Biopic

Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft (2009)

Regie: Anne Fontaine
Original-Titel: Coco avant Chanel
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Biopic, Drama
IMDB-Link: Coco avant Chanel


Coco Chanel ist eine französische Ikone. Amélie aus „Die fabelhafte Welt der Amélie“, verkörpert von Audrey Tautou, ist ebenfalls eine. Was liegt also näher als diese beiden Ikonen zusammenzubringen und mit Audrey Tautou in der Hauptrolle die Lebensgeschichte von Coco Chanel zu verfilmen? Regie führte Anne Fontaine, deren Gemma Bovery – Ein Sommer mit Flaubert ich entzückend fand, während ich mit Marvin weniger anfangen konnte. Leider schlägt sich „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ auf die Seite von „Marvin“. Denn auch wenn die forsche Coco Chanel, die die adelige Männerwelt aufmischt, Stoff für eine gute Erzählung hergeben würde und sich Audrey Tautou auch nach Kräften bemüht, diese toughe Frau zu verkörpern, so zündet das Werk zu keiner Minute richtig. Das liegt zum Einen daran, dass Audrey Tautou ihre Coco zu hart anlegt, als dass man als Zuseher mit ihr mitfiebern und mitleiden könnte. Frauenpower und Emanzipation gut und schön – aber es fehlt dem Film durch diese Darstellung ein emotionaler Anker. Zum Anderen ist das Biopic sehr klassisch erzählt – und damit schlicht und ergreifend fad. Die Lebensstationen bis zum Ruhm werden abgehandelt, im Zentrum steht dabei die On-Off-Beziehung mit dem Adeligen und Lebemann Étienne Balsan (Benoit Poelvoorde) und die Liebe zu dem englischen Lord Capel (Alessandro Nivola), aber alles wird hübsch vorhersehbar und nach den üblichen schematischen Abläufen routinierter Biopics erzählt. Hier bleibt kein Platz für Überraschungen. Selbst Alexandre Desplats Musik geht zwar gut ins Ohr, klingt aber alles in allem genau so, wie man sich einen Alexandre Desplat-Soundtrack zu einem Coco Chanel-Film vorstellt. Jo eh. Überraschend ist nur, dass Coco Chanels eigentliche Bestimmung, das Modedesign, kaum zur Sprache kommt und fast beiläufig abgehandelt wird. So ist „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ zwar kein völliger Rohrkrepierer, aber ansehen muss man sich den Film definitiv nicht.


4,5
von 10 Kürbissen

Stan & Ollie (2018)

Regie: Jon S. Baird
Original-Titel: Stan & Ollie
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Komödie, Drama
IMDB-Link: Stan & Ollie


Wir schreiben das Jahr 1953. Die legendären Komiker Stan Laurel (Steve Coogan) und Oliver Hardy (John C. Reilly) sind schon etwas in die Jahre gekommen, ihre Filme gelten bereits als Klassiker, doch statt große Hallen zu füllen, spielen sie vor einem kleinen Publikum in englischen Industriestädten und wohnen in heruntergekommenen Hotels. Der Zahn der Zeit. Diese England-Tournee soll den Weg bereiten für einen neuen Film der beiden, die Adaption des Robin Hood-Stoffs, an dem Stan Laurel arbeitet. Doch es ist alles nicht so einfach. Der Produzent ist telefonisch nicht erreichbar, der Tournee-Veranstalter Bernard Delfont hat im Vorfeld kaum Werbung gemacht und dann plagen Oliver Hardy auch noch gesundheitliche Probleme. Die Ankunft der Ehefrauen (Shirley Henderson und Nina Arianda) bringt eine zusätzliche Dynamik in das Geschehen. Am Ende ist „Stan & Ollie“ ein recht konventionelles Biopic über eine langjährige Freundschaft und die Zeit nach dem Ruhm und die Suche nach dem Erfolg der Vergangenheit, das den Zuseher in alter Tradition zufrieden aus dem Kinosaal gehen lässt. Allerdings hat der Film zwei, eigentlich drei große Trümpfe in der Hand, die er gekonnt ausspielt: Steve Coogan, John C. Reilly und Nina Arianda. Die beiden Ersteren sind genial in ihren Rollen als Laurel & Hardy. Die beiden gehen vollends auf in den Rollen der beiden Komiker, die so großartig darin waren, die Komik im Körperlichen zu finden. Sie haben alle Nuancen drauf und verschwinden als Schauspieler völlig in ihren Rollen. Vor allem Steve Coogan spielt unglaublich charismatisch, aber auch John C. Reilly ist toll. Zwei wahnsinnig unterschätzte Schauspieler, auch wenn beide bereits für einen Oscar nominiert waren. Es ist schön, sie dabei zu sehen, wie sie ihr ganzes Können ausspielen. Der dritte kleine Trumpf ist die schon erwähnte Nina Arianda, die mir vorher kein Begriff war. Sie spielt ihre Ida, die russische Frau von Stan Laurel, zum Niederknien mit einem trockenen Humor und gleichzeitig einem solch liebevollen Stolz auf ihren berühmten Mann, dass sie wirklich allen die Szenen stiehlt, wenn sie zu sehen ist. „Stan & Ollie“ ist also großes Schauspielkino, das Spaß macht und dem man dann gerne auch die eine oder andere kleine Schwäche im Drehbuch verzeiht.


