Historienfilm

Silence (2016)

Regie: Martin Scorsese
Original-Titel: Silence
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Silence


Die Anzahl an Meisterwerken, die Martin Scorsese im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere geschaffen hat, ist eindrucksvoll. So wurde auch sein neuester Streich, „Silence“, mit großer Spannung erwartet. Bei den Oscarnominierungen dann die große Überraschung: Lediglich Kameramann Rodrigo Prieto wurde nominiert (und musste sich dann Linus Sandgren für „La La Land“ geschlagen geben). Nun nach dem Sichten des Films muss ich sagen: Mir leuchtet nun ein, warum es so still war rund um „Silence“. Denn Scorseses Film über die Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts und die Geschichte rund um zwei Jesuiten-Priester (Andrew Garfield und Adam Driver), die ihren alten Mentor (Liam Neeson) suchen, der sich angeblich vom Glauben abgewandt hat, ist ein sperriges und mühsames, sich über mehr als 2,5 Stunden entfaltendes Epos, für das man viel Sitzfleisch braucht. Die Geschichte wird langsam und höhepunktarm erzählt. An sich ist das ja nichts Schlechtes – ich mag Filme, die ihrer Geschichte Zeit lassen, sich zu entfalten. Aber die einzelnen Schritte hin zum Ende sind einfach unglaublich zäh und spannungsfrei erzählt. Die Wandlung von Padre Rodriguez (sehr gut gespielt von Andrew Garfield – dafür hätte er eine Oscar-Nominierung verdient und nicht für „Hacksaw Ridge“), der innere Konflikt, in den er gerät angesichts des Leids, das er durch seinen Glauben über die verfolgten Christen bringt, ist schon interessant anzusehen und auch glaubwürdig, aber man hätte das durchaus straffen können. Szenen wiederholen sich, Konflikte werden immer wieder auf ähnliche Weise dargestellt, alles tröpfelt so ein bisschen vor sich her. So bleibt „Silence“ ein merkwürdig unentschlossener Film mit dokumentarischer Anmutung. Über 2,5 Stunden fordert das halt auch Opfer. Die drei Jungs, die nach ca. 1,5 Stunden den Kinosaal verlassen habe, konnte ich zum Teil wirklich verstehen.


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Constantin)

https://www.youtube.com/watch?v=-eWYF-a3pUI

Jackie – Die First Lady (2016)

Regie: Pablo Larraín
Original-Titel: Jackie
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic, Historienfilm, Politfilm
IMDB-Link: Jackie


Alle Zutaten für einen Filmkürbis-Lieblingsfilm sind angerichtet: Natalie Portman, Jugend-Crush und immer noch hochgeschätzte Schauspielerin, spielt Jackie, die Ehefrau bzw. Witwe von JFK in einem Film von Pablo Larraín, der mich vor kurzem erst mit „Neruda“ begeistert hat. Der Trailer verspricht menschliche Abgründe, tolle Dialoge und große Schauspielkunst. Aber hält er diese Versprechen auch? Leider nur zum Teil. „Jackie“ ist großartig gespielt, keine Frage. Ob nun Natalie Portman mit einer Leistung, für die sie ihren zweiten Oscar bekommen müsste (wäre da nicht Emma Stone im Weg), oder Peter Sarsgaard als Bobby Kennedy, der selige John Hurt als zweifelnder, gedankenvoller Priester oder Billy Crudup als charismatischer Journalist – jede Rolle ist toll besetzt und gespielt. Und ja, die Dialoge sind (zumeist) intelligent und abgründig. Aber etwas Entscheidendes fehlt dem Film, um so richtig zu zünden: Und das ist bedauerlicherweise die Tiefe der Figuren. Man sieht eine verzweifelte Jackie, eine tapfere Jackie, eine ratlose Jackie, der Film kreist um sie und ihre Gefühlsausbrüche und auch die Versuche, eben jene zu kontrollieren, aber trotzdem bleibt Larraín mit seinem Film an der Oberfläche. Die Geschichte, die „Jackie“ erzählt, handelt von Verlust (vom privaten Verlust eines geliebten Menschen wie auch von einem Verlust von Anerkennung, von Bedeutung, von Lebenssinn), behandelt aber dieses Thema dermaßen zentral und ausführlich, dass kein Raum bleibt für die Figuren, andere Facetten von sich zu zeigen. Der Film wird somit bedrückend und wirkt teilweise langatmig. Absolut kein schlechter Film, aber nach dem Ansehen hatte ich das Gefühl, dass der Film mehr eine theoretische Abhandlung über Trauer ist als ein Stück Leben, das im Gleichklang mit seinen Protagonisten atmet. „Jackie“ ist gut gemachtes, aber trotz der Intimität seines Porträts ein wenig distanziertes Kino.


6,0
von 10 Kürbissen

Egon Schiele: Tod und Mädchen (2016)

Regie: Dieter Berner
Original-Titel: Egon Schiele: Tod und Mädchen
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Biopic, Drama, Historienfilm
IMDB-Link: Egon Schiele: Tod und Mädchen


