Torso unter sich zu trennen. Wie gesagt, besonders wahrscheinlich erscheint dies nicht, aber ich verstehe den Grant der Schotten auf dieses England, das ein bisschen raus möchte aus der EU (analog zu „ein bisschen schwanger sein“). Aber zurück zu Maria Stuart, die von diesem Wickel rund um den EU-Austritt Großbritanniens nichts ahnen konnte – sonst wäre sie vermutlich gleich in Frankreich geblieben. Ist sie aber nicht, wie die Geschichte lehrt, und so kommt Saoirse Ronan, der Namen ich einfach nicht aussprechen kann, so sehr ich diese versierte und vielseitige Schauspielerin auch schätze, zu einer weiteren Glanzrolle. Sie verkörpert die katholische Königin Schottlands, die aufgrund ihres Machtanspruchs auf den Thron von England und ihrer im protestantischen England ungeliebten Religion ordentlich mit der Amtsinhaberin in London, Queen Elizabeth (Margot Robbie), aneinanderkracht. Aber eigentlich wollen beide der jeweils Anderen nichts Böses. Vor allem Elizabeth scheint kompromissbereit zu sein. Doch ihre Berater sehen die Sache nicht so entspannt und schmieden lieber ihre eigenen Komplotte. Was bleibt, sind zwei starke Frauen, die in einen Konflikt getrieben wären, der zu vermeiden gewesen wäre, wenn die depperten Mannsbilder rund um sie herum nicht solche intriganten und machtgeilen Günstlinge gewesen wären. Liebe Geschlechtsgenossen, da hilft kein Jammern, diesen Schuh müssen wir uns anziehen. Allerdings leidet Josie Rourkes Verfilmung dieses historischen Stoffs trotz authentisch wirkender Kostüme und Settings und zweier grandios aufspielender Hauptdarstellerinnen an einem eher unglücklichen Timing. Die Geschichte wird einfach etwas unrund erzählt, vor allem am Anfang. Auch fehlten mir einige Hintergründe sowie das Verständnis für Maria Stuart. Ja, Susie Ronan spielt sie hinreißend und hat die Sympathien auch auf ihrer Seite, aber es wird nicht so recht klar, warum sich Maria Stuart so sehr darauf verbeißt, den Thron Schottlands zu sichern. Einfach, weil’s geht? Am Ende ist es ja doch nicht gegangen. Hier fehlt mir einfach Kontext zur Königin und ihrer Motivation. Aber apropos Sissi Ronan: Es ist verblüffend, wie weit weg diese Rolle von ihrer oscar-nominierten Rolle in Lady Bird im letzten Jahr ist. Ein Oscar für Sushi Ronan scheint wohl nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Und vielleicht kann ich bis dahin dann doch ihren Namen aussprechen. Ich werde jedenfalls brav üben.


5,5
von 10 Kürbissen

Robin Hood (2018)

Regie: Otto Bathurst
Original-Titel: Robin Hood
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Action, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Robin Hood


Otto Bathurst: Das ist ein Name, den man sich merken muss. Um ihm nämlich künftig weiträumig aus dem Weg zu gehen. Wenn eine weitere Verfilmung des Robin Hood-Themas schon etwas ist, was die Welt nicht braucht, so ist der Film dieses bis dato unbekannten Regisseurs als Verbrechen an den arglosen Kinobesuchern zu betrachten, die in Erwartung eines modern inszenierten Actionkrachers Geld ausgegeben haben. Bei diesem Totalschaden von Film „findet nicht zusammen, was nicht zusammen gehört“, um den grandiosen Restaurantkritiker Severin Corti zu zitieren, der einmal im Auftrag des investigativen Extremjournalismus vom Standard in die „Gräfin vom Naschmarkt“ geschickt wurde und wohl nur knapp mit dem Leben davonkam, wie man der Rezension, die von diesem Abenteuer berichtet, entnehmen kann. Jedenfalls weiß ich nun wirklich nicht, was ich weniger empfehlen kann: Ein Abendessen in der „Gräfin“ oder den Kinobesuch von Robin Hood. Für beides braucht man einen ausgesprochenen Saumagen. Beginnen wir bei der Besetzung: Taron Egerton ist zwar ganz sympathisch, aber von einem Robin Hood so weit weg wie ein McDonald’s-Laden von der Gourmetküche. Eve Hewson hat immerhin unwahrscheinlich blaue Augen (und so unwahrscheinlich, wie sie wirken, dürften sie auch sein dank guter Kontaktlinsen), ist aber sonst von Maid Marian so weit weg wie Taron Egerton von Robin Hood – und das kann man im vorigen Satz nachlesen (als Tipp für alle Goldfische mit ultrakurzem Kurzzeitgedächtnis, die meinem Blog folgen). Ben Mendelssohn ist mal wieder der arme Hund, der nur finster schauen und sich in etwas, was an eine SS-Uniform erinnert, schmeißen darf. Und Jamie Foxx wird bitte gebeten, seinen Oscar zurückzugeben. Die Story ist völlig konfus und voller Logiklöcher, die Action lahm inszeniert, die Effekte sehen so aus, als wäre der Produktion mittendrin das Geld ausgegangen, und das Schlimmste habe ich dabei noch gar nicht erwähnt: Der Versuch, dem Stoff einen modernen Anstrich zu verpassen, ist so etwas von kläglich gescheitert, dass man fast Mitleid mit den Machern haben muss. Alte Helden in neue Kleider zu stecken und die Kulissen in einem pseudo-modernen Historizismus zu verkleiden, kann sich vielleicht ein Guy Ritchie erlauben (und selbst der wird dafür abgestraft), aber kein Otto Bathurst. Ein Film zum Vergessen. Und zwar möglichst schnell, ehe dauerhafte Schäden zurückbleiben.


