1999

The Virgin Suicides (1999)

Regie: Sofia Coppola
Original-Titel: The Virgin Suicides
Erscheinungsjahr: 1999
Genre: Drama
IMDB-Link: The Virgin Suicides


Sofia Coppolas Output ist qualitativ durchaus schwankend. „Lost in Translation“ ist ein Meisterwerk und gehört für mich wohl zu den besten 30 Filmen, die ich je gesehen habe. Am anderen Ende des Spektrums stehen solche Sachen wie „The Bling Ring“ – Filme, die ihre Intention allzu plakativ in die Welt schreien und dabei vergessen, interessant zu sein. „The Virgin Suicides“ gehört zu den gelungenen Coppola-Filmen. Anders als „Lost in Translation“ ist auch „The Virgin Suicides“ nicht subtil erzählt, aber hier funktioniert das Arrangement sehr gut. Es geht um fünf Schwestern, die von ihren bürgerlichen Eltern in den 70ern allzu hohe Moralvorstellungen übergestülpt bekommen und daran und an der dadurch verursachten Isolation zugrunde gehen. Beobachtet werden sie von etwa gleichaltrigen Burschen, die Jahre später aus deren (unvollständiger) Perspektive die Geschichte der Schwestern erzählen. Der Fokus liegt hier ganz klar auf der kleinbürgerlichen Scheinmoral und den gefährlichen Resultaten allzu strenger Repressalien. Irgendwann explodiert der Druckkochtopf eben, wenn man nicht aufpasst und der Druck nicht entweichen kann. Interessant ist, dass „The Virgin Suicides“ trotz des doch sehr düsteren Themas leichtfüßig und durchaus mit Humor erzählt wird. Und darin liegt die große Stärke des Films. Er überdramatisiert die ohnehin dramatischen Ereignisse nicht. Gerade dadurch entwickelt der letzte Teil des Films dann eine besondere Wucht. Was man vielleicht kritisieren kann, ist die Tatsache, dass mit Ausnahme von Lux (Kirsten Dunst) keine weitere Figur der Geschichte wirklich viel Profil erhält. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Coppola jede Menge Personal über die Leinwand scheuchen musste – die fünf Schwestern, deren Eltern, die fünf Freunde, dazu weitere Nebenfiguren – sodass für eine schärfere Profilierung vieler Charaktere einfach keine Zeit blieb. Aber als Ensemble-Film funktioniert „The Virgin Suicides“ ja trotzdem – also was soll’s?


7,5
von 10 Kürbissen

Ein Sommernachtstraum (1999)

Regie: Michael Hoffman
Original-Titel: A Midsummer Night’s Dream
Erscheinungsjahr: 1999
Genre: Fantasy, Komödie
IMDB-Link: A Midsummer Night’s Dream


Wenn Kevin Kline, Michelle Pfeiffer, Rupert Everett, Christian Bale, Calista Flockhart, Sophie Marceau, Dominic West, Stanley Tucci, David Strathairn, Sam Rockwell und Anna Friel gemeinsam in einem Film mitwirken, dann muss das Drehbuch schon was hergeben. Dazu braucht es schon ein Kaliber wie William Shakespeare. Die Verfilmung von „Ein Sommernachtstraum“ aus dem Jahr 1999 wirkt zunächst wie beste 90er-Jahre-Fernseh-Unterhaltung. Fast meint man, Prinzessin Fantaghirò käme demnächst ums Eck. Die Kulissen sind billig, die Masken und Special Effects auch, aber irgendwie ist das bunte Treiben unglaublich charmant. Die Verwirrung um zwei Noch-Nicht-Liebespaare, nämlich Lysander und Hermia, die sich zwar lieben, aber nicht lieben dürfen, weil Hermia Demetrius versprochen ist, der sich in sie verliebt hat und wiederum selbst unerwidert von Helena geliebt wird, reichte Shakespeare noch nicht aus. Um alle beteiligten Charaktere vollends ins Tohuwabohu zu stürzen, brauchte es auch noch einen Zauberwald mit dem König der Elfen und der Königin der Elfen und eine geheimnisvolle Blume, deren magische Kraft darin liegt, dass man, nachdem man an ihr gerochen hat, sich in die erste Person verliebt, die man nach dem Aufwachen erblickt. Und wenn das zufälligerweise ein Möchtegern-Schauspieler ist, der im Wald mit seinen Kollegen ein Stück zur Hochzeit des Fürsten einproben möchte, der zufälligerweise von einem schalkhaften Kobold (der großartige Stanley Tucci) auch noch in einen Mensch-Esel-Hybrid verwandelt wurde, dann dauert es natürlich eine Weile, bis sich alles wieder in bestem Wohlgefallen aufgelöst, die Liebenden zueinander gefunden und die Schauspieler ihr Stück auf die Bühne gebracht haben. Diese Längen kann man dem Film durchaus ankreiden, aber gut, diesbezügliche Beschwerden wären wohl an den Verfasser der Zeilen zu richten, und den wird es 400 Jahre nach seinem Ableben kaum mehr jucken.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 61 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen

Nordrand (1999)

Regie: Barbara Albert
Original-Titel: Nordrand
Erscheinungsjahr: 1999
Genre: Drama
IMDB-Link: Nordrand


Das ist er also, der Wendepunkt des österreichischen Films. „Nordrand“ von Barbara Albert, 1999 angelaufen, entwickelte sich zu einem Festivalhit und war der erste österreichische Film seit Jahrzehnten, der in Venedig für den Goldenen Löwen nominiert wurde. Nina Proll konnte sogar den Preis für die beste Nachwuchsschauspielerin mit nach Hause nehmen. Plötzlich wurde der österreichische Film international wieder beachtet, und seitdem heimsen österreichische Filmschaffende bedeutende Filmpreise ein, Haneke und Ruzowitzky sind sogar Oscar-prämiert. Aber wie sieht es nun mit „Nordrand“ selbst aus, der Film, der quasi das Starterkabel für den stotternden österreichischen Filmmotor bereitstellte? Nun, es geht um alles, und es geht um nichts. Es geht primär einmal um die junge Erwachsene Jasmin (Nina Proll), die in einer dysfunktionalen Familie aufwächst (teilnahmslose Mutter, goscherte Kinder, gewalttätiger und sexuell missbrauchender Vater) und von ihrem Chef schwanger wird. Dass ihr so eine Schwangerschaft einmal passiert, überrascht niemanden, denn sie ist als promiskuitiv verschrien. Als sie die Schwangerschaft abbricht, trifft sie auf ihre ehemalige Schulkameradin Tamara (Edita Malovčić), gebürtige Serbin, die von ihrem Freund ebenfalls ungewollt schwanger geworden ist. So ein Erlebnis verbindet, und die alte Freundschaft flammt wieder auf. Weitere Handlungsstränge beschäftigen sich mit dem bosnischen Soldaten Senad (Astrit Alihajdaraj), ein Deserteur, der illegal über die Grenze nach Österreich eingewandert ist, und dem Rumänen Valentin (Michael Tanczos), der von Amerika träumt. Die Wege dieser vier jungen Menschen kreuzen sich, und für einen Moment sieht es so aus, als wäre ein glückliches Leben möglich. Doch was das Leben tatsächlich bringt, bleibt offen. Barbara Albert selbst erklärte, sie wollte einen Film über Nähe und Distanz machen, und diese Intention kommt klar durch. Allerdings mäandert der Film manchmal ein wenig zu sehr herum. Ich mag es prinzipiell, wenn Vieles in der Schwebe bleibt, wenn der Zuseher am Ende des Films die Geschichte weiterdenken kann, aber ein wenig mehr Struktur hätte Barbara Albert dem Zuseher schon an die Hand geben können. So ist „Nordrand“ mehr ein Gesellschafts- und Zeitporträt als eine interessante Geschichte. Auf jeden Fall kann man den Film wunderbar dazu verwenden, den jüngeren Österreicherinnen und Österreichern das Wien der 90er zu erklären: Den Soundtrack liefern die Kelly Family und Ace of Base, Jasmin arbeitet bei der Aida (dass es dieses rosafarbene Konditorei-Franchise auch heute noch gibt, gehört zu den großen Anachronismen des Universums), am Nationalfeiertag fahren vor begeisterten, Fähnchen schwingenden Vorstadthelden („Yeah, unser Heer! Wir brauchen des!“) die Panzer auf, während am Himmel die Draken vorbeistottern, zu Silvester wird vor dem Stephansdom der Donauwalzer getanzt, und ein junger Georg Friedrich raunzt sich durchs Drehbuch. Mehr Wien, mehr 90er geht nicht.


6,0
von 10 Kürbissen