2016

Graduation (2016)

Regie: Cristian Mungiu
Original-Titel: Bacalaureat
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Bacalaureat


Cristian Mungiu zählt zu den renommiertesten rumänischen Regisseuren derzeit. Überhaupt passiert cineastisch in den letzten Jahren viel Spannendes in jenem Land, das man sonst in der Regel erst mal mit einem bleichen, spitzzahnigen Grafen mit einem eher ungewöhnlichen Appetit verbindet. Abseits von Gothic Horror präsentiert sich das rumänische Kino aber mit sozialrealistischen und viel diskutierten Beiträgen auf den Filmfestivals und in den Kinos dieser Welt. In Cristian Mungius „Bacalaureat“ geht es um eine Familie in Cluj (Siebenbürgen, womit wir wieder beim gut gekleideten Grafen mit dem Blutdurst wären), der Vater ein anerkannter Arzt, die Tochter kurz vor ihren Abschlussprüfungen und mit einem Stipendium für Cambridge in der Tasche, sofern sie diese Prüfungen nicht versaut, die Mutter depressiv. Am Tag vor der ersten Abschlussprüfung wird das Mädchen auf dem Schulweg von einem Unbekannten angegriffen und beinahe vergewaltigt. Als Folge dessen ist sie verständlicherweise neben der Spur und bringt nicht die für das gute Abschlusszeugnis nötige Leistung bei der Prüfung. Der Vater beschließt, einzugreifen. Wir sind ja schließlich in Rumänien, und auch wenn der Vater versucht, ein aufrechtes und ehrbares Leben zu führen (Dass er eine jüngere Geliebte hat? Na ja, man kann ja trotzdem noch anständig sein. Hüstel) und gegen die Korruption anzukämpfen, wenn es um die eigene Tochter geht, muss man sich solche Dinge wie Ehre und Anstand halt noch mal genau durchdenken. Und so entspinnt sich ein Drama rund um moralische Werte und deren, sagen wir mal, „Flexibilität“, und im großen Ganzen dann auch um die um sich greifende Korruption. Wobei: Nein, korrupt ist hier keiner, alle sind nur freundlich zueinander. Der Film wirft viele wichtige Fragen auf, ist gut gespielt und hat auch eine interessante Story. Dennoch ist er nicht frei von Schwachpunkten. Zum Einen mal wieder die Länge. Die Geschichte hätte man durchwegs kompakter erzählen können. Zum Anderen hatte ich mit dem Film das gleiche Problem wie mit allen rumänischen Filmen, die ich bisher gesehen habe: So dramatisch und einschneidend auch die Ereignisse sind, die Geschichte wird immer sehr distanziert und kühl erzählt, ich werde einfach nicht emotional mitgenommen. Es sind gute, wohl auch wichtige Filme, aber sie bleiben dennoch nicht so richtig hängen bei mir.

 


6,5
von 10 Kürbissen

Elle (2016)

Regie: Paul Verhoeven
Original-Titel: Elle
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Krimi, Thriller, Drama, Erotik
IMDB-Link: Elle


Die grandiose Isabelle Huppert spielt in Paul Verhoevens Film eine Frau, die scheinbar nichts aus der Fassung bringt. Sie ist erfolgreiche Managerin einer Entwicklungsfirma für Computerspiele, sarkastische Tochter, geduldige Mutter, souveräne Ex-Partnerin … und fast gleichgültiges Vergewaltigungsopfer. Soweit die Ausgangsbasis für einen Thriller, der zunächst mit einer unglaublich starken Frauenrolle aufwartet, dann aber mehr und mehr in konventionelle Muster verfällt und aus diesen dann nicht anders auszubrechen weiß als auf Verhoeven-Art: Provokant, möglichst verstörend und schockierend. Gähn. Immer wieder fühlt man sich an Basic Instinct erinnert, und Paul Verhoeven opfert die Glaubwürdigkeit und Authentizität seiner Figuren auf dem Altar des Schock-Moments. Das ist jammerschade, denn die erste Hälfte des Films ist wohl das Beste, was er jemals gedreht hat. Isabelle Huppert ist, wie gesagt, überragend, sie wurde für ihre grandiose Leistung auch mit einer Oscar-Nominierung gewürdigt, aber auch ihre Figur leidet am Ende unter dem Verhoeven’schen Ziel, das Publikum möglichst durchzurütteln. Ja eh. Kennen wir schon. Ein wenig mehr Altersmilde und Subtilität würde Verhoevens Werk wirklich gut tun, aber in diesem Film bringt er das (noch) nicht. Ein Film mit durchaus vielen guten Ansätzen und auch in den schwächeren Momenten durchaus sehenswert, aber zu deutlich sehe ich das Potential, das Verhoeven hier liegen gelassen hat.