2,0
von 10 Kürbissen

Colette (2018)

Regie: Wash Westmoreland
Original-Titel: Colette
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Historienfilm
IMDB-Link: Colette


Eines ist klar: Wenn man mit dem imposanten Namen Wash Westmoreland gesegnet ist, muss man einfach Historienfilme drehen. Und das stellt sich hier als großes Glück für das Publikum heraus, denn Westmorelands Biopic „Colette“ über die berühmte französische Schriftstellerin ist wundervollste Unterhaltung mit einem grandios aufgelegten Cast, üppiger Ausstattung, einem Thema von aktueller Relevanz und einer temporeichen Inszenierung, die einfach Spaß macht. Vordergründig erzählt der Film die prägenden Ehejahre der jungen Gabrielle Claudine Colette (Keira Knightley) nach, die als Ghostwriterin für ihren Ehemann Willy (Dominic West) arbeitete, bis sie endlich aus seinem Schatten treten konnte – und später zur der gefeierten Literatin Frankreichs und Nobelpreiskandidatin wurde. Hintergründig geht es aber um viel mehr: um die Freiheit der Frauen und den von Widerständen geprägten Weg, den sie dabei zurücklegen mussten (und noch immer müssen), um die Frage nach Selbstbestimmung und dem Suchen nach Glück auch gegen alle Konventionen. Das Schöne an „Colette“ ist, dass die Hauptfigur nicht mal zu Beginn ein armes Hascherl ist, das erst sich selbst finden muss – im Gegenteil: Von Anfang an ist Colette eine starke Persönlichkeit, die sich, obwohl vom Land kommend, auch gleich mal im Haifischbecken der Pariser Gesellschaft behauptet und dort allesamt in die Tasche steckt. Der weitere Weg, den sie bestreitet, ist nur konsequent. Hier wird das Porträt einer starken Frau gezeichnet. Was „Colette“ aber über das Niveau ähnlicher Biopics hinaushebt, ist neben dem eindrucksvollen Spiel von Knightley und West die intelligente und flotte Erzählung. Kostümfilme haben oft das Problem, dass die Inszenierung dem Pomp der Ausstattung folgen möchte und damit das Tempo verschleppt wird. Das ist bei „Colette“ definitiv nicht der Fall. Die Dialoge sind messerscharfe Schlagabtausche, und auch Musik, Kamera und Schnitt haben den Schalk im Nacken, der gleiche Schalk, der auch Knightleys Colette immer wieder aus den Augen blitzt. Und so vergehen auch zwei Stunden rasant. „Colette“ ist ein selbstbewusster Film über eine selbstbewusste Frau.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Girl (2018)

Regie: Lukas Dhont
Original-Titel: Girl
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Girl


Da wirst zum Schwammerl: Da haut si da Kirbis mitm Schluaf vom leiwandn Le Füm-Blog in den Kinosoi, und wos passiert: Da Schluaf mocht auf amoi an auf seriös und Hochdeitsch, und da Kirbis fongt o, so an deppatn Pseudo-Dialekt außezhaun. Ols ob a nur a anziga Wappla so noch da Goschn redn tatat. A vakeade Wöd. Wos fir a Schmarrn. Und warum mocht da Kirbis den Bledsinn? Weil a amoi des schene Wort Zumpfal im Blog untabringa woit. A gscheida Depp.