7,0
von 10 Kürbissen

Papillon (1973)

Regie: Franklin J. Schaffner
Original-Titel: Papillon
Erscheinungsjahr: 1973
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: Papillon


Müsste man „Papillon“, der Verfilmung von Henri Charrières autobiographischem Roman, ein Motto voranstellen, so könnte dieses lauten: Schlimmer geht’s immer. Denn die Versetzung von Henri Charrière (Steve McQueen) und Louis Dega (Dustin Hoffman) auf die Teufelsinsel, einer Strafkolonie vor der Küste von Französisch-Guyana, ist erst der Beginn einer jahrelangen Marter. Hitze, korrupte und sadistische Aufseher, Mangelernährung, Isolationshaft und schließlich Einkerkerung bei Dunkelheit brechen die Häftlinge physisch wie psychisch. Dass der „Papillon“ (deutsch: Schmetterling) genannte Charrière das alles durchhält, ist nur einem eisernen Überlebens- und Freiheitswillen zu verdanken. Steve McQueen spielt diesen Besessenen mit allem, was er hat. Ständig bewegt sich Charrière am Rande des Wahnsinns und manchmal auch einen Schritt darüber hinaus, aber immer wieder findet er zu sich zurück und zur Motivation, weiterzumachen mit der Hoffnung auf Freiheit, irgendwann und irgendwie – sei es auf einem Seesack durchs offene Meer schwimmend. Eine grandiose Leistung von McQueen, deren man sich nicht entziehen kann. Auch Dustin Hoffman als nerdiger Sidekick überzeugt. Die beiden Männer tragen den Film auch über die opulente Spieldauer von fast 2,5 Stunden. Diese scheint allerdings nicht zur Gänze nötig zu sein, denn der Film krankt ein wenig an einem Problem, zu dem viele autobiographische Erzählungen neigen: Redundanzen und Leerstellen. Das echte Leben ist eben (auch) geprägt von Wiederholungen und Momenten, die dramaturgisch einfach in der Luft hängen. Selbst jene, die an Gott und die göttliche Vorhersehung glauben, tun sich etwas schwer damit, sich den Rauschebart dort oben a la Dalton Trumbo, der das Drehbuch für „Papillon“ geschrieben hat, mit Zigarre im Mundwinkel und Schreibmaschine auf einem Brett in einer Wolkenbadewanne vorzustellen, wie er das Leben von uns Erdwürmlingen in die Erstfassung seines Manuskripts tackert. Was ich damit sagen will: Das Leben kann halt manchmal fad sein. Und vor solchen Momenten ist auch „Papillon“ nicht gefeit, auch wenn er zurecht als Film-Klassiker gilt und über den Großteil seiner Laufzeit wirklich grandios ist. Kürzen hätte man ihn dennoch können.

 


7,5
von 10 Kürbissen

Can You Ever Forgive Me? (2018)

Regie: Marielle Heller
Original-Titel: Can You Ever Forgive Me?
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Krimi, Komödie
IMDB-Link: Can You Ever Forgive Me?


An Melissa McCarthy scheiden sich die Geister, und das nicht nur seit ihrem Mitwirken in „Ghostbusters“. Dass sie aber wirklich verdammt gut schauspielern kann, wenn man sie nicht in nervigen Komödien als naives Pummelchen besetzt, beweist sie in Marielle Hellers „Can You Ever Forgive Me?“ In diesem komödiantisch angehauchten Biopic spielt sie die Schriftstellerin und Biographin Lee Israel, die von notorischer Erfolglosigkeit und einer gewissen misanthropischen Grundeinstellung geplagt wird. Durch Zufall entdeckt sie ein neues Geschäftsmodell für sich: Briefe berühmter Schriftsteller faken und für teures Geld an Antiquariate verkaufen. Ihr Partner in crime ist der exzentrische Bohemian Jack Hock (Richard E. Grant, neben Melissa McCarthy ebenfalls für einen Oscar nominiert). Gemeinsam mischen sie die Sammlerszene auf, und weil sie eben keine Profis sind, sondern mehr oder weniger naiv da hineinstolpern, stapelt sich schon bald nicht nur das ungewaschene Küchengeschirr neben Lees Spüle, sondern auch eine Menge Probleme. Marielle Heller erzählt die Geschichte mit einem Augenzwinkern und unprätentiös und verlässt sich dabei ganz auf die Kunst der groß aufspielenden McCarthy und Grant. Das allein reicht schon aus, um für einen unterhaltsamen Kinoabend zu garantieren. Das allein reicht aber nicht aus, um den Film zu einem denkwürdigen Meisterwerk werden zu lassen. Zu unspektakulär und beiläufig plätschert die Geschichte dahin, und dass Lee Israel hauptsächlich recht unsympathisch wirkt, lässt die Zuseher dann vielleicht doch nicht so ganz mitfiebern mit ihrem Charakter. Es fehlt einfach ein innerer Spannungsbogen. Hier lässt Marielle Heller die Zügel vielleicht ein wenig zu sehr schleifen. Dennoch ist der Film zumindest geeignet, bisherige Zweifler an McCarthys Schauspielkunst zum Verstummen zu bringen. Die ist schon gut, wenn man sie nur lässt.


6,5
von 10 Kürbissen

Vice – Der zweite Mann (2018)

Regie: Adam McKay
Original-Titel: Vice
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Politfilm, Komödie, Drama
IMDB-Link: Vice


Seit „The Big Short“ ist Adam McKay wohl einer der interessantesten Regisseure Hollywoods. Die Fähigkeit, komplexe, trockene Stoffe auf eine schwarzhumorige bis zynische Weise allgemein verständlich und wahnsinnig unterhaltsam zu vermitteln, macht ihm wohl kaum jemand so schnell nach. Mit „Vice“ legt Adam McKay nun nach – und diesmal gilt sein Interesse der als eher farblos geltenden Figur des Dick Cheney, ehemaliger Vizepräsident unter George W. Bush. Hinter der spröden Fassade verbirgt sich allerdings einer der vielleicht am meisten unterschätzten Strippenzieher der jüngeren Politikvergangenheit. Rücksichtslos und nur auf den eigenen Vorteil bedacht weitete Dick Cheney mit jedem Karriereschritt seine Kompetenzen aus, bis er schließlich mit President Bush unter ihm (und genau zu diesem Schluss muss man am Ende des Films kommen) die Welt veränderte. Adam McKay impliziert, dass durch Cheneys Entscheidungen der Irak-Krieg angezettelt wurde, woraufhin der gesamte Nahe Osten destabilisiert und zu dem Fleckerlteppich aus terroristischen Vereinigungen, als den wir ihn heute kennen, wurde. Die Ölfirma, als deren CEO Cheney davor fungierte, profitierte jedenfalls nicht schlecht von dem Chaos, das auf den Krieg folgte. „Vice“ erzählt die Geschichte, wie aus dem Säufer und Taugenichts Dick Cheney der damals wohl mächtigste Mann der Welt werden konnte. Und er tut dies mit den Mitteln, die auch „The Big Short“ schon interessant gemacht haben: Mit überspitzten Szenen, mit dem gelegentlichen Einspielen von Archivmaterial, mit einem sarkastischen Erzähler aus dem Off, mit Verfremdungen (göttlich: die Szene, in der Dick Cheney und seine Frau Lynne abends im Bett in shakespeare’schen Versen zu reden beginnen, um die Dramatik der Entscheidung, die gefällt werden muss, theatralisch zu unterstreichen) und einem genialen Cast. Amy Adams als Lynne Cheney, Steve Carell als Donald Rumsfeld, Sam Rockwell als George W. Bush – sie alle sind großartig. Was aber Christian Bale macht, geht meiner Meinung nach über Schauspiel weit hinaus. Er spielt nicht Dick Cheney, er ist Dick Cheney. Und damit meine ich nicht nur die verblüffende optische Verwandlung. Vielmehr liegt die Faszination im Detail: Im kalten, berechnenden Blick, im Zucken seiner Mundwinkel, durch das sich seine Schachzüge ankündigen, in der leicht gebeugten, so unterwürfig wirkenden Körperhaltung, jede Faser seines Körpers schreit: Dick Cheney! Wenn es dafür keinen Oscar gibt, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Allerdings kommt „Vice“ als Film nicht ganz an das meisterhafte „The Big Short“ heran. Denn „Vice“ hat Längen, und auch das Tempo ist insgesamt eher gedrosselt. Dank der vielen guten Regieeinfälle und dem grandiosen Cast bleibt der Film über seine ganze Laufzeit interessant, aber mitreißen kann er dabei nicht immer.


7,0
von 10 Kürbissen

Marighella (2019)

Regie: Wagner Moura
Original-Titel: Marighella
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Action, Thriller, Politfilm, Biopic, Drama
IMDB-Link: Marighella


Eines sei gleich vorweg gesagt: „Marighella“ von Wagner Moura verlangt dem Zuseher einiges ab. Denn der Film über den brasilianischen Dichter, Essayist und Revolutionär Carlos Marighella (Seu Jorge mit einer Wahnsinnspräsenz), der ab 1964 nach dem Militärputsch in Brasilien zum bewaffneten Widerstand aufgerufen hat, bis er 1969 getötet wurde, nimmt sich 155 Minuten Zeit. Und apropos Zeit: Gerade zu Anfang wird da gerne auch mal zwischen den Zeiten umher gesprungen, was sich aber nach einer Weile legt zu Gunsten einer chronologischen Erzählung. Um die Figuren einzuführen, Carlos Marighella selbst und seine Mitstreiter, erfüllt dieses Hüpfen seinen Zweck allerdings. Man muss allerdings in der richtigen Stimmung sein, um zweieinhalb Stunden lang einem Widerstandskämpfer und seinen Kumpanen dabei zuzusehen, wie sie sich organisieren, wie sie immer größere Coups planen und dann doch langsam, aber unerbittlich von der Staatsgewalt (verkörpert von Bruno Gagliasso, der seinen Bösen etwas zu böse anlegt) auseinandergenommen werden. Das geht mitunter auch sehr gewalttätig vonstatten, und mehr als einmal dachte ich mir beim Sichten: ‚Puh, also das hat jetzt wirklich weh getan, selbst wenn es nur gespielt war‘. Worüber man auch hinwegsehen muss, ist die Tatsache, dass Wagner Moura mit diesem Film so etwas wie Heldenverehrung betreibt. Und ohne die historische Figur des Carlos Marighella wirklich einschätzen zu können (dafür bin ich einfach nicht brasilianisch genug, auch wenn meine Arbeitskollegen fest die These vertreten, dass ich während meines Brasilien-Urlaubs 2017 in Rio eine Sambaschule gegründet habe), so bleibt doch ein eher unguter Beigeschmack haften, wenn ein bewaffneter Widerstandskämpfer, so gerecht sein Kampf auch gewesen sein mag, so unkritisch betrachtet wird. Aber gut, da geht es mir bei Che Guevara nicht anders. Was mir allerdings hier eindeutig fehlte, waren mehr Hintergründe, wie Carlos Marighella zu dem Mann geworden ist, als der er gezeigt wird. Vielleicht wäre dann das Bauchgrummeln etwas leiser gewesen. Dennoch lohnt sich „Marighella“, denn der Film ist spannend erzählt (und kann die Spannung tatsächlich über die ganze Laufzeit hoch halten), handwerklich gut gemacht und mit exzellenten Schauspielern besetzt.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: O2 Filmes)

Mein Herz – Niemandem! (1997)

Regie: Helma Sanders-Brahms
Original-Titel: Mein Herz – Niemandem!
Erscheinungsjahr: 1997
Genre: Drama, Biopic, Experimentalfilm
IMDB-Link: Mein Herz – Niemandem!


Mit Unter dem Pflaster ist der Strand war mein Erstkontakt mit der Filmemacherin Helma Sanders-Brahms ein durchaus interessanter und erfreulicher. So war ich durchaus gespannt auf ihre Verfilmung der Liebelei zwischen den deutschen Dichtergrößen Else Lasker-Schüler (Lena Stolze) und Gottfried Benn (Cornelius Obonya). Wie für Helma Sanders-Brahms üblich wird die Geschichte halb dokumentarisch, halb inszeniert erzählt. Historische Fotos werden in die Handlung hineingeschnitten und aus dem Off kommentiert. Dazu kommt eine reduzierte, spartanische Inszenierung mit Schauspielern vor Kulissen, die an Schülertheater erinnern. Kann ja funktionieren, so ein minimalistischer Ansatz, tut er hier aber nicht. Denn das historische Setting, das verzweifelt mit geringsten Mitteln heraufbeschworen wird, will sich einfach nicht einstellen und unterläuft damit die Glaubwürdigkeit der Figuren. Dazu kommt erschwerend, dass diese Figuren einfach schnarchlangweilig sind und im schlimmsten Fall ohne Qualitätsverlust durch Pappfiguren ersetzt werden könnten (gilt für alle Nebenfiguren). Am interessantesten ist noch Lena Stolzes Else Lasker-Schüler, aber auch sie bleibt austauschbar und motivationslos. Gottfried Benn ist einfach nur ein Unsympathler, dem man die Genialität zu keinem Zeitpunkt abnimmt. Und irgendwie ist es wirklich völlig wurscht, was die Figuren sagen, denn keine der Dialogzeilen hilft dabei, die Figuren besser zu verstehen – selbst wenn es sich um historische Zitate handelt. So werden Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn wie Spielfiguren in einem Spiel verschoben, dessen Regeln niemand kennt und niemand versteht. Helma Sanders-Brahms vielleicht, das wage ich ja schon zu hoffen, aber leider hat sie vergessen, dem Film eine Spielanleitung beizulegen. Daher eine 1-Stern-Rezension bei Amazon: „Produkt leider mangelhaft, wird wieder retourniert.“


2,5
von 10 Kürbissen

Green Book – Eine besondere Freundschaft (2018)

Regie: Peter Farrelly
Original-Titel: Green Book
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Roadmovie, Biopic
IMDB-Link: Green Book


Kritiker und die Oscar-Academy lieben den Film. Meine gute Freundin Elke, unerreichtes Vorbild cineastischer Expertise, hasst ihn. Wie so oft liegt die Qualität des Films wohl irgendwo dazwischen. Jedenfalls war ich arg neugierig auf den Film, der Peter Farrelly, dem lustigen Krachmacher, plötzlich so etwas wie eine ernst zu nehmende Reputation beschert hat. Erzählt wird die Geschichte von Tony Lip (Viggo Mortensen), einem ungehobelten italoamerikanischen Türsteher mit rassistischen Vorurteilen, und seinem Boss für zwei Monate: Dr. Don Shirley (Mahershala Ali), ein brillanter Pianist, der sich einbildet, eine Konzerttour durch den Süden der USA zu machen. Also engagiert er Tony Lip als Fahrer. Das Problem bei der Sache ist die Jahreszahl. 1962. Und so sehr Dr. Shirley auch hofiert wird, Konzerte zu geben, vor Ort kommt auch er nicht gegen rassistische Ressentiments an. Dazu gehört beispielsweise, dass er nicht die Toilette im Haus benutzen darf, sondern mit dem Plumpsklo im Garten vorlieb nehmen muss. Diese Vorurteile stehen im krassen Kontrast zum kultivierten Auftritt des Musikers, der selbst aufgrund seiner Hautfarbe einige gröbere Identitätsprobleme mit sich herumschleppen muss. „Green Book“ bezieht seinen Humor wie auch seine Tragik aus dem gekonnt inszenierten Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren. Gerade das Zusammenspiel der beiden und das Unterlaufen von Erwartungshaltungen, was die Figurenkonstellation betrifft, führt dazu, dass der Rassismus, dem sich beide gegenüber sehen, umso wirkungsvoller zur Geltung kommt. Allerdings schafft es der Film nicht, gröbere Klischeefallen zu vermeiden. Und das Ende ist hollywoodtauglich zuckersüß. Das Problem bei der Sache: Man geht danach mit einem guten Gefühl aus dem Kino und vergisst dabei auf das Leid, das Minderheiten zur damaligen Zeit erfahren haben und auch heute noch erfahren. Dieses Leid kleistert der Film einfach zu. So gesehen ist „Green Book“ zwar ein nett anzusehender Feelgood-Film mit ernstem Thema, aber zu leichtgewichtig, um als großer Wurf durchzugehen. Hollywood liebt den Film dennoch (oder vielleicht auch gerade deshalb). Und immerhin: Die schauspielerischen Leistungen sind in der Tat oscarwürdig.


6,5
von 10 Kürbissen

Maria Stuart, Königin von Schottland (2018)

Regie: Josie Rourke
Original-Titel: Mary Queen of Scots
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Historienfilm, Biopic
IMDB-Link: Mary Queen of Scots


Schottland und England. Wenn die beiden aneinandergeraten, rollen in der Regel Köpfe. Davon kann William Wallace berichten. Oder Maria Stuart. Und auch im aktuellen Brexit-Theater, in dem Schottland und England ihren jüngsten Beef austragen, ist eine unwahrscheinliche, aber dennoch denkbare Möglichkeit gegeben, dass wieder mal ein Kopf vom Rumpf getrennt wird – wobei diesmal ausnahmsweise Schottland zum Beil greifen könnte, um sich selbst von diesem seltsam unentschlossenen Torso unter sich zu trennen. Wie gesagt, besonders wahrscheinlich erscheint dies nicht, aber ich verstehe den Grant der Schotten auf dieses England, das ein bisschen raus möchte aus der EU (analog zu „ein bisschen schwanger sein“). Aber zurück zu Maria Stuart, die von diesem Wickel rund um den EU-Austritt Großbritanniens nichts ahnen konnte – sonst wäre sie vermutlich gleich in Frankreich geblieben. Ist sie aber nicht, wie die Geschichte lehrt, und so kommt Saoirse Ronan, der Namen ich einfach nicht aussprechen kann, so sehr ich diese versierte und vielseitige Schauspielerin auch schätze, zu einer weiteren Glanzrolle. Sie verkörpert die katholische Königin Schottlands, die aufgrund ihres Machtanspruchs auf den Thron von England und ihrer im protestantischen England ungeliebten Religion ordentlich mit der Amtsinhaberin in London, Queen Elizabeth (Margot Robbie), aneinanderkracht. Aber eigentlich wollen beide der jeweils Anderen nichts Böses. Vor allem Elizabeth scheint kompromissbereit zu sein. Doch ihre Berater sehen die Sache nicht so entspannt und schmieden lieber ihre eigenen Komplotte. Was bleibt, sind zwei starke Frauen, die in einen Konflikt getrieben wären, der zu vermeiden gewesen wäre, wenn die depperten Mannsbilder rund um sie herum nicht solche intriganten und machtgeilen Günstlinge gewesen wären. Liebe Geschlechtsgenossen, da hilft kein Jammern, diesen Schuh müssen wir uns anziehen. Allerdings leidet Josie Rourkes Verfilmung dieses historischen Stoffs trotz authentisch wirkender Kostüme und Settings und zweier grandios aufspielender Hauptdarstellerinnen an einem eher unglücklichen Timing. Die Geschichte wird einfach etwas unrund erzählt, vor allem am Anfang. Auch fehlten mir einige Hintergründe sowie das Verständnis für Maria Stuart. Ja, Susie Ronan spielt sie hinreißend und hat die Sympathien auch auf ihrer Seite, aber es wird nicht so recht klar, warum sich Maria Stuart so sehr darauf verbeißt, den Thron Schottlands zu sichern. Einfach, weil’s geht? Am Ende ist es ja doch nicht gegangen. Hier fehlt mir einfach Kontext zur Königin und ihrer Motivation. Aber apropos Sissi Ronan: Es ist verblüffend, wie weit weg diese Rolle von ihrer oscar-nominierten Rolle in Lady Bird im letzten Jahr ist. Ein Oscar für Sushi Ronan scheint wohl nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Und vielleicht kann ich bis dahin dann doch ihren Namen aussprechen. Ich werde jedenfalls brav üben.


