Dokumentation

Miss Americana (2020)

Regie: Lana Wilson
Original-Titel: Miss Americana
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Miss Americana


Keine Frage: Wenn eine musikalisch sich dem Independent- und Alternative-Genre zugehörig fühlende Freundin während des Urlaubs extra um drei Uhr in der Früh den Wecker stellt, um Karten für die Tournee 2024 von Taylor Swift zu ergattern, oder wenn die Tageszeitung DerStandard damit beginnt, im Sportteil über einen hierzulande wenig bekannten Footballspieler zu berichten, nur weil er gerade der Hauptprotagonist des nächsten Taylor Swift-Albums ist, kann man von einem weltweiten Phänomen sprechen. Der als junge Countrysängerin gestarteten Pop-Prophetin kann man sich nicht entziehen. Und natürlich darf eine Dokumentation, die den bisherigen Karriereweg von Taylor Swift nachzeichnet, nicht fehlen. Lana Wilson nimmt sich dieses Jobs routiniert an. Frühe Aufnahmen deuten den Ehrgeiz der jungen Sängerin, der sie schließlich bis an die Spitze geführt hat, an. Doch begnügt sich Lana Wilson nicht damit, Schlaglichter auf diesen bisherigen Weg zu werfen, sondern gönnt Swift auch Raum, sich selbst auszudrücken und Dinge anzusprechen, die sie bewegen, wie zum Beispiel Body-Shaming, ihrer daraus resultierenden Essstörung und generell den Social Media-Mob, dem man als Künstler heute ausgesetzt ist. Das ist erfrischend ehrlich und durchaus interessant. Dennoch kommt Lana Wilsons Dokumentation nicht über den Status des Gewöhnlichen hinaus, weil sie eben sehr konventionell und damit vorhersehbar angelegt ist. Brav werden die einzelnen Stationen des Lebens abgehakt, dazwischen gibt es eben immer wieder aktuelle Aufnahmen, in denen Taylor Swift die Facette von sich zeigen kann, die sie gerade zeigen möchte, und Cat Content gibt es ebenfalls. Eh nett, eh kurzweilig, aber die große Erleuchtung wartet am Ende nicht. Für Swifties natürlich dennoch so etwas ähnliches wie die Heilige Bibel, nur ohne Leidensweg und Kreuzigung – das verträgt sich nicht mit Popmusik. Amen.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Courtesy of the Sundance Film Festival, Quelle http://www.imdb.com)

Cosmosapiens (2023)

Regie: Pavel Cuzuioc
Original-Titel: Cosmosapiens
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: –


In der Dokumentation „Cosmosapiens“ von Pavel Cuzuioc kann man russischen Kosmologen beim Sternderl Schauen und Philosophieren zusehen. Klingt erst einmal gar nicht so schlecht, denn intelligente Menschen, die verstehen, was ein Schwarzes Loch ist, könnten ja durchaus interessante Gedanken teilen. Gibt es ein Leben im All außer abseits unserer Erde? Was bedeutet „Leben“ überhaupt, und wie sieht es aus? Was ist Unendlichkeit? Wie können wir uns mit unserem begrenzten Auffassungsvermögen diesen großen Fragen zuwenden? All das wird aber in „Cosmosapiens“ höchstens mal angerissen und angedeutet. Mehrheitlich sieht Cuzuioc lieber Ziegen zu; entzückende Tiere, keine Frage, wie auch einer der Kosmologen, der sie züchtet, bestätigt, aber halt auch nur bedingt geeignet, um uns die Ausdehnung des Weltalls zu erklären. Bietet der Enkelsohn eines anderen Kosmologen auf seinem Mountainbike profundere Einsichten? Auch nicht wirklich. Und die Studenten, die über die Objektivität und Subjektivität von Shakespeare-Interpretationen mit demselben Wissenschaftler streiten? Hätten sie wohl besser geschwiegen, diese aufgeblasenen Klugscheißer! Gähnende Langeweile überall. Eben dieser Wissenschaftler mit Zottelhaar und einer Vorliebe für Gedankenspiele steht im Zentrum der Dokumentation, und ja, er scheint eine durchaus interessante Persönlichkeit zu sein, doch verzetteln sich Cuzuioc und er in abstrakten Monologen, nach denen man in etwa genauso schlau wie vorher ist und die das eigentliche Thema seiner Wissenschaft, die Kosmologie, oft nur am Rande streifen. Im Übrigen ist dieser Herr ukrainischer Herkunft und musste nach Ausbruch des Kriegs und damit nach Fertigstellung des Kriegs aufgrund politischer Differenzen auswandern, und das ausgerechnet nach Israel, der arme Hund.


3,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Austria 2 Australia (2020)

Regie: Dominik Bochis und Andreas Buciuman
Original-Titel: Austria 2 Australia
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Austria 2 Australia


There are no cangaroos in Austria! Man muss es immer wieder sagen. Aber wenn die lustigen Beuteltiere schon nicht bei uns in den Alpen herumhüpfen, dann müssen halt die Alpenbewohner in deren Heimat nach Australien kommen. Und wie geht man das am besten an? Natürlich per Fahrrad! Was nach einer irren Idee klingt, die man während einer durchzechten Nacht hat, ziehen die beiden Hobbyradler Dominik Bochis und Andreas Buciuman tatsächlich gnadenlos durch. Von Linz geht es quer durch Osteuropa nach Moskau, von dort weiter runter über Kasachstan, Kirgistan und Pakistan, dann via China rüber nach Indien, ab nach Nepal und dann über Fernost bis Singapur, wo man dann per Fähre oder Flugzeug rübersetzen möchte auf den australischen Kontinent, da das Befahren des Indischen Ozeans per Tretboot vielleicht technisch dem Fahrradfahren am nächsten kommt, aber dann doch irgendwie nicht zu empfehlen ist. Abenteuer erleben die beiden Jungs auf dem Landweg ohnehin mehr als genug. Wetterkapriolen, Murenabgänge, einen auf Schritt und Tritt verfolgende Polizisten, Wüstentouren ohne ausreichend Wasservorräte, Belagerungen durch Insekten – alles dabei, womit man den Freundeskreis zuhause nach der Tour unterhalten kann. Am schönsten sind aber die zwischenmenschlichen Begegnungen, und hier gelingt es Bochis und Buciaman mit ihrem Do-It-Yourself-Projekt, das sie „Austria 2 Australia“ genannt haben, tatsächlich, einige Vorurteile aufzuweichen und herzerwärmende Momente einzufangen. Man kann nur den Hut ziehen vor den beiden Burschen und ihrer Strapazierfähigkeit, Ausdauer und Neugier. Allerdings hat „Austria 2 Australia“ ein fundamentales Problem: Bochis und Buciaman mögen zwar leidensfähige Fahrradfahrer sein, doch sind sie keine Scorseses. Sprich: Bei allem Bemühen, einen hochwertigen und professionellen Film zu drehen, wirkt „Austria 2 Australia“ stellenweise so wie Onkel Herberts Urlaubsvideo aus Jesolo, mit dem er nach dem Abendessen die gezwungen lächelnde Verwandtschaft quält. Man merkt den beiden Pedalhelden immer wieder die Unsicherheit vor der Kamera an, und die Erzählungen aus dem Off klingen gekünstelt und sind einfach schlecht geschrieben. Das soll auf keinen Fall die unfassbare Leistung der beiden schmälern, und allein schon die Landschaftsaufnahmen der entlegenen Gegenden, durch die die zwei geradelt sind, lohnen die Sichtung, doch bleibt mein Fazit: „Austria 2 Australia“ bietet eine tolle Geschichte, die leider nicht gut erzählt wird.


4,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Dominik Bochis – © Dominik Bochis, Quelle http://www.imdb.com)

All the Beauty and the Bloodshed (2022)

Regie: Laura Poitras
Original-Titel: All the Beauty and the Bloodshed
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: All the Beauty and the Bloodshed


Über Nan Goldin, die mit ihren Fotografien in den berühmtesten Kunstmuseen der Welt, darunter die Tate Modern Gallery, das Metropolitan Museum, das Guggenheim Museum oder der Louvre in Paris, ausgestellt wird, wusste ich vor Laura Poitras Porträt recht wenig, was eine Umschreibung für „nichts“ ist. Allein schon aus diesem Grund ist die Sichtung von „All the Beauty and the Bloodshed“ eine durchaus erhellende Sache, kommt man doch einer faszinierenden Künstlerseele näher. Allein schon das Eintauchen in ihre bunte, sehr bewegte Biographie (mit von ihr selbst schonungslos offen gelegten Tiefen, aber auch den Höhen), die sich hauptsächlich in wilden New Yorker LBGTQ-Kreisen bewegt, unterhält und bewegt den Zuseher über die volle Filmlänge. Doch Laura Poitras gibt sich nicht damit zufrieden, ein einfühlsames Künstlerporträt zu zeigen, so wie sich Nan Goldin auch nicht damit zufrieden gibt, ihre Fotos zu schießen und auszustellen. Beide Frauen haben weitere Antriebe, sie wollen ein Stachel im Fleisch sein – Nan Goldin in jenem der Familie Sackler, bedeutende Kunstmäzene, nach denen ganze Flügel in den größten Museen der Welt benannt wurden, und Laura Poitras in unserem, jenem der Zuseher, die sich mit Abschweifungen und Foto-Collagen konfrontiert sehen, die zuweilen gegen die üblichen Sehgewohnheiten gehen. Aber was hat es nun mit dem Grant der rüstigen Dame gegen die Familie Sackler auf sich? Nun, die Sacklers beziehen ihren unermesslichen Reichtum, der sie Kunstschätze aus aller Welt anhäufen ließ, durch ihre Pharmakonzerne. Diese wiederum sind unter anderem für die Einführung von Valium verantwortlich (ein durchaus einträgliches Geschäft), aber auch für die Opioid-Krise in den USA, da deren Schmerzmittel, das die Ärzte dort wie Hustenbonbons verschreiben, hochgradig süchtig macht und oft als Einstiegsdroge für die dann ganz harten Sachen dient. Nan Goldin war eine der vielen Abhängigen, sie spricht also aus Erfahrung und hat somit mit der Familie Sackler auch eine persönliche Rechnung offen. In die Künstlerbiographie ist also auch geschickt der Kampf von Nan Goldin gegen die übermächtige Familie Sackler eingewoben, und nach und nach begreift man, dass Werk, Künstlerin und Frau zu einem großen Ganzen verschmelzen – dass das künstlerische Werk Ausdruck eines inneren Antriebs ist, Ausdruck eines Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Einschränkungen und die Allmacht der herrschenden Klasse. So formt sich über Werk und Wirken das Bild einer schillernden Persönlichkeit, die mit ihrer Courage, ihrem Gerechtigkeitssinn und einer schonungslosen Ehrlichkeit auch gegenüber sich selbst für viele als Vorbild dienen kann. Der Film, der sie porträtiert, mag zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig wirken, entwickelt aber mit der Zeit einen unwiderstehlichen Sog, der der großartigen Nan Goldin gerecht wird.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Victim/Suspect (2023)

Regie: Nancy Schwartzman
Original-Titel: Victim/Suspect
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Victim/Suspect


Sexuelle Belästigung bzw. Vergewaltigung ist ein traumatisierendes Erlebnis, das tiefe Wunden in die Seelen schlägt. Zusätzliches Salz wird in diese Wunden gestreut, wenn man dem Opfer keinen Glauben schenkt. Doch wie verstörend und ungerecht muss es sich anfühlen, wenn man im Zuge der Ermittlungen, weil man mutig genug war, einen solchen Vorfall zur Anzeige gebracht zu haben, selbst vom Opfer zum Täter gemacht wird, wenn einem die ermittelnden Polizisten (und ja, ich bleibe hier bewusst bei der männlichen Form) unterstellen, man hätte die ganze Geschichte nur erfunden. Und plötzlich klicken die Handschellen, und man findet sich wegen angeblicher Falschaussage vor Gericht wieder. So ist es Hunderten von Opfern in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten ergangen. Anhand einiger exemplarischer Beispiele rollt hier die Journalistin Rachel De Leon diese Vorfälle auf und zeigt Missstände der polizeilichen Ermittlungen auf. Die Logik, die hier angedeutet wird, beläuft sich darauf: Wenn eine Verhaftung vorgenommen wird, ist der Ermittlungsakt erst einmal geschlossen, und man muss sich nicht länger damit beschäftigen. Und wenn ein Täter schon nicht greifbar ist, versucht man eben, das Opfer in Widersprüche zu verstricken, um dann eben eine Verhaftung aufgrund von Falschaussagen vornehmen zu können. Natürlich: Man möchte nicht unterstellen, dass diese Methodik im ganzen Land System hat, aber Rachel De Leon legt dar, dass es solche Fälle eben gibt. Leider ist die filmische Verarbeitung des Themas durch Nancy Schwartzman nur mäßig gelungen. True Crime ist ja derzeit ein sehr beliebtes Genre, doch wird der Dokumentarfilm nur allzu routiniert und spannungsarm heruntergearbeitet, was dem brisanten Thema leider auch die Schärfe nimmt. Man hätte hier durchaus mehr in die Tiefe gehen, die einzelnen Fälle konzentrierter bearbeiten können – es hätte für dieses Thema vielleicht eine eigene Mini-Serie gebraucht, die sich die Zeit nimmt, um einerseits den Opfern gerecht zu werden, und andererseits auch die Seite der polizeilichen Ermittlungen und der weiteren Verfolgung der Fälle vor Gericht näher zu beleuchten. Dies fehlt aber fast komplett. Insofern bearbeitet „Victim/Suspect“ als Dokumentarfilm zwar ein wichtiges Thema, man hat aber zu selten das Gefühl, dass der Film sein Thema so ernst nimmt, wie es eigentlich sein sollte.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat:© 2023 Netflix, Inc , Quelle http://www.imdb.com)

Nawalny (2022)

Regie: Daniel Roher
Original-Titel: Navalny
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Navalny


Alexei Nawalny ist kein Heiliger, wie seine bisherige politische Karriere und die Leute, mit denen er mitmarschiert ist, beweisen. Vielmehr ist er ein mit allen Wassern gewaschener Politiker, der immerhin ein hehres Ziel verfolgt: Russland von Korruption zu befreien und wieder zu demokratischen Werten zu führen. Nur ein winziges Problem stellt sich ihm dabei in den Weg: Vladimir Putin. Den Namen mag man schon mal gehört haben. Das ist der Typ mit dem Minderwertigkeitskomplex und der KGB-Vergangenheit, der der Meinung ist, dass die Ukraine zu einem großrussischen Reich gehört und den Ukrainern dies gerade mit zweifelhaften Methoden erklären möchte. Und dieser Möchtegern-Stalin verfügt dank seiner Macht über jede Menge Leute, die sich für ihn die Finger schmutzig machen. Und so findet sich Alexei Nawalny 2020 nach einer Veranstaltung in Sibirien plötzlich nicht im heimatlichen Moskau wieder, sondern nach Notlandung seines Flugzeugs mit Vergiftungserscheinungen in einem Krankenhaus. Dort springt er dem Tod gleich zum zweiten Mal in Folge von der Schippe, da sich die Ärzte wenig interessiert daran zeigen, ihn wieder zu heilen. Das müssen dann schon die Deutschen machen, die ihn ins Berliner Charité einfliegen lassen. Wieder bei Kräften, begibt sich Nawalny mit Unterstützung eines investigativen Recherchenetzwerks auf die Suche nach seinen Attentätern. Und wird fündig. „Nawalny“, dieses Jahr mit einem Oscar für die beste Dokumentation ausgezeichnet, beginnt relativ unspektakulär und dröge, und auch das Setting, Nawalny in einer Bar von sich erzählen zu lassen, steigert das Interesse zunächst nicht ins Unermessliche. Doch spätestens, wenn auf den Giftanschlag und die Folgen davon eingegangen wird, entspinnt sich ein spannender Krimi, der sich mehr und mehr steigert, gut getragen auch von Nawalnys beiläufigen sarkastischen Kommentaren. Man glaubt kaum seinen eigenen Augen und Ohren, wenn dann Nawalny und sein Team genüsslich die Hintergründe des Verbrechens aufdecken und die Attentäter auch noch am Nasenring durch die Arena zerren. Das ist wortwörtlich großes Kino.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Absturz: Der Fall gegen Boeing (2022)

Regie: Rory Kennedy
Original-Titel: Downfall: The Case Against Boeing
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Downfall: The Case Against Boeing


Wenn Netflix neue Dokus braucht, rufen sie wohl bei Rory Kennedy an. Die umtriebige Dokumentarfilmerin ist den großen Geschichten des Versagens auf der Spur, jener Art von Versagen, das tragische Konsequenzen zeitigt. Es ist noch nicht so lange her, da sind zwei brandneue Boeing 737 MAX kurz nach dem Start vom Himmel gefallen. In einer Zeit, in der Flugreisen so sicher wie noch nie zuvor scheinen, ein schwerer Schlag gegen den US-Konzern, der sich immer besonderer Qualitäts- und Sicherheitsstandards gerühmt hat. Wie konnte das passieren? Allmählich zeigt sich, dass – wie hinter vielen Tragödien der jüngeren Geschichte – Profitgier, Fehleinschätzungen und mangelnde Kommunikation die Dreifaltigkeit des Desasters ergeben. Gleichzeitig beleuchtet Rory Kennedy die Geschichte von Boeing – von den Jahrzehnten des Erfolgs über die Herausforderungen, die sich durch den immer mächtiger werdenden Konkurrenten Airbus ergeben haben. An dieser Stelle sei gesagt, dass man für Dokumentationen über komplexe Vorgänge und Strukturen zwar immer mit Vereinfachungen arbeiten muss, es sich Kennedy aber vielleicht an der einen oder anderen Stelle zu einfach gemacht hat. Die Erzählung in „Absturz: Der Fall gegen Boeing“ lässt den Schluss zu, dass angesichts des Konkurrenzdrucks die Führungsetage bei Boeing einfach irgendwann beschlossen hätte: „Pfeif auf die Qualität. Billig muss es sein, und ob der Flieger vom Himmel fällt, ist egal.“ Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Simplifikation den wichtigsten Entscheidungen eines Konzerns mit über 140.000 Mitarbeiter:innen gerecht wird. Keine Frage, die Geschichte der beiden Boeing-Abstürze ist eine Geschichte des Versagens. Doch gerade deshalb hätte ich mir gewünscht, dass mehr und vielfältigere Stimmen in der Doku zu hören gewesen wären (vielleicht auch von Mitarbeiter:innen, die direkt am Bau der Flugzeuge beteiligt waren), um das Bild zu schärfen, auch wenn es dadurch komplexer wird.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Der Vulkan: Rettung von Whakaari (2022)

Regie: Rory Kennedy
Original-Titel: The Volcano: Rescue from Whakaari
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: The Volcano: Rescue from Whakaari


Werbung wirkt. „Besichtigen Sie ein einzigartiges und spektakuläres Naturwunder ganz aus der Nähe“ liest sich doch besser als „Lassen Sie sich von einem Vulkan die Haut wegbrennen, und sterben Sie einen langsamen, qualvollen Tod“. Zweitere Beschreibung ist wohl akkurater als die erste, doch die stand nicht auf den Broschüren der Kreuzfahrtschiffe und Ausflugsanbieter. Und so stiefeln ein paar abenteuerlustige Touristen mit ihren Guides auf Whakaari Island, der sogenannten „White Island“ herum, um dem aktivsten Vulkan Neuseelands ins Auge, vulgo den Krater, zu schauen, doch bekommen sie mehr für ihr Geld geboten, als sie je erwartet hätten. Denn – welch Überraschung! – der aktive Vulkan bricht aus. Etliche Menschen müssen an diesem Tag ihr Leben lassen, und die, die überleben, wissen selbst nicht so genau, wie sie dem Tod entkommen sind. Nur die Narben von den fürchterlichen Verbrennungen zeugen von diesem Tag. „Der Vulkan: Rettung von Whakaari“ zeigt genau das, was der Titel aussagt: Wie Menschen mitten in eine vulkanische Eruption gerieten und wie dann einige Mutige versuchten, die Überlebenden von der Insel und ins Krankenhaus zu schaffen. In diesem Sinne ist der Dokumentarfilm von Rory Kennedy eine Geschichte über den Überlebenswillen und über Zivilcourage und Mut. Was der Film völlig ausklammert: Die ethischen Fragen über das Vorgehen der Touranbieter, die möglicherweise auch Warnungen von Geologen und Vulkanologen vorab aus dem Wind geschlagen haben, jedenfalls aber bewusst ihre Kunden einem großen Risiko ausgesetzt haben. Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht, wie es so schön heißt. Durch aber eindrückliche Berichte der Überlebenden und spektakuläre Naturaufnahmen, die so schön wie bedrohlich wirken, bleibt das Fazit über den Film allerdings sehr positiv.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Skandal! Der Sturz von Wirecard (2022)

Regie: James Erskine
Original-Titel: Skandal! Bringing Down Wirecard
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Skandal! Bringing Down Wirecard


Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Da verdrängt ein junges, aufstrebendes FinTech-Unternehmen namens Wirecard die Deutsche Bank aus dem DAX, dem Deutschen Aktienindex der 40 größten Unternehmen des deutschen Aktienmarktes, und dann kommt so ein neugieriger Journalist aus England und zeigt mit den Fingern auf das Unternehmen: „Aber es hat ja gar keine Kleider an!“ Klar, dass die deutsche Politik da schon mal grantig reagieren kann, wie auch die Führungsebene des bloßgestellten Unternehmens selbst. Aber was ist dran an den Vorwürfen? Ist Wirecard tatsächlich eine windige Organisation, die mit illegalen Mitteln den großen Reibach macht vor den Augen der ganzen Weltbevölkerung? So eine Chuzpe wäre ja kaum jemanden zuzutrauen. Und doch – es verdichten sich die Hinweise, dass hier jemand Luftschlösser gebaut hat, die jederzeit in sich zusammenfallen können. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt. James Erskine geht dem Aufstieg und Fall des berüchtigten deutschen Unternehmens nach, lässt Journalisten und Broker zu Wort kommen, denen das alles von Anfang an ziemlich „fishy“ vorkam und zeichnet so eine recht interessante Dokumentation über eines der größten Wirtschaftsverbrechen der jüngeren Vergangenheit. Allerdings hat die Doku ein fundamentales Problem: Zu viele Fragen sind aktuell noch ungeklärt, sodass das Ende unbefriedigend und offen bleibt. Man kann davon ausgehen, dass das finale Kapitel in dieser Geschichte noch nicht geschrieben wurde. Gerade das würde mich aber noch interessieren.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat:Quelle http://www.imdb.com)

Was Katzen denken (2022)

Regie: Andy Mitchell
Original-Titel: Inside the Mind of a Cat
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Inside the Mind of a Cat


Was Katzen denken, das weiß so ziemlich jeder Katzenbesitzer eigentlich ganz gut. ‚Hm … es ist Nacht, mein Mensch schläft gerade tief und fest, das ist doch ein guter Zeitpunkt, um mal mit vollem Gewicht über ihn drüber zu latschen.‘ Oder: ‚Das Fressen, das ich vor fünf Minuten hinuntergeschlungen habe, interessiert mich nicht, das ist Schnee von gestern – ich habe HUNGER! JETZT!‘ Oder auch: ‚Ich bin hier voll der Macker, der Herr im Haus, hier habe ich das Sagen … HUI! DIE TÜRKLINGEL!!! HILFE!!!!!‘ Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Als Dosenöffner für zwei solche Gfraster war ich natürlich sehr an der Netflix-Doku interessiert in der Hoffnung, ich könne hier neues Insider-Wissen direkt aus dem Hirn dieser unergründlichen Geschöpfe aufsaugen. Doch leider weit gefehlt. Dass Katzen miauen, wenn sie ihren Menschen etwas mitteilen wollen, ist nun keine bahnbrechende Erkenntnis. Auch nicht, dass sie auf ihren Namen hören (wenn sie wollen) oder dass ihnen per Clicker-Training Kunststücke beigebracht werden können. Gut, das war der Teil der Doku, bei dem mir der Kater einen vernichtenden Blick a la ‚Wage es nicht!‘ zugeworfen hat, aber ja, Katzen sind schlauer und lernfähiger, als es Nicht-Katzen-Besitzer glauben wollen. Insofern richten sich Inhalt und Erkenntnisse dieser Dokumentation wohl eher an jene, die bislang noch kaum Berührungspunkte mit Katzen hatten. Doch die Zielgruppe wird damit schon recht eng: Menschen, die mit Katzen bislang kaum zu tun hatten (ergo bislang kein großes Interesse an Katzen gezeigt haben), sollen sich einen Film über Katzen ansehen. Das klappt nur, wenn draußen gerade ein Sauwetter herrscht, einem fad ist und man keinen großen Bock auf zweistündige Familiendramen hat. Für Katzenliebhaber und Dosenöffner im Dienst gibt es immerhin ein paar süße Katzen zu bewundern. („Keine Sorge, Faber, ich tausche dich schon nicht gegen Carl ein!“ Der nächste warnende Blick.). Mehr ist es nicht. Aber immerhin kurz(weilig).


4,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)