Mit Biopics ist es ja so eine Sache. Wie strukturiert man diese, damit nicht einfach nur chronologisch (und arschlangweilig) ein Leben nacherzählt wird? Viele Filmemacher greifen dann zu einem ganz wundervollen Trick: Sie beginnen mit dem Ende oder kurz vor dem Ende und erzählen dann die Geschichte in Rückblenden. Krass innovativ, ey! Dass darunter der Spannungsbogen leidet, geschenkt! Denn hey, dass der Typ, dessen Leben da gezeigt wird, längst tot ist, ist ja allgemein bekannt, da kann man also gar nicht spoilern. Stimmt. Nur kann man so eben auch kaum eine wirklich packende Geschichte erzählen. „Egon Schiele: Tod und Mädchen“ von Dieter Berner tappt in genau diese Falle. Eigentlich ist das Biopic rund um die Besessenheit des österreichischen Jugendstil-Meisters ja recht erbaulich. Noah Saavedra spielt sympathisch und bemüht sich nach Kräften, diesem Übergott der Kunst ein menschliches Antlitz zu verleihen (das oftmals zu profan ausfällt, sodass man als Zuseher langsam ins Grübeln kommt, worin denn nun das Genie des Künstlers liegen soll – aber das ist ein anderer Kritikpunkt), die Ausstattung ist durchaus gelungen, viele Rollen sind gut besetzt. Aber es wird eben keine runde Geschichte daraus. So mäandert der Film, ausgehend vom Endpunkt, einem schwer lungenkranken Egon Schiele in seinem Totenbett, zwischen den Brüsten der g’schmackigen Darstellerinnen, den Konflikten mit der Obrigkeit und den Familiendramen mit der Schwester hin und her, aber man weiß ja, was kommt (hustender Schiele), und irgendwie ergeben die Teile, so gut gemeint und so interessant sie für sich vielleicht auch sein mögen, kein Ganzes. Nicht schlecht, aber unterm Strich halt sehr konventionelles Futter.


5,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=Gx54mwtF77E

Vor der Morgenröte (2016)

Regie: Maria Schrader
Original-Titel: Vor der Morgenröte
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Drama, Biopic, Historienfilm
IMDB-Link: Vor der Morgenröte


Josef Hader ist schon ein Guter. Kaum eine Figur könnte seinem Simon Brenner aus den Verfilmungen der Wolf Haas-Romane weiter entfernt sein als Stefan Zweig. Und doch wird Hader in Maria Schraders „Vor der Morgenröte“ zu eben diesem. Der Film erzählt die letzten Jahre Zweigs im Exil – in Argentinien, in New York, schließlich in Petrópolis, Brasilien. Der bedachte Kopfmensch bemüht sich, das große Ganze im Blick zu behalten und nicht ein ganzes Volk zu verteufeln, auch wenn das die Reporter und viele seiner Schicksalsgenossen und Dichterkollegen von ihm wünschen würden. Er ist besorgt, aber gleichzeitig als Intellektueller und wohlhabender Mann, der flüchten konnte, privilegiert. Daraus baut Maria Schrader das Porträt eines Mannes, der hin- und hergerissen ist zwischen den Schrecken seiner Zeit und dem schlechten Gewissen, einer der wenigen Überlebenden zu sein und als solcher Verantwortung zu tragen, die er nicht in dem Umfang annimmt bzw. annehmen kann, der ihm gerechtfertigt erscheint. Gleichzeitig ist „Vor der Morgenröte“ ein exzellent gefilmter Clash of Cultures. Wenn auf einer brasilianischen Farm im Nirgendwo eine Blasmusikkapelle aufmarschiert und mit schiefen Tönen den Donauwalzer intoniert, während sich der Bürgermeister vor Stolz, einen solch bedeutenden Schriftsteller bei sich zu haben, kaum halten kann, und dann die Kamera ins Gesicht von Hader zoomt und der Zuseher seine feuchten Augen bemerkt, erzählt der Film unglaublich viel über Heimat und Fremdheit. Ein ganz großer Wurf.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

In the Crosswind (2014)

Regie: Martti Helde
Original-Titel: Risttuules
Erscheinungsjahr: 2014
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Risttuules


Der Gewinnerfilm des letztjährigen Scope100-Projekts in Österreich (100 Filmnarrische, darunter ich, sichten eine Reihe von Filmen, die keinen fixen Kinostart haben und bestimmen dann per basisdemokratischer Abstimmung, welcher Film ins Kino kommt) ist wahrlich keine leichte Kost. Erzählt wird vom jungen Regisseur Martti Helde die Geschichte der Zwangsdeportation der baltischen Bevölkerung durch das Sowjetregime während des Zweiten Weltkrieges. Basierend auf den realen Briefen einer jungen Frau an ihren Mann, beide in unterschiedlichen Lagern untergebracht und nichts voneinander wissend, zeichnet Helde ein Einzelschicksal nach, das stellvertretend für Abertausende steht. Für seinen Film findet er eine eindrückliche Form: In Schwarz-Weiß-Bildern zeigt er zunächst die junge Familie in ihren letzten Tagen des Glücks, über das aber schon der Schatten des Kriegs hängt. Als die Familie schließlich aus ihrem Haus abgeholt und weggebracht wird, friert Helde die Bilder in gewaltigen Sujets ein, durch die eine unbarmherzige Kamera fährt und jedes in der Bewegung erstarrtes Detail zeigt. Nur die Hintergrundgeräusche, wie beispielsweise das Rattern des Zuges auf den Schienen oder der Wind, der durch die Ritzen der notdürftig zusammengezimmerten Hütten pfeift, sind zu hören. Dabei werden Ernas Briefe an ihren Mann Heldur vorgetragen, poetische, zutiefst melancholische Schreiben, die zwischen Hoffnungslosigkeit und dem Willen, trotz allem weiterzumachen, schwanken. „In the Crosswind“ ist ein unglaublich ästhetischer, aber gleichermaßen schmerzhafter Film. Er wirbelt beim Ansehen durch die Eingeweide, und man sollte ihn wohl nicht ansehen, wenn man selbst gerade deprimiert ist. Aber er ist ein wichtiges und großes Werk, das eine Episode unserer europäischen Vergangenheit, die Gefahr läuft, vergessen zu werden, in unserer Zeit und unserem Bewusstsein verankert.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino)