Horror

Hereditary – Das Vermächtnis (2018)

Regie: Ari Aster
Original-Titel: Hereditary
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Horror
IMDB-Link: Hereditary


Die in der Menschheitsgeschichte am meisten gestellte Frage ist wohl die nach dem Warum. Eine solche Frage stellte ich mir gestern auch wieder: Warum sitze ich Schisser allein im Kino in einem Horrorfilm, der noch dazu als besonders furchteinflößend beschrieben wird? Eine mögliche Antwort: Als Filmliebhaber sollte ich halt für alle Genres offen sein. Jedenfalls saßen ich und mein Popcorn (damit ich nicht ganz so allein war) hinter und neben und vor jungen Pärchen, die ihre Beziehung durch gemeinsame Grenzerfahrungen zu stärken versuchten. Das schien zu funktionieren. Auch meine Beziehung zum Popcorn wurde während der zwei Stunden von „Hereditary“ vertieft. Die Grundprämisse ist eine simple: Mutter (die überragende Toni Collette) von zwei Kindern samt stoischem Ehegatten (Gabriel Byrne, schön, ihn wieder mal gesehen zu haben) trauert um ihre Mutter, zu der sie ein ambivalentes, kaltes Verhältnis hatte, die aber gemeinsam mit der Familie die letzten Jahre unter einem Dach gewohnt hat. Und wie das so ist mit Familienbanden – ganz scheinen die auch nicht zu reißen, wenn Omi schon mit den Englein singen sollte. Offenbar ist es aber im Himmel fad, oder ihr wurde schlicht der Eintritt verwehrt, jedenfalls mehren sich die Zeichen, dass Omi hier im Haus noch was zu tun hat. Auch die Kinder sind irgendwie neben der Spur – der ältere Sohn fühlt sich missverstanden und ungeliebt, die jüngere Tochter scheint ihre Siebensachen nicht ganz beisammen zu haben, wirkt abwesend und macht ständig Klickgeräusche. (In „A Quiet Place“ hätte sie keine zwei Minuten überlebt.) Und wie das so ist bei Horrorfilmen, beginnt alles recht gemächlich, aber nach und nach werden die Daumenschrauben angezogen. Dabei ist „Hereditary“ ein Film, der nicht auf Schockeffekte durch billige Jump-Scares aus ist, sondern dem Zuseher das Gruseln nachhaltig beibringen will – über die gut gezeichneten und herausragend gespielten Figuren. Zeitweise könnte der Film auch eine magisch-realistische Abhandlung über Trauerarbeit sein – aber gegen Ende hin wird klar, dass das viel zu kurz gegriffen wäre und der Film Böses mit einem vor hat. Die letzten zwanzig Minuten konnte ich sehr konzentriert den Bezug des Kinosessels vor mir bewundern. Und mir die eingangs erwähnte Warum-Frage stellen.


7,0
von 10 Kürbissen

Godzilla (1954)

Regie: Ishirō Honda
Original-Titel: Gojira
Erscheinungsjahr: 1954
Genre: Science Fiction, Horror
IMDB-Link: Gojira


Es ist Zeit für einen Klassiker. Der erste Godzilla-Film von 1954 ist ein durchaus ansehnliches Trash-Vergnügen, jedenfalls was die Special Effects betrifft. Das Gummimonster mit den lustigen Glubsch-Augen stapft über Kartonmodelle und wirft zornig mit Modelleisenbahnwaggons um sich. Blickt man über diese amüsanten, wenngleich fantasievollen Notbehelfe hinweg, sticht jedoch die gut durchdachte, mitreißende Story ins Auge. „Godzilla“ war anno dazumal nicht weniger als ein Versuch der cineastischen Aufarbeitung des japanischen Atombombentraumas. Gleichzeitig ist die Story verknüpft mit der Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft für das Weltgeschehen. Zwar werden dem Zuseher alle Fragen und Erkenntnisse mit dem Holzhammer eingebläut, aber schon der Versuch, sich dieser Themen anzunehmen, ist löblich und stellt den Original-Godzilla schon mal weit über das Emmerich’sche Desaster von 1998 (über das ich lieber keine weiteren Worte verliere, auch wenn ich Jean Reno seit „Léon der Profi“ vergöttere). Dazu kommen durchaus interessante Protagonisten mit eigenen Geschichten und Motivationen, die dem Zuseher Identifikationsmöglichkeiten bieten. Einzige Schwierigkeit: Die japanischen Gesichter auseinanderzuhalten, was durch die körnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen noch einmal eine besondere Herausforderung darstellt für das die Physiognomie des Ostens betreffend ungeübte Auge. Aber gut, auch wir Europäer sehen schließlich alle gleich aus. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Und die japanische Perspektive ist eine durchaus interessante, die nicht nur viele weitere Fortsetzungen mit sich gezogen, sondern auch dazu geführt hat, dass auch der Westen dieses ur-japanischste aller Monster lieben gelernt hat.