 


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Split (2016)

Regie: M. Night Shyamalan
Original-Titel: Split
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Thriller, Horror
IMDB-Link: Split


An kaum einem anderen Regisseur scheiden sich so sehr die Geister wie an M. Night Shyamalan. Während „The Sixth Sense“ zurecht als einer der besten Mystery-Thriller aller Zeiten bezeichnet wird, hat er mit „The Lady in the Water“ und anderem Unfug für größte Verwirrung unter dem Kinopublikum gesorgt. Um es mit einem beliebten Zitat aus „Forrest Gump“ zu sagen: „M. Night Shyamalans Filme sind wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt.“ Was man bei Split bekommt, sind zwar keine edel glacierten Trüffelpralinen, aber ein solides Stück Milchschokolade. Ein bisserl fad vielleicht, aber ja, zum Naschen zwischendurch reicht’s. Das liegt vor allem an James McAvoy, der als Mann (und gelegentlich Frau) mit 21 verschiedenen Persönlichkeiten, die sich einen Körper teilen, schauspielerisch so richtig aufdrehen darf. Für so eine Rolle braucht es einen Kapazunder wie den vielseitigen Schotten. Gut, ein Daniel Day-Lewis hätte vermutlich noch 30 Persönlichkeiten mehr herausgeholt, aber an James McAvoy liegt es nicht, dass auch dieses Werk von M. Night Shyamalan nur mit gemischten Kritiken aufgenommen wurde. Ein Problem ist die doch sehr vorhersehbare und überraschungsfreie Story. Gerade diesbezüglich hätte man vom Autor von „The Sixth Sense“ und „Unbreakable“ mehr erwartet. Auch die Schauspielerinnen, die die jungen Teenager-Mädels spielen, die in die Fänge des Herrn mit den vielen Facetten geraten, bieten keinen Mehrwert. Sie sehen hübsch aus. Aber sie sind austauschbar wie Figuren in einem handelsüblichen Teeny-Slasherfilm. Auch die Rückblenden in die Vergangenheit des einen Mädels, das ein bisschen mehr Hirn mitbringt, sind unnütz und tragen nicht zur Erhellung bei. Aber: „Split“ ist dennoch kein schlechter Film. Er unterhält, er hat mit der Darbietung von James McAvoy ein kleines schauspielerisches Glanzlicht und bietet ein interessantes Setting. Aber gemessen an dem, was Shyamalan schon gezeigt hat, ist er leider eine weitere Enttäuschung.


5,5
von 10 Kürbissen

Spectral (2016)

Regie: Nic Mathieu
Original-Titel: Spectral
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Action, Kriegsfilm, Science Fiction
IMDB-Link: Spectral