5,5
von 10 Kürbissen

Colette (2018)

Regie: Wash Westmoreland
Original-Titel: Colette
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Historienfilm
IMDB-Link: Colette


Eines ist klar: Wenn man mit dem imposanten Namen Wash Westmoreland gesegnet ist, muss man einfach Historienfilme drehen. Und das stellt sich hier als großes Glück für das Publikum heraus, denn Westmorelands Biopic „Colette“ über die berühmte französische Schriftstellerin ist wundervollste Unterhaltung mit einem grandios aufgelegten Cast, üppiger Ausstattung, einem Thema von aktueller Relevanz und einer temporeichen Inszenierung, die einfach Spaß macht. Vordergründig erzählt der Film die prägenden Ehejahre der jungen Gabrielle Claudine Colette (Keira Knightley) nach, die als Ghostwriterin für ihren Ehemann Willy (Dominic West) arbeitete, bis sie endlich aus seinem Schatten treten konnte – und später zur der gefeierten Literatin Frankreichs und Nobelpreiskandidatin wurde. Hintergründig geht es aber um viel mehr: um die Freiheit der Frauen und den von Widerständen geprägten Weg, den sie dabei zurücklegen mussten (und noch immer müssen), um die Frage nach Selbstbestimmung und dem Suchen nach Glück auch gegen alle Konventionen. Das Schöne an „Colette“ ist, dass die Hauptfigur nicht mal zu Beginn ein armes Hascherl ist, das erst sich selbst finden muss – im Gegenteil: Von Anfang an ist Colette eine starke Persönlichkeit, die sich, obwohl vom Land kommend, auch gleich mal im Haifischbecken der Pariser Gesellschaft behauptet und dort allesamt in die Tasche steckt. Der weitere Weg, den sie bestreitet, ist nur konsequent. Hier wird das Porträt einer starken Frau gezeichnet. Was „Colette“ aber über das Niveau ähnlicher Biopics hinaushebt, ist neben dem eindrucksvollen Spiel von Knightley und West die intelligente und flotte Erzählung. Kostümfilme haben oft das Problem, dass die Inszenierung dem Pomp der Ausstattung folgen möchte und damit das Tempo verschleppt wird. Das ist bei „Colette“ definitiv nicht der Fall. Die Dialoge sind messerscharfe Schlagabtausche, und auch Musik, Kamera und Schnitt haben den Schalk im Nacken, der gleiche Schalk, der auch Knightleys Colette immer wieder aus den Augen blitzt. Und so vergehen auch zwei Stunden rasant. „Colette“ ist ein selbstbewusster Film über eine selbstbewusste Frau.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)