 


6,5
von 10 Kürbissen

The Cured – Infiziert. Geheilt. Verstoßen. (2017)

Regie: David Freyne
Original-Titel: The Cured
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Horror
IMDB-Link: The Cured


So eine Zombie-Karriere taugt auf die Dauer nichts. Es ist halt ein bisschen eintönig: Herumschlurfen, gelegentlich auszucken, wenn Menschenfleisch in Sicht kommt, und wenn sich die Gfraster wehren, wird einem oft der Schädel eingeschlagen. Daher denkt sich die Regierung nach dem Ausbruch einer Zombie-Epidemie in Irland: So ein Gegenmittel wäre schon leiwand. Und dank heller Köpfe gelingt es auch, 75% der Zombies wieder zurückzuverwandeln in friedfertige Bürger. Doch wie geht man damit um, wenn man weiß, dass man gegen seinen Willen seine Verwandtschaft verspeist hat? Mit dieser Frage plagt sich der geheilte Ex-Zombie Senan (Sam Keeley) herum. Seine Schwägerin (Ellen Page), die nach der Epidemie ohne Ehemann, aber mit Sohn auskommen muss, nimmt ihn dankenswerterweise auf. Ist ja technisch gesehen immer noch sein Haus. Blöd sind zwei Dinge: Die Erinnerung daran, was man getan hat, die sich immer wieder in Albträumen manifestiert, und die Tatsache, dass die Bevölkerung einen regelrechten Hass auf die Geheilten entwickelt hat. Klar, wenn dein Nachbar nicht nur deinen Hund, sondern auch noch deine ganze Familie gegessen hat, kann man gewisse Animositäten nicht verhindern. Dass sich zudem 25% der Infizierten durch das Gegenmittel nicht heilen lassen und in Armeelagern gefangen gehalten werden, löst die Spannungen in der Bevölkerung auch nicht gerade. „The Cured“ hat eine wirklich geniale Ausgangsbasis. Die Frage der Schuld, der Vergebung, der Wiedereingliederung jener, die willenlos Abscheuliches getan haben – all das würde einen solchen Film mit Leichtigkeit tragen. Leider geht „The Cured“ diesen Weg nicht konsequent zu Ende. Stattdessen biegt er in der zweiten Hälfte in Richtung eines recht klassischen Zombie-Horrors ab, der in einem chaotischen und irgendwie unlogischen Showdown mündet. Immer öfter drängt sich die Frage nach der Motivation für viele Handlungen auf – und nicht selten lautet die unbefriedigende Antwort: Weil’s die Dramaturgie so will. So ist „The Cured“ ein Film der vergebenen Chancen. Unterhaltsam und genregerecht spannend, aber der große Twist im Zombie-Genre bleibt damit aus.