70 Millionen US-Dollar. Ausgeschrieben: 70.000.000 US-Dollar. Das war das Budget für die Netflix-Produktion „Spectral“. Ein bombastischer Science Fiction-Kriegsfilm sollte es sein. US-Streitkräfte, die in Moldawien Aufständische in einem Bürgerkrieg bekämpfen, sehen sich plötzlich mit einem neuen Feind konfrontiert. Spektralartige Wesen, die durch Wände gehen, denen Kugeln nichts anhaben können und die die Elite-Soldaten schon mit einer simplen Berührung umbringen. Deshalb wird nun der Militärforscher Clyne (James Badge Dale, ein Name, den man sich nicht unbedingt merken muss) ins Kriegsgebiet geflogen, wo er zusammen mit der Wissenschaftlerin Fran Madison (Emily Mortimer mit einem Tiefpunkt in ihrer Karriere) das Phänomen erforschen soll und sich gleich mal in einem Einsatz wiederfindet, in dem die Soldaten fröhlich gemeuchelt werden. Man muss sich nach draußen kämpfen, findet unterwegs Kinder, die sich versteckt gehalten haben, entdeckt durch Zufall, womit man die Geisterkiller aufhalten kann, rüstet um zu Ghostbusters und zieht in den finalen Endkampf. Dort stellt man dann fest, was diese Spektralwesen tatsächlich sind (die Begründung ist mit Sicherheit ein Fest für Physiker, die sich nach Sichtung des Films noch ganze Nächte lang über die Blödheit des Films begeistern können) und pustet sie in ganz schlechtem CGI-Gewitter weg. Begleitet wird das alles von völlig hirnrissigen Dialogen, abstrusen Handlungen und Logiklöchern, die ganze Flugzeugträger schlucken können. Ein dummer Film, der scheinbar nur dazu gedreht wurde, um mal wieder das US-amerikanische Militär zu feiern. „Spectral“ ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man 70 Millionen US-Dollar verbrennen kann. Hätten sie das Ganze doch nur mit einer Handkamera, Laiendarstellern und selbst genähten Kostümen gedreht – dann hätte das wenigstens noch witzig und trashig werden können. Aber so ist der Schmarren nur ärgerlich. Kein Wunder, dass der Film es nicht ins Kino geschafft hat, sondern sofort auf Netflix veröffentlicht wurde, wo er nun in den Untiefen der Kategorien „Action“ und „Science Fiction“ schlummert. Möge er in Frieden ruhen.


2,0
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=EUXqtvHg2BQ

Sword Master (2016)

Regie: Derek Yee
Original-Titel: San Shao Ye De Jian
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Eastern, Action
IMDB-Link: San Shao Ye De Jian


Martial Arts-Filme laufen bei mir für gewöhnlich ja ein wenig unterhalb des Radars. Zum einen sind nicht allzu viel davon regelmäßig in unseren Kinos zu bewundern, zum anderen finde ich zwar die aufwendig choreographierten Kämpfe zwar sehenswert, aber die Stories reißen mich nur selten mit. Beim /slash-Filmfestival hatte ich nun Gelegenheit, gleich zwei Martial-Arts-Filme aus Hongkong in 3D zu sichten. Den Auftakt machte der 2016 erschienene Film „Sword Master“ von Derek Yee. Um es kurz zu machen: Innerhalb kurzer Zeit konnte ich wieder feststellen, dass ich wohl kein großer Martial Arts-Fan mehr werde, aber die Faszination, die viele Asien-Begeisterte für diese Art von Filmen haben, durchaus nachvollziehen kann. Denn die Optik von „Sword Master“ ist grandios. Was hier an farbenkräftigen, aufwendigen Kulissen aufgestellt wird und welche irren Kamerafahrten und atmosphärisch dichten Bilder auf der Leinwand zu sehen sind, ist schon eine Kunst für sich. Auch die Figuren sind interessant, und dem Film gelingt es tatsächlich, den Antagonisten trotz markanter Äußerlichkeiten, die ihn klar als den Bösewicht identifizieren, Sympathiepunkte beim Publikum sammeln zu lassen, sodass man sich schon fast vor der finalen Konfrontation zu fürchten beginnt. Allerdings ging es mir wieder so wie bei den meisten anderen Filmen, die ich in diesem Genre gesehen habe (und zugegeben, allzu viele waren es bislang nicht): Die Story rund um alte, zerstrittene Clans mit einem verschwundenen „Third Master“, der mit seiner Schwertkunst über die ganze Welt regieren kann und den Bündnissen, die geschlossen und wieder aufgelöst werden, konnte ich selbst nicht allzu viel anfangen. Zu konfus erscheint mir diese, und allzu oft bedient sich der Film des Deus ex machina, um bestimmte Konfrontationen und Erkenntnisse herbeizuführen. So bleibt die Geschichte einfach nur der Rahmen, innerhalb dessen sich möglichst spektakuläre Schwertkämpfe abspielen sollen, die jegliche Gesetze der Physik nicht nur ignorieren, sondern fröhlich in den Boden stampfen. Unterhaltsam ist das schon, aber auch bald wieder vergessen – jedenfalls von mir.