(Bist du gelähmt, das ist anstrengend – ich ziehe meinen Hut vorm Schluaf und Wauzi, die das all die Jahre durchgezogen haben.) Jedenfalls spielt das besagte Zumpfal in Lukas Dhonts Film „Girl“ eine wichtige Rolle. Das hängt nämlich an der hübschen 16-jährigen Lara. Und die hat früher einmal Victor geheißen. Transgender ist man/frau, wenn die eigene Geschlechtsidentität von dem abweicht, was man an Merkmalen von Mutter Natur mitbekommen hat. Und ich kann mir gar nicht vorstellen, was für ein unglaublicher Druck das für Betroffene sein muss. Glücklicherweise leben wir in einer modernen, aufgeklärten Zeit. Okay, nach einem kurzen Blick auf die derzeitige Regierung in Österreich muss ich das wieder zurücknehmen. Jedenfalls leben wir in einer Zeit, in der eine Anpassung der Geschlechtsmerkmale an die geschlechtliche Identität möglich ist – auch wenn die Behandlung mit Hormonen und einer anschließenden Operation zeitintensiv und riskant ist. Aber Lara beschreitet diesen Weg, unterstützt von ihrem allein erziehenden Vater, ihren Lehrern an der neuen Tanzschule, zum größten Teil auch ihren Mitschülerinnen und natürlich von den Ärzten und Psychologen. Dieser Schritt, den sie setzt, ist ein gewaltiger, der von Zweifeln begleitet wird. Nicht an der Frage, ob sie tatsächlich eine Frau ist und die Merkmale einer Frau haben möchte, sondern am Gelingen. Es kann ihr nicht schnell genug gehen. Überhaupt wirkt sie verbissen. Auch Ballerina möchte sie werden. Das Problem: Ohne eine entsprechende Ausbildung seit der Kindheit droht auch das große Talent, das sie mitbringt, nicht zu reichen. Das gibt dann blutige Füße, wie wir sie schon in „Black Swan“ gesehen haben. Ballett ist Selbstkasteiung für Fortgeschrittene. Die Tatsache, dass die Fortschritte, die sie erzielt – ob beim Ballett oder ihrer Geschlechtsanpassung – in ihren Augen nicht ausreichen, lässt die Jugendliche gefährlich nah am Abgrund balancieren.

Lukas Dhont macht mit seinem Film „Girl“ sehr viel richtig. Zum Einen ist die Besetzung ein echter Coup. Denn der Schauspieler Victor Polster (definitiv nicht verwandt mit Toni Polster) haut eine Leistung heraus, die eigentlich mit sämtlichen Preisen und Ehrungen überschüttet werden müsste. Er spielt in diesem Film nicht das Mädchen, er ist das Mädchen. Gestik, Mimik, Körperhaltung – hier stimmt einfach alles zusammen. Mit einer körperlichen Wucht nimmt er den Zuseher gefangen, und selbst das Tanzen bekommt er auf einem Niveau hin, dass man nur staunen kann. Auch stellt sich etwas, was mich anfangs irritiert hat, im Nachhinein als kluge Entscheidung Dhonts heraus: Der (weitgehende) Verzicht auf soziale Ausgrenzung Laras. Im Gegenteil: So ziemlich jeder geht mit ihr um, als wäre ihr Weg das Normalste der Welt. Nur in einer Szene bröckelt diese Fassade plötzlich – was Lara wie den Zuseher gleichermaßen unerwartet in die Magengrube trifft. Aber durch den Wegfall einer Mitleid erregenden Ausgrenzung fokussiert der Film voll und ganz auf die Probleme, die Lara mit sich selbst hat. Allerdings hätte der Film letztendlich etwas weniger Tanzszenen vertragen und noch etwas mehr Interaktion Laras mit ihrer Umwelt. Da bleibt dann doch ein bisschen Potential liegen.

 


7,5
von 10 Kürbissen

The Favourite – Intrigen und Irrsinn (2018)

Regie: Giorgos Lanthimos
Original-Titel: The Favourite
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Historienfilm, Biopic
IMDB-Link: The Favourite


Giorgos Lanthimos hat es mit Tieren. In „Dogtooth“ redet ein Vater seinen Kindern ein, dass das gefährlichste Tier der Welt die Katze sei. In „The Lobster“ verwandelt er gleich paarungsunfähige Zeitgenossen in Tiere. Und in „The Favourite“ gibt es Entenrennen zu bestaunen und Kaninchen, die stellvertretend für die toten Kinder der Königin herhalten müssen. Im Gegensatz zu seinen früheren Werken gibt sich Lanthimos in seinem neuesten Werk allerdings erstaunlich zugänglich. Vordergründig ist „The Favourite“ ein Kostümfilm über die unfähige Queen Anne (zum Niederknien gespielt von Olivia Colman) und den Intrigen an ihrem Hof, befeuert durch ihre enge Vertraute und Ratgeberin Lady Marlborough (Rachel Weisz, smells like Oscar spirit) und der tief gefallenen Adeligen Abigail (Emma Stone, die ihren Kolleginnen um nichts nachsteht), die sich wieder nach oben arbeiten möchte in der Gesellschaft. Und die mit ihren Ambitionen naturgemäß die Stellung von Lady Marlborough bedroht, was diese nicht auf sich sitzen lassen möchte. Zwischen diesen beiden intriganten Damen und der Königin förmlich zermalmt werden die männlichen Figuren, die hier definitiv nichts zu melden haben. Frauenpower ist angesagt in Lanthimos‘ Werk, und das auf eine so schauerlich bitterböse Weise, dass einem schier die Luft wegbleibt und man eigentlich nur noch Mitleid mit den Figuren hat – mit allen nämlich. Genüsslich seziert Lanthimos Machtgefälle und Abhängigkeiten und kommt am Ende zu einem konsequenten Schluss: Intrigen gehen nie gut aus, am Ende sind alle verletzt. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist dekadent ausgestattet, hinreißend gespielt, mit scharfzüngigen Dialogen und herrlich unkonventionellen Szenen gespickt – und immer wieder für eine Überraschung gut, in der Lanthimos zeigt, dass Authentizität nicht sein Ding ist, sondern vielmehr die innere Logik und Dramaturgie der Welt, die er filmisch vermisst. Und die ist immer stimmig, selbst wenn sie für die seltsamste und denkwürdigste Tanzeinlage seit „Pulp Fiction“ sorgt.


8,5
von 10 Kürbissen

RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit (2018)

Regie: Julie Cohen und Betsy West
Original-Titel: RBG
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: RBG


Ich muss gestehen, mir sagte der Name Ruth Bader Ginsburg nicht viel. Am ehesten bringt man sie hierzulande in Verbindung mit dem Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump, gegen den sie sich, Richterin am US-amerikanischen Supreme Court, also dem höchsten Gericht des Landes, öffentlich ausgesprochen hatte, was zu einem kleinen Skandal führte, denn von Mitgliedern des Supreme Courts wird erwartet, unpolitisch nach außen zu agieren. Über dem Teich ist Ruth Bader Ginsburg aber ein Superstar. Es gibt ihr Konterfei auf Tassen und Plakaten, irgendein Genie hat ihr den Spitznamen Notorious RBG verliehen, und der Hollywood-Film „On the Basis of Sex“, in dem sie von Felicity Jones gespielt wird, erzählt von ihrem Leben. Dabei hätte kaum jemand weniger Potential für ein solch öffentlichkeitswirksames Role Model wie Richterin Ginsburg. Zierlich ist sie und schüchtern. Sie trägt große Brillen, hat oft ein versonnenes Lächeln auf den Lippen, und lieber erzählt sie von ihrem Mann, ein erfolgreicher Steueranwalt, der immer für einen Spaß gut war, als von sich selbst. Dabei wären die USA heute in Sachen Frauenrecht noch in der Steinzeit ohne ihr. Seit den 70ern kämpfte sie entschlossen und mit brillantem Verstand gegen die Unterdrückung von Frauen in der amerikanischen Gesellschaft und zwang den Supreme Court immer wieder in die Knie, bis sie ihm schließlich selbst angehörte und darin die Stimme für Chancengleichheit, Fairness und sozialem Gewissen wurde. Auch an Kritik des inzwischen nach rechts gerückten Gerichts und dessen Urteile sparte sie nicht. Diese zierliche Frau ist eine Kämpferin, die nie müde wird, doch ihren Kampf trägt sie mit subtilen Mitteln und immer großem Respekt vor den Menschen aus. Man kann nicht anders: Nach Sichtung dieses Films hegt man die größte Bewunderung vor dieser starken Frau, die eine ganze Gesellschaft mitgeformt hat und das unprätentiös, uneigennützig und getrieben von einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Vielleicht ist die Darstellung für eine Biographie etwas einseitig geworden, aber der Film ist sehenswert und bringt einem diese interessante Frau näher. Möge sie der Welt noch viele Jahre erhalten bleiben.


7,0
von 10 Kürbissen