 


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival Linz)

Double Date (2017)

Regie: Benjamin Barfoot
Original-Titel: Double Date
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Horror, Komödie, Satire, Thriller
IMDB-Link: Double Date


Noch vor Beginn des Films wurden gleich mal die Weichen für die kommenden 1,5 Stunden gestellt, als der Moderator launig ins Publikum fragte, wer denn schon einmal bei einem Double Date gewesen sei, also zusammen mit einem Freund / einer Freundin und den jeweiligen Love Interests unterwegs. Ein paar zaghafte Hände gingen in die Höhe. Auf die Rückfrage des Moderators, wie denn das so gewesen sei, kam aus von einem Zuseher die Antwort: „Tatsächlich sind wir gerade auf einem Double Date.“ Der Moderator daraufhin: „Dann bin ich mal gespannt, ob ich euch morgen wiedersehe, denn wie wir gleich erfahren werden, sind Double Dates manchmal tödlich.“ Und damit ist gleich mal zusammengefasst, worum es in Benjamin Barfoots Film geht. Dieser ist reine Publikumsbespaßung. Mit großem Vergnügen zelebriert Barfoot jegliches Klischee, die man rund um die Dating-Situationen junger Erwachsener finden kann, und stellt dann den Fuß bis zum Anschlag aufs Gaspedal. Die Story: Der schüchterne Jim steht vor seinem dreißigsten Geburtstag und hatte noch nie etwas mit einer Frau. Sein großmäuliger Freund Alex verspricht ihm daher, dass er noch vor seinem Geburtstag flachgelegt werden würde. Auftritt zweier übertrieben hübscher Grazien in der Bar, die an den beiden Kumpanen trotz holpriger Anmache überraschend Gefallen finden. Was der Maulheld und sein komplexbeladener Kompagnon nicht ahnen: Die beiden Mädels haben sinistere Pläne, die Chloroform, ein Messer und mehrere Stunden Putzen danach inkludieren. Ahnungslos tappen die beiden libidinösen Helden in die Venusfalle. Dass sie zudem nicht die hellsten Sterne am Firmament sind, lässt den geneigten Zuseher umso mehr um ihr armseliges Leben bangen. „Double Date“ ist ein Film nach dem Motto „Hirn aus, Popcorn rein“. Der Spaßfaktor ist enorm, und vor allem, wenn man mit dem leicht verdrehten und schwarzen britischen Humor etwas anfangen kann, macht man hier nichts falsch. „Double Date“ hat ein einfaches Rezept, das aber gut funktioniert: Über jeden Schrecken lässt sich auch lachen.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival Linz)

A Quiet Place (2018)

Regie: John Krasinski
Original-Titel: A Quiet Place
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Horror
IMDB-Link: A Quiet Place


Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Vor allem, wenn man in einer Welt lebt, in der Kreaturen hausen, die alles metzgern, was Geräusche macht. Und so schleichen John Krasinski (der auch Regie führte und das Drehbuch schrieb) und Emily Blunt samt ihrer Kinder auf Zehenspitzen durch die Gegend. Und auch das Publikum passt sich der Stille an und wagt sich kaum an das Popcorn heran. Wenn dann mal wieder Maisnachschub in die Futterluke muss, macht man eine weitere völlig neue Erfahrung. Schon mal Popcorn gelutscht? „A Quiet Place“ ist tatsächlich ein stiller Horrorfilm. Für die Atmosphäre sorgt der effektiv eingesetzte Soundtrack. Darüber hinaus ist alles, was Geräusche verursacht, mit Ärger verbunden. Spannend ist hierbei auch die Beobachtung zwischenmenschlicher Interaktion. Mal etwas auszudiskutieren ist nicht drin. Und natürlich verursacht auch diese fehlende Möglichkeit, sich mal ordentlich die Meinung zu geigen, weitere Problemen mit den Akustik-Aficionados from outer space. Erklärt wird nicht, was es mit diesen Viechern auf sich hat, die wie das Ergebnis einer unseligen Affäre zwischen Ellen Ripleys Alien und den Bugs aus Stormship Troopers aussehen. Hier geht es rein ums Überleben in völliger Lautlosigkeit. Und das ist sauspannend gemacht. Ich bin wahrlich kein Horrorfan, aber mit diesem subtilen Horror kann ich auch viel anfangen. Dass es letztlich nicht für eine noch bessere Bewertung gereicht hat, ist einigen Logiklöchern geschuldet (wohl eine Genrekrankheit, aber trotzdem) und der Tatsache, dass trotz des originellen Ausgangsbasis am Ende dann doch „nur“ ein konventioneller Horrorfilm herausgeschaut hat, der in weiterer Folge ziemlich überraschungsfrei bleibt. Das alles ist allerdings gut gemacht und macht Spaß. Nach dem Kinobesuch macht man es den Protagonisten nach: Man schleicht auf Zehenspitzen nach Hause.


7,0
von 10 Kürbissen

Auslöschung (2018)

Regie: Alex Garland
Original-Titel: Annihilation
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Science Fiction, Horror
IMDB-Link: Annihilation


Oft tritt Überraschendes zutage beim Sichten von Filmen. So zum Beispiel, dass Thomas Bernhard ein echt leiwander Science Fiction-Autor war. Alex Garland hat seinen Roman „Auslöschung“ zwar ein bisschen gar frei interpretiert, aber hey – das ist das Recht eines jeden Künstlers. So wird aus dem fünfzigjährigen Professor Franz-Josef Murau die junge Biologin und Ex-Soldatin Lena (Natalie Portman). Diese plagt sich damit herum, dass ihr Angetrauter Kane (Oscar Isaac), ein Soldat, seit einem Jahr verschollen ist. Nun steht er plötzlich wieder vor der Tür, ein bisschen schweigsam vielleicht, aber doch in einem Stück. Blöd nur, dass er gleich darauf beginnt, Blut zu spucken, und auf dem Weg ins Krankenhaus wird man gleich mal eingesackelt und unter Quarantäne gestellt. Dabei stellt sich heraus, dass Kane in einer geheimen Mission unterwegs war, die eine seltsame Anomalie, einen „Schimmer“, im Sumpfgebiet von WeißderGeierwoesisthaltwieüblichirgendwoinAmerika, untersuchen sollte. Bislang ist er das einzige Lebewesen, das lebend aus diesem Gebiet zurückgekehrt ist. Und weil’s dem Holden gesundheitlich ja eh nicht so gut geht, dass man groß Hoffnung hegen könnte, und weil Lena gerade ein bisschen fad ist, schließt sie sich kurzerhand der nächsten Mission an, die aus vier Frauen besteht, weil den Männern kann man ja nicht mehr trauen, die kommen nicht zurück und wenn schon, spucken sie Blut und sehen nicht so aus, als würden sie es noch lange machen. Was dann in diesem Sumpfgebiet innerhalb des Schimmers passiert, kann man nicht erzählen, ohne massiv zu spoilern. Nur so viel: Oft fühlt man sich an Tarkowskis „Stalker“ erinnert, manchmal auch an „Jurassic Park“, stimmungsmäßig werden gelegentlich Erinnerungen an „Under the Skin“ wach, und wenn man sich in cineastischer Euphorie etwas zu sehr mitreißen lässt, könnte man auch noch Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ referenzieren, aber das wäre wohl zu viel des Guten. Was „Auslöschung“ aber definitiv bietet, ist gute und spannende Unterhaltung, die sich intellektuell nicht nur auf Höhe der Grasnarbe aufhält, aber letztlich vielleicht einen kleinen Tick zu viel verspricht als der Film letztlich halten kann.

 


7,0
von 10 Kürbissen

Frankenstein (1931)

Regie: James Whale
Original-Titel: Frankenstein
Erscheinungsjahr: 1931
Genre: Horror
IMDB-Link: Frankenstein


Boris Karloff als Monster. Eine Ikone der Filmgeschichte. James Whale schuf mit „Frankenstein“ mehr oder weniger die Blaupause für alle nachfolgenden Monsterhorrorfilme. Und gleich zu Beginn des Films wird von einem besorgten Moderator gewarnt: Ansehen nur auf eigene Gefahr! Dass Horror heutzutage anders funktioniert als vor 85 Jahren, dafür kann der Film nichts. Damals fuhren die auf der Leinwand gezeigten Schrecken (die ohne musikalischer Untermalung zur Zuspitzung der Situation auskommen) den arglosen Besuchern tatsächlich in die Glieder. Heute sind Karloffs schwankender Gang und sein starrer Blick zwar immer noch sehenswert, verbreiten aber keine Angst, sondern eher ein wohliges Gefühl der Nostalgie. Nein, „Frankenstein“ treibt heutzutage den Puls nicht mehr in die Höhe. Dennoch ist der Film definitiv eine Sichtung wert. Wenn man sich nämlich von der Prämisse löst, von einer Angststarre einen halben Meter tief in die Couch genagelt werden zu müssen, um den Film als Horrorfilm genießen zu können, entdeckt man sehr viel Schönes und dauerhaft Bewährtes. Wie etwa die wunderbare Atmosphäre, die sich in den mit Liebe zum Detail schaurig gestalteten Kulissen manifestiert. Oder eben das sehr physische, präsente Spiel von Boris Karloff. Und eben die von Mary Shelleys Romanvorlage übernommene prinzipielle Unschuld des Monsters, der erst durch den Umgang der Umwelt mit ihm dem Bösen in die Arme getrieben wird. Wunderbar die Szene, als das Monster am See mit einem kleinen Mädchen spielt – und wie emotional der Moment, als er es versehentlich tötet und vor Schrecken über seine eigene, aus Naivität geborener Tat in den Wald flüchtet. Das sind ganz starke Momente. Was mir allerdings nicht gefallen hat, war der allzu lockere Umgang mit der literarischen Vorlage. So heißt Viktor Frankenstein im Film plötzlich Henry Frankenstein, während Victor zwar vorkommt, aber als andere Figur, als guter Freund des Hauses nämlich (der für die Geschichte an sich ziemlich für die Fisch‘ ist) – im Grunde basiert der Film nur sehr lose auf Shelleys grandiosem Roman. Das zeigt sich auch an den Dialogen, bei denen es sich leider oft nicht mehr als um eine lieblose Aneinanderreihung von Plattitüden und Banalitäten handelt, die die Handlung vorantreiben sollen – nur leider: das geschulte Ohr hört mit, und manchmal wäre Schweigen wirklich Gold (vor allem, wenn das Gerede nur beschreibt, was ohnehin auf dem Bildschirm zu sehen ist). Dafür gibt’s Abzüge. Trotzdem kann James Whales „Frankenstein“ auch heute noch mit Genuss gesehen werden. Filmhistorisch ist dieses Werk ohnehin über jeden Zweifel erhaben.


6,5
von 10 Kürbissen

Raw (2016)

Regie: Julia Ducournau
Original-Titel: Grave
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Horror
IMDB-Link: Grave


Als „Raw“ 2016 in Toronto auf dem Filmfestival gezeigt wurde, fielen einige Zuseher in Ohnmacht und mussten medizinisch versorgt werden. Das Stadtkino-Publikum gestern hatte stärkere Mägen, und die Reaktionen auf den Film beschränkten sich auf entsetztes Aufstöhnen, gefolgt von hysterischem Gelächter. Aber die Reaktionen in beiden Fällen zeigen: „Raw“ ist heftig und bricht Tabus. Der Film handelt von der jungen Vegetarierin Justine, die an der Universität, auf der auch schon ihre ältere Schwester eingeschrieben ist, das Studium der Veterinärmedizin aufnimmt. Dabei muss sie mühsame und seltsame Initiationsriten durchlaufen – was darin gipfelt, dass sie als Vegetarierin rohe Hasennieren essen muss. Ihre Schwester nötigt sie dazu und enthüllt dadurch, dass sie selbst keine Vegetarierin mehr ist. Justines Reaktion auf das ungewohnte Fleisch fällt heftig aus: Sie bekommt überall am Körper einen juckenden Ausschlag. Und sie entwickelt seltsame Gelüste – auf Fleisch. Dieser Hunger lässt sich nur schwer stillen, wie sie herausfindet. Bald reicht ihr der Hamburger nicht mehr, und sie beißt in das rohe Putenfilet. Und als bei einem Unfall ihre Schwester einen Finger verliert, erweist sich dieser als schmackhaft wie ein Hühnerhaxen. Die Büchse der Pandora ist damit endgültig offen. „Raw“ ist eine etwas andere Coming of Age-Geschichte. Hinter dem Topos des Horrorfilms verbirgt sich nämlich die Frage nach verborgenen (und verbotenen) Gelüsten und Selbstkontrolle. Der Film taucht damit tief in die menschliche Natur ein. Wie wäre es um die Welt bestellt, wenn alle Menschen einfach nur ihren Trieben und Gelüsten nachgeben würden? In Extremsituationen sieht man oft, wie die gesellschaftlich konstituierte Schranke, die unsere niederen Triebe zurückhält, eingerissen wird. „Raw“ macht im Grunde das Gleiche – nur auf eine drastischere Weise, nämlich losgelöst von der Extremsituation, ins Symbolhafte gedreht und projiziert auf eine absolute Sympathieträgerin, denn die nerdige, fleißige, unschuldige und hübsche Studentin, die Tierärztin werden möchte, ist jene Figur, die man am weitesten entfernt von solchen extremen Gelüsten glaubt. Das macht es umso unangenehmer, wenn sie gierig das aus dem Fingerstumpen ihrer Schwester tropfende Blut aufleckt. Fazit: Nur etwas für Saumägen.


7,0
von 10 Kürbissen

The Bad Batch (2016)

Regie: Ana Lily Amirpour
Original-Titel: The Bad Batch
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Horror, Thriller, Science Fiction
IMDB-Link: The Bad Batch


Ana Lily Amirpours erster Langfilm, „A Girl Walks Home Alone At Night“, eine feministische Schwarz-Weiß-Coming-of-Age-Vampir-Romanze, war eine Sensation. So war ich auch schon extrem gespannt auf ihr nächstes Werk, „The Bad Batch“, zumal sie dafür einige sehr namhafte Schauspieler gewinnen konnte (für zum Teil wirklich winzige Rollen): Jason Momoa. Keanu Reeves. Jim Carrey. Giovanni Ribisi. Diego Luna. Der Fokus liegt aber auf der von Suki Waterhouse gespielten Arlen. Der Film erzählt die Geschichte einer dystopischen Wüstenwelt, in der Menschen in zwei Kategorien fallen: Du frisst oder du wirst gefressen. Arlen hat zu Beginn das Pech, die Bekanntschaft mit der ersten Gruppe zu machen. Ein Arm und ein Bein müssen dran glauben, doch dann gelingt ihr die Flucht, und sie wird aufgenommen von einer Gemeinschaft in einer Stadt namens „Comfort“. Doch die beiden Welten vermischen sich bald wieder, als Arlen ein junges Kannibalen-Mädchen aufnimmt, deren Mutter sie erschossen hat. Und Papa macht sich bald auf den Weg.

„The Bad Batch“ ist vor allem eines: Seltsam. Die Welt, in der sich Arlen und der Zuseher wiederfindet, wird nicht näher erklärt. Die Motivationen der Menschen, ihre Handlungen, sind oft eine Zuspitzung unserer bestehenden Welt ins Degenerierte. Moral und Ethik scheinen auf unseren Werten aufzubauen, aber in manchen Punkten drastisch verschoben worden zu sein. Es wirkt, als hätte Ana Lily Amirpour den ganzen Dreck unserer Gesellschaft eingesammelt und daraus eine neue Welt gebastelt. Vergleiche mit „Mad Max“ sind durchaus zulässig. Im Grunde wirkt „The Bad Batch“ so, als wäre sie der Welt von „Mad Max“ entsprungen, quasi ein Seitenstrang der gleichen Geschichte, nur viel langsamer und noch rätselhafter. Oder aber man sehe sich einfach das Musikvideo „Sometimes I Feel So Deserted“ von den Chemical Brothers an – auch das spielt atmosphärisch im gleichen Umfeld. Da sich der Film aber nicht um Erklärungen bemüht, sondern ständig nur Fragen an den Zuseher zurückwirft, wirkt „The Bad Batch“ nicht ganz so stringent wie Amirpours Erstling „A Girl Walks Home Alone At Night“. Die Geschichte hat Längen, sie ist manchmal nicht einzuordnen und verstörend, manche Handlungsstränge sind – im Gesamten betrachtet – einfach nicht zwingend. Aber eine interessante Erfahrung ist „The Bad Batch“ aber allemal. Ein Film, der im Gedächtnis hängenbleibt.


6,5
von 10 Kürbissen

Es (2017)

Regie: Andrés Muschietti
Original-Titel: It
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Horror
IMDB-Link: It


Ich gebe es zu: Ich bin ein Schisser. Horrorfilme sind nur selten etwas für mich. Sie müssen augenzwinkernd oder zumindest mit einer klaren sozialkritischen Botschaft daherkommen, an der ich mich mit weißen Knöcheln festkrallen kann, und dürfen meinen Puls nicht mit zu  vielen Jump-Scares in die Höhe jagen. „Get Out“ war zuletzt so ein gelungenes Beispiel, oder auch der rasend komische Meta-Horror-Film „The Cabin in the Woods“, aber auch „28 Days Later“. Rasend komisch habe ich die Neuverfilmung „Es“ (gleich vorweg: Die 1990er-Verfilmung mit Tim Curry in der Rolle des Pennywise habe ich nie gesehen, denn: siehe erster Satz) nicht erwartet, und anhand des Trailers war klar: Hier wird mit Jump-Scares gearbeitet. Warum also habe ich mich freiwillig in einen dunklen Kinosaal gesetzt, um mir das dennoch anzusehen? Nun ja, es ist Stephen King. Und der Mann kann einfach etwas irrsinnig gut – abgesehen davon, die Leser zu Tode zu erschrecken. Denn das ist nämlich die Figurenzeichnung und das Aufwerfen der großen, existenziellen Fragen nach dem Aufwachsen, nach Freundschaft und Zugehörigkeit, nach der Rolle im Leben. So stammt die Vorlage von „Stand by Me“ auch aus seiner Feder. Und in gewisser Weise ist „Es“ in der Verfilmung von Andrés Muschietti eine Neu-Interpretation von „Stand by Me“, nur mit Gruselclown. Der Film erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte, jedenfalls dieser erste Teil, der ausschließlich den Handlungsstrang der Kinder behandelt (der von den 50er-Jahren in die 80er-Jahre verlegt wurde, was sehr gut funktioniert). Mit der Chemie zwischen den Kinderdarstellern steht und fällt das Ganze aber auch. Und da macht „Es“ alles richtig. Jeder einzelne der Darsteller ist grandios gecastet, jeder spielt großartig, jeder hat seine würdigen Momente und ausreichend Screentime. Der Film ist im Grunde mehr an diesen Figuren und ihrer Freundschaft und ihrem Aufwachsen interessiert. „Es“ ist das Böse, das in eine Idylle hineinbricht, aber „Es“ ist auch das, was die Kinder letztlich zusammenschweißt und sie stärker macht. Bill Skarsgård legt seinen Pennywise facettenreich und diabolisch an, ein würdiger Gegenspieler für den Club der Verlierer, aber im Grunde hat weder der Schauspieler noch „Es“ eine Chance, gegen die Kinder anzukommen. Und das macht „Es“, jedenfalls den ersten Teil (der zweite soll 2019 ins Kino kommen), zu einem dann doch sehr optimistischen Film. Das kann sich auch ein Schisser wie ich ansehen, auch wenn es natürlich die dazugehörige Dosis Jump-Scares und gruseliger Momente gibt. Für Horror-Aficionados wird das vielleicht zu wenig sein, aber wer an einer guten Geschichte mit lebensnahen Figuren interessiert ist, ist mit „Es“ gut bedient.


7,5
von 10 Kürbissen