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: /slash Filmfestival)

Mister Universo (2016)

Regie: Tizza Covi und Rainer Frimmel
Original-Titel: Mister Universo
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: Mister Universo


Tairo, der junge Löwendompteur im Zirkus, findet sein Glückseisen nicht mehr, das ihm einst der stärkste Mann der Welt, Arthur Robin, genannt „Mister Universo“, gebogen hat. Da er unter den Artistenkolleginnen und -kollegen im Zirkus nicht besonders beliebt ist – lediglich mit der Schlangenfrau Wendy ist er befreundet – liegt der Verdacht nahe, dass ihm jemand das Eisen versteckt oder gestohlen hat. Die Auswirkungen spürt Tairo, wie er meint, sofort: Seine alte Tigerdame wird krank und kann nicht länger auftreten, sein Löwenmännchen verhält sich plötzlich aggressiv – mit nur zwei Tieren muss Tairo seine Show bestreiten. Das kann so nicht weitergehen, also nimmt er sich ein paar Tage frei, setzt sich in sein Auto und besucht seine Familie, um von ihr den Verbleib von Mister Universo in Erfahrung zu bringen, denn dieser soll ihm ein neues Glückseisen biegen. Nur ist nicht klar, ob Mister Universo noch in Italien aufzufinden ist, vielmehr: ob er überhaupt noch lebt. Denn er war schon ein betagter Herr, als ihm Tairo vor vielen Jahren zum ersten Mal begegnet ist. Aber der junge Dompteur lässt sich nicht beirren, und Schritt für Schritt kommt er seinem einstigen Idol näher. „Mister Universo“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel lässt die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm verschwimmen. Denn die Darsteller spielen sich selbst. Tairo, Wendy, Mister Universo – sie sind reale Persönlichkeiten, die dem langsam aus unserer Welt verschwindenden fahrenden Volk angehören. So ist die Darstellung des Lebens im Zirkus so authentisch wie nur irgendwie möglich, denn Tairo & Co. erzählen von ihrem eigenen Leben. Das Drehbuch skizziert zwar grob die Geschichte vor, aber vieles ist improvisiert und direkt dem Leben der Zirkusartisten entnommen. Diese Wahrhaftigkeit tut dem Film, der seine kleinen Geschichten und Begegnungen wie ein ruhiger Fluss transportiert, sehr gut. Auch wenn kaum etwas passiert, entsteht keine Langeweile – jedenfalls nicht bei mir. Ein bisschen straffen hätte man zwar können, und auch die finale Begegnung zwischen Tairo und Mister Universo fällt meiner Meinung nach zu kurz aus, um tatsächlich einen denkwürdigen Nachhall zu erzeugen, aber der Weg dahin ist voller kleiner Momente, glimpses of reality, die mich als Zuseher angesichts der Fremdheit dieser Welt unserer Kindertage neugierig bleiben lassen.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino Filmverleih)

Money Monster (2016)

Regie: Jodie Foster
Original-Titel: Money Monster
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Thriller
IMDB-Link: Money Monster


„Money – it’s a crime. Share it fairly but don’t take a slice of my pie.“ So sangen Pink Floyd im Jahr 1973, und die Prioritäten haben sich seither nicht wirklich groß geändert außer dass Geld heute noch wichtiger ist als vor 45 Jahren und die Schere zwischen jene, die haben, und jenen, die nicht haben, noch weiter auseinandergegangen ist. Das soll hier aber nun kein wirtschaftspolitischer Essay werden. Der Filmkürbis spricht immer noch über Filme und nicht über Money, Money, Money. Das tut nämlich eh schon George Clooney als TV-Börsenguru Lee Gates in Jodie Fosters „Money Monster“. Und Lee Gates hat ein kleines Problemchen (neben der Tatsache, dass seine langjährige Produzentin Patty, gespielt von Julia Roberts, gekündigt hat): Eines Tages steht während der Live-Sendung der nicht sonderlich tiefenentspannte Kyle (Jack O’Connell) mit einer geladenen Pistole und einer kleidsamen Bombe auf der Matte. Kurz zuvor haben sich 800 Millionen Börsenwert eines Unternehmens, dass Lee empfohlen hat, aufgrund eines Computerfehler, wie die Pressesprecherin so charmant ausführt, in Luft aufgelöst. Kyle ist einer der betroffenen Aktionäre, doch es geht ihm nicht allein um sein eigenes Geld, das sich auf so mysteriöse Weise pulverisiert hat, sondern um Gerechtigkeit im Allgemeinen. Und auch Lee muss feststellen, dass irgendwas an der Sache nicht ganz koscher ist. Mit seinem Sprengstoffjäckchen und seiner Produzentin Patty im Ohr versucht er nun einerseits, seinen Geiselnehmer bei Laune zu halten, um keine vorzeitige Monetarisierung seiner Lebensversicherung zu erwirken, und andererseits, den verschwundenen 800 Millionen Dollar nachzuspüren. „Money Monster“ kann vielleicht nicht unbedingt mit einer besonders plausiblen Geschichte aufwarten, aber spannend ist diese Live-Geiselnehmung im Fernsehen allemal. Zudem mag ich George Clooney als Schauspieler irgendwie. Er wirkt für mich immer wie der nette Onkel, der auf der Grillparty die schlüpfrigen Witze erzählt, bevor er in einer deutlich zu engen Badehose, die die Tanten aufseufzen und die Herren neidisch grunzen lässt, einen formvollendeten Köpfler in den Pool macht. Auch Julia Roberts, wenngleich in ihrer Rolle sichtlich unterfordert, ist eine Bank. So ist der Film eine sympathische Angelegenheit, in der die Reichen ihr Fett abbekommen oder geläutert aus der Sache herauskommen, was wiederum für ein gutes Gefühl sorgt. Kein großes Werk, aber eines, das gut unterhält und im Anschluss den Wunsch weckt, mal wieder Pink Floyds „The Dark Side of the Moon“ einzulegen. Ein Film mit Mehrwert also.


6,5
von 10 Kürbissen

Das unbekannte Mädchen (2016)

Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne
Original-Titel: La Fille Inconnue
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama
IMDB-Link: La Fille Inconnue


Der aktuellste Film der Brüder Dardenne, deren Filme regelmäßig auf der Viennale gezeigt werden, handelt von einer jungen Ärztin (grandios gespielt von Adèle Haenel), die vor dem nächsten Karriereschritt steht, als eine Stunde nach Praxisschluss jemand an ihrer Tür läutet. Ihr Praktikant möchte schon öffnen, aber sie heischt ihn an, das Läuten zu ignorieren, denn immerhin hat die Praxis schon lange geschlossen und wenn man so spät noch Patienten aufnimmt, läuft man Gefahr, aufgrund der eigenen Müdigkeit falsche Diagnosen zu stellen. Am nächsten Tag wird der Leichnam einer jungen Frau unweit der Praxis gefunden, und die Bilder einer Überwachungskamera zeigen, dass es jene junge Frau war, die voller Angst an der Tür der Ärztin geläutet hat, ehe sie weiter und damit in den Tod gelaufen ist. Vom Schuldgefühl geschüttelt beginnt die Ärztin, selbst Nachforschungen zu der jungen Frau anzustellen, um ihr ein anständiges Begräbnis zukommen lassen zu können. „La Fille Inconnue“ (auf der Viennale 2016 gezeigt in Anwesenheit von Luc Dardenne, der im Anschluss an die Vorführung auch viel Interessantes zum Film zu sagen hatte) ist ein ruhiger, nachdenklicher Film, der sich mit Moral und Ethik und der Frage des Schuldgefühls nach unterlassener Hilfeleistung beschäftigt. Unweigerlich wird man an die Schutzsuchenden erinnert, die vor dem Krieg nach Europa flüchten, an jene, die im Mittelmeer ertrinken und jene, die es schaffen, aber dann vor den kalten Mauern unserer Herzen stehen. Die Kunst der Dardenne-Brüder in diesem Film ist es, diese Fragen im Hintergrund mitschwingen zu lassen, ohne sie aber plakativ aufzurollen. Es geht um die Schuld des Einzelnen, auch um Sühne, um die Verschiebung von Prioritäten und um Courage. Getragen wird „La Fille Inconnue“ zudem von einer wirklich großartigen Hauptdarstellerin. Abzüge gibt es dafür, dass das Privatleben der Ärztin komplett außen vorgelassen wird (auch wenn Luc Dardenne die Gründe für diese Entscheidung erklärt hat), und dass die Menschen in diesem Film oft sehr übereifrig damit sind, ihr Gewissen zu erleichtern.


7,5
von 10 Kürbissen

Die Nacht der 1000 Stunden (2016)

Regie: Virgil Widrich
Original-Titel: Die Nacht der 1000 Stunden
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Fantasy, Satire
IMDB-Link: Die Nacht der 1000 Stunden


Man hat es oft nicht leicht mit der lieben Familie. Vor allem, wenn man als reicher Sack das Familienunternehmen führen soll, aber die Vorfahren eines Nachts allesamt mit lauter guten Ratschlägen, bösen Intrigen und manchmal auch recht planlos im herrschaftlichen Palais aufkreuzen, obwohl sie seit ein paar Jährchen schon mit den Engeln singen sollten. Aber gut, wenn man schon mal da ist, kann man ja auch gleich mal die ganze Familiengeschichte aufrollen. Das alles wäre ja noch einigermaßen stressfrei zu handhaben, wenn da nicht die schöne Großmutter wäre, die bereits in jungen Jahren eher unsanft entschlummert ist und sich nun als Geist als wirklich heißer Feger herausstellt. Wenn also dunkle Epochen der Familie und wie sie zu ihrem Besitz kam, nekrophiler Inzest und Sorge um das Erbe zusammentreffen, kann so eine gespenstische Nacht verflucht lang werden. Regisseur Virgil Widrich zelebriert die Absurdität seiner Filmprämisse genüsslich. Da behacken sich Familienmitglieder über Generationen hinweg und entlarven damit die feinen Mechanismen der Macht und ihrer Fäden, die solche Imperien zusammenhalten. Das Ganze wird tableauartig präsentiert – die Kulisse ist als solche erkennbar, und das Haus verändert sich auch mit seinen geisterhaften Bewohnern. Man kann sich diesen Film durchaus auf einer Theaterbühne vorstellen – auch dort würde er gut funktionieren. Allerdings ist der Film nicht frei von Schwächen – sei es manchmal das Spiel einiger Darsteller, die zum Outrieren neigen, sei es manche Länge, die durch Absurditäten verursacht wird, die nicht aufgelöst werden, sei es das manchmal doch sehr künstlich Überhöhte in der Umsetzung, die danach schreit: „Ich bin Kunst!“ Trotzdem ist der Film unorthodox und interessant und in seinen besten Momenten schön österreichisch hinterfotzig.


6,5
von 10 Kürbissen

Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte … (2016)

Regie: Corinna Belz
Original-Titel: Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte …
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte …


Zugegeben, ich bin kein Handke-Kenner. Einige Bücher aus seinem umfangreichen Werk habe ich zwar gelesen (zuletzt „Die Obstdiebin“), aber das qualifiziert mich noch nicht zum Experten, und mit Handke als Person habe ich mich bislang nur am Rande beschäftigt. Aber auch gerade deshalb, weil ich bisher so wenig über ihn wusste mit Ausnahme der Schlagzeilen zu den großen Kontroversen, hat mich diese Doku über den Schriftsteller interessiert. Corinna Belz ist es dabei gelungen, eine intime Atmosphäre in Handkes Haus in Frankreich aufzubauen, in der sich eine vertrauliche und von Offenheit zeugende Gesprächskultur entwickelte. Unterbrochen sind Handkes Reflexionen zu Sprache, Fiktion, Erzählung, Lebensweise und -lust immer wieder durch alte Polaroids und Archivaufnahmen von Interviews. Schade ist allerdings, dass zum einen der Familienmensch Handke trotz aller Versuche, sich ihm zu nähern, kaum greifbar wird, und zum anderen auch nicht die Gelegenheit genutzt wird, Handke mehr über sein langes und ereignisreiches Leben reflektieren zu lassen. Nicht, dass ich es auf eine Art Lebensfazit abgesehen hätte (das Handke selbst mit Sicherheit verweigert hätte), aber so bleiben die Betrachtungen zu vage in meinen Augen, intime Momentaufnahmen, die aber zu selten auf ein großes Ganzes verweisen. Trotz aller Intimität bleibt mir Handke als Mensch dennoch fremd. Doch vielleicht war ja auch genau das seine Absicht, als er sich auf die Dokumentation eingelassen hat.

 


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino Filmverleih)